Topsy

  • Autor: Beecher Stowe, Harriet

Eines Morgens rief St. Clare seine Kusine zu sich und zeigte ihr ein kleines schwarzes Mädchen von etwa acht Jahren. "Sie ist für dich!", sagte er. Das Mädchen trat von einem Fuß auf den anderen. Ihre Augen glänzten und ihre Zähne waren sehr weiß. Das Haar war zu vielen kleinen Zöpfen geflochten. Ihr Gesicht spiegelte Klugheit, aber auch Verschlagenheit. Das Kleid war schmutzig und zerrissen.

"Was soll ich mit diesem Wesen?", Miss Ophelia starrte St. Clare entgeistert an.

"Du darfst sie erziehen und unterrichten, so wie du es für richtig hältst." Er wandte sich an das kleine Mädchen. "Topsy, das hier ist deine neue Herrin. Benimm' dich anständig." Das Kind nickte und hielt die Hände artig gefaltet.

"Du predigst doch ständig von Erziehung. Hier kannst du deine Kunst versuchen."

Miss Ophelia schüttelte den Kopf. "Ich habe hier im Haus schon mehr Arbeit als genug."

"Ach, dann gründest du also lieber eine Gesellschaft und schickst ein paar arme Missionare, als dir selbst die Mühe zu machen, sie zu bekehren? Weißt du, die Kleine gehört einem Ehepaar, das sehr viel trinkt. Sie wurde jeden Tag geschlagen. Hey, Topsy, zeig', was du kannst."

Topsy trat vor und begann mit schriller Stimme zu singen. Die Augen rollten, mit Händen und Füßen klatschte sie den Takt und tanzte.

Miss Ophelia war stumm vor Staunen.

St. Clare blinzelte Miss Ophelia an. "Versuch' doch dein Glück und gib ihr eine gute neu-englische Erziehung. Wir wollen doch mal sehen, was dabei herauskommt."

Miss Ophelia brachte Topsy in die Küche und wusch sie gründlich. Auf dem Rücken und auf den Schultern hatte das Kind dicke Narben und Miss Ophelia bekam Mitleid mit ihm.

"Wie alt bist du, Topsy?", fragte sie.

"Weiß nicht."

"Hat deine Mutter dir denn nicht gesagt, wann und wo du geboren bist?"

"Hab' keine Mutter. Bin nicht geboren."

"Gib nicht solche Antworten.", ärgerte sich Miss Ophelia. "Hat dir schon einmal jemand von Gott erzählt? Weißt du, wer dich erschaffen hat?"

"Mich hat niemand erschaffen. Bin einfach gewachsen und Tante Sue hat auf mich aufgepasst." Topsys Augen funkelten. Miss Ophelia seufzte und versuchte es anders. "Kannst du nähen? Oder irgendetwas anderes?"

"Ich kann Wasser holen, Geschirr waschen, Messer putzen und Leute bedienen." Miss Ophelia sandte ein Stoßgebet zum Himmel.

Nach Miss Ophelias Meinung sollten Kinder aufpassen, wenn man mit ihnen sprach, den Katechismus lernen, nähen, lesen und höflich antworten. Wenn ein Kind log, hatte es Schläge zu bekommen. Miss Ophelia handelte streng nach diesen Grundsätzen und bald galt Topsy im ganzen Haus als Miss Ophelias Mädchen.

Miss Ophelia begann damit, Topsy in die Kunst des Bettenmachens einzuweihen. Topsy stand mit feierlicher Miene daneben und lauschte den Ausführungen Miss Ophelias. Sie stellte sich nicht ungeschickt an, steckte aber in einem unbeobachteten Moment gleich ein paar Handschuh und ein Seidenband in ihren Ärmel. Unglücklicherweise flatterte das Ende des Seidenbandes aus dem Ärmel heraus und erregte Miss Ophelias Aufmerksamkeit.

"Was ist das? Hast du etwas gestohlen?"

"Oh nein, Miss. Ich habe das Band noch nie gesehen."

"Jetzt lüge nicht auch noch. Hast du dieses Band eingesteckt?"

"Oh nein! Ich war es nicht. Und wenn du mich den ganzen Tag schlägst." Sie begann zu heulen. "Es muss in meinen Ärmel geschlüpft sein."

Die erboste Miss Ophelia packte das Mädchen und schüttelte es. Dabei fielen die Handschuhe zu Boden.

"Ich bin böse!", schluchzte Topsy. "Mächtig böse, Frau."

"Was hast du noch gestohlen? Gestehe es."

Topsy schluchzte. "Ich habe das rote Halsband genommen von Miss Eva genommen. Und die roten Ohrringe von Rosa."

"Dann bring' alles sofort her."

"Nein. Das geht nicht. Es ist alles verbrannt." Topsy weinte herzzerreißend. "Ich bin schlecht und kann nichts dafür."

Eva trat ins Zimmer. Sie trug das rote Halsband.

