Die Geschichte von den Pfauen, dem Löwen und der Gans

Vor langer Zeit lebte an den Ufern des Meeres ein Pfau. Er liebte es, mit seiner Frau durch den nahe gelegenen Wald spazieren zu gehen. Gemeinsam lauschten sie dem Gesang der Vögel und dem Plätschern der Bächlein. Gemeinsam gingen sie auf Nahrungssuche, und wenn es Abend wurde, verbargen sie sich gemeinsam im Laub eines Baumes. So verging die Zeit.

Eines Tages hatte der Pfau die Idee, einen Ausflug auf die nächstliegende Insel zu unternehmen. Seine Frau war damit einverstanden, und so breiteten beide ihre weiten Flügel aus und flogen zur Insel hinüber.

Hier war es wunderschön. Es gab viele Bäume mit dicken reifen Früchten, dazu breite plätschernde Bäche. Der Pfau und seine Frau waren begeistert von der Insel und beschlossen, hier eine Weile zu verweilen.

Als sie ein paar Tage hier verbracht hatten, beschlossen sie, wieder an ihr Ufer zurück zu kehren. Gerade wollten sie los fliegen, da sahen sie eine Gans auf sich zustürzen. Die Gans war sehr aufgeregt und flatterte ängstlich mit den Flügeln.„Ich brauche Schutz“, rief sie. Da nahmen der Pfau und seine Frau sie herzlich auf. „Sei willkommen bei uns“, sagten sie.

Und als die Gans sich von ihrer Angst erholt hatte, baten die beiden sie, zu erzählen. „Ach, ich bin ganz krank vor Angst“, rief die Gans. „Allah beschütze uns und bewahre uns vor dem Sohne Adams.“ „Beruhige dich, Gans“, erwiderte der Pfau. „Du stehst unter meinem persönlichen Schutz.

„Es ist doch nicht möglich, dass der Sohn Adams auf diese Insel gelangt, oder?“ fragte die Gans ängstlich. „Er kann doch nicht bis hierhin springen, und fliegen kann er auch nicht. Und da er ein schlechter Schwimmer ist, kann er auch die Wassermassen nicht überwinden, oder?“

„Nein, das kann er wahrlich nicht“, erklärte der Pfau. „Darum bist du hier wirklich vor ihm sicher.“ Und die Pfauin erwiderte:“ Meine liebe Schwester, erkläre uns doch, warum du dich so fürchtest.“ Da schüttelte die Gans ihr Gefieder und begann zu erzählen:

Seit meiner Kindheit bewohne ich diese Insel und habe hier ohne Kummer gelebt. Es gab nichts, was meinen Frieden störte. Als ich mich aber in der letzten Nacht zur Ruhe legte, hatte ich einen seltsamen Traum. Mir erschien der Sohn Adams und gleichzeitig rief mir eine Stimme zu:

„Hüte dich, Gans, hüte dich! Misstraue diesem Menschen. Seine Sprache ist freundlich, doch hinterlistig ist sein Handeln. Seine Gerissenheit ist so vollendet, dass er die Bewohner der Gewässer und die Ungeheuer der Tiefe locken und fangen kann.

Er ist in der Lage, den Adler mit einem Pfeil vom Himmel zu holen. So kann er sogar einen Elefanten besiegen, obwohl er eigentlich viel schwächer ist als er. Er ist imstande, ihm die Stoßzähne abzusägen und daraus Werkzeuge zu machen. Darum fliehe vor ihm, gute Gans und pass auf dich auf.“

Ich wachte erschrocken aus meinem Schlaf auf. Dann wartete ich nicht lange, sondern spannte meine Flügel weit aus und flog über das Meer. Ich blieb eine Weile auf dem Felsenvorsprung und überlegte, wo ich hingehen könnte. Gibt es eine Gegend, in der der Sohn Adams nicht hin kommt und wo eine Gans nur ihre natürlichen Feinde zu fürchten hat?

Als ich dort so saß und nachdachte, sah ich mir gegenüber am Eingang einer Höhle einen rothaarigen jungen Löwen. Er sah mich freundlich und gütig an. „Oh, du hübsche kleine Gans“, sprach er. „Komm doch ein wenig näher und sprich mit mir.“ Und weil er so freundlich redete, fasste ich Vertrauen zu ihm.

So kam ich näher. „ Ich sehe, wie du zitterst“, fuhr der Löwe fort. „Was ist denn so Furchtbares geschehen?“ Da erzählte ich ihm von meinem schrecklichen Traum.

