Aschenputtel

Es war einmal ein reicher Mann, der hatte eine kranke Frau. Als sie ihr Lebensende kommen sah, rief sie ihr Töchterchen zu sich und sprach: "Liebes Kind, bleib fromm und gut. Der liebe Gott wird dir beistehen. Und ich werde vom Himmel herabschauen und immer bei dir sein." Darauf tat sie ihre Augen zu und starb. Das Mädchen aber ging bis zum Winter jeden Tag hinaus an das Grab und weinte um die Mutter.

Es kam das Frühjahr, und der Vater nahm sich eine andere Frau. Sie brachte zwei Töchter mit ins Haus, die schön anzusehen waren, aber ein böses Herz hatten. So begann eine schlimme Zeit für das arme Mädchen, die jetzt eine ungeliebte Stieftochter war. "Warum soll die dumme Gans bei uns in der Stube hocken", sprachen die beiden Töchter. "Wenn sie Brot essen will, dann soll sie sich das verdienen." In ihrer Bosheit nahmen sie dem Mädchen alle schönen Kleider weg und zogen ihr einen alten grauen Kittel an. "Seht nur, wie hübsch unsere kleine Prinzessin ist!", riefen sie und stießen sie in die Küche.

Von der ersten Morgenstunde bis Sonnenuntergang musste das arme Mädchen schwere Arbeit tun, das Wasser tragen, Feuer machen, kochen und waschen. Die beiden Töchter überschütteten sie jeden Tag mit Spott und Gelächter. Auch warfen sie Erbsen und Linsen in die Asche, worauf das Mädchen sie mühsam wieder auflesen musste. Wenn die Arme dann am Abend todmüde war, musste sich neben den Herd in der Asche schlafen, denn die Stiefmutter hielt die Kammer mit ihrem Bettchen fest verschlossen. Jeden Morgen wachte das Mädchen staubig und schmutzig auf, darum wurde sie bald Aschenputtel genannt.

§18

Alle Kinder haben das Recht auf eine gute Erziehung!
Beide Eltern sind gemeinsam für die Erziehung und die Entwicklung Ihres Kindes verantwortlich. Niemand darf den Eltern vorschreiben, wie sie ihre Kinder erziehen sollen. Der Staat hat aber die Pflicht, die Eltern bei der Erziehung zu unterstützen.

Eines Tages machte sich der Vater für eine längere Reise bereit. Er fragte die beiden Stieftöchter, was er ihnen mitbringen sollte. "Schöne Kleider", sagte die Erste. "Perlen und Edelsteine" rief die Zweite. Dann schaute der Vater seine Tochter an und sprach: "Mein kleines Aschenputtel, was möchtest du denn haben?" "Lieber Vater", sprach sie leise, "wenn du ein hübsches Zweiglein findest, dann bring es mir doch mit."

Auf seiner Reise kaufte der Vater nun schöne Kleider, Perlen und Edelsteine für die beiden Stiefschwestern. Als er aber auf dem Rückweg durch einen Wald ritt, stieß ein Haselzweig ihm den Hut vom Kopf. Da brach der Vater das Zweiglein ab und nahm es mit nach Hause. So bekamen alle das, was sie sich gewünscht hatten.

Aschenputtel dankte dem Vater für das Geschenk. Sie ging zum Grab der Mutter und pflanzte das Zweiglein in die Erde. Die Jahre vergingen und das Zweiglein wuchs zu einem schönen Haselbaum heran. Noch immer ging Aschenputtel jeden Tag zum Grab ihrer Mutter, um Trost zu finden. Und jedes Mal, wenn sie sich einen Apfel oder ein paar Nüsse wünschte, warf der Baum es ihr herab.

Eines Tages wurde dann bekannt, dass der König ein großes Fest für seinen Sohn ausrichtete. Es sollte zwei Tage dauern. Die schönsten Jungfrauen des Landes waren geladen, damit der Königssohn sich eine Braut wählen konnte. Die beiden Stiefschwestern hofften nun, den Prinzen als Bräutigam zu gewinnen.

