Rüberzahl und der Glashändler

[von Johann Karl August Musäus]

Nun hatte der Berggeist also dafür gesorgt, dass der armer Bauer Veit mit seiner Familie zu Wohlstand kam. Dieser bemühte sich auch redlich, die Ursache seines Reichtums geheim zu halten, denn er wollte den Gebirgsgeist vor einer Flut von Bittstellern schützen. Die Sache wurde dann aber doch noch ruchbar. Wie das Leben aber so spielt, vertraute die Frau des Bauern es einer verschwiegenen Nachbarin an. Die sagte es ihrem Mann, und der dem Dorfbarbier, und der tratschte es an alle seinen Bartkunden weiter. Bald wusste man es im ganzen Dorf. Da spitzten auch viele Taugenichtse ihre Ohren, zogen scharenweise ins Gebirge und beleidigten den Berggeist, um ihn herbeizurufen.

Rübezahl ließ sie eine Zeit lang gewähren. Warum sollte er sich mit diesem Lumpenpack groß abgeben? Doch von Zeit zu Zeit trieb er auch seinen Spott mit ihnen. Er ließ in der Nacht da und dort ein blaues Flämmchen auflodern. Wenn die Gierschlunde dann kamen und ihre Mützen darauf warfen, konnten sie manchmal einen schweren Geldtopf ausgraben, den sie mit Freuden nach Hause brachten und dort versteckten. Wenn sie den Schatz aber nach neun Tagen ansehen wollten, fanden sie nur noch Gestank und Unrat in dem Topf, bestenfalls auch Scherben und Steine.

Trotzdem fand sich immer wieder ein neuer Spitzbube, der auf diesen Unfug hereinfiel. Das erzürnte den Berggeist ungemein, und er warf das lose Gesindel mit einen kräftigen Steinhagel aus seinem Gebirge hinaus. Auch die Wanderer hatten nichts Gutes zu erwarten, wenn sie das Land durchquerten. Und der Name Rübezahl wurde im Gebirge fortan nicht mehr ausgesprochen.

Eines Tages sonnte sich der Geist an der Hecke seines Gartens. Da kam ein Weiblein daher, die mit ihrem sonderbaren Aufzug seine Aufmerksamkeit erregte. Sie hatte ein Kind an der Brust liegen. Ein anderes Kind trug sie auf dem Rücken, eines hatte sie an der Hand, und ein etwas größerer Knabe trug einen leeren Korb und einem Rechen hinter ihr her. Sie wollten damit Laubfutter für das Vieh sammeln. "Diese Mutter", dachte der Berggeist, "ist doch wahrlich ein gutes Geschöpf. Sie schleppt sich mit vier Kindern herum und wird sich noch mit dem vollen Korb belasten."

Die Frau setzte ihre Kinder auf den Rasen und streifte Laub von den Büschen. Schon bald verspürten die Jüngsten Langeweile und fingen kräftig an zu schreien. Da verließ die Mutter ihre Geschäfte, spielte und tanzte mit den Kindern, nahm sie auf, hüpfte mit ihnen singend und scherzend herum, wiegte sie in Schlaf und ging wieder an ihre Arbeit. Bald darauf stachen Mücken auf die kleinen Schläfer ein. Die Kinder wachten auf und fingen erneut an zu schreien. Da lief die Mutter ins Unterholz, pflückte zum Trost wilde Erdbeeren für die Kleinen und legte das Jüngste an die Brust. Diese mütterliche Behandlung gefiel dem Berggeist aufs Beste.

Allein der Schreier, der vorher auf dem Rücken der Mutter ritt, wollte sich durch nichts beruhigen lassen. Er war ein störrischer, eigensinniger Junge, der die schönen Erdbeeren einfach von sich warf und unaufhörlich weiterschrie. Da war nun auch die Geduld der gutmütigen Mutter am Ende und sie rief mit unbedachten Zorn: "Rübezahl, komm und friss mir diesen Schreier!" Flink wie der Wind nahm der Geist seine Köhlergestalt an, trat zu der Mutter und sprach: "Hier bin ich, was ist dein Begehr?" Die Frau war zunächst entsetzt, doch schon bald fasste sie wieder Mut. "Ich rief dich, meine Kinder schweigend zu machen", sprach sie. "Nun sind sie ruhig, und ich brauche deine Hilfe nicht mehr. Sei bedankt für deine gute Tat." "Weißt du auch, dass man mich nicht ungestraft mit meinem Spottnamen ruft?", fragte der Geist mit ernster Miene. "Ich will dich beim Wort nehmen! Gib mir deinen Schreier, damit ich ihn fressen kann. So ein leckerer Bissen ist mir lange nicht geboten worden." Dann streckte er die rußige Hand aus, um den Knaben in Empfang zu nehmen.