Danach war ich sehr erstaunt, als mir der Löwe ebenfalls von einem ähnlichen Traum erzählte, den er von seinem Vater geschildert bekommen hatte. „Mein Vater hat mich eindringlich von dem Sohne Adams gewarnt“, berichtete der Löwe. „Aber da ich bis jetzt noch nie einem begegnet bin, kann ich nichts über ihn sagen.“

Als ich das hörte, sah ich meine Chance gekommen. Wenn ich dem jungen Löwen Mut machen konnte, würden wir den Sohn Adams vielleicht besiegen können. „König der Tiere“, sagte ich. „Du allein bist in der Lage, gegen den Sohn Adams vorzugehen. Gelingt es dir, ihn zu besiegen, wird dein Ruhm unermesslich sein. Alle Geschöpfe der Tierwelt werden dich bewundern.“

Mein Schmeicheln tat ihm gut, und er machte sich tatsächlich auf, nach unserem gemeinsamen Feind zu suchen. Er trat aus seiner Höhle, schritt stolz einher und ließ seinen Schweif kreisen. Daneben sah ich klein und unscheinbar aus. Ich war kaum in der Lage, seinem großen Schritt zu folgen.

Kaum waren wir eine Weile gegangen, sahen wir in der Ferne eine große Staubwolke. Dann erkannten wir einen Esel, der auf uns zu galoppierte. Er benahm sich höchst eigenartig, rannte schnell, hielt dann an und bockte, warf sich anschließend sogar in den Staub und wälzte sich, um dann erneut zu galoppieren.

Mein Freund, der Löwe hatte noch nie seine Höhle verlassen dürfen, darum hatte er noch nie einen Esel gesehen. „Komm doch einmal näher?“ rief er dem Esel zu. Das tat der Esel dann.

Der Löwe betrachtete ihn genauer. „Du scheinst ein Tier mit einem geringen Verstand zu sein“, überlegte der Löwe. „Warum benimmst du dich so eigenartig?“ „Ich versuche, dem Sohn Adams zu entfliehen“, entgegnete der Esel. Da lachte der Löwe.

„Du bist doch ein großes kräftiges Tier. Wie kann es sein, dass du dich vor dem Sohn Adams fürchtest?“„Oh König der Tiere“, entgegnete der Esel. „Du scheinst diese Spezies nicht zu kennen. Es ist noch nicht einmal der Tod, den ich fürchte, sondern ich habe Angst vor seiner Behandlung. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche. Denke dir, als ich jung und kräftig war, stand ich in seinen Diensten.

Ich musste ein Ding, das er Sattel nannte, auf meinem Rücken tragen. Um meinen Bauch schnürte er ein anderes Ding, das er Gurt nannte, und um meinen Schweif legte er einen Ring. Dann legte er ein Stück Eisen in meinen Mund, das meine Zunge und meinen Gaumen so verletzte, dass sie blutete.

Aber das ist nicht alles. Dann setzte er sich auf mich, nahm eine Peitsche und schlug auf mich ein, dass ich schneller gehen musste, als wir Esel es gewöhnt sind. Ging ich dann doch mal wieder langsamer, weil ich nicht mehr konnte, fluchte er und rief ständige wütende Verwünschungen nach mir.

Und obwohl ich nicht besonders empfindlich bin, begann ich doch zu zittern und bekam es mit der Angst zu tun. Und manchmal ist es auch passiert, dass ich anfing, zu stolpern und hinfiel. Dann aber, das sage ich dir, oh Löwe, kennt seine Wut keine Grenzen. Was er dann tut, kann ich dir weder beschreiben, noch die Worte wiederholen, die er dann benutzt.

Aber das ist noch längst nicht alles. Wenn ich alt bin, verkauft er mich an einen Wasserträger. Dann wird mir ein Holzsattel aufgelegt und mir Krüge und Schläuche aufgelegt, die zu beiden Seiten herab hängen.

Und wenn ich dann unter der Last ächze und stöhne, werde ich noch weiter mit Peitschenhieben bedacht, bis ich schließlich an der schlechten Behandlung und dem mangelhaften Essen elend zugrunde gehe.

