Miss Ophelia

  • Autor: Beecher Stowe, Harriet

Tom hatte es mit seiner Herrschaft gut getroffen und sie konnte mit ihm zufrieden sein. St. Clare hatte es bisher Adolfo überlassen, alle Einkäufe für Haus und Familie zu tätigen. Adolfo aber war genauso verschwenderisch und sorglos wie sein Herr und so sah Tom die riesige Verschwendung in allen Ecken des großen Hauses mit Besorgnis. Zeit seines Lebens war er gewöhnt gewesen, das Eigentum seines Herrn so gewissenhaft zu verwalten wie sein eigenes. St. Clare übertrug Tom die Verantwortung für die Einkäufe. Adolfo war beleidigt, aber St. Clare lachte nur. "Tom denkt daran, was es kosten darf. Auch mein Geld geht irgendwann zu Ende, wenn man es immer nur ausgibt."

Tom bezahlte von nun an Rechnungen, die St. Clare nicht einmal angeschaut hatte. Er brachte Wechselgeld zurück, das nicht nachgezählt wurde. Aber Tom war sehr ehrlich und betrog seinen Herrn nie. Er verehrte ihn mit einer Mischung aus Zuneigung und Besorgnis. Es machte Tom traurig, dass sein Herr nie in der Bibel las und nie in die Kirche ging. St. Clares Ironie besorgte ihn ebenso wie seine Teilnahme an Trinkgesellschaften. Wenn Tom in seiner Kammer saß, schickte er oft Gebete für seinen Herrn zum Himmel.

Eines Morgens kam St. Clare gegen drei Uhr morgens von einer Gesellschaft in einem schrecklichen Zustand nach Hause. Er wurde von Tom und Adolfo ins Bett gebracht. Adolfo machte sich über den Zustand seines Herrn lustig. Tom jedoch fasste einen Entschluss.

Am Morgen saß St. Clare im Schlafrock in der Bibliothek und erteilte Tom einige Aufträge. "Ist etwas nicht in Ordnung, Tom?", fragte St. Clare, nachdem er die Aufträge erteilt hatte.

"Ach, Master.", sagte Tom traurig. "Ich habe immer gedacht, Sie sind gut zu allen. Aber gestern Nacht habe ich etwas begriffen. Sie sind zu allen gut, nur zu sich selbst nicht." St. Clare wurde rot und lachte gezwungen. "So, so. Ist das so?"

Tom nickte und warf sich vor St. Clare auf die Knie. "Ich befürchte, Sie werden alles verlieren. Leib und Seele, wenn Sie so weitermachen." Tom traten die Tränen in die Augen. St. Clare setzte sich auf. "Tom, steh' auf. Ich bin es nicht wert, dass du dich so um mich sorgst. Du hast Recht, ich werde mit dem Unsinn aufhören. Ich habe nicht einmal Spaß daran. Ich verspreche dir, dass du mich nicht mehr so sehen wirst wie heute Nacht." Er erhob sich und fasste Tom am Arm. "Ich werde Wort halten." Damit schob er Tom sanft zur Tür hinaus.

Miss Ophelia hatte inzwischen das Amt einer Hausfrau und Mutter übernommen. Am ersten Morgen stand sie um vier Uhr auf und brachte als erstes ihr eigenes Zimmer in Ordnung. Danach traf sie alle Vorbereitungen, alle Speise- und Vorratskammern sowie alle Wäsche- und Geschirrkästen im Hause zu untersuchen. Was sie dabei fand, versetzte die Bewohner der Küche in Angst und Schrecken und das gesamte Personal schimpfte über die "nördliche Dame". Besonders Dinah, die alte Oberköchin, geriet langsam in eine entsetzliche Wut. Sie war sehr unordentlich aber da ihr trotzdem selten etwas misslang, sah sie keinen Grund, in der Küche ordentlicher zu werden. Als Miss Ophelia die Küche betrat, fasste Dinah den Entschluss, jede Neuerung der "nördlichen Dame" stillschweigend abzulehnen.

Als also Miss Ophelia in die Küche kam, saß Dinah mitten auf dem Fußboden und rauchte eine Pfeife. Um sie herum saß das junge Volk und pulte Erbsen, schälte Kartoffeln und rupfte Geflügel. Kurzum - es wurden alle Handgriffe verrichtet, die nötig waren, um ein schmackhaftes Essen auf den Tisch zu bringen. Dinah hatte einen langen Holzlöffel vor sich, mit dem sie ab und zu einen ihrer Helfer traktierte, wenn er nicht schnell genug arbeitete. Dinah blieb sitzen als Miss Ophelia die Küche betrat und rauchte seelenruhig weiter. Miss Ophelia trat an einen Schrank heran. "Wozu dient dieser Schrank?", fragte sie. Dinah sah sie an. "Oh, zu allem möglichem." Miss Ophelia zog eine Schublade auf, in der ein blutiges Damasttuch lag. "Dinah! Du wickelst doch nicht dein Fleisch in das beste Tischtuch ein?" "Aber nein! Es waren nur gerade keine Handtücher da und da musste ich eben das Tischtuch neben. Es liegt dort, weil es demnächst gewaschen werden soll."

