Das einsame Eiland

  • Autor: Stevenson, Robert Louis

Ich betrat die Küste, und damit begann die unseligste Zeit meiner Abenteuer. Es war halb ein Uhr nachts und bitter kalt. Damit ich nicht erfriere, zog ich meine Schuhe aus, lief barfüßig auf dem Sand hin und her und schlug mir auf Rücken und Brust, um mich warm zu halten. Kein Laut von Mensch oder Tier drang an mein Ohr. Nur die Brandung brach sich in der Ferne und erinnerte mich an die überstandenen Gefahren.

Als endlich der Morgen dämmerte, zog ich meine Schuhe an und erklomm einen Berg. Weit und breit sah ich auf dem Wasser keine Brigg und auch kein Boot. Angst erfüllte mich bei dem Gedanken an das Schicksal meiner Kameraden von der Brigg.

Mein Magen begann vor Hunger zu knurren, und ich machte mich auf den Weg nach Osten in der Hoffnung, ein Haus zu finden, in dem ich mich wärmen könnte. Als ich nach längerer Wanderung auf eine Höhe kam, wurde mir mit Entsetzen klar, dass ich auf ein kleines, ödes Eiland verschlagen worden war, das an allen Seiten von der salzigen See umspült war.

Die Sonne kam nicht heraus, um mich zu trocknen, vielmehr setzten Regen und dichter Nebel ein. Meine Lage war jammervoll. Was sollte ich tun? Ich wollte mit Hilfe der Rahe an das Festland gelangen, aber ich konnte sie nicht erreichen. Zu weit von meinem Ufer entfernt schwamm sie im tiefen Wasser. Entmutigt warf ich mich in den Sand und begann zu weinen.

Ich hatte nichts in meinen Taschen, was mir geholfen hätte, nur mein Geld und Alans Silberknopf. Ich fand Muscheln und Napfschnecken, die ich, wegen meines großen Hungers, kalt und roh hinunter schlang. Fürs erste kam mir das höchst lecker vor.

Den ganzen Tag über strömte Regen herab. Die erste Nacht verbrachte ich zwischen zwei Felsblöcken, die sich zueinander neigten und etwas wie ein Dach bildeten.

Am zweiten Tag durchsuchte ich das Eiland nach allen Richtungen. Doch alles war öde und felsig. Nichts Lebendiges als Wildvögel, die ich allerdings nicht erlegen konnte. In einer Bucht entdeckte ich eine kleine Hütte, die mehr einem Schweinestall als einem Haus glich. Fischer mochten da schlafen, wenn sie ihrer Arbeit nachgingen. Das Rasendach war eingebrochen, und so nützte sie mir nicht viel. Wichtig war, dass ich an dieser Stelle bei zurückgehender Flut massenhaft Napfschnecken finden konnte.

Von einer Stelle an einem Berghang in der Nähe der Bucht konnte ich auf dem Festland die große Kirche und die Dächer der Häuser von Iona erspähen. Ich sah auch, wie an einer anderen Stelle morgens und abends Rauch aufstieg, der sicher von einer Wohnstätte aus einem Tal kam.

Diesen Rauch pflegte ich zu beobachten, wenn ich nass und kalt und vor Einsamkeit halb verrückt war. Einerseits waren die Gedanken an menschliche Wohnstätten mit warmen Kaminen fast unerträglich, andererseits hielten sie meine Hoffnungen auf eine Rettung wach. Sie erleichterten es mir auch, meine rohen Muscheln zu verschlingen, die mir inzwischen widerlich geworden waren.

Solange es hell war, hielt ich Ausschau nach Booten, ohne Erfolg.

Am dritten Morgen war meine Lage wirklich jammervoll. Die Kleider verfaulten mir direkt am Leib, vor allem meine Strümpfe waren völlig zerfetzt, so dass ich mit nackten Beinen herumlief. Mein Hals war heftig entzündet, meine Kräfte stark gemindert. Ich hatte einen solchen Ekel vor dem grässlichen Zeug, das ich essen musste, dass mich schon der bloße Anblick zum Brechen reizte.

Es gab auf meiner Insel einen ziemlich hohen Felsen, auf den ich mich immer zum Trocknen legte, sobald die Sonne herauskam. An jenem Tag kam plötzlich ein Boot mit braunem Segel und zwei Fischern an Bord in rascher Fahrt nach Iona heran. Ich rief sie an. Ich ging in die Knie und streckte bittend die Hände nach ihnen aus. Es gab keinen Zweifel, dass sie mich bemerkten, aber sie riefen mir nur auf gälisch etwas zu und lachten!

An solche Bosheit konnte ich nicht glauben! Ich rannte mit, von Stein zu Stein an der Küste springend, und schrie erbärmlich. Ich glaubte, das Herz müsse mir brechen. Ich heulte und brüllte, wie ein ungezogenes Kind, wühlte das Gras mit den Fingernägeln auf und presste mein Gesicht in den Erdboden hinein, als die Fischer sich taub gegen meine Rufe zeigten.

Die nächste Nacht blieb regenfrei, meine Kleider waren fast trocken.

Der kommende Tag war der vierte jener schrecklichen Zeit. Meine Kräfte waren sehr geschwunden. Ich war kaum wieder auf meinem Felsen angelangt, als ich sah, dass ein Boot nahte. Mir schien, dass seine Spitze genau auf die Stelle zielte, an der ich stand. In mir kämpften die Hoffnung auf Rettung und die Angst vor erneuter Enttäuschung miteinander.

Dann war alles entschieden. Das Boot fuhr geradewegs auf die Insel zu! Jetzt konnte ich mich nicht mehr zurückhalten. Ich rannte ans Meer. Als das Boot näher kam, stellte ich fest, dass es das gleiche Boot mit den gleichen Fischern wie am Vortag war. Diesmal war noch ein dritter Mann bei ihnen. Sie kamen aber nicht bis zu mir heran, sondern hielten das Boot in einer Entfernung, dass man miteinander sprechen konnte, und sie lachten. Der Dritte begann auf gälisch mit mir zu sprechen, was ich aber nicht verstand. Nur ein Wort verstand ich: Ebbe.

"Meint Ihr, wenn Ebbe ist?", rief ich, ohne den Satz zu Ende zu bringen.

"Ja! Ja!", erwiderte er. "Ebbe!"

Ich wartete am Ufer des Meeresarmes, bis die Ebbe eintrat. Er schrumpfte tatsächlich zu einem kleinen Rinnsal ein, dessen Wasser mir nicht über die Knie ging. Ich raste hindurch, bis ich endlich an der Hauptinsel an Land gelangte. Dort stieß ich einen Freudenschrei aus.

Hätte ich richtig nachgedacht, wäre mir diese Lösung selbst viel früher eingefallen, und ich hätte nicht fast hundert Stunden auf dem Eiland gehungert und gefroren.