Dann aber werde ich den herrenlosen Hunden zum Fraß vorgeworfen. Oh König der Tiere, gibt es unter Allahs Geschöpfen Wesen, die grausamer sind als der Sohn Adams?“

So sprach der Esel und wollte sich dann erneut auf den Weg machen. „Bleibt noch einen Augenblick“, rief ihm der Löwe zu. „Ich möchte dich bitten, mir den Weg zum Sohn Adams zu zeigen.“ Doch der Esel schüttelte seine langen Ohren voller Angst, kehrte uns dann den Rücken und machte sich aus dem Staub.

Doch kaum war der Esel fort, kam eine neue Staubwolke auf uns zu. Bald konnten wir dahinter ein wunderschönes schwarzes Pferd erkennen, das eine große weiße Blesse auf der Stirn hatte. Als das Pferd meinen Freund, den Löwen erblickte, wollte es schnell wieder davon laufen, aber der Löwe sprach es an.

„Wohin willst du denn so schnell laufen, schönes edles Tier? Dahinter beginnt doch die Einöde.“ „Ich bin auf der Flucht vor dem Sohne Adams“, entgegnete das Pferd ängstlich.

Nun war der Löwe vollends verwundert. „Wie ist das möglich?“, fragte er verwundert. „Ein Tier von deiner Größe und Kraft hat so eine Angst? Du bist doch in der Lage, mit einem einzigen Hufschlag zu töten. Trotzdem fürchtest du dich? Schau mich an, junger Freund. Ich bin nicht so groß wie du, trotzdem habe ich meiner liebenswerten Freundin, der Gans, versprochen, den Sohn Adams anzugreifen und zu töten.“

Als das Pferd diese Worte gehört hatte, lächelte es traurig. „Das ist weise und mutig von dir“, sagte es. „Aber glaub nicht, es kommt nur auf Schnelligkeit und Stärke an. Das ist nichts gegen die List des Sohnes Adams. Dagegen bist du machtlos.

Er wollte mich zähmen und hat es auch geschafft. Und als er das geschafft hatte, legte er mir Fesseln an und band mich mit einem Harken an die Wand. Und nicht nur das, ich musste auch einen Sattel tragen, wurde von Gurten eingeengt und bekam ein Stück Stahl in den Mund gelegt, mit dem er mich lenken konnte, wohin er wollte.

Aber das ist nicht alles. Er setzte sich schließlich auf meinen Rücken und mit zwei scharfen Kanten an seinen Füßen trieb er mich an. Und wenn ich mal nicht gehen wollte, stieß er mich damit in die Flanken, bis ich anfiang zu bluten und schließlich losging.

Noch schlimmer aber wird mein Schicksal, wenn ich alt bin und an Schnelligkeit eingebüßt habe und mein Fell keinen Glanz mehr hat. Dann nämlich wird er mich an einen Müller verkaufen, und ich habe Tag und Nacht die Mühle zu drehen.

Und wenn ich dann zusammen breche, weil meine Kräfte erschöpft sind, werde ich an einen Abdecker verkauft. Der wird mich töten, mir die Haut abziehen und an den Gerber weiter verkaufen. Meine Mähne und mein Schweif aber werden an einen Bürstenmacher weiter gegeben.

„Das ist ja schrecklich“, sagte der junge Löwe. „Ich muss die Schöpfung dieser Welt unbedingt von diesem schändlichen Wesen befreien. Sage mir, Pferd, wo kann ich dieses Wesen finden?“ „Ich verließ ihn gegen Mittag“, sagte das Pferd. „Es dürfte nicht lange dauern, dann wird er mich verfolgen.“

Kaum hatte das Pferd diese Worte ausgesprochen, wurde erneut eine Staubwolke sichtbar. Es war eine riesige Staubwolke. Als sie näher kam, erkannten wir ein Kamel, das mit riesigem Geschrei und großen Sprüngen auf uns zukam.

Als der Löwe diese große Staubwolke sah, war er davon überzeugt, dass dieses Wesen nur der Sohn Adams sein konnte. So sprang er mit lautem Gebrüll auf das Kamel zu und wollte es zerfleischen.

Da rief ich so laut ich konnte: „Halt inne, König der Tiere. Dieses Tier ist nicht der Sohn Adams sondern das friedlichste Geschöpf, das wir kennen.“ Da sprang der Löwe rechtzeitig zurück und starrte das Kamel überrascht an. „Ein Kamel bist du?“, fragte er. „Und du hast auch Angst vor dem Sohn Adams? Kannst du ihn nicht mit deinen Füßen zertreten?“

Da sah das Kamel den Löwen lange an. „Oh Sohn des Königs, schaue mich an“, sagte es. „Siehst du, wie meine Nüstern von einem Ring durchbohrt sind? Weißt du, wozu der Ring da ist? Ein Strick wird durch diesen Ring gezogen, und er ist dazu da, mich zu führen und zu leiten.

