Die drei Bräute

Es war einmal ein Müller, der hatte drei schöne Töchter. Die Jüngste war aber die Klügste unter ihnen. An einem herrlichen Sommertag waren alle in der Stadt gewesen und kehrten nun zu ihrer Mühle zurück. Unterwegs plauderten die drei Schwestern dies und das, und die eine sprach: "Wenn wir nur nicht so streng gehalten würden, so hätten wir auch Liebhaber. Der Meinige hätte mir gewiss ein schönes seidenes Halstuch gekauft, wie es die Nachbarstochter Margarethe von ihrem Liebsten geschenkt bekommen hat." "Ja", sagte die andere darauf, "und der Meinige hätte mich gewiss zum Tanze geführt, wie es Burschen mit ihrer Liebsten tun." Die dritte Schwester sagte nichts, denn die Sorgen ihrer Schwestern schienen ihr wenig ans Herz zu gehen.

Doch ehe sie sich's versahen, kam ein hübscher Mann daher. Der sprach sie freundlich an und kramte allerlei kleine Geschenke aus, die er unter die Schwestern verteilte. Die Mädchen nahmen sie an und der Bursche musste ihnen versprechen, dass er bei ihrem Vater vorsprechen werde.

Kaum war der hübsche Bursche gegangen, stellten die Mädchen auch schon Überlegungen über ihn an. Er schien wirklich ein liebenswerter Mann zu sein. Der Müller schüttelte aber den Kopf, als die Töchter von dem Abenteuer erzählten. Und er staunte noch mehr, als der Fremde eines Tags in der Mühle stand, und den Müller um die Hand einer seiner Töchter bat. Die beiden Männer redeten nun lange miteinander und kamen zu dem Schluss, dass der Fremde frei wählen sollte.

Da wählte der Fremde die älteste Tochter. Nun wurden Kisten und Kästen gepackt, und die Braut zog mit dem Bräutigam in ein weit entlegenes Schloss. Hier war alles aufs Beste eingerichtet, und kein Wunsch blieb der Braut unerfüllt.

Eines Tages sprach der Bräutigam zu ihr: "Du sollst Herrin meines Schlosses sein, wenn ich dich in allen Stücken gehorsam gesehen habe. Binde dir dieses weiße Tuch um den Leib. Es ist ein Ei darin. Und hier hast du auch die Schlüssel zu allen Gemächern in meinem Schlosse. Du darfst in alle Gemächer gehen, nur in das eine nicht, zu dem der große goldene Schlüssel passt."

Dann machte sich der Bräutigam für eine größere Reise bereit, und sagte zum Abschied: "Wenn ich zurückkomme und sehe, dass du gehorsam gewesen bist, so will ich dich als meine treue Frau auf Händen tragen. Wenn nicht, so wirst du einen schlimmen Mann an mir finden."

Als er abgereist war, ging die junge Frau mit dem Ei im Tuch und den Schlüsseln in der Hand im Hause umher. Sie schloss alle Türen auf und sah sich in den Gemächern um. Schließlich kam sie auch an eine Tür, zu welcher der große goldene Schlüssel passte. Sie dachte an das Verbot ihres Mannes, aber die Neugier siegte. Schon hatte sich der Schlüssel im Schloss gedreht, da ging die Tür mit lautem Knarren langsam auf.

Die junge Frau trat über die Schwelle und stolperte gleich beim ersten Schritt über eine kleine Kante im steinernen Fußboden. Vor Schreck glitt ihr auch noch das Ei aus dem Tuche und zersprang in tausend Stücke. Da schrie die Braut vor Entsetzen laut auf und rannte in ihr eigenes Gemach. Dort wartete sie nun jeden Tag mit Zittern auf die Rückkehr ihres Mannes. Als diese dann zurückkam, sah er sogleich, was geschehen war und gab der Ungehorsamen ohne Erbarmen den Tod.

