Ib und Christinchen

  • Autor: Andersen, Hans Christian

Bei Gudenaa, im Walde von Silkeborg, erhebt sich wie ein großer Wall ein Landrücken. Am Fuße dieses Landrückens, nach Westen zu, lag und liegt noch heute ein kleines Bauernhaus mit einigen mageren Feldern. Der Sand schimmerte allerorten unter dem dünnen Roggen- und Gerstenboden hervor.

Es sind nun einige Jahre vergangen. Die Leute, die hier wohnten, bebauten ihren kleinen Acker und hielten drei Schafe, ein Schwein und zwei Ochsen. Kurz gesagt, sie konnten recht gut davon leben, wenn sie bescheidene Ansprüche stellten. Ja, sie hätten es wohl auch dazu bringen können, ein paar Pferde zu halten, aber sie sagten wie die anderen Bauern auch: "Das Pferd frisst sich selbst auf. Es zehrt das Gute, was es schafft, reichlich wieder auf."

Jeppe-Jäns beackerte sein kleines Feld im Sommer selbst, und während des Winters war er ein flinker Holzschuhmacher. Er hatte dann auch einen Gehilfen, der es verstand, die Holzschuhe leicht und wohlgeformt zurechtzuschneiden. Löffel und Schuhe schnitzten sie, das war Geld. Man konnte Jeppe-Jäns nicht zu den armen Leuten zählen.

Der kleine Ib, ein siebenjähriger Knabe, war das einzige Kind im Hause. Er saß oft bei seinem Vater und schnitzte an einem Stecken, was dann auch mal in den Finger ging. Aber eines Tages hatte er zwei Stücke Holz zurechtgeschnitzt, die wie kleine Schuhe aussahen. Sie sollten, so sagte er, der kleinen Christine geschenkt werden. Das war die Tochter des Schiffers.

Sie war fein und zart, wie ein Kind von vornehmen Leuten. Hätte sie Kleider gehabt, die ihrer lieblichen Erscheinung angemessen waren, so hätte niemand geglaubt, dass sie aus dem Torfhaus in der Seiser Heide stammte. Dort wohnte nämlich ihr Vater. Er war Witwer und ernährte sich damit, aus dem Walde Brennholz nach Silkeborg, ja, oft noch weiter hinauf zu schiffen. Er hatte niemand, der auf die kleine Christine geachtet hätte, die ein Jahr jünger als Ib war. Fast immer war sie bei ihm auf dem Kahn oder zwischen dem Heidekraut und den Preiselbeerbüschen. Und einmal ging es ganz hinauf bis nach Randers, wo die kleine Christine zu Jeppe-Jäns hinüberkam.

Ib und die kleine Christine vertrieben sich prächtig die Zeit mit spielen und essen. Sie wühlten und gruben, sie krochen und liefen, und eines Tages wagten sich die beiden sogar alleine auf den Landrücken und ein Stück in den Wald hinein. Dort fanden sie Schnepfeneier, und das war eine große Begebenheit.

Ib war bisher noch niemals aus der Seiser Heide fortgewesen. Niemals war er durch die Seen bis nach Gudenaa geschifft, aber nun sollte es geschehen. Der Schiffer hatte ihn eingeladen, und am Abend vorher kam er mit zum Haus des Schiffers.

Schon am frühen Morgen saßen die Kinder im Schiff auf den hochaufgestapelten Brennholzstücken und aßen Brot und Himbeeren. Der Schiffer und sein Knecht schoben sich mit ihren langen Stangen vorwärts. Die Fahrt ging in rascher Fahrt den Fluss hinab, und durch Seen, die ganz von Wald und Schilf umschlossen schienen. Aber zuletzt fand sich immer noch eine Durchfahrt, auch wenn die alten Bäume sich tief zu ihnen hernieder bogen. Die Eichen streckten ihnen ihre trockenen Äste entgegen, als hätten sie die Ärmel hochgestreift, um ihre nackten, knorrigen Arme zu zeigen. Alte Erlen, die der Strom vom Ufer gelöst hatte, hielten sich mit den Wurzeln am Boden fest und sahen wie kleine Waldinseln aus. Die Seerosen wiegten sich auf dem Wasser, es war eine herrliche Fahrt.

Dann kamen sie zu der Aalfangstätte, wo das Wasser durch die Schleusen brauste. Das war etwas für Ib und die kleine Christine zum Schauen. Damals gab es dort unten weder eine Fabrik noch eine Stadt. Es stand nur das alte Gehöft mit dem Stauwerk da, und die Besetzung war nicht stark. Der Fall des Wassers durch die Schleusen und der Schrei der Wildente waren damals fast die einzigen Laute, die das Schweigen der Natur unterbrachen.

