Goldhaar

  • Autor: Haltrich, Josef

[von Josef Haltrich]

Es war einmal ein armer, armer Mann, der hatte einen Knaben und wusste nicht, wie er ihn noch länger ernähren sollte. Da führte er ihn in einen dichten Wald, und als sie das letzte Stückchen Brot gegessen hatten, schlief der Knabe ein. Nun stand der Vater auf und ging nach Hause, denn er dachte, dass der Kleine nicht alleine nach Hause finden könne. Und so geschah es auch.

Als der Knabe die Augen aufschlug und sah, dass sein Vater fort war, machte er sich alleine auf den Weg. Doch er geriet immer tiefer in den dunklen Wald, bis er am Abend endlich ein kleines Häuschen sah. Hier wollte er die Nacht über bleiben.

Als er eintrat, saß ein alter blinder Mann am Tisch und aß eine Hühnersuppe. Der Knabe war so hungrig, dass er zum Tisch ging, einen Löffel nahm und von der Suppe kostete. Der blinde Mann merkte es und fragte: "Wer isst von meiner Hühnersuppe?" "Ich bin es, lieber Väterchen", rief der Knabe, "ich habe großen Hunger!" Da freute sich der Alte und sprach: "Ich habe lange auf dich gewartet, und du sollst es gut haben bei mir!"

Nach dem Essen machte der Alte ein weiches Bettchen zurecht, und der Knabe schlief so gut, als wäre er im Himmel. Am folgenden Morgen sagte der Alte: "Nun ist es Zeit, dass du meine Ziegen hütest!" Dazu war der Knabe gerne bereit, und als er am Abend wieder nach Hause kam, aß er mit dem blinden Großvater wieder Hühnersuppe.

Nun hütete er zwölf Jahre lang die Ziegen, und der Alte war mit dem Jungen wohl zufrieden. Eines Tages gab er ihm aber ein Schwert und sprach: "Damit kannst du alles besiegen!"

Als der Junge wieder die Ziegen auf die Weide trieb, kam er auch in einen Wald, wo die Bäume und Blätter von blinkendem Kupfer waren. Und während er noch staunte, kam der Kupferdrache herbei und rief: "Heda, du Menschenkind, willst du mit deinen Ziegen meinen Wald verbeißen?" Schon wollte er den Jungen verschlingen, da nahm er sein Schwert und hieb dem Drachen das Haupt herunter. Nun ging der Junge in das Schloss des Drachen, wo alles aus Kupfer war. So fand er auch ein kupfernes Zaumzeug an einer Wand und nahm es mit sich.

Am Abend trieb er die Ziegen wieder heim, und sie gaben viel mehr Milch als vorher. Dann erzählte er dem Alten, wie er den Drachen erschlagen und das Zaumzeug aus dem Schlosse geholt hatte. "Da hast du das Beste aus dem Schlosse", sprach der Alte, "denn wenn es geschüttelt wird, erscheint gleich ein Heer Soldaten in kupferner Rüstung, so groß, wie du es wünschst!"

Am anderen Tag trieb der Junge die Ziegen noch weiter heraus, und er kam in einen Wald, wo die Bäume und Blätter aus blankem Silber waren. Es glänzte und glitzerte, und während sich der Junge noch verwundert umschaute, kam der Silberdrache herbei und rief: "Heda, du Menschenkind, willst du mit deinen Ziegen meinen Wald verbeißen?" Der Drache wartete nicht auf die Antwort und schickte sich an, den Jungen zu verschlingen. Der aber schwang sein Schwert und trennte mit einem Hieb das Haupt von dem mächtigen Drachenkörper. Nun ging der Junge in das Schloss, wo alles aus purem Silber gefertigt war. Dann sah er das silberne Zaumzeug an der Wand und nahm es mit sich.

Als er am Abend die Ziegen heim trieb, gaben sie dreimal mehr Milch als am vorherigen Abend. Danach erzählte der Junge dem Alten, was er erlebte hatte. "Das ist das Beste aus dem Schlosse", sprach der Alte, "denn wenn du das Zaumzeug schüttelst, erscheint gleich ein Heer Soldaten in silberner Rüstung."