Wie eine Gluckhenne, die ihre Küken verteidigt, fiel die Mutter dem schwarzen Köhler wütend in den Bart, ballte die kräftige Faust und rief: "Du Ungetüm! Du musst mir erst das Mutterherz aus dem Leibe reißen, bevor du mein Kind bekommst."

Solch einen mutigen Angriff hatte Rübezahl nicht erwartet. Er wich fast schüchtern einige Schritte zurück. Der kurze Schreck verzog sich aber schnell aus seinem Gesicht. Er lächelte das Weib freundlich an und sprach: "Lass gut sein! Ich bin kein Menschenfresser, wie du glaubst. Dir und deinen Kindern wird kein Leid geschehen, aber lass den Knaben ruhig bei mir. Der Schreier gefällt mir! Ich will ihn halten wie einen Edelmann, will ihn in Samt und Seide kleiden und einen wackeren Kerl aus ihm machen. Dafür kannst du hundert Taler verlangen, ich zahle sie dir."

"Ha!", rief die Mutter, "gefällt Euch der Junge? Ja, das ist ein prächtiger Junge. Den gebe ich für keinen Schatz der Welt her." "Du bist närrisch!", erwiderte Rübezahl. "Hast du mit den anderen Kindern nicht genug? Musst sie kümmerlich ernähren und dich Tag und Nacht mit ihnen plagen." "Wohl wahr", antwortete sie, "aber dafür bin ich auch ihre Mutter. Kinder sind oft eine Last, aber sie geben auch Anlass zur Freude." "Schöne Freude", spottete der Geist, "wenn man die Balge dauernd herumschleppen, gängeln und säubern muss. Wer kann denn schon ihre Unart und das Geschrei auf lange Sicht ertragen!"

"Wahrlich, Herr, Ihr kennt die Mutterfreuden nicht. Alle Arbeit und Mühe lohnt sich für das niedliche Lächeln und Lallen der kleinen unschuldigen Würmer. Seht nur den Goldjungen da, wie er an mir hängt, dieser kleine Schmeichler! Ach, hätte ich doch nur hundert Hände für meine lieben Kleinen!"

Der Geist runzelte die Stirn und sprach: "Hat denn dein Mann keine Hände, die arbeiten können?" "Oh ja, die hat er! Er rührt sie auch, und ich fühle es zuweilen." Der Geist grollte: "Was denn? Dein Mann erdreistet sich, die Hand gegen dich zu erheben? Das Genick will ich ihm brechen, dem Übeltäter!" Die Mutter winkte ab und sprach: "Da müsstet Ihr aber viele Hälse brechen, wenn alle Männer büßen sollten, die sich an der Frau vergreifen. Ich muss mich wie die Anderen eben fügen."

Der Geist überlegte: "Nun ja, wenn es dir bewusst war, dass die Männer ein schlimmes Volk sind, dann war es wohl eine Dummheit, dass du geheiratet hast." "Mag sein", erwiderte sie. Aber mein Steffen war ein flinker Kerl, der einen guten Broterwerb hatte. Ich dagegen war eine arme Magd ohne Heiratsgut. Da kam er zu mir, begehrte mich zur Ehe, gab mir einen Goldenen Taler als Geschenk, und der Handel war gemacht. - Nachher hat er mir den Taler wieder abgenommen, aber den wilden Mann habe ich behalten."

Der Geist schmunzelte: "Vielleicht hast du ihn ja mit deinem Starrsinn erst wild gemacht." "Oh, den hat er mir schon ausgetrieben! Steffen ist zudem ein Knauser. Wenn ich ihm einen Groschen abfordere, rast er wild im Hause herum. Ständig wirft er mir meine Armut vor, und dazu kann ich dann nur schweigen. Hätte ich eine ordentliche Aussteuer mit in die Ehe gebracht, würde ich ihm die Daumenschrauben schon anlegen."