Der Sohn Adams, ja sogar das kleinste seiner Kinder ist in der Lage, mich nach seinem Willen herum zu zerren, und nicht nur mich, auch die anderen Kamele. Schau dir meinen Rücken an, der ist voll von dicken Schwielen und Blasen. Schwere Lasten schleppe ich seit vielen Jahren.

Und sieh dir auch meine Beine an. Ich habe Knoten an den Gelenken und meine Gelenke sind steif von den vielen langen Wanderungen durch die Wüsten und die steinigen Pfade.

Aber das ist nicht alles. Wenn ich älter werde, nach vielen vielen Jahren Arbeit, werde ich an den Metzger verkauft, meine Haut an den Gerber und mein Haar an die Weber und Seilhersteller.“

So sprach das Kamel. Doch der Löwe entrüstete sich sehr. Er brüllte laut und peitschte mit seinem Schweif die Erde. Dann drehte er sich zu dem Kamel um. „Sage mir, wo ich den Sohn Adams finden kann“, sprach er.

„Oh König der Tiere, er folgte meiner Spur, und so wird es nicht lange dauern, und er wird hier sein. Darum verzeih, aber ich will mich schnell davon machen.“ In aller Eile wünschte er dem Löwen alles Gute und rannte davon.

Kaum war er verschwunden, tauchte ein weißhaariger Mann neben dem Löwen auf. Es war ein kleines Männlein mit einem faltenreichen Gesicht. Auf der Schulter trug er einen Korb mit Werkzeugen, wie sie Tischler verwenden, und auf seinem Kopf transportierte er acht lange Bretter.

Als ich ihn erblickte, bekam ich einen großen Schrecken. Der junge Löwe aber lachte über den Anblick des kleinen Männleins und trat näher, um ihn genauer zu betrachten.

Der Tischler aber verneigte sich vor dem König der Tiere. „Oh mächtiger König! Ich wünsche dir einen guten Tag und bitte Allah, dein Ansehen zu mehren. Wie du siehst, bin ich ein unterdrücktes geknechtetes Geschöpf dieser Erde. Da würde ich mich freuen, wenn du mir helfen könntest.“ Und er seufzte tief.

Der Löwe war sehr gerührt. „Du bist ein freundliches Wesen“, sprach er. „So wohlerzogen und sprachlich so geschickt. Leider bist du nicht mit viel Schönheit ausgestattet. Aber erzähle mir, was ist es, das dich so bedrückt.“

Da erwiderte der Tischler: „Oh König der Tiere, wie du siehst, bin ich Tischler. Und derjenige, der mich bedrückt ist der, den wir als Sohn Adams bezeichnen. Tag für Tag von morgens bis abends zwingt er mich, für sich zu arbeiten. Er bezahlt mich schlecht, so dass ich Hunger leiden muss. So habe ich beschlossen, nicht mehr sein Sklave zu sein und zu fliehen.“

Nun brüllte der Löwe laut: „Wo verdammt noch einmal ist dieser verfluchte Sohn Adams. Ich will ihn zwischen meine Zähne nehmen und zermalmen, damit er gerächt ist.“ „Er wird bald da sein, denn er verfolgt meine Spur“, erwiderte der alte Mann.

„Wo willst du eigentlich mit deinen kleinen unsicheren Hinterfüßen hin?“ fragte der Löwe. Da antwortete der Tischler: „Ich bin auf dem Weg zum Wesir deines Vaters, dem Leoparden. Er bat mich, ihm ein sicheres Haus zu bauen, damit er sich vor dem Sohn Adams verstecken kann.

