6. KapitelIn dem Don Quichotte zum „Ritter von der traurigen Gestalt“ ernannt wird

  • Autor: Cervantes, Miguel de

Sancho Pansa war zwar nicht der hellste Kopf, aber er wusste doch, dass ein Pfund Rindfleisch eine gute Suppe ergibt. Dagegen sagte Don Quichotte gern „Ein echter Ritter nährt sich von den Gräslein und Kräutern der Wiese“, um sich dann ungeniert aus Sanchos Proviantsack zu bedienen. Deshalb war es für beide ein schwerer Verlust, dass sie nach dem Abenteuer in der Schenke die ganze Marschverpflegung dem Wirt zur Bezahlung lassen mussten.

Mit knurrendem Magen schleppten sie sich über die Landstraße. Es war schon dunkel, da sahen sie plötzlich eine seltsame Erscheinung: Gestalten in weißen Hemden, die eine Bahre trugen. Ein Leichenzug war’s, doch diesmal glaubte sogar der sonst so handfeste Sancho, dass es Gespenster seien. Ihm klapperten alle Zähne.

Wie der Blitz sprang Don Quichotte – hast du nicht gesehen - mitten in die Gesellschaft hinein und teilte seine Hiebe aus. Schon ging ein Maultier zu Boden und riss seinen Reiter mit sich. „Ai, ai, ai“, schrie dieser, „was tut ihr denn da?“ Don Quichotte hielt ihm die Lanze vor die Nase und sagte: „Ihr Übeltäter, wer von euch hat den Ritter in eurer Mitte getötet? „Keiner“, jammerte der Mann, „krank war er und jetzt helft mir endlich unter meinem Maultier hervor, bevor es mir das Bein ganz abquetscht.“ „Ach so“, meinte Don Quichotte, „Warum sagt ihr denn das nicht gleich?“

Dann schrie er Sancho zu Hilfe, doch der war beschäftigt – er musste sich erst etwas Proviant zusammenklauen. Aus seinem Mantel machte er einen Sack, packte ihn mit Essbarem voll und schnürte ihn dann an seinem Esel fest. Als er endlich die Hände frei hatte, zerrte er den Unglücklichen unter dem Muli hervor und erklärte ihm: „Wenn ihr gefragt werdet, wer Euch diese Wunden geschlagen hat, so sagt einfach: Es war der Ritter von der traurigen Gestalt.“

So ritten sie weiter in die Nacht hinein. Sancho kaute auf einem Stückchen Salami, Don Quichotte war tief in Gedanken versunken. Plötzlich riss er den Rosinante an den Zügeln und dreht sich zu Sancho Pansa um:

„Wie kommst du eigentlich auf den Namen ‚Ritter von der traurigen Gestalt’?“

„Ach“, zuckte Sancho die Achseln, „ihr habt eben so jämmerlich ausgesehen.“

Don Quichotte sann noch ein Weilchen darüber nach und erklärte dann zufrieden: „Sicher hat dir das der Zauberer eingegeben, der die Aufgabe hat, die Geschichte von meinen Heldentaten in aller Welt bekannt zu machen. Denn du musst wissen: Jeder große Ritter hat auch einen Beinamen. So heißt einer ‚Der vom flammenden Schwert’, ein anderer ‚Der vom Einhorn’, noch einer ‚Der von den Jungfrauen’ und einer gar ‚Der vom Tod’.“

Sie machten sich wieder auf den Weg und Don Quichotte beschloss, sich im nächsten Dorf einen Schild mit seinem neuen Wappen – einer gar traurigen Figur – schmieden zu lassen. Doch Sancho brummte: „Das Geld könnt ihr euch sparen. Wenn man euch so ansieht, so klapperdürr, ohne Backenzähne und überall blau geschlagen, seid ihr selbst die allertraurigste Gestalt, die man sich nur vorstellen kann.“