Im Verlies der Königin

  • Autor: Twain, Mark

Ich traf also Vorkehrungen und ließ die Familie frei. Die offizielle Version war, dass der Hirsch die Felder des Mannes verwüstet habe und er das Tier im Affekt getötet hatte, was ich als mildernde Umstände ansah.

Morgan wollte oder konnte das nicht verstehen und schmollte ausgiebig. Ich hatte genug von diesem schauerlichen Ort gesehen und wollte gehen. Doch mein Gewissen plagte mich, da ich wusste, dass noch viele unglückliche Kreaturen im Gefängnis von Morgan vegetierten.

So fasste ich den Mut und erklärte der Königin, dass in Camelot und den benachbarten Burgen eine allgemeine Gefangenenbefreiung vorgenommen wurde, und ich mit ihrer Erlaubnis gerne ihre Kollektion überprüfen wolle.

Sie sträubte sich, aber das hatte ich erwartet. Schließlich gab sie nach.

Siebenundvierzig Gefangene holte ich aus ihren grässlichen Rattenlöchern. Nur einen ließ ich dort, der hatte einen Verwandten der Königin umgebracht.

Als meine Prozession menschlicher Fledermäuse in die freie Luft ging, boten sie ein schauerliches Schauspiel: Skelette, Vogelscheuchen, Gnome, jeder Einzelne in einem erbarmungswürdigen Zustand.

"Ich wünschte, ich könnte sie fotografieren!", murmelte ich geistesabwesend vor mir her.

Kennt ihr diese Menschen, die niemals zugeben würden, ein hochtrabendes Wort nicht zu kennen? Zu dieser Sorge gehörte Morgan la Faye. Sie zögerte einen Augenblick und meinte dann:

"Ich mache es für Sie!"

Was konnte diese Frau von Fotografie wissen? Als ich mich umsah, ging sie auf die Menschen mit einer Axt los! Sie hatte keine Ahnung, aber es sah ihr ähnlich, dass sie es im Zweifel gleich mit einer Axt versuchte. Mit viel Mühe konnte ich sie davon abhalten.

Am nächsten Morgen reisten Sandy und ich weiter. Das arme Mädchen hatte seine Plappermühlen in den letzten Tagen mehr oder weniger ruhen lassen müssen. Deshalb schaltete ich meine Ohren auf Durchzug und ertrug ihren Redestau.

Zwischen sechs und neun Uhr legten wir zehn Meilen zurück - eine gute Strecke für ein dreifach beladenes Pferd, mit Mann, Frau und Rüstung. Unter ein paar Bäumen legten wir eine lange Rast ein. Bald kam ein Ritter des Weges, den ich schon von Weitem vor sich hinjammern hörte.

Bei sich trug er eine Anzeigetafel mit den Worten: Petersons prophylaktische Zahnbürste - keine ist besser. Welch ein Glück! Aber ich sollte diesen Umstand vielleicht näher erklären. Was macht ein Ritter im 6. Jahrhundert mit einer Werbetafel für Zahnbürsten? Das war selbstverständlich eine Idee von mir.

Die Hygienebedingungen, die ich bei meiner Ankunft vor vielen Jahren angetroffen hatte, hatten mich schockiert. Wie sollte man jedoch den sturen Köpfen eintrichtern, dass ein Stück Seife und eine Zahnbürste zum täglichen Umgang gehörten? In meinen Fabriken ließ ich die Gegenstände herstellen und sandte zahlreiche Botenritter im gesamten Land, die sozusagen als freie Handelsvertreter die Hygieneartikel unters Volk bringen sollten.

Nun war dieser arme Ritter ausgerechnet meinen entlassenen Gefangenen begegnet, die teilweise seit zwanzig Jahren nicht mal mehr einen Zahnstummel im Mund trugen. Dabei hatte er beim Anblick der Gruppe das große Geschäft gewittert.

Ich fand tröstende und aufmunternde Worte für den fleißigen Händler und er zog seiner Wege. Auch Sandy und ich ritten weiter. In den nächsten Stunden merkte ich, wie Sandy immer unruhiger wurde. Sie erklärte mir, dass wir uns der Burg des Ungeheuers näherten. Wir bogen um eine Kurve und sie flüsterte atemlos:

"Die Burg! Seht Ihr, wie so hoch emporragt?"

Welch eine Enttäuschung ich jetzt erlebte!

"Burg? Das ist nichts weiter als ein Schweinestall mit einem Zaun!"

Sie sah überrascht aus und blickte gedankenverloren drein. Plötzlich sagte sie:

"Als ich fortgegangen bin, um Hilfe zu holen, war sie noch nicht verzaubert. Der Zauber bewirkt offenbar, dass ich die Burg sehe und Ihr nicht."

Was sollte ich darauf antworten. Es wäre reine Zeitverschwendung gewesen, Sandy ihre Täuschung auszureden, also ließ ich mich darauf ein.

"Macht euch keine Sorgen - offenbar sind nur meine Augen verzaubert. Ich weiß ja nun, dass ein scheinbares Schwein eine Dame ist, das genügt. Ich werde nicht eine Prinzessin im Stall lassen."

Ich machte mich auf zu den Schweinhirten, die Sandy für die gefährlichen Riesen hielt, und kaufte alle Damen für sechzehn Pennies ab, was ein guter Preis war. Sandy strahlte vor stolz und öffnete die Stalltüre, um ihre adligen Freunde frei zu lassen. Sie umarmte die fürstlichen Rüssel und sprach sie mit ihren adligen Namen an. Ich schämte mich für sie!

Wir mussten die Schweine nach Hause treiben - zehn Meilen weit. Die unleidlichste alte Sau musste Mylady oder Eure Hoheit genannt werden. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit waren wir am Ziel. Natürlich wurde die Gesellschaft im Wohnhaus einquartiert. Heiliges Kanonenrohr, so etwas hatte ich noch nie gerochen!