Was sich an der Fähre zutrug

  • Autor: Stevenson, Robert Louis

Als wir im Wirtshaus angelangt waren, führte uns Ransome sofort die Treppe hinauf in einen kleinen Raum. An einem Tisch saß ein großer, schwarzbärtiger, ernst dreinblickender Mann und schrieb. Dieser Kapitän sah kühl, besonnen und beherrscht aus. Er stand sogleich auf, kam uns entgegen und bot Ebenezer seine große Hand.

"Ich freue mich, Euch zu sehen, Mister Balfour", sagte er mit klangvoller, tiefer Stimme, "und besonders, weil Ihr so rasch gekommen seid. Der Wind ist günstig, und die Flut wendet gerade."

Im Zimmer war es sehr warm. Der Kapitän sagte, dass er es so liebe. Ich hatte mir zwar vorgenommen, meinen Oheim nicht aus den Augen zu lassen, aber ich war echt ungeduldig, näher ans Meer zu kommen. Da mir von der stickigen Luft im Zimmer übel wurde, beging ich eine unverzeihliche Torheit. Ich gehorchte meinem Oheim, als er sagte, dass ich eine Weile hinuntergehen und mir die Zeit vertreiben soll.

So ließ ich die beiden Männer bei einer Flasche und einer Menge von Papieren sitzen, ging bei dem Wirtshaus über die Straße und gelangte so zum Meeresufer. Das Seewasser roch salzig und belebend. Auf der ‚Covenant' wurden jetzt die Segel losgemacht. Ich dachte an weite Reisen und ferne Länder.

Dann sah ich mir die Seeleute in dem Boot an: große, braungebrannte Kerle, einige mit Tüchern um den Hals, einer mit zwei Pistolen in den Taschen, ein paar bewaffnet mit Knotenstöcken, alle mit Dolchen. Ich fragte einen von ihnen, der nicht ganz so schrecklich aussah, nach dem Auslaufen der Brigg. Er erwiderte, dass es mit einsetzender Ebbe losgehe, fluchte dann aber derart fürchterlich, dass ich schnell weglief.

Bald kam Ransome aus dem Wirtshaus zu mir gelaufen. Er bettelte mich um ein Glas Punsch an, aber ich antwortete, dass das nichts für unser Alter sei. "Aber ein Glas Bier kannst du haben." Er bedachte mich dafür mit hässlichen Namen, war aber schließlich doch froh, ein Bier zu bekommen. Nach einer Weile saßen wir im Vorderzimmer des Wirtshauses und aßen und tranken beide voller Lust.

Der Wirt fragte mich später, ob ich ein Verwandter von Ebenezer sei. Ich verneinte, aber er erwiderte, dass ich ihn irgendwie an Mister Alexander erinnere. Ich fragte ihn nach Ebenezer und er sagte: "Er ist ein schlimmer alter Kerl, und viele hier würden gern ein Seil um seinen Hals sehen, zum Beispiel Jennet Clouston und noch manch einer, den er um Haus und Hof gebracht hat. Früher war er ein feiner junger Bursche. Aber das war, als das Gerücht über Mister Alexander noch nicht aufgekommen war, denn das war eine Art Todesurteil für ihn."

"Was für ein Gerücht?", fragte ich.

"Na, dass er ihn umgebracht haben soll", sagte der Wirt. "Habt Ihr das nie gehört?"

"Und warum sollte er ihn umgebracht haben?", fragte ich.

"Na, warum denn? Um das Anwesen zu bekommen!", gab er zurück.

Nun fragte ich weiter: "War Alexander der ältere Sohn?"

"Natürlich", sagte der Wirt, "warum hätte er ihn sonst umgebracht?"

Damit ging er von unserem Tisch. Gewiss, ich hatte das längst vermutet, aber ich konnte es nicht glauben, dass ich nun ein Reicher sein sollte, ein Haus besitzen und Ländereien. Eine ganze Weile hing ich meinen Träumereien nach.

Dann sah ich aus dem Fenster und erblickte Kapitän Hoseason, der bei seinen Leuten stand und eindringlich - befehlend zu ihnen sprach. Nach einer Weile kam er wieder auf das Haus zu. Er hatte eine schöne, hoch gewachsene Gestalt, und auf seinem Gesicht lag noch immer der ernste, beherrschte Ausdruck. Ich fragte mich, ob Ransomes Geschichten wahr sein könnten, denn sie passten so gar nicht zum Aussehen dieses Mannes. Ich sollte aber noch erfahren, dass sich in dem Kapitän zwei Männer vereinten, aber den besseren ließ er leider an Land, sobald er den Fuß an Bord seines Schiffes setzte.

Schließlich rief mich mein Oheim. Ich traf ihn und den Kapitän auf der Straße, und der Kapitän sprach mich an, als wären wir beide völlig gleichen Ranges. "Sir", sagte er, " Mister Balfour hat mir viel Gutes von Euch erzählt. Ich wünschte, ich wäre länger hier! Vielleicht würden wir gute Freunde. Kommt eine halbe Stunde auf meine Brigg, bis die Ebbe einsetzt, und trinkt ein Glas mit mir!"

Ich hätte das Schiff zwar zu gern von innen gesehen, aber ich wollte mich nicht auf dieses Wagnis einlassen. So sagte ich ihm, dass mein Oheim und ich eine Verabredung mit einem Anwalt hätten.

Darauf erwiderte er, dass uns seine Matrosen dann mit dem Boot an Land bringen würden. Dann beugte er sich plötzlich herab und flüsterte mir ins Ohr: "Nehmt Euch in acht vor dem alten Fuchs! Er meint's nicht gut. Kommt auf's Schiff, damit ich Euch ein Wort darüber sagen kann!" Dann schob er seinen Arm unter den meinen und fuhr mit lauter Stimme fort: "Nun, was darf ich Euch von der Reise mitbringen? Ein Freund von Mister Balfour braucht nur zu befehlen. Tabak? Indianischen Federschmuck? Ein Fell von einem wilden Tier? Eine Steinpfeife? Einen Kanarienvogel, rot wie Blut? Wählt und sagt, was Euch Spaß machen würde!"

Inzwischen waren wir am Boot angelangt, und er half mir hinein. Ich glaubte, einen Freund und Helfer gefunden zu haben und war glücklich, ein Schiff von innen sehen zu können. Kaum hatten wir alle Platz genommen, stieß das Boot auch schon von Land ab und glitt über das Wasser.

Als wir am Schiff ankamen, staunte ich über seine gewaltige Höhe, über das starke Brausen der Wellen und über die fröhlichen Rufe der Matrosen bei der Arbeit. An Bord angekommen, staunte ich über all das Neue, worauf der Kapitän mich hinwies und wovon er mir Namen und Gebrauch angab.

Plötzlich fragte ich: "Wo ist mein Oheim?"

Da sah mich Hoseason auf einmal hart und feindlich an: "Ja, das ist so eine Sache!"

Ich machte mich mit aller Kraft von ihm frei und rannte zur Reling. Da fuhr das Boot, fuhr zur Stadt zurück, und mein Onkel saß drin. Ich schrie: "Hilfe! Hilfe! Mord!" Da wandte mein Oheim mir sein Gesicht zu. Es war grausam und Schrecken erregend. Dann zerrten mich starke Hände von der Reling weg, mir war, als träfe mich ein Donnerschlag und mir schwanden die Sinne.