Als nun das Holz ausgeladen war, kaufte Christines Vater sich ein großes Bund Aale und ein kleines geschlachtetes Ferkel. Alles zusammen wurde hinten auf dem Schiffe in einen Korb verstaut. Nun ging es stromaufwärts heim. Der Wind kam aber von hinten, und als sie das Segel aufgesetzt hatten, ging es ebenso gut, als hätten sie zwei Pferde vorgespannt.

Sie gelangten mit dem Kahn an eine Stelle im Wald, von wo aus der Knecht nur noch ein kurzes Stückchen heimlaufen musste. Er ging mit dem Vater von Christine an Land, nachdem die Kindern die Weisung erhalten hatten, sich ruhig und vorsichtig zu verhalten. Das taten sie jedoch nicht lange. Sie mussten einfach in den Korb gucken, in dem die Aale und das Ferkel aufbewahrt waren. Dann nahmen sie das Schwein heraus und wollten es hochhalten. Da ließen sie es fallen, und zwar geradewegs ins Wasser. Es trieb mit dem Strome dahin, was für ein schreckliches Ereignis.

Ib sprang an Land und lief ein kleines Stückchen am Ufer entlang,. "Nimm mich mit!", rief Christine und kam hinterher, und schon waren sie im Gebüsch verschwunden. Der Kahn und der Fluss waren nicht mehr zu sehen. Ein kleines Stückchen liefen sie noch weiter, dann fiel Christine hin und weinte. Ib hob sie auf und sagte: "Komm nur mit. Das Haus des Knechtes liegt dort drüben!" Aber es lag nicht dort. Sie gingen weiter und weiter, über welkes Laub und dürre Zweige, und es knackte unter ihren kleinen Füßen.

Nun hörten sie ein starkes Rufen. Ein Adler schrie, und es war ein hässlicher Schrei, der die Kinder heftig erschreckte. Aber vor ihnen im Walde wuchsen prächtige Blaubeeren in unbegrenzter Zahl. Das war allzu einladend. So blieben und aßen sie, bis der Mund und die Wangen ganz blau waren. Dann hörten sie wieder einen Ruf.

"Sicher bekommen wir Schläge für das Ferkel", sagte Christine. "Lass uns zu mir nachhause gehen", sagte Ib. "Das kann doch nicht weit von hier sein." Und sie gingen und kamen auf einen Fahrweg, aber heim führte er nicht. Es wurde dunkel und sie fürchteten sich. Die seltsame Stille wurde von dem dumpfen Schrei der Horneulen und anderen Vogellauten unterbrochen. Endlich saßen beide in einem Busche fest. Christine weinte und Ib weinte, und als sie beide wohl eine Stunde Tränen vergossen hatten, legten sie sich ins Laub und schliefen ein.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als sie erwachten. Sie froren, aber auf dem benachbarten Hügel schien oben die Sonne zwischen den Bäumen hindurch. Dort konnten sie sich wärmen und Ausschau halten. "Von dort können wir bestimmt mein Elternhaus erblicken", meinte Ib. Aber sie waren weit davon entfernt in einem ganz anderen Teil des Waldes. Sie kletterten den Hügel ganz hinauf und standen nun vor einem Abhang. Es war ein klarer, durchsichtiger See davor, in dem es an Fischen nur so wimmelte. Dicht am Ufer stand auch ein großer Busch voller Nüsse. Da pflückten, knackten und aßen sie die feinen Kerne, die eben in der Bildung begriffen waren.

Dann kam die nächste Überraschung, ein wahrer Schrecken. Aus den Büschen trat ein großes, altes Weib hervor, deren Antlitz braun und deren Haare glänzend und schwarz waren. Das Weiße in ihren Augen leuchtete wie bei einem Mohren. Sie hatte ein Bündel auf dem Rücken und einen Knotenstock in der Hand. Das konnte nur eine Zigeunerin sein. Die Kinder verstanden nicht gleich, was sie sagte. Da nahm sie drei große Nüsse aus ihrer Tasche und sagte, in jeder Nuss lägen die herrlichsten Dinge versteckt, denn es wären Wünschelnüsse.

Ib sah sie forschend an. Sie schien freundlich zu sein, darum fasste er sich ein Herz und fragte, ob er die Nüsse haben dürfe. Das Weib gab sie ihm und pflückte sich eine ganze Tasche voller Nüsse von dem Busch.

