Rübezahl und die Gräfin

[von Johann Karl August Musäus]

Lange Zeit hatte Rübezahl nichts von sich hören lassen. Das Volk erzählte sich zwar allerlei Wundergeschichten, besonders an den geselligen Winterabenden, aber es war nur eitel ausgedacht.

Eines Tages beschloss die gebrechliche Gräfin Cäcilie, mit ihren beiden blühenden Töchtern eine Reise nach Karlsbad anzutreten. Die Mutter verlangte umgehend nach einer Badekur, und die Fräuleins freuten sich auf die festliche Bälle und die übrigen Lustbarkeiten des Kurortes. Darum reisten sie Tag und Nacht.

Es traf sich, dass sie gerade bei Sonnenuntergang ins Riesengebirge gelangten. Der nächtliche Himmel war mit funkelnden Sternen besät, doch dieses Naturschauspiel konnte die Reisenden nicht erfreuen. Die Mama war von der schaukelnden Bewegung des Wagens in sanften Schlaf gefallen, und die Töchter nebst der Zofe schlummerten jede für sich in einem Eckchen.

Johann, der Diener auf dem Kutschbock, blieb dagegen hell wach. Es kamen ihm viele Geschichten von Rübezahl in den Sinn, die er vor Zeiten gehört hatte. Er schaute sich aufmerksam nach allen Seiten um. Immer wenn er etwas Ungewöhnliches bemerkte, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken, und er sprach darüber mit seinem Schwager, dem Kutscher. Der aber bemühte sich stets, ihn zu beruhigen.

Nach längerer Fahrt hielt der Kutscher die Pferde an, murmelte etwas zwischen den Zähnen und fuhr weiter. Dann hielt er nochmals an und so weiter. Johann, der nun auch ein wenig eingenickt war, blickte schüchtern auf und sah mit Entsetzen eine pechrabenschwarze Gestalt in der Ferne. Sie hatte übermenschliche Größe und war mit einem weißen Halskragen angetan. Das Bedenklichste bei der Sache aber war, dass der Schwarzmantel keinen Kopf hatte. Hielt der Wagen an, so stand der Fremde auch still. Trieb der Kutscher die Pferde an, so ging auch der Wanderer weiter.

"Schwager, siehst du das!", rief Johann zaghaft. "Freilich sehe ich das", antwortete dieser, "aber sei fein still, dass wir nicht weiter auffallen." Johann wappnete sich mit allen Stoßgebeten, die er wusste und schwitzte kalten Todesschweiß. Hastig klopfte er an das Fensterglas der Kutsche, um die Insassen zu warnen. Die Gräfin fragte unwillig: "Was gibt es?" "Euer Gnaden", rief Johann, " schauen Sie hinaus. Da vorne geht uns ein Mann ohne Kopf voraus." "Dummkopf!", antwortete die Gräfin. "Was träumst du da! Selbst wenn es so wäre, ist ein kopfloser Mann ja keine Seltenheit. Davon gibt es allerorten genug."

Die Fräuleins konnten über diesen Scherz der gnädigen Mama nicht recht lachen, denn der Schrecken war auch ihnen in die Glieder gefahren. Sie schmiegten sich an die Mutter und jammerten: "Ach, das ist Rübezahl, der Bergmönch!" "Unsinn!", rief die Gräfin. "Es gibt keine Geister. Das sind alles nur Hirngespinste." Ihre Zunge war noch im vollen Gange, da spähte Johann wieder zu dem Schwarzmantel hinüber, der jetzt näher kam.

Es war nun deutlich zu sehen, dass der Wanderer gar nicht kopflos war, denn er hatte ihn im Arm. Die holden Fräuleins und die Zofe taten aus einem Munde einen lauten Schrei und ließen den seidenen Vorhang herab, um das Grauen nicht sehen zu müssen. Sogar die Gräfin schlug mit stummem Schrecken die Hände zusammen, und ihre Gebärde ließ vermuten, dass sie ihre Behauptung über Gespenster nicht aufrechterhalten wollte.

