Der Zauberwettkampf

Einstmals ging ein junger Buchbindergeselle in die Fremde und wanderte, bis kein Kreuzerlein mehr in seiner Tasche klimperte. Da war es ernstlich an der Zeit, um Arbeit nachzufragen. Und bald ward er auch von einem Meister angenommen, und alles schien ihm recht.

Sein Meister sprach zu ihm: "Gesell, du wirst es gut bei mir haben. Die Arbeit, die du täglich tust, ist ganz geringe. Du kehrst nur die Bücher recht säuberlich ab und stellst sie der Ordnung nach wieder auf. Aber dieses eine Büchlein hier darfst du nicht anrühren, viel weniger noch öffnen, sonst wird es dir schlimm ergehen. Merk es dir, Bursche! In den andern Büchern kannst du dagegen lesen, so viel du nur magst."

Der Geselle beherzigte die Worte seines Meisters sehr wohl und hatte zwei Jahre lang beste Tage. Täglich säuberte er nur die Bücher und las dieselben dann und wann. So hatte er vortrefflichste Kost, ließ jenes verbotene Büchlein aber gänzlich unangerührt. Dadurch erwarb er sich das Vertrauen seines Herrn, sodass dieser öfters außer Hause war und auch zuweilen Reisen unternahm.

Aber wie stets dem Menschen nach Verbotenem gelüstet, so regte sich auch in dem Gesellen eine mächtige Begierde, endlich doch zu wissen, was in dem Büchlein stehe, das immer ganz heilig an seinem Orte lag. Denn alle Bücher hatte er bereits von vorne bis hinten gelesen. Zwar sträubte sich sein Gewissen, das Verbotene zu tun, aber die Neugierde übermannte ihn dann doch.

Eines Tages, als der Meister auf mehrere Tage verreist war, nahm der Gesell das Büchlein, schlug es auf und fing an, darinnen zu lesen. In dem Büchlein standen die größten und kostbarsten Geheimnisse. Die größten Zauberformeln waren darinnen enthalten, und nach und nach war dem staunenden Gesellen alles so sonnenklar, dass er erste Versuche im Zaubern wagte. Und alles gelang.

Sprach der Bursche ein kräftig Zaubersprüchlein aus diesem Büchlein, so lag im Nu das Gewünschte vor ihm. Auch lehrte das Büchlein, jede menschliche Gestalt in eine andere zu verwandeln. Nun probierte er mehr und mehr, und zuletzt machte er sich zu einer Schwalbe, nahm das Büchlein und flog im schnellsten Fluge seiner Heimat zu.

Sein Vater war nicht wenig erstaunt, als eine Schwalbe zum Fenster hereingeflogen kam und sich plötzlich in seinen Sohn verwandelte. Der Bursche drückte den Alten aber herzlich an seine Brust und sprach: "Vater, nun sind wir glücklich und geborgen. Ich bringe ein Zauberbüchlein mit, durch das wir die reichsten Leute werden können." Das gefiel dem Alten wohl, denn er lebte gar dürftig.

Bald darauf machte sich der junge Zauberer zu einem überaus großen, fetten Ochsen und sprach zu seinem Vater: "Nun führet mich zum Markt und verkauft mich, aber fordert ja viel, recht viel, man wird mich teuer bezahlen. Und vergesset ja nicht, das kleine Stricklein an meinen linken Hinterfuß zu lösen und mit heim zu nehmen, sonst bin ich verloren."

Das machte der Vater alles so. Als er mit dem Ochsen auf dem Markte erschien, versammelte sich gleich ein Haufen Volkes. Alle bewunderten den schönen Ochsen, und Christen und Juden schlugen sich darum, ihn zu kaufen. Der Käufer aber, der das höchste Gebot tat und den Ochsen im Triumph von dannen führte, hatte am andern Morgen statt des herrlichen Ochsen nur ein Bündlein Stroh in seinem Stalle. Und der Buchbindergeselle, der war wieder wohlgemut daheim bei seinem Vater und lebte mit ihm herrlich und in Freuden von dem Gelde.

Bald darauf verzauberte der Bursche sich in einen prächtigen Rappen und ließ sich von seinem Vater auf den Rossmarkt führen. Da lief wieder das Volk zusammen, um das wunderschön glänzende schwarze Ross zu sehen.

Als aber der Meister Buchbinder von seiner Reise zurückgekehrt war, hatte zu Hause gleich gesehen, was vorgegangen war. Und da er eigentlich kein Buchbinder, sondern ein mächtiger Zauberer war, der nur zum Schein diese Beschäftigung trieb, da wusste er sogleich, was die Stunde geschlagen hatte, und setzte dem Entflohenen nach.