Darauf ging der Mann erneut zum Müller und klagte ihm, dass seine Frau an einer kurzen, aber unheilbaren Krankheit gestorben sei. Der Müller glaubte ihm und willigte ein, als der Mann auch um die Hand der zweiten Tochter bat. So zog der Mann abermals mit einer jungen Frau auf sein Schloss. Aber es begab sich mit dieser nicht anders als mit der ersten. Kaum war die zweite Tochter zu Tode gebracht, erschien der Mann wieder beim Müller und gab vor, die junge Frau sei mit einem Diener davongelaufen. Das war dem Müller außerordentlich peinlich. Und darum ließ er sich auch ein letztes Mal überreden, als der Mann um die Hand der dritten Tochter bat.

Kaum war die Jüngste nun mit ihrem Manne auf das Schloss gekommen, gab er ihr dieselbe Prüfung wie ihren Schwestern. Sie war aber klüger und dachte: "Ei, was soll ich das Ei groß herumschleppen?" Sie ließ das Tuch und das Ei einfach in ihrer Kammer zurück und besichtigte die Schlossgemächer. Doch auch sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, die verbotene Tür zu öffnen. Sie wartete, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit in dem Gemach gewöhnt hatten. Und plötzlich sah sie mit Entsetzen eine ganze Reihe von Leichen auf dem Boden liegen, darunter ihre beiden Schwestern. Ihr erster Gedanke war, den Bösewicht zur Rechenschaft zu ziehen. Aber sie wusste auch, dass sie es nur mit großer List anfangen konnte.

Also nahm sie den abgeschnittenen Kopf der zuletzt ermordeten Schwester und schloss die Tür wieder sorgfältig zu. Dann verbarg sie den Kopf in einem Blumentopf, schüttete Erde darauf und pflanzte eine Hyazinthe hinein.

Als der Mann von seiner Reise zurückkehrte, empfing sie ihn freundlich und tat so, als wäre nichts geschehen. Und als der Mann dann sah, dass das Ei unverletzt war, freute er sich und pries ihren Gehorsam in den höchsten Tönen.

Die Zeit verging, und eines Tages bat die junge Frau ihren Mann, er möge sie zu ihrem Vater begleiten. Der Vater sollte sehen, wie gut es doch der einzig verbliebenen Tochter ging. Diesen Wunsch konnte der Mann ihr nicht abschlagen, und so fuhren sie in einem prächtigen Wagen zur Mühle. Als Geschenk nahm die junge Frau auch noch den Blumentopf mit der herrlich aufgeblühten Hyazinthe mit.

Der Müller freute sich sehr, als er seine Tochter wohlbehalten wiedersah. Diese konnte es kaum abwarten, mit dem Vater alleine zu sein. Doch ihr Angetrauter bewachte sie in jeder Minute, und ließ sie keinen Augenblick allein. Die junge Frau hatte das geahnt, und steckte nun dem Vater heimlich ein Briefchen zu, das sie vorbereitetet hatte.

Als das Ehepaar wieder abgereist war, und der Müller seinen Pfeifenstopfer suchte, fand er in seiner Westtasche das Briefchen. Mit großem Entsetzen las er, was geschehen war und sandte in die nahe Stadt nach den Dienern der Gerechtigkeit. Noch bevor sich der Mordgeselle den Schlaf aus den Augen gerieben hatte, sah er sich eines Morgens überrumpelt und abgeführt. Auch sein Leugnen half ihm nicht, denn der Müller hatte das Gastgeschenk seiner Tochter gut aufbewahrt.

Jetzt war es an der Zeit, das grausige Geheimnis zu lüften, das der Blumentopf mit der Hyazinthe barg. Der Müller riss die Hyazinthe aus dem Topfe und fand das Haupt seiner gemordeten Tochter. Daraufhin wurde dem Mörder der Prozess gemacht, und es stellte sich heraus, dass der Mann ein gesuchter Räuber war. Zur Strafe für seine abscheulichen Taten wurde er hingerichtet und das Schloss bis auf die Grundmauern niedergebrannt.