Der furchtbare Schwarzmantel schien indes ein Auge auf den zitternden Diener Johann geworfen zu haben. Noch ehe dieser etwas sagen oder schreien konnte, schleuderte das Ungetüm ihm den abgehauenen Kopf gegen die Stirn, worauf er von Kutschbock stürzte. Gleich darauf lag auch der Postkutscher von einem kräftigen Keulenschlag getroffen am Boden, und der Schwarzrock keuchte: "Nimm das von Rübezahl, dem Herrn des Gebirges, weil du ihm ins Gehege gekommen bist! Verfallen sind Kutsche, Geschirr und Ladung." Darauf schwang sich das Gespenst auf eines der Pferde und trieb es an. Bergauf, bergab, über Stock und Stein ging die Fahrt, wobei das Rasseln der Räder und das Schnauben der Rosse die Angstschreie der Damen übertönte.

Urplötzlich vermehrte sich die Gesellschaft um eine Person. Ein Reiter trabte ganz unbefangen neben dem Fuhrwerk her und schien gar nicht zu bemerken, dass dem Lenker der Kopf fehlte. Dem Schwarzmantel schien diese Gesellschaft gar nicht zu behagen, darum lenkte er bald in eine andere Richtung, doch der Reiter tat dasselbe. So oft sich der Weg auch gabelte, blieb der Geleitsmann stets in der Nähe des Wagens. Das wunderte den Wagenlenker sehr, konnte er doch erkennen, dass der Schimmel seines Begleiters einen Fuß zu wenig hatte. Das war dem Schwarzmantel nicht geheuer, und er fürchtete, der wahre Rübezahl sei nun mit ins Spiel gekommen.

Nach einiger Zeit näherte sich der fremde Reiter dem Schwarzmantel und sprach: "Landsmann ohne Kopf, wohin geht die Reise?" "Wo wird es schon hingehen?", antwortete das Kutschergespenst. "Wie Ihr seht, der Nase nach." "Wohl an" erwiderte der Reiter, "lass sehen, wo du deine Nase hast!" Drauf fiel der Reiter den Pferden in die Zügel, packte den Schwarzmantel beim Leibe und warf ihn hart zu Boden, dass ihm alle Knochen schmerzten. Das Kutschergespenst hatte also Fleisch und Bein, und zu allem Überfluss auch noch einen wohlgeformten Krauskopf, wie sich zeigte. Es war ein gewöhnlicher Mensch.

Weil sich der Schalk nun entdeckt sah und sich dem leibhaftigen Rübezahl gegenüber düngte, bat er flehentlich: "Gestrenger Gebirgsherr, habt Erbarmen mit einem Elenden, der die Fußtritte des Schicksals von Jugend an erfahren hat. Nie durfte ich das sein, was ich wollte, und immer hat man mich mit Gewalt aus meiner Bahn herausgestoßen."

Das weckte die Neugier des Berggeistes, der normalerweise mit seinem Gegner kurzen Prozess gemacht hätte. So aber sprach zu ihm: "Sitz auf, hirnloser Geselle und tue, was dir befohlen wird." Darauf öffnete der Berggeist die Kutsche, um die Reisegesellschaft freundlich zu begrüßen. Aber drinnen war es stille wie in einer Totengruft. Der übermäßige Schrecken hatte die Nerven der Insassen so gewaltsam erschüttert, dass die Lebensgeister ausgelöscht schienen. Doch der Berggeist brachte sie mit frischen Quellwasser aus einem Bach und mit Riechsalz wieder zum Leben.

Die Damen schlugen eine nach der anderen die Augen auf und erblickten einen wohlgestalteten Mann, der vertrauenswürdig schien. "Es tut mir leid, meine Damen", sprach er höflich, "dass Sie in meinem Gerichtsbezirk von einem Bösewicht beleidigt wurden. Der Schurke hatte ohne Zweifel die Absicht, Sie zu bestehlen. Jetzt sind Sie in Sicherheit, denn ich bin der Oberst von Riesenthal. Erlauben Sie mir, dass ich Sie zu meiner Wohnung geleite, die nicht fern ist." Diese Einladung kam der Gräfin sehr gelegen, und sie nahm mit Freuden an. Da befahl der Berggeist dem Krauskopf, die Kutsche weiterzufahren.

Nach einer Stunde blinkte in der Ferne ein Lichtlein, dann zwei und endlich vier. Schon bald kamen vier Jäger mit brennenden Windlichtern herangesprengt, die ihren Herrn Oberst freudig begrüßten. Die Gräfin war nun wieder genesen und wunderte sich über die Abwesenheit ihrer beiden Bediensteten. Sie teilte es auch ihrem Schutzpatron mit, der sogleich zwei Jäger fortschickte, um den Diener und den Kutscher zu suchen.