"Wo hast du das Halsband her?", fragte sie erstaunt.

"Ich trage es schon den ganzen Morgen. Wieso?" Eva war verwirrt. Bevor Miss Ophelia antworten konnte, trat Rosa ins Zimmer und brachte einen Stapel frischer Wäsche. In ihren Ohren tanzten die Korallenohrringe. Miss Ophelia musste sich setzen.

"Wieso hast du gesagt, du hast diese Dinge erst gestohlen und dann verbrannt?"

Topsy zuckte mit den Schultern. "Frau hat doch gesagt, ich soll gestehen. Und da sind mir eben diese Dinge eingefallen."

"Aber das war doch auch eine Lüge! Du solltest mir doch keine Sachen erzählen, die nicht stimmen."

Topsy tat erstaunt. "Ach so."

"Arme Topsy.", bemerkte Eva mitleidig. "Du musst nicht stehlen. Ich gebe dir alle meine Sachen, wenn du versprichst, nicht mehr zu stehlen."

Topsy grinste Eva überrascht an, konnte aber diese Freundlichkeit nicht glauben. Miss Ophelia war ratlos und sperrte Topsy fürs erste in eine dunkle Kammer. Zu St. Clare sagte sie: "Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich muss sie wohl schlagen, wenn ich mit ihr fertig werden will." St. Clare lachte. "Schlag sie, soviel dein Herz begehrt. Ich habe gesehen, womit dieses Kind schon geschlagen wurde. Du wirst fest zuschlagen müssen, um noch Eindruck auf sie zu machen."

Miss Ophelia gab nicht auf und begann Topsy das Lesen und das Nähen beizubringen. Im Lesen war Topsy sehr aufgeweckt und lernte die Buchstaben wie durch Zauberei. Bald war sie imstande, einfache Texte zu lesen. Dafür das Nähen umso schwieriger. Topsy hasste das Stillsitzen beim Nähen. Sie zerbrach die Nadeln oder warf sie heimlich aus dem Fenster. Sie zerriss die Fäden oder warf die ganze Garnrolle fort. Miss Ophelia wunderte sich zwar, das Topsy beim Nähen immer in Schwierigkeiten geriet, konnte sie aber nie dabei erwischen, dass sie etwas mit Absicht fortwarf oder verdarb.

Die Dienerschaft mied Topsy, denn es hatte sich herausgestellt, dass immer gleich etwas unangenehmes passierte, wenn man Topsy zurechtgewiesen hatte. Sie war schlau genug, nie eine Spur zu hinterlassen, auch wenn alle wussten, wer die bösen Streiche spielte. Da sich keiner Ärger einhandeln wollte, ließen alle Topsy in Ruhe.

Topsy war gelehrig und flink - wenn sie wollte. Dann konnte sie die Arbeiten aufs Beste verrichten und Miss Ophelia hatte nichts an ihr auszusetzen. Alle paar Tage aber überkam es Topsy und dann stellte sie alles auf den Kopf, warf alles durcheinander statt aufzuräumen, verstreute Tücher und Laken auf dem Fußboden und veranstaltete allerlei Theater.

Wenn Miss Ophelia sie dann zur Rede stellte, antwortete sie: "Sie müssen mich eben schlagen. Meine alte Herrin hat mich immer versohlt. An Arbeiten ohne Hiebe bin ich nicht gewöhnt."

Miss Ophelia versuchte, Topsys Rat zu folgen und sie zu schlagen. Topsy erhob ein fürchterliches Geschrei, sie ächzte und flehte und saß anschließend kaum eine halbe Stunde später im Hof bei den anderen Kinder und sagte: "Miss Ophelia kann nicht prügeln. Meine alte Herrin - ja die. Da flog das Fleisch in Fetzen, aber Miss Ophelia kann das gar nicht!"

Jeden Sonntag bemühte sich Miss Ophelia, Topsy den Katechismus einzutrichtern. Topsy hatte ein gutes Gedächtnis und das bestärkte Miss Ophelia in ihrem Tun.

"Macht es Sinn, sie Dinge lernen zu lassen, die sie nicht versteht?", fragte St. Clare.

"Das macht gar nichts. Sie lernt es jetzt und versteht es später, wenn sie groß ist." Miss Ophelia ließ sich nicht beirren. St. Clare lachte. "Wie du meinst. Unterrichte sie nur weiter. Ich bin zwar schon groß, aber ich verstehe immer noch nicht alles." Er blinzelte Topsy zu. Ihm gefiel das kleine schwarze Mädchen. Sie wusste dies und suchte oft bei ihm Schutz, wenn ihr Ärger drohte. Außerdem schenkte er manchmal ein bisschen Geld, das sie gleich für Süßigkeiten und Nüsse ausgab. Aber Topsy teilte diese mit den anderen Kindern, denn sie war trotz ihrer Boshaftigkeit großherzig und freimütig.