Am dritten Tage trieb der Junge die Ziegen noch weiter fort und gelangte in einen Wald, wo die Bäume und Blätter aus purem Gold waren. Das war eine Herrlichkeit! Wie das glitzerte und glänzte! Da kam mit einem Male der Golddrache herangestürzt und rief: "Heda, du Menschenkind, willst du mit deinen Ziegen meinen Wald verbeißen?" Der Drache war schon im Begriffe, den Jungen zu verschlingen. Der aber zückte sein Schwert und trennte das Drachenhaupt mit einem Hieb vom Körper. Nun ging er in das Schloss des Drachen, wo alles vor Gold nur so strahlte. Und an einer Wand fand der Junge auch ein goldenes Zaumzeug und nahm es mit sich.

Als er die Ziegen am Abend heim brachte und melkte, gaben sie neunmal mehr Milch als am Abend zuvor. Beim Abendbrot erzählte der Junge dann dem Alten, was er aus dem Schloss mitgebracht hatte. "Das ist das Beste", sprach der Alte wieder, "denn wenn du das Zaumzeug schüttelst, erscheint gleich ein ganzes Heer Soldaten in goldner Rüstung."

Am folgenden Tage sprach der Alte: "Gib mir jetzt das Schwert zurück, denn es hat seinen Dienst getan. Nun kannst du mit all deinem Zaumzeug ausziehen und dir die jüngste und schönste von den Königstöchtern erwerben!" Das war dem Knaben ganz recht, und er machte sich fertig für die Reise. Der Alte führte ihn aber noch zu einem dunklen Felsen, in dem ein Brunnen sprudelte. "Ich muss dein Haupt waschen", sagte der Alte und benetzte die Haare des Jungen mit der springenden Flut. Und als der Junge in die Sonne hinaustrat, waren sie aus lauter Gold und glänzten, dass es eine Freude war. "Jetzt kannst du fortziehen", sprach der Alte zufrieden, "aber halte dein Haupt wohl bedeckt, dass niemand deine Haare sehen kann!"

Der Junge gelangte bald in die Königsstadt, versteckte das ganze Zaumzeug unter einem Baum und fragte am Hof, ob der König einen Diener brauche. Nun fehlte gerade ein Küchenjunge, und so wurde er in den Dienst genommen. Der Junge machte aber zur Bedingung, dass er seine Mütze nicht abnehmen dürfe, denn er habe einen bösen Schorf am Kopfe. Der Koch willigte ein, denn er hatte keine andere Wahl. Und mit der Zeit mochte er den Jungen sogar, weil er seine Arbeit fleißig und mit großem Geschick tat.

Der König hatte nun drei wunderschöne Töchter, doch die jüngste war die schönste. Da trug es sich zu, dass sie einmal schwer erkrankte und im Bette lag. Als die Königsfamilie in der Kirche war, schickte der Koch den Jungen mit Suppe zur kranken Königstochter. Die sah ihn genau an und sprach mit ihm. Und mit jedem Wort aus dem Munde des Jungen fühlte sie sich gleich gesünder.

Bald darauf nahte die Zeit, wo viele junge Grafen und Fürsten an den Hof kamen. Sie warben um die Königstöchter. Die Jüngste bekam aber die meisten Anträge, obwohl sie keine Blicke für die vornehmen Herren hatte. So kam es, dass die beiden älteren Schwestern schon bald den beiden edelsten Fürsten versprochen waren.

Da drängte der König seine jüngste Tochter, sie solle nun auch einen Fürsten nehmen. Sie aber antwortete: "Den Küchenjungen will ich nehmen, und keinen anderen!" Als der König das hörte, erschrak er so sehr, dass ihm eine Zeit lang die Sprache verging. Dann aber fing er im Zorne so heftig an zu wüten, dass er seine Tochter in Eisen schlagen und in einen Turm sperren ließ.

Es dauerte nicht lange, da wurde der König in einen Krieg verwickelt. Seine Schwiegersöhne, die beiden edlen Fürsten, mussten ihm helfen und mit in den Kampf ziehen. Der Küchenjunge wollte ebenso dabei sein und bat den Koch um Freistellung. Der Koch erlaubte es, weil im Schloss nicht mehr so viele Leute zu versorgen waren.

So ging der Junge also zu dem Baum, wo er das ganze Zaumzeug versteckt hatte. Er nahm das kupferne hervor und schüttelte es. Da kam viele, viele Krieger hervor und alle glänzten in kupferner Rüstung. Vor dem Jungen stand auch ein gesatteltes Ross und eine Rüstung. Die legte er schnell an, und zog in den Kampf. Der König und seine Schwiegersöhne waren aber schon geschlagen und wandten sich zur Flucht. Da stürmte der Junge mit seinen Truppen auf das Schlachtfeld, und errang den Sieg.