Bald darauf rollte der Wagen durch ein düsteres Burgtor und hielt vor einem herrlichen Palast, der ganz erleuchtet war. Der Oberst bot der Gräfin den Arm und führte sie zusammen mit den beiden Töchtern in die Prachtgemächer seines Hauses. Dort war eine große Gesellschaft versammelt. Nach den ersten Höflichkeiten zerstreute sich die Gesellschaft in kleinere Gruppen, wo man das Abenteuer der Reisenden haarklein von allen Seiten betrachtete.

Bald darauf führte der aufmerksame Hausherr einen Mann herein, der wie gerufen kam. Es war ein Arzt, der nach dem Gesundheitszustand der Gräfin schaute. Er prüfte den Puls mit bedeutender Miene und sprach von mancherlei Beschwerden. Das ließ die vornehme Dame nun doch wieder um ihr Leben bangen, worauf sie ein beruhigendes Pulver und Tropfen schluckten musste.

Anschließend begab man sich zur Tafel in den Speisesaal, wo ein königliches Mahl aufgetischt war. Eine herrliche Musik tönte aus den Nebenzimmern und flötete den Gästen einen delikaten Schmaus und feine Weine lieblich in den Magen hinunter. Die Gräfin unterließ es natürlich nicht, das alles in den höchsten Tönen zu loben. Dabei wendete sie sich auch an den Stuhlnachbarn, der angeblich ein böhmischer Graf war. Neugierig fragte sie, was das für ein Fest sei, und erhielt zur Antwort, dass nichts Besonderes vorgehe. Die Gräfin hätte auch gerne mehr über ihren Gastgeber Oberst von Riesenthal erfahren, aber der Nachbar wusste so geschickt auszuweichen, dass sie nicht zum Ziele kam.

Ein wohlgenährter Domherr wusste dann noch wundersame Geschichten von Rübezahl zu berichten, worauf man trefflich über die Wahrheit derselben stritt. "Meine eigene Geschichte", warf die Gräfin schließlich ein, "hat uns doch gezeigt, dass die Geschichten vom Berggeist nur leere Träume sind. Wenn er hier im Gebirge wäre und die edlen Eigenschaften hätte, die man ihm nachsagt, so würde er einem Schurken wie dem Schwarzmantel nicht gestatten, solchen Unfug mit uns zu treiben.

Der Herr des Hauses hatte an diesen Gesprächen bisher wenig teilgenommen. Jetzt aber meldete er sich zu Wort und sprach: "Sie haben die Geisterwelt völlig entvölkert, gnädige Frau. Die ganze Schöpfung der Einbildungskraft ist durch Ihre Belehrung wie ein leichter Nebel vor unseren Augen entschwunden. Dennoch glaube ich, lässt sich noch manches einwerfen. Was wäre, wenn der Gebirgsgeist bei Ihrer Befreiung tatsächlich mit im Spiel gewesen wäre? Was wäre, wenn Ihr Nachbar selber ein Geist wäre, der dem Herrn der Berge zu Diensten steht? - Diese Rede brachte die Gräfin einigermaßen aus der Fassung. Auch die schönen Fräuleins legten erstaunt die Gabel aus der Hand und sahen dem Tischherrn forschend ins Angesicht. Sollte es nur ein Scherz gewesen sein oder meinte er es ernst?

Eine der beiden Töchter wollte den Gesprächsfaden gerade wieder aufnehmen, da wurde die Ankunft der beiden geretteten Bediensteten gemeldet. Triumphierend trug der Diener Johann das ungeheure Riesenhaupt des Schwarzmantels einher, das ihn zu Boden geschmettert hatte. Das Haupt wurde dem Arzt übergeben, damit er es nach allen Regeln zerlegen und ein Gutachten darüber ausstellen konnte. Doch der Arzt erkannte sogleich, was er da vor sich hatte. Es war nur ein ausgehöhlter Kürbis, der durch eine hölzernen Nase und einen langen Flachsbart menschliches Aussehen erlangt hatte.

Der Morgen dämmerte bereits, als die Gesellschaft nach langer Fachsimpelei auseinander ging. Die Damen bekamen ein köstlich zubereitetes Nachtlager mit seidenen Prunkbetten, wo sie der Schlaf so geschwind ereilte.