Ib und Christine saßen nun mit großen Augen da und schauten auf die drei Wünschelnüsse. "Ist in dieser wohl ein Wagen mit Pferden davor?", fragte Ib. "Es ist sogar ein goldener Wagen mit goldenen Pferden", erwiderte das Weib. "Dann gib sie mir", sagte die kleine Christine, und Ib gab sie ihr. "Ist in dieser hier, so ein hübsches Halstuch, wie Christine es hat?", fragte Ib weiter. "Es sind zehn Halstücher darin", sagte das Weib, "auch feine Kleider, Strümpfe und ein Hut." "Dann will ich sie auch haben", sagte Christine, und der kleine Ib gab ihr die Nuss. Die dritte Nuss war aber eine kleine schwarze. "Die kannst du behalten", sagte Christine, "sie ist ja auch ganz hübsch." "Und was ist in dieser?", fragte Ib. "Das Allerbeste für dich", sagte das Zigeunerweib. Und Ib hielt die Nuss fest.

Das Weib versprach auch noch, ihnen den rechten Weg nach Hause zu weisen, da gingen die Kinder los. Es war aber genau die andere Richtung, in die sie hätten gehen müssen, doch darf man die Alte deswegen noch nicht beschuldigen, dass sie Kinder in die Irre führen wollte.

Mitten im dichten Walde trafen die Kinder den Waldläufer Chrän, der Ib kannte. Durch ihn wurden Ib und die kleine Christine wieder nach Hause gebracht, wo man schon in großer Angst gewesen war. Aber es wurde ihnen verziehen, obwohl sie beide die Rute verdient gehabt hätten, einmal weil das Ferkel ins Wasser gefallen war, und einmal, weil sie davongelaufen waren.

Christine kam heim in die Heide, und Ib blieb in dem kleinen Waldhaus. Das Erste, was er dort am Abend tat, war, dass er die Nuss hervorholte, die das "Allerbeste" enthalten sollte. - Er legte sie zwischen Tür und Türrahmen, klemmte dann zu und knackte die Nuss. Aber nicht einmal ein Kern war darin. Sie war mit einer Art Schnupftabak oder Torferde gefüllt. Sie hatte den Wurmstich, wie man das so nennt. "Ja, das hätte ich mir wohl denken können", meinte Ib. "Wo sollte auch in der kleinen Nuss Platz für das Allerbeste sein. Christine bekommt ihre feinen Kleider und die goldene Kutsche wohl auch nicht zu sehen, wenn sie die beiden Nüsse knackt."

Der Winter kam und es vergingen mehrere Jahre. Ib sollte Konfirmationsunterricht beim Pfarrer haben, und der wohnte weit entfernt. In jener Zeit kam der Schiffer und erzählte bei Ibs Eltern, dass die kleine Christine nun aus dem Hause solle, um ihr Brot zu verdienen. Es sei ein wahres Glück für sie, dass sie in gute Hände käme. Sie habe bereits eine Stellung bei recht braven Leuten. Sie solle zu den reichen Krugwirtsleuten in Herning ziehen, was weiter nach Westen lag. Dort solle sie der Hausfrau zur Hand gehen und später, wenn sie sich schickte, wollten sie Christine vielleicht sogar behalten.

Christine zeigte Ib zum Abschied, dass sie noch immer die beiden Nüsse bei sich trug, die sie damals von ihm bekommen hatte. Sie sagte auch, dass sie in ihrer Wäschekiste die kleinen Holzschuhe aufbewahre, die er als Knabe geschnitzt und ihr geschenkt hatte. Dann musste sie aber fort.

Ib wurde eingesegnet, aber er blieb in seinem Elternhaus. Er war ja ein geschickter Holzschuhmacher und bearbeitete auch im Sommer das kleine Ackerfeld, dass prächtig gedieh. Seine Mutter hatte nur noch ihn, denn Ibs Vater war gestorben.

Nur selten hörte man von Christine, und dann nur durch den Postboten oder durch einen Aalhändler. Es ging ihr gut bei dem reichen Krugwirt, und als auch sie eingesegnet war, schrieb sie einen Brief an ihren Vater, mit Grüßen an Ib und seine Mutter. Im Brief stand noch etwas von sechs neuen Hemden und einem herrlichen Kleid, das Christine von ihrer Herrschaft bekommen hatte. Das waren wirklich gute Nachrichten.