Am ersten Tag des Festes riefen sie Aschenputtel herbei und sprachen: "Kämm uns die Haare und bürste uns die Schuhe. Wir wollen zum Fest des Königs gehen." Aschenputtel gehorchte, obwohl sie selber gerne mitgegangen wäre. Doch die Stiefmutter wollte es nicht erlauben und sprach: "Was fällt dir nur ein, Aschenputtel! Du bist voller Staub und Schmutz und willst so dem König unter die Augen treten?"

Als Aschenputtel mit ihrer Bitte aber nicht aufhörte, sprach die Stiefmutter listig: "Jetzt höre zu. Ich habe dir eine Schüssel Linsen in die Asche geschüttet. Wenn du die Linsen in zwei Stunden ausgelesen hast, dann sollst du mitgehen." Da lief Aschenputtel durch die Hintertüre in den Garten und rief:

"Ihr lieben Vöglein unter der Sonne,
kommt und helft mir lesen!
Die Guten ins Töpfchen,
die Schlechten ins Kröpfchen."

Und schon bald kamen zwei weiße Täubchen zum Küchenfenster herein. Sie ließen sich an der Asche nieder und fingen an zu picken. Kaum war eine Stunde herum, da war die Arbeit schon getan, und die Täubchen flogen zum Fenster hinaus.

Aschenputtel lief mit der Schüssel zur Stiefmutter und glaubte nun zum Fest gehen zu dürfen. "Nein, Aschenputtel!", fuhr die Stiefmutter sie an. "Du hast keine Kleider und kannst nicht tanzen. Die Leute werden dich nur auslachen. Wenn du aber in einer Stunde noch zwei Schüsseln Linsen aus der Asche lesen kannst, will ich es mir noch mal überlegen." Dann schüttete sie die Linsen in die Asche. Aschenputtel lief wieder in den Garten und rief:

"Ihr lieben Vöglein unter der Sonne,
kommt und helft mir lesen!
Die Guten ins Töpfchen,
die Schlechten ins Kröpfchen."

Und wieder kamen die weißen Täubchen zum Küchenfenster herein und pickten fleißig. Schon nach einer halben Stunde waren alle Linsen aus der Asche gelesen.

Mit frohem Herzen brachte Aschenputtel die Schüsseln zu ihrer Stiefmutter. Die war nun erst recht verärgert und sprach: "Ich habe es mir überlegt. Du wirst nicht mitgehen, denn wir müssten uns für dich schämen." Dann ließ sie Aschenputtel einfach stehen und eilte mit den beiden stolzen Töchtern zum Fest. Als nun niemand mehr daheim war, wusch sich Aschenputtel den Staub vom Leib und ging zum Grab ihrer Mutter. Dort stellte sie sich unter den Haselbaum und rief:

"Liebes Bäumchen, rüttle dich und schüttle dich,
wirf Gold und Silber über mich."

Da warf der Baum ein goldenes Kleid herunter und goldene Schuhe. Geschwind zog Aschenputtel alles an und ging zum Schloss. In dieser Pracht erkannten selbst die Stiefschwestern und die Stiefmutter nicht, wer da vor ihnen stand. Und der Königssohn wollte den ganzen Abend nur noch mit ihr tanzen.

Spät am Abend verabschiedete sich Aschenputtel vom Königssohn. Er sprach: "Ich werde mit dir gehen und dich begleiten." Denn er wollte wissen, woher sie kam. Aschenputtel entwischte ihm aber in der dichten Menge und war wie vom Erdboden verschluckt.

Am nächsten Tag hatten es die Stiefschwestern und die Stiefmutter sehr eilig, zum Fest des Königs zu gelangen. Der Königssohn sollte sich jetzt für eine Braut entscheiden. Kaum waren alle aus dem Hause, da lief Aschenputtel wieder zum Haselbaum und rief:

"Liebes Bäumchen, rüttle dich und schüttle dich,
wirf Gold und Silber über mich."

Da warf der Baum noch ein viel schöneres Kleid herab. Aschenputtel zog es geschwind an und eilte zum Schloss. Als sie in den Festsaal trat, waren alle von ihrer strahlenden Schönheit entzückt. Der Königssohn nahm sie gleich bei der Hand und tanzte nur mit ihr.