Es war schon lange Tag, als die Gräfin wieder erwachte. Sie klingelte der Zofe und weckte die beiden Töchter, die gerne noch ein Stündlein in den weichen Daunen gelegen hätten. Das Verlangen der Gräfin nach den Heilkräften des Kurbades war aber nun so groß, dass sie keinen Tag länger verweilen wollte. Sobald das Frühstück eingenommen war, schickten sich die Damen zur Abreise an. Der Hausheer des Schlosses begleitete sie in höflichster Art bis an die Grenzen seines Gebietes, wo die Gräfin dankbar versprach, auf der Rückreise erneut vorsprechen zu wollen.

Kaum war der Oberst wieder heimgekehrt, wurde der Krauskopf ins Verhör genommen. "Elender Erdenwurm!", donnerte der Geist ihn an. "Büßen sollst du mir mit Haut und Haar für deine Frechheit." "Oh großmächtiger Herr des Riesengebirges", erwiderte der Schlaukopf geschwind, "Ihr seid ohne Frage der rechtmäßige Richter. Aber sagt mir, wo Eure Gesetze geschrieben stehen, die ich übertreten habe?" - Dieser schlaue Einwand überraschte den Berggeist sehr. Darum mäßigte er seinen Unwillen ein wenig und sprach: "Meine Gesetze hat die Natur geschrieben. Trotzdem sollst du nicht sagen können, ich hätte ohne Verhör mein Urteil gesprochen. Rede also und bekenne, wer du bist und was dich trieb, hier im Gebirge als Gespenst zu tosen?"

Das war dem Verhafteten sehr recht, hoffte er doch, sich von übler Strafe losschwatzen zu können. Er sprach: "Ich heiße Weiland und lebte einst in der Stadt Lauban als ein ehrlicher Beutler kümmerlich von meiner Arbeit, denn mein eigener Geldbeutel blieb immer leer.

Dann kam auch noch die Teuerung, Krieg und getürktes Geld ins Land. Die anderen Beutler handelten nach dem Grundsatz: leichtes Geld, schlechte Ware. Ich aber dachte: "Ehrlich währt am längsten". Also gab ich gute Ware für schlechtes Geld, arbeitete mich an den Bettelstab, wurde in den Schuldturm geworfen und sogar des Landes verwiesen. Auf meiner Wanderschaft ins Elend begegnete mir dann ein alter Kunde. Er ritt auf einem stolzen Ross, rief mich an und spottete über mich. Doch am Ende bot er mir an, bei ihm in die Lehre zu treten, um einen vollkommenen Meister aus mir zu machen. Weil ich das Beutelmachen so gut verstand, wollte er mich lehren, den Beutel auch zu füllen. Denn sein eigenes Handwerk war es, Geld zu machen.

Ich dachte zuerst, der Mann sei in einer Münzwerkstadt tätig, dann wäre ich ihm gerne gefolgt. Oder sollte der Mann etwa auf eigene Rechnung münzen? Dann wäre es eine Arbeit, die mit dem Galgen belohnt wird. Darauf wollte ich mich lieber nicht einlassen. Aber der Reiter sprach, es sei doch nichts dabei, wenn man ein Stück Metall am Rand ein wenig kleiner mache. Kurz, der Mann hatte eine Gabe zu überreden.

Ich fand mich bald in das neue Handwerk ein und erfuhr, dass die Geldmacherkunst besser nährt als das Beutlerhandwerk. Doch im besten Fortgang unserer Arbeit wachte der Handwerksneid auf. Die Verräter schliefen nicht und wir wurden entdeckt. Man brachte uns in einen Festungsbau, laut Urteil und Recht auf Lebenszeit. Hier lebte ich einige Jahre nach der Regel der büßenden Brüder, bis ein guter Engel alle Gefangenen befreite, die knochenfest und rüstig waren. Es war ein Werbeoffizier, der mir den Beruf gab, für den König zu fechten. Mit diesem Tausch war ich wohl zufrieden, also nahm ich mir vor, ein guter Soldat zu sein.

Bei jeder Gelegenheit zeichnete ich mich aus, war immer der erste beim Angriff. Und wenn wir wieder zurückgingen, war ich so gewandt, dass der Feind mich nie erwischen konnte. Das Glück war mir wohl gesonnen und machte mich sogar zum Anführer einer Rotte Reiter. Da wurde ich einmal ausgeschickt, um Verpflegung für die Truppe zu besorgen. Ich befolgte meinen Auftrag so streng, dass ich nicht nur Speicher und Scheunen, sondern auch Kisten und Truhen aus Häusern und Kirchen mitnahm. Zum Unglück war es aber in einem befreundeten Land des Königs. Das gab großen Lärm! Gehässige Leute nannten die Expedition eine Plünderung. Man machte mir den Prozess, degradierte mich, und prügelte mich durch eine Gasse von fünfhundert Mann eilends aus meinem Soldatenstand hinaus.