Im nächsten Frühjahr, an einem schönen Tage, klopfte es bei Ib und seiner Mutter an der Tür. Es war der Schiffer mit seiner Tochter Christine. Sie war für einen Tag zu Besuch gekommen. Es hatte sich gerade Gelegenheit zu einer Fahrt bis in ihre Nähe geboten, und das hatten sie benützt. Christine war hübsch und sah wie ein feines Fräulein aus. Schöne Kleider hatte sie an, die gut gearbeitet waren und zu ihr passten. Da stand sie nun in ihrem vollen Staat, und Ib hatte nur seine alte Werktagskleidung. Darüber konnte er gar keine Worte finden. Wohl nahm er ihre Hand und hielt sie herzlich fest, aber den Mund wusste er nicht recht zu gebrauchen. Dafür konnte es die kleine Christine umso besser, und sie sprach und erzählte und küsste Ib gleich mitten auf den Mund.

"Kennst du mich denn auch wieder?", fragte sie. Aber selbst als sie beide allein waren und er noch immer mit ihrer Hand wie angewurzelt da stand, war alles, was er sagen konnte: "Du bist ja eine feine Dame geworden! Ich sehe dagegen ja armselig aus. Wie oft ich an dich gedacht habe, an dich und die schönen alten Zeiten."

Und dann gingen sie Arm in Arm den Hügel hinauf und schauten über Gudenaa nach der Seiser Heide mit den großen Heidehügeln hin, aber Ib blieb stumm. Doch als sie sich wieder trennten, war er sich darüber klar geworden, dass Christine seine Frau werden müsse. Sie waren doch von klein auf Liebesleute genannt worden und waren, so schien es ihm jedenfalls, ein verlobtes Paar.

Nur wenige Stunden konnten sie noch zusammen sein, denn sie musste wieder dorthin zurück, wo der Wagen am nächsten Morgen abfuhr. Der Vater und Ib begleiteten sie. Ib hielt noch immer ihre Hand, als sie ankamen, und er konnte sie einfach nicht loslassen. In seinen Augen stand sein ganzes Herz geschrieben, aber die rechten Worte fielen nur spärlich ein: "Wenn du dich nicht zu zu sehr an das feine Leben gewöhnt hast", sagte er, "könntest du doch in meiner Mutter Haus zusammen mit mir als deinem Ehemann leben. Wir wären Mann und Frau - aber wir können ja noch ein wenig warten."

"Ja", antwortete Christine, "lass uns die Zeit abwarten, Ib!" Dann drückte sie seine Hand und er küsste sie auf den Mund. "Ich vertraue auf dich", sagte Christine, "und ich glaube, dass ich dich lieb habe, Ib! Aber lass es mich noch einmal bedenken!" Dann schieden sie. Ib sagte zu dem Schiffer, dass er und Christine nun so gut wie verlobt seien, und der Schiffer fand, es wäre eine gute Idee. Dann wurde über die Verlobung nicht mehr weiter gesprochen.

Ein Jahr war darüber vergangen und zwei Briefe waren zwischen Ib und Christine gewechselt worden. "Treu bis zum Tode!", stand als Unterschrift darin. Eines Tages trat der Schiffer zu Ib herein, er brachte ihm einen Gruß von Christine. Was er weiter zu sagen hatte, ging ihm ein wenig schwer von der Zunge, aber es war daraus zu entnehmen, dass es Christine wohl ergehe, mehr als wohl. Der Sohn des Krugwirtes wäre auf Besuch zu Hause gewesen. Er wäre in Kopenhagen in einem Kontor beschäftigt und habe dort eine große Stellung. Er könnte Christine wohl leiden und sie fände ihn auch nach ihrem Sinn. Aber es läge Christine schwer auf dem Herzen, dass Ib wohl noch immer an sie dächte. Und darum hätte sie beschlossen, das neue Glück von sich zu stoßen, sagte der Schiffer.

Ib sagte zuerst kein Wort, aber er wurde so weiß wie ein Tischtuch aus Leinen. Dann schüttelte er den Kopf und sagte: "Christine darf ihr Glück nicht von sich stoßen!" "Schreibe ihr das in ein paar Worten!", sagte der Schiffer. Und Ib schrieb, aber er konnte wieder nicht recht die Worte setzen. Er machte viele Striche und zerriss viele Papier, aber am Morgen war endlich ein Brief an die kleine Christine zustande gebracht. Hier ist er:

"Den Brief an deinen Vater habe ich gelesen und sehe daraus, dass es dir in jeder Beziehung wohl geht. Auch scheint es, dass du es noch besser haben könntest! Frage dein Herz, Christine! Und bedenke wohl, was dich erwartet, wenn du mich nimmst! Was mein ist, ist nur gering. Denke nicht an mich und wie ich es tragen werde, denke nur an deinen eigenen Nutzen. An mich bist du durch kein Versprechen gebunden, und hast du mir eines in deinem Herzen gegeben, so befreie ich dich davon. Alles Glück der Welt sei mit dir, kleine Christine. Der liebe Gott wird wohl auch für mein Herz Trost wissen.
Immer dein aufrichtiger Freund,
Ib."

