Die Geschichte von Maruf dem Schuhflicker

  • Autor: Autor Unbekannt

Vor langer Zeit lebte ein Mann namens Maruf in Kahira. Er war Schuhflicker und verdiente nicht viel Geld. Schlimmer aber noch als seine Armut erschien ihm seine Frau Fatma; denn sie war zwar sehr hübsch, aber zänkisch und böse.

Im Gegensatz zu ihr war Maruf ein freundlicher und friedfertiger Mensch. Das aber brachte Fatma oft noch mehr auf die Palme, und so kam es nach einem Streit auch schon mal vor, dass sie ihm eine schallende Ohrfeige verpasste.

Zwar war Maruf eigentlich ein starker und kräftiger Mann und hätte sich so etwas nicht gefallen lassen, aber er war nicht in der Lage, ihr etwas anzutun. Er hatte Angst, einmal so in Wut zu geraten, dass er zuschlagen und nicht mehr aufhören könnte. So hoffte er einfach nur, dass sich eines Tages die Dinge für ihn ändern würden, seine Armut wie auch die Zanksüchtigkeit seiner Frau.

Aber es wurde nicht besser. Maruf bemühte sich, Fatma nicht zu reizen und flüchtete sich ansonsten in seine Schusterwerkstatt, wo er seinen Gedanken nachgehen konnte. „Man kann seinem Schicksal nicht entkommen“, dachte er sich. „Und eines Tages wird Allah es zum Guten wenden.“ So wurde er zwar von Tag zu Tag klüger, doch seine Armut und seine wütende Ehefrau blieben.

Die Nachbarn machten sich über ihn lustig. Sie lachten über Fatma, wenn sie ihren Mann bloß stellte, und hatten ihre Freude an dem Streit der beiden. Maruf wurde klar, dass die größte Freude des Menschen die Schadenfreude war, und sich daran über lange Zeit nichts geändert hatte.

Dann kann ein Tag, an dem sich alles änderte. Es war ein Tag, an dem dem geduldigen Maruf der Geduldsfaden riss. Er brachte damit einen Kieselstein ins Rollen, der eine Lawine auslöste. Genau genommen war es ein Kochlöffel, mit dem die Veränderung anfing. Und vor dem Kochlöffel war es eigentlich ein Honigkuchen.

„Bring mir heute Abend einen Honigkuchen mit“, befahl nämlich Fatma eines Abends ihrem Mann. „Ich habe Hunger darauf.“ „Oh Fatma“, erwiderte Maruf unglücklich. „Du weißt doch genau, dass die Geschäfte in dieser Woche schlecht gingen. Wir haben kein Geld für deine Leckereien.“

„Honigkuchen will ich habe“, schrie Fatma. „Andere Frauen bekommen auch Honigkuchen. Warum soll ich darauf verzichten!“ „Andere Frauen haben eben Männer, die mehr verdienen als ich“, gab Maruf zu bedenken.

„Dann verdiene mehr“, rief Fatma völlig aus dem Häuschen. „Du sitzt den ganzen Tag untüchtig und unnütz herum und starrst blöde in die Gegend.“ „Ich bin nicht untüchtig“, sagte Maruf. „Ich bin Schuhflicker von Beruf. Wenn dir das nicht passt, hättest du eben einen anderen Mann heiraten sollen.“

„Oh, du Oberesel“, rief Fatma. „Streng dich an, dann wirst du König!“ „Ich kann nicht zaubern“, gab Maruf zu Bedenken. „Dann lerne es gefälligst!“, schimpfte Fatma. „Ich kann es ja versuchen“, antwortete Maruf ganz ernst. „Und vielleicht ist es am Ende ja auch so, dass ich zaubern kann und König werde. Nur dass du heute Abend noch Honigkuchen bekommst, ist ziemlich unwahrscheinlich.“

Er wusste nicht, dass das, was er sagte, eine echte Prophezeiung war, und auch Fatma wusste das nicht. Im Gegenteil. Sie wurde immer wütender auf ihn, schwang den Kochlöffel drohend und rief: „Wenn du heute keinen Honigkuchen mitbringst, du lächerliche Jammergestalt, werde ich dich weich prügeln.“

Da flüchtete Maruf. Er hatte zwar keine Angst vor den Prügeln seiner Frau, auch nicht vor ihrem frechen Mundwerk, aber er hatte keine Lust, sich mit jemandem zu streiten. Stattdessen ging er in die Stadt und überlegte, wie er wohl an Honigkuchen kommen konnte.

Er klopfte an verschiedene Häuser und fragte nach der Möglichkeit, Schuhe zu flicken. Das tat er nicht sehr gerne. Er kam sich dabei wie ein Bettler vor, denn den Kunden nachzulaufen war nicht seine Art. Trotzdem hatte er, als es Abend wurde, einiges Geld zusammen.

Damit ging er zu einem Konditor und fragte nach Honigkuchen. Doch er musste sehen, dass das Geld nicht reichte. Traurig erzählte er dem Konditor von seinem Streit mit seiner Frau. Der aber lachte laut.