Jetzt wusste ich keinen anderen Rat, als wieder zu meinem ersten Handwerk zu greifen. Aber es fehlte mir an Barschaft, um Leder zu kaufen. Darum fing ich an, fremde Taschen zu untersuchen, ob dort ein Beutel schlummerte, den ich selbst gemacht hatte. Ich machte nach allen Regeln Jagd darauf, und freute mich nebenbei über gute Beute. Bei dieser Gelegenheit ergab es sich auch, dass ich einen guten Teil meiner eigenen Falschmünze einkassieren konnte. Denn obwohl sie überall verrufen war, kursierte sie immer noch von Hand zu Hand.

Mein neues Gewerbe ging eine Zeitlang wohl voran. Ich besuchte bald als Kavalier, bald als Handelsmann oder Jude die Messen und Märkte. Meine Hand war so geübt, dass sie nie einen Fehlgriff tat und mich reichlich ernährte. Dann besuchte ich eines Tages besuchte den Jahrmarkt zu Liegnitz. Dort nahm ich den Beutel eines reichen Pächters aufs Korn, der vor Gold nur so strotzte. Mein Griff nach der überaus schweren Beute misslang und ich wurde ergriffen.

Man stellte mich als Beutelschneider vor Gericht, obwohl ich die ehrliche Bedeutung dieses Namens durchaus verdiente. Früher hatte ich ja zahllose Beutel zugeschnitten, aber nie hatte ich einem Menschen den Geldbeutel abgeschnitten. Die prall gefüllten Beutel waren mir gleichsam freiwillig in die Hände gelaufen, als wenn sie zu ihrem ersten Eigentümer zurückkehren wollten. Diese Ausreden halfen nichts, und ich wurde wieder ins Gefängnis gesteckt. Wie das Leben aber so spielt, konnte ich mich bei passender Gelegenheit in aller Stille aus meiner Lage selbst befreien.

Da ich erwarten konnte, dass man nach mir suchte, mied ich die Städte und trieb mich als pilgernder Weltbürger auf dem Lande herum. Hier traf es sich, dass die Kutsche der Gräfin gerade dort anhielt, wo ich meinen Aufenthalt hatte. Es war etwas an ihrem Wagen zerbrochen, das ausgebessert werden musste. Ich sprach ein wenig mit dem Kutscher, der mir seine Angst vor Herrn Rübezahl anvertraute. Das brachte mich auf den Einfall, die Zaghaftigkeit der Reisenden zu nutzen und mein Talent in der Geisterwelt zu versuchen. Ich schlich mich in die Wohnung des Dorfküsters, der ausgegangen war, und bemächtigte mich seiner Amtskleidung. Das war der schwarze Mantel. Und in der Küche fiel mir auch noch der Kürbis ins Gesicht. Welchen Gebrauch ich davon machte, ist Euch ja nur zu gut bekannt.

Ich glaubte offen gesagt, dass jeder Rübezahl spielen könnte. Denn selbst die Kinder machten mir hier nicht den Eindruck, als würden sie den Herrn der Berge noch groß fürchten. Nun bin eines Besseren belehrt und befinde mich in Eurer Gewalt. Wahrlich Herr! Es fällt den Menschen schwer, ehrlich zu sein, wenn sie Mangel leiden. Wenn sie zum Beispiel Hunger fühlen und keinen Groschen im Säckel haben, ist die Verlockung groß, eine Semmel zu stehlen, die der reiche Bäcker sein Eigen nennt."

"Geh, Schurke", sprach der Berggeist, "du sollst den Gipfel deines Glückes ersteigen - den Galgen!" Darauf verabschiedete er seinen Gefangenen mit einem kräftigen Fußtritt. Der Krauskopf sputete sich, das Weite zu suchen und ließ dabei sogar den schwarzen Mantel zurück. Er lief den ganzen Tag, doch dann sank er im Schatten eines Baumes müde nieder und schlief ein.

Als er erwachte, war um ihn herum eine dicke Finsternis. Im ersten Schrecken wollte er aufspringen, doch eine unbekannte Kraft hielt ihn zurück. Die Bewegung, die er machte, ergab aber ein lautes Geräusch, wie das Geklirr von Ketten. Nun sah er auch, dass er in Fesseln lag.