Der Geist war nun richtig neugierig geworden und fragte: "Was für ein Gewerbe treibt denn dein Mann?" "Er ist ein Glashändler", antwortete sie. "Der arme Tropf schleppt die schwere Last aus Böhmen herüber, Jahr für Jahr. Wenn ihm unterwegs ein Glas zerbricht, muss ich es mit den Kindern ausbaden." "Wie kannst du den Mann denn noch lieben, wenn er dir so übel mitspielt", rief der Geist empört. Die Mutter seufzte und sprach: "Nun, er ist der Vater meiner Kinder. Die werden uns sicher alles gutmachen und uns belohnen, wenn sie groß sind."
"Leidiger Trost!", erwiderte der Geist mürrisch. "Die Jungen werden dir den letzten Heller aus dem Schweißtuch pressen, wenn der Kaiser sie zu seinem Heer ins ferne Ungarn schickt, wo sie sich dann mit den Türken schlagen müssen." Die Mutter zuckte mit den Schultern und sprach: "Das ist der Lauf der Dinge. Werden sie im Kampf erschlagen, so sterben sie für Kaiser und Vaterland. Wenn sie aber reiche Beute machen und zurückkehren, ist es ihnen ein Leichtes, ihre Eltern zu pflegen."

Der Berggeist hatte genug gehört und bekräftigte noch einmal seine Absicht, den Knaben aufzuziehen. Die Mutter ließ ihn aber ohne weitere Worte stehen, raffte das Laub in den Korb und band den kleinen Schreier oben darauf.

Weil die Last nun sehr schwer geworden war, rief sie noch ein letztes Mal den Geist herbei. "Helft mir den Korb aufladen", sprach sie, "und wenn Ihr etwas für den Knaben tun wollt, dann gebt ihm einen Groschen." Der Geist antwortete: "Aufhelfen will ich dir wohl. Aber gibst du mir den Knaben nicht, gibt es auch keinen Groschen." "Auch gut!" zischte die Mutter und ging davon.

Je weiter sie ging, desto schwerer wurde der Korb. Bald musste sie alle zehn Schritte verschnaufen. Das alles schien ihr nicht mit rechten Dingen zuzugehen. Sie glaubte, Rübezahl spiele ihr einen bösen Streich. Also setzte sie den Korb ab und stürzte ihn um. Doch es fielen nur unzählige Laubblätter heraus, nicht ein einziger schwerer Stein. Verärgert füllte sie den Korb wieder bis zur Hälfte auf und ließ den Rest an Ort und Stelle liegen.

Es dauerte aber nicht lange, da war ihr die Last erneut zu schwer. Zu ihrer Verwunderung musste sie wieder einen Teil der Blätter ablegen, obwohl sie früher schon oft den Korb mit voller Last nach Hause getragen hatte. So kam sie nur mit wenig Futter heim, dass sie wie gewohnt der Ziege und den jungen Zicklein vorlegte. Dann besorgte sie den Haushalt, gab den Kindern das Abendbrot, betete mit ihnen und brachte sie Bett.

Am nächsten Morgen ging die Mutter der Gewohnheit nach zuerst in den Stall. Was für en schrecklicher Anblick! Die alte Ziege hatte alle viere von sich gestreckt und war tot. Die Zicklein verdrehten noch grässlich die Augen, streckten die Zunge heraus, und verrieten mit ihren Zuckungen, dass sie der Tod schon schüttelte. So ein Unglücksfall war der guten Frau noch nicht vorgekommen, seitdem sie wirtschaftete.

Verzweifelt sank sie auf ein Bund Stroh und hielt die Schürze vor die Augen, denn sie konnte den Jammer nicht ertragen. "Ach, ich unglückliches Weib, seufzte sie, "was fange ich nur an! Und was wird mein harter Mann tun, wenn er heim kommt? Das wird ein böses Ehestündlein werden. Nur gut, dass die Ernte bevor steht. Da kann ich schneiden gehen, und im Winter will ich fleißig spinnen. Eine Ziege wird ja wohl zu erwerben sein, und habe ich die, so wird es auch bald wieder Zicklein geben."