"Liederlich!", flüsterte Miss Ophelia und zog die nächste Schublade auf. Ein Gesangbuch, eine Pfeife und Tabak, Muskatnüsse, Garn, Wolle, schmutzige Taschentücher, einige Zwiebäcke und einige durchlöcherte Tüten, aus denen Küchenkräuter rieselten.

"Wo hast du deine Muskatnüsse?", fragte Miss Ophelia streng.

"Beinah überall.", antwortete Dinah lässig. "Ich habe meine Sachen gern zur Hand."

"Ich werde die ganze Küche kontrollieren und alles in Ordnung bringen. Ein für allemal. Und ich erwarte, dass du diese Ordnung dann auch einhältst."

"Das schickt sich nicht für Dame!", brummte Dinah und schob tief gekränkt ab, während Miss Ophelia Geschirr sortierte und auftürmte, den Inhalt verschiedener Zuckerdosen entleerte, Servietten und Handtücher zur Wäsche herauslegte und dann alles selber abwusch und auswischte.

In wenigen Tagen hatte Miss Ophelia jeden Teil des Hauses auf das Gründlichste umgekehrt, aber der Erfolg dieser Arbeit war zweifelhaft. St. Clares Leute hielten sich nicht an die Ordnung und es sah aus, als würde sich die neue Ordnung nicht lange halten. Verzweifelt wandte Miss Ophelia sich an St. Clare.

"Wie kannst du es ruhig mit ansehen, dass in deinem Haus die liederlichste Wirtschaft geführt wird, die ich je gesehen habe?"

St. Clare lächelte. "Wenn du mir nichts erzählt hättest, wüsste ich ja von nichts. Und Dinah kocht doch sehr gut, auch in ihrer unordentlichen Küche. Wenn du ihr da in die Quere kommst, dann hat sie bloß schlechte Laune und verdirbt jede Mahlzeit. Schließlich werden auch Feldherren und Staatsmänner nur nach ihrem Erfolg beurteilt."

"Aber sieh dir die Ausgaben an! Es ist reine Verschwendung. Und außerdem habe ich das Gefühl, dass deine Leute nicht ganz ehrlich sind. Glaubst du, man kann ihnen wirklich trauen?"

Jetzt musste St. Clare wirklich lachen. "Ach, Kusinchen. Natürlich kann man ihnen nicht trauen. Wie sollen sie es auch lernen? In ihrer Welt ist nur der krumme Weg Erfolg versprechend. Das farbige Kind lernt, dass List und Betrug Mittel zum Zweck sind. Wie sollen sie also ehrlich sein? Tom allerdings ist eine Ausnahme, die man fast als Wunder bezeichnen muss!"

"Das ist ja schrecklich.", meinte Miss Ophelia. "Bei uns in Vermont gibt es so etwas zum Glück nicht."

"Tja, in Neu-England und in den freien Staaten seid ihr uns wirklich voraus, das gebe ich zu. Und jetzt komm, Kusine, gehen wir zu Tisch."

Tom dagegen hatte Eva um einen Briefbogen gebeten. Sein Heimweh war groß und er wollte einen Brief an Chloe und die Kinder schreiben. Er saß über einer Schiefertafel, auf der er den ersten Entwurf für den Brief schreiben wollte. Eva saß bei ihm und lachte.

"Was machst du für komische Sachen, Tom? Ich habe ja auch ein bisschen Schreiben gelernt, aber ich habe viele Buchstaben auch wieder vergessen."

Tom nickte und seufzte. Und so saßen er und Eva über der Schiefertafel, alle beide tiefernst und unwissend. Beide hielten das, was sie da schrieben schon für sehr gut und leserlich.

"Deine Frau wird sich freuen, von dir zu hören.", lächelte Eva. "Es ist doch eine Schande, dass du sie verlassen musstest. Ich werde Papa fragen, ob er dich nicht eines Tages ziehen lassen will."

"Die gnädige Frau wollte Geld schicken, sobald sie es hätte.", erklärte Tom. "Und der junge Herr Georg hat auch gesagt, er wolle mich holen. Diesen Dollar gab er mir als Zeichen." Er zeigte Eva den kostbaren Dollar. "Ich wollte ihnen den Brief schicken, damit sie wissen, wo ich bin und dass es mir gut geht."

In diesem Moment betrat St. Clare das Zimmer. "Was geht hier vor?", fragte er und blickte auf die Schiefertafel.

"Ich helfe Tom beim Schreiben. Ist der Brief nicht sehr schön?"

"Ich will euch nicht entmutigen, aber vielleicht ist es besser, wenn ich den Brief schreibe? Sobald ich von meinem Ausritt zurück bin, schreibe ich ihn."