Denn es hat sich das Gerücht verbreitet, dass er schon bald auch in dieses Gebiet vordringt. Das ist auch der Grund, warum ich mit Holz und Handwerkszeug beladen bin.“

Da wurde der junge Löwe sehr neidisch. „Ich lasse es nicht zu, dass der Wesir dir Aufträge erteilt. Hier bei mir hast du zu bleiben und mir ein Haus zu bauen! Der Wesir soll gefälligst warten.“

Doch der Tischler tat, als habe er das nicht verstanden und wollte weiter gehen, doch der Löwe versperrte ihm den Weg. Da wurde der Tischler sehr unglücklich. „Oh König, lass mich gehen“, rief er. „Ich verspreche dir, ich werde sofort zurückkommen, wenn das Haus des Wesirs fertig ist. Aber ich fürchte mich vor seinem Zorn.“

Doch der Löwe wollte nichts davon hören. Ärgerlich trat er dem Tischler entgegen, und um ihm Angst einzujagen, legte er ihm die große Tatze auf die Brust. Dieser kleine Scherz genügte, den Tischler in Angst und Schrecken zu versetzen. Er warf sich mit all seinen Brettern und Werkzeugen auf die Erde.

Da lachte der Löwe laut. „Du jammervolles Geschöpf“, sagte er. Der Tischler atmete tief durch und bemühte sich, seine Fassung wieder zu erlangen. Dann nahm er seine Bretter und die Werkzeuge und begann mit der Arbeit.

Er nahm Maß und baute dann einen festen Kasten, der nur eine einzige Öffnung aufwies. Dann schlug er von außen einige kräftige Nägel ein, deren Spitzen nach innen standen. Danach fertigte er auch noch einen Deckel für die Öffnung an.

Unter vielen Verbeugungen bat er den Löwen nun, das Haus zu besichtigen. Doch der Löwe war unsicher. „Ich weiß nicht, ob das wirklich etwas taugt“, überlegte er. „Es ist viel zu eng und was soll ich darin?“

Doch der Tischler antwortete: „Schau es dir doch erst einmal genauer an. Es ist sehr gemütlich. Jeder, der schon einmal in so einem Haus gelebt hat, fühlt sich darin wohl.“ So bückte sich der Löwe und kroch in den Kasten. Seine Schwanzspitze aber schaute noch heraus.

„Einen Augenblick noch, König“, sagte der Tischler. „Wir wollen schauen, ob euer Schwanz auch noch Platz in dem Haus hat.“ So rollte er den Schwanz des Löwen ein und schob ihn ebenfalls in das Haus. Dann drückte er, so schnell er konnte, den Deckel hinauf und nagelte ihn mit kräftigen Hammerschlägen fest.

Der Löwe versuchte nun, sich in dem Kasten zu rühren, doch wohin er sich auch wendete, er stieß mit seiner Haut gegen die Spitzen der Nägel. Wütend brüllte er auf: „Was soll das bedeuten? Mach sofort diesen unbequemen Kasten wieder auf.“

Da lachte der Tischler laut und rief: „Oh nein, das hier ist ein ausgezeichneter Kasten. Du dummer Hund der Wüste! Nun hast du mich endlich einmal kennen gelernt, mich, den Sohn Adams, den du hässlich und schwach findest. Aber meine Hässlichkeit und Schwäche besiegen deine Schönheit, deinen Mut und deine Kraft.“

Nach diesen Worten häufte der Tischler Laub und Äste um den Kasten und steckte ihn in Brand. Ich arme Gans aber musste alles mit ansehen. Der Löwe, der herrliche König der Tiere verbrannte. Er brüllte nicht einmal mehr. Bald war von ihm nur noch ein Häufchen Asche übrig.

Der Sohn Adams aber lachte über seine grausame Tat. Allah sei Dank, dass er mich nicht bemerkte. Lange brauchte ich, bis ich mich von meinem Schrecken erholte. Dann erhob ich mich und flog davon.

Als der Pfau und die Pfauin diese Erzählung hörten, sprach die Pfauin: „Meine arme Schwester beruhige dich! Du bist bei uns in Sicherheit. Bleibe bei uns, wir passen auf dich auf, und Allah wird dir den Frieden wieder schenken.“

Die Gans erwiderte jedoch: „Ich danke euch ganz herzlich. Leider habe ich immer noch Angst.“ Doch der Pfau tröstete sie: „Bedenke doch, du bist auf einer Insel mitten im Meer. Hier bist du vor dem Sohn Adams sicher. Er kann nicht springen und nicht schwimmen. Wir Vögel sind zwar nicht so stark, wie der Löwe oder der Elefant, aber unsere Flügel schützen uns besser als die stärksten Zähne. Darum fürchte dich nicht.

