Die Wanderschaft zum Haus Shaws

  • Autor: Stevenson, Robert Louis

An einem Morgen im Juni des Jahres 1751 zog ich zum letzten Mal den Schlüssel aus dem Tor meines väterlichen Hauses. Ich ging bis zum Pfarrhaus, wo schon der gute Mister Campbell, unser Pfarrer von Essendean, auf mich wartete. Er nahm meine Rechte in seine beiden Hände.

"Also, Davie, mein Junge", sagte er, "ich werde bis zur Furt mit dir gehen und dich auf den richtigen Weg bringen. Bist du traurig, dass du von Essendean fort gehst?"

"Ach, wenn ich wüsste, wohin die Reise geht oder was aus mir werden soll, dann würde ich es Euch offen sagen!", gab ich zurück. "Essendean ist ein guter Ort, und ich war glücklich hier. Aber nun, wo meine Eltern beide verstorben sind, möchte ich gern etwas anderes kennen lernen."

"Davie", sagte Mister Campbell, "dann ist für mich jetzt der Augenblick gekommen, von deiner Zukunft zu sprechen. Als deine Mutter schon von uns gegangen war und sich das Ende deines Vaters näherte, gab er mir einen Brief zum Aufbewahren. Dieser, sagte er, sei dein Erbe. Wenn nach seinem Tod alles geregelt wäre, solle ich dir diesen Brief geben und dich zum Haus Shaws schicken, das unweit von Cramond gelegen ist. Von dort ist dein Vater hergekommen, und du sollst dorthin zurückkehren."

"Das Haus Shaws!", rief ich aus. "Was hatte mein armer Vater mit dem Hause Shaws zu tun?"

"Wer könnte das sicher sagen?", antwortete Mister Campbell. "Aber der Name jener Familie ist dein eigener: Balfour von Shaws. Es ist ein altes, ehrenwertes, angesehenes Haus, das allerdings in letzter Zeit vom Niedergang betroffen war. Dein Vater war ja auch ein gelehrter Mann, der mit Recht Unterricht erteilt hat. Wesen und Sprechweise hatte er nicht von einem gewöhnlichen Schulmeister, woran du dich selbst erinnern kannst. Ich habe ihn gern in die Pfarre eingeladen, in die Gesellschaft des Adels, und alle hoch angesehenen Herrn haben Vergnügen an seiner Gesellschaft gefunden."

Damit übergab mir Mister Campbell das Testament. Mir, einem sechzehnjährigen Jungen, dem Sohn eines armen Dorfschulmeisters, klopfte das Herz bei den weittragenden Aussichten, die sich plötzlich auftaten.

"Mister Campbell", brachte ich mühsam hervor, "wenn Ihr in meiner Lage wärt, würdet Ihr gehen?"

"Aber gewiss", erwiderte der Pfarrer, "gewiss und auf der Stelle. Ein tüchtiger Bursche wie du müsste Cramond, das nahe bei Edinburgh liegt, in zwei Wandertagen erreichen können. Geht die Sache übel aus und deine hochgestellte Verwandtschaft, denn ich denke, dass Blut von ihnen in deinen Adern fließt, setzt dich vor die Tür, dann kommst du den kurzen Weg wieder zurück und klopfst an der Pfarre. Aber ich hoffe, dass man dich gut aufnehmen wird. Davie, sei auf deiner Reise wachsam gegen die Gefährlichkeiten der Welt."

Er setzte sich auf einen großen Felsblock unter einer Birke und schärfte mir mit erhobenem Zeigefinger ein, dass ich gegenüber allerlei Irrglauben vorsichtig sein und immer die Bibel lesen soll. Dann entwarf er ein Bild des großen Hauses, in das ich nun kommen sollte, und unterwies mich, wie ich mich seinen Bewohnern gegenüber zu betragen hätte.

"Vergiss niemals, dass du, obwohl von adliger Herkunft, doch nur nach ländlicher Sitte erzogen bist. Beschäme uns nicht, Davie, blamiere uns nicht! In jenem großen, vornehmen Haus, wo viele Dienstboten sein werden, tritt liebenswürdig auf, umsichtig, suche rasch zu begreifen, aber halte voreilige Reden zurück! Was den Laird angeht, so vergiss nie, dass er eben der Laird ist. Es ist eine Freude, einem Laird zu gehorchen."

"Jawohl, Herr Pfarrer", sagte ich darauf, "das mag sein. Ich verspreche Euch, dass ich versuchen will, es so zu halten."

Schließlich zog Mister Campbell ein Päckchen aus seinem Rock.

"Es enthält vier Dinge. Das erste gehört dir von Rechts wegen. Es ist das bisschen Geld für die Bücher und den Hausrat deines Vaters, die ich selbst gekauft oder an den neuen Lehrer verkauft habe. Die anderen drei Dinge sind Geschenke von mir und meiner Frau. Das erste ist rund. Möglicherweise wird es dir auf den ersten Blick am meisten zusagen. Aber, mein Junge, es ist nicht mehr als ein Wassertröpfchen im Meer. Es wird dir vielleicht nur einen Schritt vorwärts helfen und dann vergeht es wie die Morgenstunde.

Das zweite ist flach und viereckig, und es steht etwas darauf geschrieben. Es wird dir im Leben eine Stütze sein, ein guter Wanderstab, und wenn du krank bist, ein gutes Kopfkissen.

Das letzte, das würfelförmig ist, soll dich geleiten in ein besseres Leben."

Damit stand er auf, nahm seinen Hut ab und betete eine Weile mit bewegenden Worten für einen jungen Mann, der hinaus in die Welt geht. Dann nahm er mich plötzlich in seine Arme und drückte mich fest an sich. Schließlich wandte er sich um, rief mir ein Lebwohl zu und ging den Weg zurück.

Da setzte ich mich auf den Stein und öffnete das Päckchen um zu sehen, was es für Geschenke wären. Das würfelförmige enthielt eine kleine Bibel. Was er ‚rund' genannt hatte, stellte sich als ein Schillingstück heraus; und das dritte, das mir in gesunden und kranken Tagen so wunderbar helfen sollte, war ein kleines Stück groben gelben Papiers, auf dem mit roter Tinte ein Rezept für Maiglöckchenwasser geschrieben stand. Dieses sollte bei allen möglichen Krankheiten helfen.

Ich lachte darüber, aber es war ein etwas bängliches Lachen. Ich schulterte das Bündel an meinem Wanderstab und marschierte durch die Furt und auf der anderen Seite den Berg hinauf.