Nach einigen Stunden dämmerte es, doch das Licht fiel nur kärglich durch ein kleines Gitter herein. Ohne zu wissen, wo er war, kam ihm der Kerker doch bekannt vor. Die Stunden flossen dahin, und der Gefangene spürte die Qualen von Hunger und Durst. Er fing an Lärm zu machen, rasselte mit den Ketten, pochte an die Wand, rief ängstlich um Hilfe und vernahm auch Menschenstimmen in der Nähe. Aber niemand kümmerte sich um ihn.

Da endlich wappnete sich der Kerkermeister mit einem Gespenstersegen, schlug ein großes Kreuz und öffnete die Tür. fing er an, den Teufel auszutreiben, der seiner Meinung nach in dem Kerker tobte. Doch wie er sich näherte, erkannte er sogleich seinen entwichenen Gefangenen, den Beutelschneider. Jetzt sah der Gefangene ebenfalls, wen er da vor sich hatte. Es war der Kerkermeister von Liegnitz. "Sieh da, der Krauskopf!" rief dieser. "Bist du wieder in deinen Käfig gehüpft?" "Geradewegs durchs Tor hinein", antwortete der Gefangene. "Ich habe mich, wie Ihr seht, zur Ruhe gesetzt."

Obgleich niemand begreifen konnte, wie der Krauskopf in den Turm gekommen war und wer ihm die Fesseln angelegt hatte, behauptete der Gefangene dreist, er habe sich freiwillig wieder eingefunden, denn Rübezahl habe ihm die Gabe verliehen, nach Gefallen durch verschlossene Türen zu gehen, und nach Belieben Fesseln an- und abzulegen. Die Richter hielten das für ausgekochte Narretei, und verurteilten den Gefangenen, so lange für den König zu arbeiten, bis er die Fesseln selber ablege. Man hat niemals vernommen, dass es wirklich geschah.

Die Gräfin Cäcilie war indes mit ihrer Begleitung glücklich in Karlsbad angelangt. Als Erstes ließ sie den Badearzt zu sich rufen, um ihn über die Kur zu befragen. Kaum war der hochberühmte Doktor Springinsfeld eingetreten, rief die Gräfin entzückt: "Seien Sie uns willkommen, lieber Doktor. Sie sind uns also zuvorgekommen. Wir haben uns doch schon beim Oberst von Riesenthal bekannt gemacht. Aber warum haben Sie uns verschwiegen, dass Sie hier der Badearzt sind?" Der Arzt stutzte, überlegte hin und her und sprach: "Euer Gnaden, Ihr müsst mich ohne Zweifel verwechseln. "Ich habe bisher nicht die Ehre gehabt, Bekanntschaft mit Ihnen zu machen. Der Herr von Riesenthal gehört auch nicht zu meinem Wirkungskreis, und während der Kurzeit pflege ich mich nie von hier zu entfernen."

Die Gräfin trug es mit Fassung und kümmerte sich nicht weiter darum, denn die feine Gesellschaft von Karlsbad wartete begierig darauf, mit der Gräfin gepflegte Konversation zu betreiben. Alles drängte sich zu ihr, doch welche Verwunderung für die Gräfin! Die ganze Gesellschaft hier in Karlsbad war ihr schon im Schloss des Herrn von Riesenthal begegnet, aber niemand schien davon zu wissen. Da dämmerte es der Gräfin langsam, wer hinter allem steckte.

Nachdem die Badekur beendet war, nahm die Gräfin wieder den Weg durch das Riesengebirge. Sie hatte dem Oberst ja versprochen, bei der Rückreise erneut vorzusprechen. Nur wie seltsam! Niemand konnte den rechten Weg zum Schloss beschreiben, und alle Befragten sagten, dass sie den Herrn von Riesenthal nicht kennen. Da war die Gräfin endlich überzeugt, dass der große Unbekannte in Wahrheit Rübezahl war. Sie gestand ein, dass er das Gastrecht edelmütig ausgeübt hatte, verzieh ihm seine Neckerei mit der Badegesellschaft und glaubte fortan fest an die Geister.

Seither hat Rübezahl nichts mehr von sich hören lassen. Er kehrte in seine unterirdischen Staaten zurück, wo er im Verborgenen immer noch wütet. Und niemand weiß, wann der Berggeist sich wieder zu den Gipfeln des Riesengebirges aufschwingen wird, um nach den Menschen zu schauen.