Das Letzte auf Erden

  • Autor: Beecher Stowe, Harriet

Kein Tod ist wie der deine, kleine Eva! Bei dir hat er weder Düsternis noch Schatten. Du bist strahlend vergangen wie der Morgenstern.... Das waren St. Clares Gedanken, als er vor seiner toten Tochter stand, die dort auf dem weiß verhangenen Bett ruhte. Adolfo und Rosa hatten das Zimmer geschmückt. Als Rosa mit einem Korb weißer Rosen das Zimmer betrat, stahl auch Topsy sich herein, um eine halb erblühte Pfingstrose neben Eva zu legen. Mit einem wilden Schluchzen warf sie sich neben dem Bett zu Boden. "Ich wollte, ich wäre auch tot. Sie hat gesagt, dass sie mich lieb hat. Nun gibt es niemanden mehr." Miss Ophelia eilte heran, hob Topsy vom Boden auf und führte sie aus dem Zimmer. St. Clare traten die Tränen in die Augen. Einer nach dem anderen verabschiedete sich von der zarten, zerbrechlichen Gestalt.

Nach dem Begräbnis wurde es still in St. Clares Haus. Marie lag in ihrem Zimmer, klagend und schluchzend. In ihrer angeblichen Trauer nahm sie das gesamte Personal in Anspruch. Dieses hatte keine Zeit zu trauern. Nur Tom blieb in der Nähe von St. Clare. "Ach Tom.", flüsterte St. Clare und griff nach Toms Hand. "Die ganze Welt erscheint mir so leer." Tom nickte. "Ich kenne das. Als ich verkauft wurde und Weib und Kinder verlassen musste, war ich fast gebrochen. Der Heiland hat mir beigestanden." St. Clare legte seinen Kopf an Toms Schulter und hielt seine Hand.

Die Zeit verging. St. Clare hatte unbewusst alle seine Hoffnungen und Lebensinteressen auf Eva gerichtet. Nun war sie fort. Das Leben machte keinen Sinn mehr. Und in mancher Hinsicht hatte Evas Tod St. Clare auch verändert. Er war nicht mehr so schnell in seinem Urteil und sein Spott war nur noch selten zu hören. Er las in Evas Bibel und hatte nicht vergessen, dass er ihr versprochen hatte, die Sklaven frei zu lassen, wenn sie nicht mehr war. Es fiel ihm schwer, denn besonders Tom war ihm sehr ans Herz gewachsen und er verzichtete nur ungern auf den treuen Diener. Eines Tages rief er Tom: "Tom, ich mache dich bald zu einem freien Mann. Halte dich bereit, deine Koffer zu packen und nach Kentucky zurück zu kehren." Tom war glücklich und dankbar. "Ich bleibe noch. Ich kann nicht gehen, solange der Herr noch Kummer hat." St. Clare sah Tom an. "Wann wird mein Kummer vorüber sein, Tom?" "Nun, wenn der Herr bekehrt ist." Für Tom war alles ganz einfach.

Nur wenig später trat Miss Ophelia zu St. Clare. "Wem gehört Topsy eigentlich? Soll sie mein sein oder dein?" St. Clare sah seine Kusine an. "Sie soll natürlich dein sein. Ich habe sie dir geschenkt." "Aber vor dem Recht ist sie noch nicht mein. Ich will, dass sie ganz mein wird." St. Clare sah seine Kusine verwundert an. "Du willst ein Sklavenhalter werden?" Miss Ophelia schüttelte den Kopf. "Natürlich nicht. Ich will, dass sie mir gehört, damit ich sie in die freien Staaten bringen und ihr die Freiheit schenken kann. Du musst diese Sachen regeln, Augustin. Was ist, wenn dir etwas zustößt?" "Was sollte mir schon zustoßen? Ich habe Eva versprochen alle Sklaven frei zu lassen. Ich werde Vorkehrungen treffen." "Wann?" "Noch früh genug! Und nun entschuldige mich. Ich denke, ich werde noch ein Weilchen ausgehen und hören, was es Neues gibt."

Tom, der St. Clare nicht hatte begleiten sollen, saß auf der Veranda und dachte an Kentucky. Bald sollte er ein freier Mann sein! Er überlegte, wie viel er arbeiten müsste, um Chloe und Kinder frei zu kaufen. Und er dachte an die liebe kleine Eva, die nun unter den Engeln weilte. Ein lautes Klopfen unterbrach unsanft seine Gedanken. Er hörte Stimmen am Tor und sprang auf. Was war da los? Tom eilte zum Tor und öffnete es. Mehrere Männer trugen eine Bahre, auf der ein Mann ruhte. Ein Blick in sein Gesicht ließ Tom erkennen, um wen es sich handelte. Es war St. Clare.

St. Clare war in ein Café gegangen, um die Abendzeitungen zu lesen. Dabei war er in einen Streit zwischen zwei anderen Gästen geraten. Als er die Kampfhähne trennen wollte, traf ihn das Messer des einen in die Seite. Alle im Haus waren sehr aufgeregt, Marie lag mit hysterischen Krämpfen danieder. Nur Tom und Miss Ophelia behielten einen klaren Kopf. St. Clare wurde in das Wohnzimmer gebracht, in dem eiligst ein Bett hergerichtet worden war. Er war bewusstlos. Ein Arzt kam. St. Clare schlug die Augen auf. Sein Blick fiel auf Tom. "Armer Bursche!", flüsterte er. "Ich sterbe. Bete für mich." Die Blässe des Todes überfiel St. Clare. Noch einmal setzte er zum Sprechen an. "Ich kehre heim. Endlich!"