Das Versteck

  • Autor: Poe, Edgar Allan

Wer denkt, dass dieses Ereignis meine sehnsüchtige Leidenschaft für das Meer zerstört habe, liegt falsch. Im Gegenteil: Nie zuvor hatte ich mehr Sehnsucht gehabt, die seltsamen Abenteuer eines Seemannslebens kennenzulernen. Meine Gespräche mit Augustus wurden täglich lebhafter und eindringlicher. Er hatte eine besondere Art, seine Ozeangeschichten (von denen vermutlich die Meisten erfunden waren) zu erzählen, die mein begeisterungsfähiges Gemüt stark beeinflusste.

Wobei ich an seinen Erzählungen nicht etwa die freundliche Seite gemocht hätte; nein, ich träumte von Schiffbruch, Hungersnöten, von Tod oder Gefangenschaft, von einem Dasein voll Leid und Gefahr auf einer einsamen Felseninsel. Solche Visionen sind ziemlich normal bei melancholischen Menschen - so erfuhr ich später. Zu diesem Zeitpunkt aber meinte ich, dass es prophetische Anzeichen eines Geschickes seien, für das ich mich vorbestimmt glaubte.

Ungefähr acht Monate nach dem Untergang des "Ariel" war es soweit. Die Firma Vredenburgh ließ den Zweimaster "Grampus" für den Walfischfang ausbessern. Es war ein alter Kasten, den man eben so zur Not auf See schicken konnte. Trotzdem entschieden sich die Eigentümer dafür. Herr Barnard sollte sie befehligen und Augustus sollte mit ihm fahren.

Durchaus willig hörte ich ihm zu, wenn er mich bedrängte, ebenfalls mitzukommen. Meine Familie jedoch sprach sich streng dagegen aus. Mein Großvater drohte sogar damit, mich zu enterben, spräche ich noch ein einziges Mal von dieser Brigg. Dieses Verhalten schürte meine Wünsche natürlich noch stärker. Ich beschloss, auf jeden Fall mitzureisen und teilte Augustus alsbald meinen Entschluss mit.

Natürlich sprach ich sonst mit niemandem über meine Reiseabsicht und ließ meine Verwandten in dem Glauben, ich würde mich meinen Studien widmen. Diese arge Heuchelei während der langen Zeit kann ich mir heute nur so erklären, dass die brennende Sehnsucht andere Gefühle überdeckt haben musste.

Immer abends besprachen Augustus und ich unsere Pläne und Hoffnungen. Fast ein Monat war auf diese Weise vergangen, bis alles Nötige vorbereitet war. Allem voran entwickelten wir einen Plan, wie meine Abreise unentdeckt bleiben würde. Die Brigg sollte Mitte Juni segeln - wir schrieben das Jahr 1827.

Zwei Tage vorher sollte mein Vater einige Zeilen von Herrn Roß erhalten. Dieser Mann war ein Verwandter aus Bedford, bei dem ich gelegentlich einige Wochen verbringen durfte. Es sollte so aussehen, dass er mich für einige Wochen einladen würde, seinen beiden Söhne zur Gesellschaft. Augustus sollte diesen Brief absenden.

Doch anstatt nach Bedford zu reisen, würde ich an Bord des "Grampus" für mehrere Tage einen sicheren Schlupfwinkel beziehen. Immerhin durfte ich mich mehrere Tage nicht zeigen. Wenn die Brigg dann weit genug draußen wäre, dass eine Rückkehr unmöglich wäre, erst dann würde ich mich auf dem "Grampus" zu erkennen geben. Und Augustus Vater würde sicher herzhaft über diesen Streich lachen. Meine Eltern würden wir später, wenn wir anderen Schiffen begegneten, eine erklärende Nachricht zukommen lassen.

Mitte Juni war es endlich soweit; ich gab vor, mit dem Dampfschiff nach New Bedford zu fahren. In Wahrheit traf ich mich an der nächsten Straßenecke mit Augustus. Er ging voran zum Kai - ich folgte ihm, eingehüllt in einen festen Seemannsmantel. Als wir um die zweite Ecke biegen wollten, stand mein Großvater höchstpersönlich vor mir. Der alte Herr Peterson!

