Der Zwischenfall am Fenster

  • Autor: Stevenson, Robert Louis

Es geschah an einem Sonntag. Mister Utterson machte wie gewohnt seinen Spaziergang mit Mister Enfield. Da führte ihr Weg sie wieder durch jene Nebenstraße. Als sie gegenüber der Tür standen, hielten sie inne und blickten sie an.

"Tja, nun hat jene Geschichte wenigstens ihr Ende gefunden", sagte Enfield, "von diesem Hyde werden wir nie mehr etwas hören."

"Das möchte ich hoffen", sagte Mister Utterson. "Habe ich dir eigentlich erzählt, dass ich einmal begegnet bin und dasselbe Gefühl des Abscheus empfand wie du?"

"Das eine ohne das andere wäre unmöglich", erwiderte Enfield. "Aber für welch einen Esel musst du mich gehalten haben, dass ich nicht hätte wissen sollen, dass dies die Hintertür zu Dr. Jekylls Haus ist. Teilweise war es dein Fehler, dass ich es herausbekam."

"Du hast es wirklich herausbekommen?", sagte Utterson. "Dann könnten wir ja einige Schritte in den Hof gehen und einen Blick auf die Fenster werfen. Ehrlich gesagt, mache ich mir Sorgen um den armen Jekyll. Selbst hier draußen glaube ich, die Nähe eines Freundes könnte ihm gut tun."

Der Hof war kühl, feucht und es war bereits dämmrig, obwohl der Sonnenuntergang den Himmel noch erhellte. Das mittlere der drei Fenster stand einen Spalt offen. Dicht daneben sitzend und mit unendlich traurigem Gesichtsausdruck die Luft einziehend, gleich einem verzweifelten Häftling, erblickte Utterson Dr. Jekyll.

"Sieh doch, Jekyll!", rief er. "Geht es dir besser?"

"Ich fühle mich elend, Utterson. Sehr elend.", antwortete der Doktor mit trauriger Stimme. "Jedoch wird es nicht mehr lange dauern, zum Glück".

"Du solltest herauskommen, bist zu viel im Zimmer", sagte der Anwalt, "du musst dein Blut in Wallung bringen, wie Mister Enfield und ich. Komm, hol deinen Hut und mach mit uns einen kurzen Spaziergang."

"Oh, du bist so gut", sagte der Freund. "Zu gerne würde ich deinem Vorschlag folgen. Doch es ist unmöglich, nicht zu wagen. Wirklich, ich bin froh dich zu sehen. Es ist mir eine große Freude, gerne würde ich dich und Mister Enfield hereinbitten. Jedoch ist dieser Raum nicht für einen Besuch geeignet."

"Na gut", sagte der Anwalt, "dann unterhalten wir uns von hier aus mit dir. Das wird wohl das Beste sein."

"Das wollte ich gerade ebenfalls vorschlagen", erwiderte der Doktor lächelnd. Doch kaum waren die Worte gesagt, wich das Lächeln auf seinem Gesicht einem Ausdruck grauenvoller Furcht und Verzweiflung. Den beiden Herren unterm Fenster gefror das Blut in den Adern. Nur ein kurzer Augenblick, dann wurde das Fenster heftig zugeschlagen. Sie machten eilig kehrt und schritten ohne ein Wort zu wechseln vom Hof.

Schweigend setzten sie ihren Gang fort, kreuzten die Nebenstraße, erst als sie die nächste Straße erreicht hatten, die selbst am Sonntag lebendig war, wagte Mister Utterson, seinen Begleiter anzublicken. Beide waren sie leichenblass, jeder sah den gleichen Schauder im Blick des Gegenübers.

"Gott, vergib uns", sagte Mister Utterson. Mister Enfield jedoch neigte lediglich ernst das Haupt und ging still weiter.