Noch ehe der König ihm danken konnte, ritt der Junge mit seiner Schar zum Baum zurück. Kaum hatte er das Zaumzeug zurückgelegt, waren das Heer, das Ross und auch seine Rüstung sogleich verschwunden. Und als der König mit seinen Leuten dann heimkehrte, erzählten sie nur noch von dem Wunderheer, das ihnen in höchster Not zu Hilfe geeilt war.

Der König musste bald wieder in einen Krieg. Da ging der Küchenjunge abermals zu dem Baum, wo das ganze Zaumzeug lag. Er holte jetzt das silberne hervor und schüttelte es. Da kamen unzählige Soldaten hervor, und alle glänzten in silberner Rüstung. Vor dem Jungen aber stand ein gesatteltes Pferd und eine herrliche silberne Rüstung. Die legte er schnell an, zog in die Schlacht.

Der König schien mit seinen Männern schon fast verloren, da stürmte der Junge mit seiner unbezwingbaren Streitmacht heran und schlug den Feind in die Flucht. Der König wollte gleich zu dem siegreichen Anführer reiten, um ihm zu danken, doch das ganze Heer verschwand so schnell, wie es gekommen war.

Als der König und seine Leute heimkehrten, erzählten sie von dem stattlichen Helden und seinen silbernen Scharen, doch niemand wusste, woher sie kamen und wohin sie gingen.

Nach einiger Zeit erhob sich der besiegte Feind abermals, und noch gewaltiger als zuvor. Da musste der König nun wahrlich alle seinen Scharen aufbieten, um auf den Schlachtfeld zu bestehen.

Der Küchenjunge ging nun wieder zu dem Baum, wo das ganze Zaumzeug lag, nahm das goldene hervor und schüttelte es. Da drängten sich unzählige Soldaten in endlosen Reihen hervor und alle erglänzten in goldener Rüstung. Vor dem Jungen stand wieder ein gesatteltes Ross und eine Rüstung bereit, die alles überstrahlte, was Menschen je gesehen hatten. Der Junge legte sie schnell an und ließ jetzt auch sein goldenes Haar frei im Winde wehen.

Schon hatte der Feind den König und seine Leibwache umzingelt, da rückte das goldene Heer heran. Dieser Anblick war so überwältigend, dass die Feinde kampflos das Schlachtfeld räumten.

Der König wollte seinem Retter danken, aber der war schon wieder mit seinem Heer verschwunden. Daheim ließ der König nun ein großes Siegesfest veranstalten, und es waren so viele Gäste geladen, dass die Dienerschaft nicht ausreichte. Da musste der Koch auch den Küchenjungen zum Bedienen schicken.

Der König dachte gerade an seine jüngste Tochter im Turm, und sein Herz war versöhnlich gestimmt. Also ließ er ausrichten, dass sie Gnade erwarten dürfe, wenn sie sich jetzt mit einen Fürsten oder Grafen vermählen würde. Es nutzte aber nichts und die Tochter sprach: "Nie und nimmer einen anderen als den Küchenjungen!"

Der König fuhr wütend auf, als er dieses vernahm. - Und gerade jetzt kam der Küchenjunge mit einer Schüssel Wildbret zum König, behielt aber wie gewohnt seine Mütze auf. "Du unverschämter Lümmel!", rief der König. "Du wagst es mit bedecktem Haupte vor mein Angesicht zu treten?" Der König holte mit der Hand weit aus und schlug ihm die Mütze herunter. Da fiel dem Jungen das goldene Haar auf die Schultern und glänzte so strahlend wie die Sonne. Der König wusste sogleich, wen er da vor sich hatte. Dieses goldene Haar hatte er in der letzten Schlacht wohl bemerkt, genau wie alle anderen. Der König kniete nieder und sprach: "Verzeiht mir, edler Herr, ich habe euch Unrecht angetan!" Der Junge hob ihn mit freundlichem Lächeln auf. Dann befahl er die jüngste Königstochter aus dem dunklen Turme zu befreien, und so wurde aus dem Siegesfest ein prächtiges Hochzeitsfest.

Nach der Hochzeit zog der Junge mit seiner schönen Königstochter in den goldenen Wald und nahm Besitz vom goldenen Schloss. Den kupfernen und silbernen Wald schenkte er den Schwiegersöhnen des Königs, denn die beiden Fürsten waren treue und tapfere Recken. Den alten blinden Mann suchte der Junge aber vergebens. Der war samt dem Häuschen spurlos verschwunden, und niemand wusste wohin.