„Was bist du denn für ein Pantoffelheld“, sagte er. „Hast Angst vor einer Frau, und das alles wegen eines Honigkuchens. Also, wenn es meine Frau wäre, ich würde sie in ihre Schranken weisen. So etwas würde ich mir nie und nimmer gefallen lassen.“

Da schämte sich der Schuhflicker über alles. Einmal wegen seiner Frau, dann wegen seine Geschwätzigkeit und außerdem dafür, dass er eigentlich viel zu klug war, um nur Schuhe zu flicken und sich vor seiner Frau zu fürchten. Beschämt drehte er sich um und wollte gehen.

„Bitte nimm mir meine Worte nicht übel“, sagte der Zuckerbäcker. „Ich habe in der Tat gut reden. Meine Frau ist gut und freundlich, und so kann ich mich wahrscheinlich gar nicht in deine Lage versetzen.

Aber was deinen Honigkuchen betrifft: Ich habe einen Honigkuchen, der durchaus auch gut schmeckt, allerdings nicht mit Bienenhonig, sondern mit Zucker hergestellt wurde. Dieser Kuchen ist längst nicht so teuer, und du kannst ihn bezahlen.“

So kaufte Maruf diesen Kuchen. Doch kaum brachte er ihn seiner Frau zum Essen, wurde sie erneut wütend. „Das soll ein Honigkuchen sein!“, schrie sie. „Der ist doch nur aus Zuckerdreck!“ „Beruhige dich“, sagte Maruf unglücklich. „Ich habe viele Stunden dafür gearbeitet, und außerdem schmeckt er mir ausgesprochen gut.“

„Bring mir auf der Stelle Honigkuchen“, kreischte Fatma, und als ihr Mann zögerte, nahm sie einen Kochlöffel und schlug damit auf ihn ein. Maruf stolperte und fiel auf das Sofa, Fatma aber prügelte wütend weiter. Für einen Moment blieb Maruf verblüfft liegen und konnte nicht fassen, was ihm da geschah. Und dann, zum ersten Mal in seinem Leben riss ihm der Geduldsfaden.

Er drehte sich zu seiner Frau um, riss ihr den Löffel aus der Hand und schlug damit auf seine Frau ein. Fatma schrie, so laut sie konnte, aber Maruf konnte nicht aufhören. Weiter und weiter schlug er auf seine Frau ein.

Schließlich kamen die Nachbarn herbeigelaufen und schauten den beiden zu. Einige amüsierten sich, weil sie fanden, Fatma habe die Prügel schon lange verdient, einige aber hielten zu Fatma und hatten Mitleid mit ihr.

Und als die Prügelei nicht aufhörte, trennte man die beiden Prügelnden schließlich, brachte Fatma in die Küche und Maruf in seine Schusterwerkstatt. An dieser Stelle wendete sich Marufs Leben.

Zuerst sah es nicht so gut um ihn aus, denn zwei Gerichtsdiener kamen, um Maruf zu holen und vor Gericht zu stellen. Hier war auch seine Frau, die die Geschichte aus ihrer Sicht erzählte und kein gutes Haar an ihrem Mann ließ.

Dann traten aber auch Zeugen aus der Nachbarschaft auf, die sagten aus, welch ein gutmütiger und freundlicher Mann Maruf gewesen sei, und wie ungerecht sich Fatma ihm gegenüber verhalten hatte. Auch Maruf erzählte über die Peinigungen, die er durch seine Frau über sich ergehen lassen musste.

Zuletzt erhob sich der Richter und sagte: „Dein Handeln ist zu verstehen, Maruf. Wir alle kennen dich als sanften, weisen und freundlichen Mann, und so kann ich verstehen, dass du so gehandelt hast. Es ist nicht deine Art, deine Frau mit einem Löffel zu prügeln, und da du es trotzdem getan hast, musst du sehr gequält worden sein. Damit das nicht mehr vorkommt, gebe ich dir einen Dinar. Gehe damit zum Zuckerbäcker und kaufe den besten Honigkuchen aus reinem Bienenhonig für deine Frau.“

Doch kaum war Maruf auf dem Weg zum Bäcker, wurde er von den Gerichtsdienern eingeholt, die den Lohn für ihre Vorladung forderten. „Was wollt ihr von mir?“, rief Maruf. „Man hat mich doch sogar frei gesprochen und der Richter hat mir sogar einen Dinar geschenkt.“

„Das ist egal“, erwiderten die Gerichtsdiener. „Wir haben trotzdem unseren Lohn zu bekommen.“ Da gab ihnen Maruf das Geld und musste sogar noch sein Schusterwerkzeug auf dem Bazar verkaufen, um den Rest zu bezahlen.

Als er wieder in seiner Werkstatt saß und nun gar kein Geld mehr hatte, überlegte er, was zu tun wäre. Dabei war ihm sehr schwer ums Herz. Plötzlich ging die Tür auf, und erneut traten zwei Gerichtsdiener auf und forderten ihn auf, zum Richter zu kommen.