Sie wischte ihre Tränen ab, und erblickte jetzt ein seltsames Blättlein am Boden. Es flitterte und blinkte so hell gediegenes Gold. Sie hob es auf, besah es von allen Seiten. Es war wirklich schwer wie Gold. Rasch sprang sie auf, lief damit zur Nachbarin und zeigte ihr den Fund. Die Jüdin erkannte sogleich den Wert des Stückes und handelte es der Mutter für gutes Geld ab.

Vergessen waren nun alle Sorgen. So viel Bares hatte das arme Weib noch nie gehabt. Sie lief zum Bäcker, kaufte Streuselkuchen und Butterkringel für die Kinder, und eine Hammelkeule für Steffen, der am Abend von der Reise zurückkehren sollte. Wie zappelten die Kleinen, als die Mutter hereintrat und ein so ungewohntes Frühstück austeilte!

Nach dem Essen war es ihre erste Sorge, das getötete Vieh beiseite zu schaffen, um es vor dem Manne zu verbergen. Oh, wie staunte sie, als sie in den Futtertrog sah und einen ganzen Haufen goldener Blätter darin erblickte. Hätte sie doch nur die Griechischen Sagen gekannt, dann hätte sie jetzt erkannt, dass ihr liebes Hausvieh an der Krankheit von König Midas gestorben war. Sie ahnte aber, was da geschehen war. Darum schärfte sie das Küchenmesser, schnitt den Ziegenbalg auf und fand im Magen einen Klumpen Gold, ebenso bei den Zicklein.

Jetzt hatte der Reichtum kein Ende mehr, doch das warf nur neue Sorgen auf. Sollte sie den Schatz in einer Schublade verschließen oder im Keller vergraben? Diebe und Schatzgräber gab es überall, und sicher war es besser, wenn der Knauser Steffen nichts davon erfuhr. Dennoch wollte sie die Kinder nicht darben lassen und überlegte, wie sie es anstellen könnte.

Da nun aber der Dorfpfarrer seine schützende Hand über alle bedrängten Weiber hielt, ging sie zu ihm und berichtete, dass Rübezahl ihr zu großem Reichtum verholfen habe. Und sie belegte es mit dem ganzen Schatz, den sie bei sich trug. Der Pfarrer bekreuzigte sich mächtig, freute sich gleichwohl über das Glück der armen Frau und rückte darauf sein Käppchen nachdenklich hin und her. Er überlegte, wie man ohne Spuk und Aufsehen den Reichtum erhalten und den zähen Steffen fernhalten könne.

Nachdem er lange gegrübelt hatte, sprach der Pfarrer: "Höre, meine Tochter, ich weiß einen guten Rat. Gib mir das Gold, dass ich es für dich gut aufbewahre. Auch will ich einen Brief schreiben. Darin soll stehen, dass dein Bruder, der vor Jahren in die Fremde ging, der Stadt Venedig zu Diensten war. Er ist auf einem Handelsschiff nach Indien gesegelt und daselbst gestorben. In seinem Testament hat er dir all sein Güter vermacht, mit der Bedingung, dass der Pfarrer dein Vormund wird. Dafür werde ich weder Lohn noch Dank von dir verlangen. Aber bedenke, dass du der heiligen Kirche für diesen Segen einen Dank schuldest. Gelobe also ein reiches Messgewand für die Sakristei zu stiften."

Dieser Rat behagte dem Weibe, und sie gelobte dem Pfarrer das Messgewand. Der Pfarrer wog nun in ihrem Beisein das Gold gewissenhaft aus. dann legte es in den Kirchenschatz, und das Weib verabschiedete sich mit frohem und leichtem Herzen.

Derweil überkam auch Rübezahl ein großes Verlangen, das arme Weiblein in Schutz zu nehmen. Der Geist war sehr zornig über die Unart des barschen Steffen. Diesem Wicht würde er schon Manieren einbläuen, damit er seiner Frau ohne Widerspruch gehorchen möge. Geschwind sattelte Rübezahl den raschen Morgenwind, saß auf und galoppierte über Berg und Tal. Er spähte auf allen Landstraßen und Kreuzwegen umher, und wo er einen Wanderer mit Schulterkorb erblickte, war er hinter ihm und forschte nach seiner Ladung. Zum Glück führte kein Wanderer Glasware bei sich, sonst wäre es ihm schlecht ergangen, auch wenn es den Falschen getroffen hätte.