"Es ist wichtig, dass dieser Brief geschrieben wird. Toms Herrin will Geld schicken, um ihn loszukaufen. Das hat sie ihm versprochen." Eva blickte ihren Vater an. St. Clare dachte, dass dies sicher nur ein gut gemeint Versprechen gewesen sei, um Tom den Abschied zu erleichtern, aber er sprach diese Gedanken nicht aus. Er befahl Tom, die Pferde zu satteln. Am Abend wurde der Brief geschrieben und sicher auf dem Postamt abgegeben.

Miss Ophelia setzte ihre Anstrengungen fort, in den Haushalt ihres Cousins Ordnung zu bringen. Die Dienerschaft war sich einig, dass sie keine wirkliche Dame war, denn Damen waren zu fein, um so zu arbeiten, wie Miss Ophelia es tat. Sie nähte und säumte und räumte und ordnete den ganzen Tag und wenn das Tageslicht schwand, dann erschien das stets bereite Strickzeug und sie war tätig wie vorher. Selbst Marie behauptete, es sei anstrengend Miss Ophelia auch nur zuzusehen.

Als Ophelia am Nachmittag wieder in der Küche, trat eine große schlanke Sklavin ein. Auf dem Kopf trug sie einen Korb mit Brötchen und Zwieback.

"Hallo, Prue. Da bist du ja.", grüßte Dinah die junge Frau.

"Ich wollte, ich wäre tot, damit dieses elende Leben aufhört."

"Lass erst einmal das Saufen und benimm dich anständig.", warf Jane ein.

Prue sah sie nur an. "Vielleicht bist du auch irgendwann einmal so weit, dass du froh bist, wenn ein Schluck dir hilft, dein Elend zu vergessen." Damit gab sie Dinah den Zwieback aus ihrem Korb und hob ihn danach wieder auf ihren Kopf. Sie nickte noch einmal und ging hinaus.

Tom war ebenfalls in der Küche. Er folgte Prue und sprach sie an. "Brauchst du Hilfe? Bist du krank?" Prue sah ihn an. "Ich brauch' keine Hilfe. Ich bin schlecht und komme direkt in die Hölle. Ohne Gott wäre ich schon dort."

Tom schauderte. "Wo bist du aufgewachsen?"

"In Kentucky. Der Mann dort hielt mich zum Kinderkriegen. Dann verkaufte er mich. Als ich hierher kam, bekam ich noch ein Kind. Ich dachte, ich könnte es aufziehen. Es war wunderschön. Mein Herr und die Missis hatten nichts dagegen. Dann wurde die Missis krank. Ich musste sie pflegen und wurde auch krank. Ich hatte keine Milch mehr. Da schrie mein Kleines. Ich durfte mich nicht drum kümmern, sondern musste der Missis helfen. Da hat es sich eines Nachts tot geschrieen. Und darum muss ich trinken. Ich höre sonst immer das Schreien."

Sie nickte Tom noch einmal zu und schlurfte davon.

Ein paar Tage später kam eine andere Sklavin mit dem Brot. "Wo ist denn Prue?", wollte Dinah wissen. Miss Ophelia, die ebenfalls in der Küche war, blickte auf. Die neue Sklavin zuckte mit den Schultern. "Sie hat sich wieder betrunken. Da haben sie sie in den Keller gebracht.... und nun ist sie tot." Ein erstickter Laut ließ alle herumfahren. Eva stand in der Tür. Die Augen waren weit aufgerissen, die Lippen blass.

"Oh Miss Eva. Das war nichts für Ihre Ohren. Das ist nichts für eine junge zarte Lady. Solche Geschichten können sie umbringen."

Eva drehte sich um und verließ langsam die Küche.

Miss Ophelia aber eilte zu St. Clare. "Sie haben sie zu Tode geprügelt!", rief sie außer sich und erzählte St. Clare die ganze Geschichte.

"Das habe ich erwartet."

"Was? Du hast es erwartet und hast nichts dagegen unternommen?" Miss Ophelia war fassungslos.

"Was hätte ich unternehmen sollen? Diese Leute sind die unumschränkten Besitzer ihrer Sklaven, die absoluten Herren. Sie können mit ihnen tun und lassen, was sie wollen. Ich kann doch nicht jeden armen Teufel kaufen!"

"Wie kannst du dieses unmenschliche System noch verteidigen, Augustin!"

St. Clare sprang auf. "Ich verteidige dieses System nicht. Die Sklaverei ist des Teufels. Vielleicht wundert dich das. Aber im Grunde ist es doch so: Die Schwarzen sind schwach und unwissend, ich bin stark und klug. Ich mag nicht arbeiten, also tut es mein schwarzer Bruder. Er soll das Geld verdienen, ich will es ausgeben. Das ist Sklaverei. Es gibt keinen Missbrauch der Sklaverei. Die Sklaverei an sich ist Mist! Und das Land geht nur darum nicht daran zu Grunde, weil es Menschen gibt, die besser sind als die Gesetze."

"Warum lässt du dann deine Sklaven nicht frei, Augustin?", fragte Miss Ophelia.

"So weit bin ich noch nicht. Von den älteren Dienern wollte ich mich nicht trennen, die jüngeren waren Kinder der Alten. Alle waren zufrieden und so blieb alles beim Alten."