Der Prinz bei den Bauern

  • Autor: Twain, Mark

Am nächsten Morgen erwachte der kleine König recht früh. Gerade als er den Stall verlassen wollte, kamen zwei kleine Mädchen herein. Sie hörten auf zu plaudern, als sie ihn entdeckten. Neugierig blickten sie ihn an und kamen mit kleinen Schritten auf ihn zu. Nach einer Weile hatten sie genügend Mut, sich laut über ihn zu unterhalten, ohne ihn direkt anzusprechen. "Sein Gesicht ist hübsch", sagte die eine.

Die andere erwiderte: "Und diese Lockenpracht."

"Wenn er nur nicht solche Lumpen tragen würde …"

"Er sieht halb verhungert aus."

Schüchtern trippelten sie um ihn herum, als wäre er ein kurioses Lebewesen, das bissig sein könnte. Nach einer schier endlos dauernden Weile getraute sich eines der Mädchen, ihn direkt anzusprechen. "Wer bist du?"

"Ich bin der König."

Verwundert blickten sie ihn an. "Welcher König denn?"

"Der König von England."

Das konnten die Mädchen kaum glauben. Sie unterhielten sich darüber, kamen dann zu dem Schluss, dass der Junge ja wohl keinen Grund hätte, sie zu belügen. Also musste er der König sein. Und endlich bekam der kleine König Gelegenheit, seine Geschichte zu erzählen. Als die Mädchen erfuhren, dass er nach seinen letzten Abenteuern noch keine Mahlzeit zu sich genommen hatte, rannten sie zu ihrer Mutter.

Der kleine König beschloss in diesem Moment: "Wenn ich wieder auf meinem Thron sitze, so werde ich nie vergessen, wie die Mädchen mir geglaubt haben, trotz meiner Lumpen. Und künftig werde ich alle Kinder in Ehren halten."

Seine Situation rührte wohl auch die Mutter der Mädchen an. Sie empfing ihn freundlich. Sie war eine arme Witwe und hatte selbst genug Kummer hinter sich. Deshalb glaubte sie, der Junge sei verwirrt und von daheim weggelaufen.

Der kleine König erzählte ihr mit großem Ernst vom königlichen Hof und als er über den Tod seines Vaters, des verstorbenen Königs redete, kamen ihm bittere Tränen. Die Frau versuchte, den König ein wenig zu befragen und darüber seine wahre Herkunft herauszufinden. Sie sprach über Rinder und Schafe, woraufhin er völlig ohne Interesse da saß. Sie redete über Müller, Weber und andere handwerkliche Berufe in der Hoffnung, auf eine Auskunft - erfolglos. Sogar über Irrenhäuser und Waisenheime redete sie.

Weder vom Fegen noch vom Putzen wollte er etwas wissen. Als sie es, nahezu am Ende ihrer Fantasie, mit dem Kochen probierte, bekamen die Augen des kleinen Königs einen warmen Glanz. Sie war stolz auf sich und hörte interessiert zu, als er über allerlei leckere Gerichte redete. Nun war sie sich sicher - ihr kleiner Gast musste ein Küchenjunge sein. Als er weiter redete, dachte sie: "Woher kennt er diese feinen Gerichte, die man nur bei den Vornehmen serviert? Wahrscheinlich war er Küchenjunge im Palast des Königs."

Um ihn zu testen, trug sie ihm auf, sich um den Herd zu kümmern. Sie verließ mit ihren Mädchen die Küche und der König war sich dieser Aufgabe nicht zu fein. Er wusste, dass Alfred der Große auch schon einmal aufs Essen aufgepasst hatte. Leider ließ er es anbrennen. Das würde ihm nicht passieren.

Allerdings ging es dem kleinen König gleich zu Beginn ähnlich, wie seinem Vorfahre - er kam ins Grübeln über sein Reich und seine Regierungsgeschäfte, dass ihm dasselbe passierte: Das Essen brannte an. Die Witwe kam gerade noch rechtzeitig, das Schlimmste zu verhindern. So konnte man das Frühstück denn noch essen. Aber sie schimpfte ihren kleinen Gast wegen seiner Unachtsamkeit. Dann war sie wieder freundlich.

Der kleine König ließ sich das Frühstück ordentlich schmecken. Das Komische an der Situation war, dass die Frau glaubte, diesem armen Betteljungen ein festliches Mahl zu gewähren und er versuchte seinen hohen Rang zu vergessen, weil er wegen des angebrannten Essens ein schlechtes Gewissen hatte. Allein deshalb verzichtete er auf die Gebaren, die seiner königlichen Würde entsprochen hätten.

Doch es tut wohl, gelegentlich einmal das Ansehen zu vergessen und lediglich der Menschlichkeit zu folgen. Die Witwe war glücklich über ihre Freigiebigkeit und der König war ebenso zufrieden, weil er sich gnädig auf den Rang dieser Bauersfrau herabgelassen hatte.

Nach dem Frühstück sollte der kleine König das Geschirr abwaschen. Zuerst war er entsetzt, doch er hielt es wieder wie Alfred der Große. Über sich selbst erstaunt stellte er fest, dass er auch diese Arbeit als zu schwierig empfand. Darüber wurde er ungeduldig, doch es schien nicht so einfach zu sein, die Gastfreundschaft dieser Frau los zu werden.

Später musste er mit den Mädchen Winteräpfel schälen, was er auch nicht konnte. Deshalb sollte er ein Messer schleifen und Wolle zupfen. Das ging besser. Der kleine König war nun sicher, Alfred den Großen in den Schatten gestellt zu haben. Wahrscheinlich würde sich diese Station seines Lebens in den Geschichtsbüchern einmal gut machen.

Doch was dann kam, war ihm zu viel. Nach dem Mittagessen sollte er einen Korb mit jungen Kätzchen ertränken. Und bevor er mit der Witwe diskutieren konnte, trat ein Geschehnis ein, das ihn ohne Widerworte gehen ließ. Hugo kam mit John Canty auf den Hof. Glücklicherweise konnte der kleine König ungesehen durch den Hintereingang aus dem Haus schleichen. Die armen Kätzchen stellte er mitsamt Korb vor das Scheunentor. Dann eilte er über die Wiese von dannen.