Trotzdem sollte der schwerbeladene Steffen den Augen des Berggeistes nicht entgehen. Um die Abendzeit kam ein rüstiger Mann geschritten, der eine großen Bürde auf dem Rücken trug. Rübezahl freute sich, als er schon von Ferne das lustige Geklapper hörte, dass ihm seine Beute ankündigte. Nun war es an der Zeit, seinen Meisterstreich auszuführen.

Der keuchende Steffen musste nur noch die letzte Anhöhe gewinnen, dann würde es bergab in die Heimat gehen. Er sputete sich, den Gipfel zu erklimmen, aber der Berg war steil und die Last war schwer. Mehr als einmal blieb er schnaufend stehen, stützte den knotigen Stab unter den Korb und trocknete den Schweiß, der in großen Tropfen von der Stirne floss. Nur mit letzter Kraft erreichte er den Gipfel der Anhöhe, wo ein schöner gerader Pfad den Hang abwärts führte.

Mitten am Wege lag ein abgesägter Fichtenbaum, und der Überrest des Stammes stand kerzengerade daneben. Das schien dem müden Lastenträger so verlockend, dass er alsbald den schweren Korb auf den Klotz setzte und sich daneben im weichen Gras ausstreckte. Er schloss ein wenig die Augen und überlegte, wie viel Gewinn seine Ware wohl bringen würde. Wenn er keinen Groschen für den eigenen Haushalt verwenden würde, und sein Weib für Nahrung und Kleidung sorgen müsste, würde es ausreichen, um einen Esel zu kaufen und ihn zu beladen. So müsste er in Zukunft nur noch den Grauschimmel führen und hätte seine armen Schultern frei. "Und ist der Esel erst mal da", sprach er zu sich selbst, "könnte bald ein Pferd daraus werden, und ist der Rappen im Stall, so wird sich auch ein Acker finden, darauf genügend Futter wächst. Aus einem Acker werden dann leicht zwei, aus zweien vier oder ein ganzes Bauerngut. Wenn das alles vollbracht ist, soll mein Weib auch einen neuen Rock bekommen."

Der listige Steffen war ganz in Gedanken versunken, da ließ Rübezahl einen leichten Wirbelwind um den Holzstock kreisen und stürzte den Glaskorb plötzlich um, dass es nur so krachte. Wie vom Donnerschlag gerührt sprang Steffen auf. Zugleich vernahm er in der Ferne ein lautes Gelächter, das wie Schadenfreude klang. Da erkannte er, wer der Unglücksstifter war. "Oh weh!", seufzte er. "Rübezahl, was habe ich dir getan, dass du mir mein Stückchen Brot nimmst, das ich mir so sauer verdienen muss? Ach, ich bin geschlagener Mann!"

Die Trauer schlug aber bald in eine Art Wut um. Der geplagte Steffen stieß alle erdenklichen Schmähreden gegen den Berggeist aus. "Halunke", rief er, "komm und erwürge mich doch gleich, wenn du mir schon alles genommen hast!" Doch Rübezahl ließ nichts weiter von sich hören.

Der verarmte Steffen entschloss sich schweren Herzens, die Bruchstücke seiner Ladung aufzulesen, um dafür ein klein wenig Neuware auf der Glashütte zu tauschen. Dann ging er das Gebirge hinab und machte sich tausenderlei Gedanken, wie er den Schaden ersetzen und seinen Handel wieder flott machen könnte.

Nun fielen ihm die Ziegen ein, die sein Weib im Stall verwahrte. Er wusste wohl, dass sie diese lieben Tiere nicht hergeben würde, darum verlegte er sich auf eine List. Er wollte erst in der Nacht nach Hause zurückkehren. So glaubte er die Ziegen heimlich nach Schmiedeberg auf den Markt treiben zu können. Dort hoffte er durch den Verkauf Geld einzulösen, das er für den Ankauf neuer Ware verwenden würde. Bei der Rückkehr wollte er sich dann bärbeißig stellen, als habe das Weib durch Unachtsamkeit den Diebstahl des Viehs verschuldet.