Und der Brief wurde abgesandt und Christine ausgehändigt.

Um Martini wurde das Aufgebot in Kopenhagen bestellt. Christine reiste mit ihrer Schwiegermutter dorthin, da der Bräutigam wegen seiner vielen Geschäfte nicht so weit verreisen konnte. Christine war, wie verabredet, mit ihrem Vater in einem kleinen Dorfe, das auf ihrem Wege lag, zusammengetroffen. Dort nahmen sie Abschied voneinander. Es fielen auch ein paar Worte über Ib, doch seine Mutter sagte, er wäre so nachdenklich geworden.

So kam es, dass Ib auch nicht mehr an die drei Nüsse dachte, die er als Kind von der Zigeunerin bekommen und von denen er zwei Christine abgegeben hatte. Es waren wirklich Wünschelnüsse gewesen. In den Nüssen von Christine hatten ja ein goldener Wagen, Pferde und schöne Kleider gelegen. Das traf bei ihr zu. All diese Herrlichkeiten sollte sie nun drüben in Kopenhagen bekommen! Die Wünsche sollten in in Erfüllung gehen. Für Ib war in der Nuss nur der schwarze Staub. "Das Allerbeste" für ihn, hatte das Zigeunerweib zu ihm gesagt, ja, auch das ging in Erfüllung. Der schwarze Staub war für ihn das Beste. Nun verstand er deutlich, was das Weib damit gemeint hatte. Die schwarze Erde des Grabes, das war für ihn das Allerbeste.

Die alten Krugwirtsleute starben einer nach dem anderen. Das ganze Vermögen, viele tausend Reichstaler, ging so auf den Sohn als Erbe über. Ja, nun konnte Christine wohl eine Kutsche und schöne Kleider bekommen!

Zwei lange Jahre hindurch kam kein Brief von Christine, und als dann der Vater einen bekam, war er nicht mehr in Wohlstand und Vergnügen geschrieben. Arme Christine! Weder sie noch ihr Mann hatten es verstanden, mit dem Reichtum Maß zu halten. Er verging, wie er gekommen war. Kein Segen ruhte darauf, doch das hatten sie selbst zu verantworten.

Die Heide stand in Blüte und die Heide verdorrte wieder. Der Schnee hatte manchen Winter über die Heide gefegt und auch über die Anhöhe, in deren Schutz Ib wohnte. Die Frühjahrssonne schien und Ib ließ den Pflug durch die Erde streichen. Da stieß er an einen Feuerstein, so schien es ihm. Es kam ein großer, schwarzer Hobelspan aus der Erde hervor, und als Ib ihn in die Hand nahm, fühlte er, dass es aus Metall war. Und an der Stelle, wo der Pflug daran geschlagen war, blitzte und funkelte es jetzt. Es war ein schwerer goldener Armring aus dem heidnischen Altertum.

Ein Hünengrab war hier eingeebnet worden und sein kostbarer Schmuck war nun gefunden. Ib zeigte ihn dem Pfarrer, der gleich sagte, was das für ein herrliches und wertvolles Stück doch sei. Da ging Ib auch zum Landrat, der in Kopenhagen über den kostbaren Fund berichtete. Und er sagte zu Ib, er solle seinen Schatz doch lieber selber überbringen. "Du hast in der Erde das Köstlichste gefunden, was ich zu denken vermag", sagte der Landrat. "Das Beste", dachte Ib, "das Allerbeste für mich - in der Erde. Dann hatte das Zigeunerweib auch mir die Wahrheit gesagt, wenn dies das Beste war." Dann fuhr Ib mit der Fähre von Aarhuus nach Kopenhagen. Es war für ihn wie eine Reise übers das Weltmeer, war er doch bisher nur nach Gudenaa gekommen.

Der Wert des gefundenen Goldes wurde ihm ausbezahlt. Es war eine große Summe, sechshundert Reichstaler. Da wanderte Ib, der ja aus dem Walde kam, nun in dem großen, lärmenden Kopenhagen umher.