Sollte unser Schicksal es aber anders mit uns meinen, können wir es auch nicht ändern. Niemand kann seinem Schicksal entfliehen, das er zugewiesen bekommt. Doch können wir uns immer damit trösten, dass unsere Seele nicht sterben wird, bevor ihr nicht auch etwas Gutes getan wird.“

So sprach der Pfau, und seine Worte waren sehr weise. Noch während alle darüber nachdachten, waren plötzlich Schritte zu hören und die Zweige begannen zu rauschen.

Das verunsicherte die Gans so sehr, dass sie ihre Flügel weit ausbreitete und zum Meer hinüber flog. Dabei rief sie dem Pfau zu: „Rettet euch, bringt euch in Sicherheit!“

Doch die Zweige teilten sich und eine liebliche Gazelle wurde sichtbar. „Komm zurück!“, rief der Pfau nun der Gans zu. „Es ist nur eine Gazelle.“ Und als die Gans zögerte, fügte die Pfauin hinzu: „Es ist wirklich nur eine Gazelle. Ein liebliches freundliches Wesen, das sich von Pflanzen ernährt.“

Da kam die Gans wieder zurück und wiegte sich, als sie des Weges kam, kokett in den Hüften. Die Gazelle blickte von einem zum anderen und sprach: Es ist das erste Mal, das ich auf diese Insel kam, und ich sah nirgends auf der Welt schönere Pflanzen und größere Früchte. So erlaubt mir, euch Gesellschaft zu leisten.“

„Aber gerne, verehrte Gazelle“, erwiderten die drei. „Hier wirst du ein schönes langes Leben finden.“ So lebten sie alle in Frieden miteinander. Die Pfaue und die Gazelle priesen Allah den Schöpfer für dieses schöne Stück Land. Nur die Gans dankte Allah nicht, sie blieb furchtsam und verbittert seit ihrem schlimmen Erlebnis mit dem Löwen.

Auch lebte sie nicht in Freude, wie es die anderen taten, sondern blieb misstrauisch, träge und unleidlich. Dann aber kam die Stunde, in der Allah der Allmächtige sie für ihre Undankbarkeit strafte.

Eines Tages nämlich wurde ein mastloses Schiff vom Sturm an die Insel getrieben. Die Menschen, die sich auf dem Schiff befanden, retteten sich ans Ufer und eilten auf die Tiere, die Pfaue, die Gans und die Gazelle zu.

Schnell flogen der Pfau und seine Frau auf den obersten Wipfel der Bäume, die Gazelle eilte in großen Sätzen davon. Nur die Gans war zu aufgeregt, um zu flüchten. Sie lief mal hierhin und mal dort hin.

So gelang es den Männern, die Gans einzufangen, und sie wetzten das Messer, um sie zu schlachten. „Ach ich Arme“, klagte die Gans. „Da war ich die ganze Zeit über so vorsichtig, doch ich konnte meinem Schicksal nicht entgehen.“

Der Pfau und seine Frau flogen näher, um zu schauen, wie es der Gans ergangen ist, und da sahen sie, dass sie getötet und gerupft wurde. Da flohen sie zu der Gazelle und erzählten ihr alles, und sie waren froh, in Sicherheit zu sein.

Noch oft dachten sie an die Gans. „Die Ärmste“, sagte die Gazelle. „Was hat sie davon gehabt, dass sie immer so verbittert war. Hätte sie Allah gedankt und das Leben gepriesen, hätte sie die Tage, die Allah ihr schenkte, genießen können.“

„So ist es“, sagte der Pfau. „Darum sollten wir für alles Schöne dankbar sein. Überall auf der Welt gibt es Gefahren, aber sie werden nur größer, wenn wir uns fürchten.“ Sie nickten mit ihren Köpfen, und die Pfauin fügte hinzu: „Möge uns Allah vor den Söhnen Adams bewahren, denn sie sind die wahren Geißel der Erde.“

Und sie tranken gemeinsam aus einer kristallklaren Quelle und ihr Kummer verschwand. Sie freuten sich über das herrliche Wasser, den Wald und die wunderschöne Insel und fanden Frieden.

Das erzählte Scheherazade. Der König fand Gefallen an ihren Tierfabeln und wollte mehr davon hören. Da wagte sie nun, eine Geschichte zu erzählen, die geeignet war, das böse Herz eines Herrschers zu erweichen.

Es war die Geschichte von dem Wolf und dem Fuchs. Mit wohl gesetzten Worten begann Scheherazade die Geschichte vom Tod des Tyrannen.