Am Abend verschwand Aschenputtel plötzlich wieder in der Menge, worauf der Königssohn sie aus den Augen verlor. Er hatte sich aber eine kleine List erdacht, und Treppestufen mit klebrigem Pech bestreichen lassen. Der Königssohn eilte nun dorthin und fand einen zierlichen goldenen Schuh.

Am nächsten Morgen ging er von Haus zu Haus, und fragte, wem der kleine Schuh wohl gehörte. Doch niemand konnte ihm Auskunft geben. Nach vielen Stunden klopfte der Königssohn auch an das Haus, in dem Aschenputtel wohnte. Die Stiefmutter öffnete die Tür und war sehr erfreut. Der Königssohn sprach: "Ich bin auf der Suche nach meiner Gemahlin. Und ich werde sie daran erkennen, dass der goldene Schuh an ihren Fuß passt."

Da freuten sich die beiden Stiefschwestern, denn sie hatten schöne Füße. Die Älteste ging mit dem Schuh in eine Kammer und probierte ihn an. Aber sie konnte nicht hineinkommen, denn der Schuh war ihr zu klein. Da gab die Mutter ihr ein Messer und sprach: "Hau die große Zehe ab. Wenn du Königin bist, musst du nicht mehr zu Fuß gehen." Das Mädchen tat es so, und zwängte den Fuß in den Schuh. Nun ging sie mit gespieltem Lächeln zum Königssohn. Er glaubte seine Braut gefunden zu haben und nahm sie mit auf sein Pferd. Als sie aber an dem Grab mit dem Haselbaum vorbeikamen, riefen dort zwei weiße Täubchen:

"Rucke di guh, rucke di guh,
Blut ist im Schuh.
Der Schuh ist zu klein,
die rechte Braut sitzt noch daheim."

Da blickte der Königssohn auf ihren Fuß und sah, wie Blut aus dem Schuh quoll. Der Königssohn wendete auf der Stelle sein Pferd und brachte die falsche Braut wieder nach Hause zurück. Dort verlangte er, dass auch die zweite Schwester den Schuh anprobieren sollte. Diese ging in eine Kammer und kam mit ihren Zehen auch glücklich in den Schuh hinein. Ihre Ferse war aber zu dick. Die Mutter gab ihr ein Messer und sprach: "Hau ein Stück von deiner Ferse ab. Wenn du Königin bist, musst du nicht mehr zu Fuß gehen." Das Mädchen tat es und zwängte den Fuß in den Schuh. Dann ging sie mit frostigem Lächeln zum Königssohn, der sie mit sich nahm. Doch als sie an dem Haselbaum vorbeikamen, saßen die zwei Täubchen wieder darauf und riefen:

"Rucke di guh, rucke di guh,
Blut ist im Schuh.
Der Schuh ist zu klein,
die rechte Braut sitzt noch daheim."

Der Königssohn schaute sich den Fuß jetzt genauer an, und wieder sah er Blut aus dem Schuh quellen. Zornig kehrte er mit der falschen Braut zurück und verlangte den Hausherrn zu sprechen. "Habt ihr denn keine Tochter für mich, die ohne List und Tücke in den golden Schuh steigen kann?", rief er. "Nein", sprach der Vater, "jetzt ist nur noch ein unansehnliches Aschenputtel von meiner verstorbenen Frau da. Sie kann unmöglich eure Braut sein." Der Königssohn verlangte sie aber mit eigenen Augen zu sehen. Da wusch sich Aschenputtel das Gesicht und die Hände und zeigte sich so dem Königssohn.

Er reichte ihr den goldenen Schuh und dieser passte wie angegossen. "Das ist die rechte Braut!", rief der Königssohn, worauf die Stiefschwestern und die Stiefmutter vor Neid erblassten. Der Königssohn setzte Aschenputtel auf sein Pferd, und sie ritten glücklich zum Schloss. Als sie aber an dem Haselbaum vorbeikamen, riefen die beiden weißen Täubchen:

"Rucke di guh, rucke di guh,
kein Blut ist im Schuh.
Der Schuh ist nicht zu klein,
die rechte Braut, die wird es sein."