"Zum Kuckuck, Gordon," sagte er nach einem kurzen Moment der Überraschung. "Wie um Himmels willen kommst du zu diesem schmutzigen Mantel?"

Im Augenblick der Verwirrung gab ich mich gekränkt und täuschte vor, verwundert zu sein: "Mein Herr! Mir scheint, Sie irren sich. Erstens heiße ich nicht Gordon und zweitens wäre es gescheit, wenn Sie Ihre Augen besser auftäten und meinen neuen Mantel nicht als schmutzigen Umhang bezeichneten, Sie alter Eigenbrötler."

Ich weiß nicht mehr, wie ich es geschafft habe, ein lautes Lachen zu unterdrücken. Der alte Mann wurde erst blass und dann außerordentlich rot im Gesicht. Er rückte an seiner Brille und rannte mit erhobenem Regenschirm auf mich zu. Schließlich ging er dann zähneknirschend weiter und murmelte: "Das ist unmöglich - brauche wohl eine neue Brille - ich hätte geschworen, dass es Gordon war. Elendes Matrosengesindel!"

Danach erreichten wir sicher unser Ziel. Augustus ließ mir kaum Zeit, mich auf dem Schiff umzusehen. Er bestand darauf, mich so schnell als möglich zu verstecken. Dazu führte er mich zuerst in seine eigene Kabine. Sobald wir drinnen waren, verriegelte er die Tür. Die Koje schien bequem und geräumig.

Das Zimmer hatte einige Annehmlichkeiten aufzuweisen, von denen mich am meisten diese Art Eisschrank beeindruckte, in dem Augustus allerhand ausgesuchte Speisen und Liköre gelagert hatte.

Unter dem Teppich versteckt, konnte durch einen Knopfdruck eine Luke geöffnet werden, durch die mich Augustus in den Achtern Kielraum führte. Hinter uns verschloss er die Falltür von unten durch einen Nagel. Der Teppich in der Kabine war so auf der Öffnung festgemacht, dass er sich automatisch wieder hinlegte. Nur mit einer Kerze leuchteten wir den Weg durch das Gerümpel.

Mit der Zeit gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit. Ich hielt mich am Rock meines Freundes fest, so kamen wir zügig vorwärts. Nachdem wir durch massenhaft enge Gänge geschlichen waren, standen wir vor einem mit Eisen beschlagenen Koffer. Vermutlich wurde früher Porzellan darin verwahrt. Er war ungefähr vier Fuß hoch und mehr als sechs Fuß lang - allerdings überaus schmal.

Erst später wurde mir klar, dass Augustus das viele Gerümpel, ja sogar die Ölfässer über diesem Koffer, absichtlich angebracht hatte, damit ich auch sicher nicht entdeckt werden könnte. Dann überraschte mich mein Begleiter, als er eine Querseite des Koffers wegschob. Das Innere des Koffers bereitete mir Spaß; er hatte hier ein kleines Zimmer geschaffen, mit allem Drum und Dran. Ich entdeckte eine Matratze, Decken, einige Bücher, einen Krug voll Wasser, eine riesige Portion Schiffszwieback und mehrere Boulogner Würste, einen großen Schinken, eine Hammelkeule und einige Schnäpse und Liköre. Umgehend nahm ich meine kleine Wohnung in Besitz und ich bin mir sicher, dass kein König der Welt je Größeres empfunden hat beim Einzug in seinen neuen Palast.

Weiter zeigte Augustus mir, wie man das offene Ende des Koffers verriegeln könne. Zum Schluss zeigte er mir die schwarze Kordel, mit deren Hilfe ich den Weg zurück bis zu seiner Kabine finden könne. Für den Fall eines unvorhergesehen Unglücksfalles, meinte er. Dann verabschiedete sich mein Freund, nicht ohne mir genügend Kerzen, Streichhölzer und die Laterne dazulassen. "Ich besuche dich, sooft es mir ohne Aufsehen möglich ist", versprach er mir. Dies geschah am siebzehnten Juni.