Der Rote Fuchs findet den Tod

  • Autor: Stevenson, Robert Louis

Am nächsten Tag machte Mister Handerland einen Mann ausfindig, der mich mit seinem Boot nach Appin mitnahm.

Gegen Mittag fuhren wir los. Es war ein düsterer Tag, aber das Meer lag tief und still, kaum eine Welle regte sich.

Kurz nachdem wir losgefahren waren, bewegte sich ein roter Fleck am Ufer. Ich fragte meinen Bootsführer, was das zu bedeuten habe. Seine Antwort lautete, dass es wahrscheinlich ein Trupp Soldaten sei, der zu den Pächtern unterwegs ist.

Endlich kamen wir an die Landspitze von Lettermore, wo ich mich absetzen ließ, denn das war die Heimat von Alan. Am Wegrand, wo eine Quelle aus dem Boden kam, setzte ich mich hin und dachte über meine Lage nach. Was sollte ich tun? Sollte ich mich wirklich mit Alan verbinden oder lieber wie ein vernünftiger Mensch zurück nach Süden wandern?

Ich saß noch so, als ich Männer und Pferde durch den Wald kommen hörte. Nach einer Weile sah ich die vier Reisenden. Da der Weg schmal und uneben war, gingen sie einzeln und führten ihre Pferde an den Zügeln.

Der erste war ein großer rothaariger Edelmann mit herrischer Miene. Er trug den Hut in der Hand und fächelte sich Luft damit zu.

Den zweiten erkannte ich an seinem schwarzen Gewand und seiner Perücke als Anwalt.

Der dritte war ein Diener, auf dessen Pferd ein großer Sack geschnallt war. Dazu hing ein Netz mit Zitronen zum Punschbrauen am Sattel, wie dies bei bemittelten Reisenden in jenem Teil des Landes öfter vorkam.

In dem vierten erkannte ich einen Gehilfen des Grafschaftsrichters.

Als ich die Leute erblickte, wusste ich plötzlich, dass ich meinen Plan fortsetzen würde. Als der erste bei mir angelangt war, fragte ich ihn nach dem Weg zu Jakob von der Schlucht. Mir war von seinem Äußeren her klar, dass ich an Colin Roy Campbell, genannt der ‚Rote Fuchs', geraten war. Er musterte mich seltsam und fragte, was ich dort zu suchen hätte.

"Den Mann, der dort wohnt", gab ich zurück.

"Jakob von der Schlucht …", sagte er nachdenklich und zu seinem Anwalt gewandt: "Sammelt er seine Leute? Was meint Ihr?"

Dieser entgegnete: "Auf jeden Fall wäre es besser hier zu warten, bis die Soldaten kommen."

"Wenn Ihr meinetwegen unruhig seid", sagte ich jetzt, "so sollt Ihr wissen, dass ich weder zu jenen noch zu Euch gehöre. Ich bin ein ehrlicher Untertan von König Georg."

"Gut gesprochen", erwiderte Colin Roy Campbell, "aber was treibt dieser ehrliche Untertan so fern seiner Heimat und warum sucht er diesen Mann? Ich muss dir sagen, dass ich hier die Macht habe! Ich bin der Vertreter des Königs auf vielen Gütern, und zwölf Züge Soldaten stehen zu meiner Verfügung."

Er wollte sich zu seinem Anwalt umdrehen, aber in dem Augenblick ertönte ein Schuss vom Berg herab, und er brach auf dem Weg zusammen.

Der Anwalt hatte ihn aufgefangen und hielt ihn in seinen Armen. Der Diener stand über ihn gebeugt und schlug die Hände zusammen. Der Getroffene blickte mit erschrockenen Augen von einem zum anderen, und seine Stimme klang schauerlich, als er sagte: "Gebt acht auf Euch selbst! Ich bin fertig …" Er stieß einen tiefen Seufzer aus, sein Kopf fiel auf die Schulter, und er verschied.

Der Anwalt sagte kein Wort. Der Diener brach in lautes Schreien und Weinen aus wie ein Kind, und ich stand da und starrte auf alles in entsetzlichem Schrecken. Schließlich begann ich den Berg hinauf zu klettern mit dem Ruf: "Der Mörder! Der Mörder!"

Als ich auf die Höhe des ersten Steilhanges gelangte, sah ich ihn weglaufen. Er war ein starker Mann, schwarz gekleidet, trug Metallknöpfe am Rock und hatte eine lange Vogelflinte bei sich.

Ich rannte ihm nach, als mir eine Stimme zurief, ich solle stehen bleiben. Ich sah beim Zurückblicken den Anwalt und den Gehilfen des Richters auf dem Weg stehen. Zu ihrer Linken kamen die Rotröcke aus dem Wald.

"Warum soll ich zurück?", rief ich ihnen zu. "Kommt Ihr doch herauf!"

"Zehn Pfund dem, der ihn fängt!", brüllte darauf der Anwalt. "Er ist mit im Spiel! Er hat hier gestanden, um uns mit seinen Reden aufzuhalten!"

Bei diesen Worten stand mir das Herz still, denn die Soldaten schwärmten schon aus.

Da sagte dicht neben mir eine Stimme: "Duck dich hier ins Gesträuch!"

Ich wusste kaum, was ich tat, aber ich gehorchte der Stimme. Im Schutz der Bäume stand Alan Beck. "Komm!", sagte er und rannte los. Ich folgte ihm. Wir rannten oder krochen auf allen vieren durchs Heidekraut. Von fern hörte ich das laute Schreien der Soldaten.

Schließlich wechselte Alan die Richtung, und wir bewegten uns noch vorsichtiger als bisher auf dem gleichen Weg zurück, den wir gerade gekommen waren, nur vielleicht etwas höher. Endlich kamen wir im oberen Wald von Lettermore an, dort, wo ich ihn zuerst getroffen hatte. Keuchend und völlig außer Atem warfen wir uns auf den Boden.