Der Bäcker zu Dortmund

  • Autor: Autor Unbekannt

Dass Männer und Frauen, die regelmäßig in die Kirche gehen, trotzdem nicht automatisch gute Menschen sind, davon weiß eine Geschichte zu berichten, die sich vor einigen Jahrhunderten in Dortmund zutrug.

Dort lebte damals ein Bäcker, dem es an nichts fehlte. Er ging regelmäßig in den Gottesdienst und betete, doch sein Herz war hart wie Stein. Kam jemand zu ihm, der seiner Hilfe bedurfte, so wies er ihn ab wie einen räudigen Hund. Und wenn wirklich mal jemand auf sein Mitleid hoffen durfte, dann bekam er höchstens einmal ein verschimmeltes Stückchen Brot zu essen, das für den Bäcker keinen Wert mehr hatte. Dabei hatte er die Keller und Scheunen voll von bestem Getreide.

Der Bäcker hatte auch eine Schwester, die mit einem armen Leineweber verheiratet war. Als der Schwager eines Tages starb, suchte die Schwester Hilfe bei ihrem Bruder. Sie wusste zwar von seiner Hartherzigkeit, ging aber davon aus, dass er bei seinem eigenen Fleisch und Blut anders reagieren würde. Wie aber hatte sich die Schwester in ihrem Bruder getäuscht! Er wies sie ab ohne Unterstützung, obwohl sie gleich mehrere Kinder zu versorgen hatte.

Doch es kam noch schlimmer. In jenem Jahr nämlich brach die Pest aus und zog über das ganze Land. Die Menschen starben wie Fliegen. Den Bäcker interessierte das alles nicht. Er hatte ja seine Kammer voll, ihm konnte nichts passieren. Und selbst jetzt dachte er nur an sein Geld, backte die Brote noch ein wenig kleiner, bot sie aber teuer an als zuvor und zog so aus der Not der Menschen noch seinen Gewinn.

Eines Tages, es muss gegen Mittag gewesen sein, klopfte es an seiner Tür. Missmutig stand der Bäcker auf, denn er hatte eigentlich nach seinem Tagwerk ein wenig ruhen wollen. Vor der Tür stand eine ausgemergelte Frau, ein jener Bettlerinnen, die Tag für Tag bei ihm vorsprachen.

Unwirsch wies er sie ab. Und reagierte erst, als sie ihn bei seinem Taufnahmen rief. Denn die Frau, die der Bäcker nicht erkannt hatte, war seine eigene Schwester gewesen. Fast verhungert hatte sie im letzten Moment auf seine Unterstützung gezählt. Ihre Kinder waren längst tot, hingerafft durch die Pest.

Und tatsächlich, der Bäcker bot seine Hilfe an. Er wies ihr einen Schlafplatz draußen in der Hütte seines Hundes an, denn der Vierbeiner selbst durfte unter dem Bett seines Herrchens in der warmen Stube schlafen. Dazu gab er ihr einen Kanten Brot, der jedoch so hart war, dass die Frau ihn nicht beißen konnte. Das Blut schoss ihr aus dem Mund, als sie versuchte, ein kleines Stück von dem Brot zu kosten.

Das sah eine alte Magd, die in Diensten des Bäckers stand, und bot der armen Frau ein Glas Bier zur Stärkung an. Doch es war zu spät. Kaum nämlich hatte die Schwester zum Allmächtigen gebetet, er möge sie von ihrem unsäglichen Leiden erlösen, verstarb sie – zusammengekauert in der Hundehütte ihres Bruders.

Manchmal aber gibt es Wendungen im Leben, mit denen man so gar nicht rechnet. An dem Tag nämlich, an dem die alte Frau starb, brach in Dortmund ein Aufstand aus. All jene geknechteten und halb verhungerten Gestalten, die die Pest irgendwie überlebt hatten, wollten sich nicht länger mit ihrer Situation zufrieden geben. Sie wollten essen und trinken und leben.

Natürlich war auch dem Bäcker die Nachricht von dem Aufstand zugetragen worden. Sogleich verkroch er sich mit seinem Geld, einem Sack voll frischer Brote und einem Kübel voll mit köstlichem Wasser im Keller, um die Unruhen abzuwarten. Er konnte sich ja denken, dass der Pöbel sich an ihm rächen wollte, hatte er ihn doch jahrelang verhöhnt und ausgebeutet.

So harrte der Bäcker in seinem Keller Stunde um Stunde aus. Er hatte Angst, und diese Angst ließ ihn zunächst seinen Hunger vergessen. Auf seinen Geldsäcken sitzend verbrachte er schließlich die Nacht in seinem selbst gewählten Verließ. Als er am nächsten Morgen aufwachte, spürte er, dass er Hunger und Durst hatte. Doch dafür hatte der habgierige Bäcker ja vorgesorgt.

Voll guter Hoffnung auf ein gutes Frühstück griff er in den Beutel mit den frischen Broten. Doch wie staunte er, als er das erste Brot aus dem Sack befördert hatte und es sich als Stein entpuppte. So ging es dem Bäcker auch mit dem zweiten, dem dritten und dem vierten Brot. Alle waren zu Stein geworden, keines war genießbar.

Nun gut, dachte der Bäcker, wenigstens meinen Durst kann ich stillen. Doch als er die Hand in den Krug führte, war aus dem Wasser Blut geworden. Da fielen dem Mann all seine Sünden ein, die er in seinem Leben begangen hatte und er gelobte, von nun an ein besserer Mensch und Wohltäter zu werden.

Je länger der Aufstand des Pöbels anhielt, desto verzweifelter wurde der Bäcker in seinem Keller. Schließlich wollte er seinem Leben selbst ein Ende setzen und schlug mit seinem Kopf gegen die Wand. Immer wieder. Doch die Erlösung blieb ihm verwehrt.

Noch Tage dauerte der Aufstand, und erst als in Dortmund wieder vollständig Ruhe eingekehrt war, sah die alte Magd des Bäckers nach ihrem Herren, den sie gut versorgt im Keller glaubte. Sie klopfte an die Kellertür, doch als sie kein Lebenszeichen von ihm bekam, trat sie ohne Aufforderung ein.

Sie erblickte ihn. Tot und mit entstellten Gesichtszügen. Dann sah sie das Brot, das zu Stein geworden war, und das Wasser, das nun Blut war.

Und all der Reichtum, den der geizige Bäcker all die Jahre angehäuft hatte, fiel der Stadtklasse zu, da er keine Erben mehr hatte.