Mit diesem listigen Vorhaben schlich der unglückliche Scherbensammler in einen Busch und erwartete ungeduldig die Mitternachtsstunde. Mit dem zwölften Schlag der Turmuhr im Dorf machte er sich auf, kletterte über die niedrige Hoftür. Dann schlich er mit pochendem Herz zum Ziegenstall, der gegen jede Gewohnheit unverschlossen war. Das sollte ihn nur freuen, denn diese Fahrlässigkeit passte gut zu seinen Plan. Doch welch ein Schreck, der Stall war öde und leer! - Bestürzt sank er auf die Streu nieder, war ihm doch der Versuch misslungen, sein Unglück wieder gerade zu biegen.

Sein geschäftiges Weib hatte, vom Pfarrer zurückgekehrt, derweil eine gute Mahlzeit bereitgestellt, mit der sie ihren Mann empfangen wollte. Schon am frühen Abend sah das Weib fleißig zum Fenster hinaus, ob Steffen wohl käme. Warum dauerte es nur so lange?

Die Nacht brach herein, und das brave Weib quälte sich mit bangen Sorgen. Lange kam ihr kein Schlaf in die ausgeweinten Augen, bis sie gegen Morgen endlich in einen unruhigen Schlummer fiel. Da pochte Steffen ganz verzagt an die Türe und rief mit wehmütiger Stimme: "Liebes Weib, erwache und öffne mir!"

Sie vernahm seine Stimme und sprang flink wie ein Reh vom Lager auf. Dann lief sie an die Tür und umhalste ihren Mann mit Freuden. Er aber zeigte sich gar kalt und frostig, setzte seinen Korb ab und warf sich missmutig auf die Bank. "Was fehlt dir, lieber Mann?", sprach sie bestürzt. Er antwortete nur mit einem langen Seufzer. Wieder und wieder fragte sie, bis der arme Steffen sein Unglück nicht länger verhehlen konnte.

Da sie nun vernahm, dass Rübezahl den Schabernack verübt hatte, erriet sie leicht die gute Absicht des Geistes. Sie lachte laut, was ihr in früherer Zeit sicher schlecht bekommen wäre. Jetzt aber schien es Steffen viel wichtiger, nach dem Verbleib des Ziegenviehs zu fragen. Sein Weib lachte nun noch lauter, denn sie merkte, dass der Hausherr schon fleißig spioniert hatte. "Was kümmert dich das Vieh?", sprach sie. "Lass dich auch nicht von Rübezahl groß narren, und gräme dich nicht so sehr. Wer weiß, vielleicht gibt er uns ja reichen Ersatz."

"Da kannst du lange warten", sprach der Hoffnungslose. "Wohl an", erwiderte das Weib "unverhofft kommt oft. Sei nur unverzagt, Steffen! Du hast keine Gläser mehr und ich keine Ziegen. Wir haben aber vier gesunde Kinder und vier gesunde Arme. Sie sind stark genug, um uns zu ernähren. Das ist unser wahrer Reichtum."

Bei diesen Worten trat der freundliche Pfarrer herein. Er hatte an der Tür die ganze Unterredung belauscht. Jetzt aber folgte er seinem gegebenen Wort. Er hielt Steffen eine lange Predigt, dass der Geiz die Wurzel allen Übels sei. Danach verkündete er ihm die frohe Botschaft von der reichen Erbschaft. Nun zog er den Brief hervor und erklärte mit feierlicher Stimme, dass der Seelsorger von Kirsdorf zum Vollstrecker des Testamentes bestellt sei, und dass er das Erbe des gestorbenen Bruders bereits in Empfang genommen hätte.

Steffen stand zuerst wie ein stummer Ölgötze da, doch dann fiel er seinem treuen Weib überglücklich in die Arme. Er sprach davon, wie lieb er sie habe, und sie glaubte es ihm. Von nun wurde Steffen ein gefälliger Ehemann, ein liebevoller Vater für seine Kinder und ein fleißiger Landwirt. Denn Müßiggang war nicht seine Sache.

Der redliche Pfarrer verwandelte das Gold nach und nach in klingende Münze und kaufte davon ein großes Bauerngut, worauf die glückliche Familie ein Leben lang wirtschafteten konnten. Dafür nahm der Pfarrer keinen anderen Lohn als das Messgewand, welches allerdings einem Erzbischof zur Ehre gereicht hätte.