Es war gerade an dem Abend, als er mit einem Schiffer wieder nach Aarhuus zurückfahren wollte, als er sich in den Straßen verirrte und in eine ganz andere Richtung geriet, als er eigentlich wollte. Nicht ein einziger Mensch war in den Straßen zu sehen. Da kam ein ganz kleines Mädchen aus einem der armseligen Häuser. Ib fragte sie nach dem Wege und die Kleine blickte auf. Da sah er, dass sie heftig weinte. Nun fragte er sie, was ihr denn fehle. Sie sagte etwas, was er nicht verstand. Und als sie beide unter eine Laterne kamen, deren Schein ihr Gesicht beleuchtete, wurde es ihm ganz wunderlich zumute. Es war leibhaftig die kleine Christine, die da vor ihm stand. Und er ging mit dem kleinen Mädchen in das ärmliche Haus, die schmale, ausgetretene Treppe hinauf bis zu einer kleinen, verkommenen Kammer unter dem Dache. Es war eine schwere stickige Luft darin. Kein Licht war entzündet, und in einer Ecke seufzte es und mühsame Atemzüge drangen daraus hervor. Ib strich ein Zündholz an. Es war die Mutter des Kindes, die in dem ärmlichen Bette lag.

"Kann ich euch mit irgendetwas helfen?", fragte Ib. "Die Kleine hat mich auf der Straße getroffen, aber ich bin hier fremd in der Stadt. Ist denn kein Nachbar oder jemand anderes da, den ich rufen könnte?" - Und er richtete ihr Haupt in die Höhe. Es war Christine, seine Christine aus der Seiser Heide.

Ihr Mann, der von seinen Eltern das Geld geerbt hatte, war übermütig und leichtlebig geworde. Er hatte seine feste Stellung aufgegeben und war ein halbes Jahr im Ausland umhergereist. Dann kehrte er zurück und machte Schulden über Schulden. Der stolze Wagen neigte sich also immer mehr und endlich stürzte er um. Es sei verdient gewesen, sagten die ehemaligen Tischfreunde, denn er habe ja darauf los gelebt wie ein Narr. Und dann, eines Morgens, war seine Leiche im Schlosskanal gefunden worden.

Nach seinem Tode ging Christine in sich. Ihr jüngstes Kind war, im Wohlstand empfangen, im Elend geboren, schon nach wenigen Wochen gestorben. Die kleine Christine aber, die Not und Hunger mit ihr teilte, war das älteste Kind. Doch nun war es mit der Mutter so weit gekommen, dass sie todkrank und verlassen in einer elenden Kammer lag. Solch ein Elend hätte sie in ihren jungen Jahren in der Seiser Heide wohl aushalten können. Jetzt war sie es aber besser gewöhnt und fühlte ihr Elend gleich doppelt.

"Ich habe Angst für das arme Kind, wenn ich sterbe", brachte sie seufzend hervor, "wo in aller Welt soll die Kleine denn bleiben?"

Ib brannte wieder ein Zündhölzchen an und fand einen Lichtstumpf, den er anzündete. Er sah das kleine Mädchen an und dachte an Christine in ihren jungen Jahren. Um Christines willen konnte er an diesem Kinde ja Gutes tun, auch wenn er es nicht kannte. Die Sterbende sah ihn an und ihre Augen wurden größer und größer. - Erkannte sie ihn? Das sollte er nicht mehr erfahren.

Es war im Walde bei Gudenaa in der Seiser Heide. Die Luft war grau, die Heide stand ohne Blüten. Die Weststürme trieben das gelbe Laub der Wälder in den Fluss und über die Heide, wo das Torfhaus stand. Fremde Leute wohnten darin. Aber am Fuße des Landrückens, im Schutze hoher Bäume, stand das kleine Haus, weiß und schmuck. Im Kachelofen brannten Torfstücke und in der Stube war Sonnenschein. Er strahlte aus zwei Kinderaugen. Frühling und Lerchengezwitscher klangen aus dem roten, lachenden Mund, ja, das Leben und die Fröhlichkeit herrschten hier. Das war die kleine Christine, die Ib auf den Knien saß. Er war jetzt Vater und Mutter in einem, denn die Mutter des kleinen Mädchens lag auf dem Armenfriedhof in der Königstadt Kopenhagen begraben.

Ib aber war nun ein glücklicher Mann. Er hatte Geld im Kasten, sagte man. Gold aus der Erde, und er hatte die kleine Christine.