Auf jenem Rossmarkt nun war der Meister unter den Käufern. Und da er alles aus Zauberbüchlein kannte, so merkte er alsbald, was es für eine Bewandtnis mit dem Pferd habe. Er dachte: "Halt, jetzt will ich dich fangen." Und so suchte er, für jeden Preis das Pferd zu erwerben, was ihm auch ohne große Mühe gelang. Der Vater kannte den Käufer nicht, aber das Pferd fing an heftig zu zittern und zu schwitzen. Es gebärdete sich äußerst scheu und ängstlich, doch der Vater konnte die gefährliche Lage seines Sohnes nicht ahnen.

Als das Pferd nun an dem vom Käufer bestimmten Platz gestellt war, wollte der Vater das Stricklein wieder lösen. Der Käufer ließ es aber nicht zu, da er sehr wohl wusste, was dann geschehen wäre. So musste denn der Vater ohne Stricklein von dannen ziehen und dachte in seinem Sinn: "Er wird sich schon zu helfen wissen. Kann er sich mit seiner Zauberkunst zu einem Pferde machen, kann er sich gewiss auch wieder dort im Stall losmachen und heimkommen."

In jenem Pferdestall aber war ein mächtiges Gedränge von Menschen, groß und klein, alt und jung. Alle wollten das ausgezeichnet schöne Ross beschauen. Ein kecker Knabe wagte sogar, das Pferd zu streicheln und liebkosend zu klopfen. Das Pferd ließ sich dieses, wie es schien, gar gerne gefallen.

Und als dieser Knabe sich immer vertraulicher näherte und das Pferd am Kopf und am Hals streichelte, da flüsterte es dem Knaben ganz leise zu: "Liebster Junge, hast du kein Messerchen in der Tasche stecken?" Und der Knabe antwortete erstaunt: "O ja, ich habe ein recht scharfes." Da sprach der Rappe wieder ganz leise: "Schneide einmal das Stricklein an meinem linken Hinterfuß ab." Und schnell schnitt es der Knabe entzwei. In diesem Augenblicke fiel das schöne Ross vor aller Augen zusammen und ward ein Bündlein Stroh. Daraus flog eine Schwalbe hervor, und hob sich aus dem Stall empor in die hohen blauen Lüfte.

Der Meister hatte das Ross nur kurz außer acht gelassen, jetzt war aber keine Zeit zu verlieren. Er brauchte seine Kunst, verwandelte sich rasch in einen Geier und schoss der flüchtigen Schwalbe nach. Es bedurfte nur noch einer kleinen Weile, so hatte der Geier die Schwalbe in seinen Klauen. Aber das Schwälblein merkte den Feind, flog hinab zu einem schönen Schloss. Davor saß eine Prinzessin. Flugs verwandelte sich das Schwälblein in einen goldenen Fingerreif und fiel nieder, gerade der holden Prinzessin auf den Schoß. Die wusste nicht, wie ihr geschah, und steckte das Ringlein an den Finger.

Aber die scharfen Augen des Geiers hatten alles gesehen, und rasch verwandelte sich der Zaubermeister in einen schmucken Junker. Er trat an die Prinzessin heran und bat sie höflichst, das Ringlein, mit welchem er soeben ein Kunststück gemacht, ihm wieder auszuhändigen. Die schöne Prinzessin lächelte, zog das Ringlein vom Finger und wollte es dem Künstler reichen. Doch siehe, da fiel es aus ihren zarten Fingern und rollte als ein winziges Hirsekörnlein in eine Steinritze.

Noch im gleichen Augenblicke verwandelte sich der Junker und einen stolzen Gockelhahn, der mit seinem Schnabel emsig in die Steinritze pickte. Aber gleich darauf verwandelte sich das Hirsekörnlein in ein Fuchs, und biss dem Gockel den Kopf ab. Der Zaubermeister war besiegt.

Da nahm der junge Gesell wieder seine richtige Gestalt an, sank der Prinzessin zu Füßen und dankte ihr, dass sie ihn als Ring am Finger getragen und sich so mit ihm verlobt habe. Die Prinzessin war über alles noch sehr erschrocken. Doch dann schenkte sie dem Gesellen ihr Herz und ihre Hand, auf dass er fortan aller Verwandlung entsage und ihr immer treu bleibe.

Dies gelobte der Jüngling und opferte sein Zauberbüchlein den Flammen, woran er indes sehr übel tat. Er hätte es ja dir, lieber Leser, oder mir schenken und vermachen können. Wir zwei hätten uns gewisslich nicht in Ochsen verwandelt.