„Das darf doch nicht wahr sein!“, rief Maruf. „Ich war doch schon beim Richter, und er hat mich frei gesprochen.“ Aber die Gerichtsdiener hörten nicht auf ihn. Sie packten ihn und schleppten ihn vor einen anderen Richter.

Wieder musste Maruf seine ganze Geschichte erzählen, und auch Fatma erzählte alles noch einmal aus ihrer Sicht. Auch dieser Richter sprach Maruf frei, ohne ihm allerdings einen Dinar zu schenken, und ermahnte auch Fatma, eher Honigkuchen aus Zucker zu essen.

Wieder ging Maruf nach Hause in seine Werkstatt, und wieder kamen die beiden Gerichtsdiener, um ihren Lohn zu fordern. Erneut war Maruf gezwungen, seine letzten Werkzeuge zu verkaufen.

Danach aber war die Pein noch nicht beendet, denn wieder erschienen Gerichtsdiener, um Maruf vor den Richter zu schleppen. Diesmal sah es aber noch schlimmer um ihn aus. Fatma behauptetet nämlich, er habe sie zwischenzeitig noch einmal misshandelt.

Doch auch dieser Richter war auf Marufs Seite und glaubte Fatma nicht. „Kahira hat zwar sieben Richter, aber ich teile mit, dass kein anderes Urteil mehr ergehen darf und Fatma keine weiteren Richter mit ihrer lächerlichen Honigkuchengeschichte belästigen darf“, sagte er. „Darum befehle ich euch beiden: Vertragt euch!“

Fatma und Maruf versichterten, dass sie das tun wollten. Dann ging jeder allein nach Hause. Kaum war Maruf zu Hause, tauchten die Gerichtsdiener wieder auf und forderten ihren Lohn. Und so hatte er alles verloren, was er hatte.

Fatma kam nicht nach Hause, und Maruf war es recht. Er hatte nicht den Wunsch, sie wieder zu sehen. So verkaufte er alles aus seinem Haus, was er noch besaß, kaufte sich davon Brot und Käse und ging davon.

Er verließ das Haus und ging auf Wanderschaft. Er wünschte sich, einen anderen Ort zu finden, an dem es netten Menschen und mitfühlende Nachbarn gab. Und mit der Zeit vergaß er seine Frau. Obwohl er einer ungewissen Zukunft entgegen ging, fühlte er sich so frei, wie schon lange nicht mehr.

In einer verlassenen Gegend hielt er an. Er sah ein verlassenes altes Gebäude, entdeckte ein Loch in der Mauer und schlüpfte hinein. Hier kroch er tiefer und tiefer, bis er schließlich in ein Gewölbe kam, das sich unter der Erde befand. Hier roch es zwar muffig, aber er fühlte sich gegen den Regen und die Kälte geschützt.

Hier in der einsamen Höhle fühlte er sich plötzlich nicht mehr so frei, und sein Herz wurde traurig. Er seufzte tief und sagte: „Warum nur bin ich so arm?“ Und noch einmal seufzte er tief und rief: „Oh Allah, ich bin dein treuer Diener. Warum schickst du mir nicht Hilfe in meiner Einsamkeit. Wie kann ich erkennen, welchen Weg ich zu gehen habe?“

Und er stand auf und rannte unruhig herum. Und weil es so dunkel war, stieß er dabei mit dem Kopf gegen die Wand. Plötzlich gab es an der Wand einen riesigen Riss, und die Wand spaltete sich. Aus der Felsspalte trat ein Dschinni, ein schrecklicher Furcht erregender Geist.

„Wer ruft mich? Was ist geschehen?“ rief er. Maruf bekam es mit der Angst zu tun. Leise flüsterte er: „Ich weiß es selbst nicht. Ich bin aus Versehen mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen. Mehr war es nicht.“

„Seit zweihundert Jahren lebe ich hier in diesen dunklen Gemäuern“, rief der Dschinni. „Und noch nie ist ein Mensch in diese Höhle gekommen. Nun läufst du hier herum, jammerst und trampelst, dass man es kaum ertragen kann. Was ist denn los?“

Maruf war nicht in der Lage, zu antworten. Er zitterte so sehr. Aber der Dschinni bekam Mitleid. „Beruhige dich, Ich tue dir doch nichts. Ich freue mich, eine menschliche Stimme zu hören“, sagte er. „Erzähl mir, wer du bist und woher du kommst.“

Und da berichtete Maruf von seiner Armut als Schuhflicker und seiner Frau, die so zanksüchtig war, und von dem Richter und den Gerichtsdienern erzählte er auch. Nach diesem Bericht ging es ihm besser.

Der Dschinni lächelte ihn an. „Deine Geschichte gefällt mir nicht“, sagte er dann. „Ich finde auch, dass du aus deinem Leben etwas Besseres machen solltest. Weißt du denn, wie ich dir helfen kann?“ „Das weiß ich ja selbst nicht“, entgegnete der Schuhflicker. „Ich wünsche mir aber, in ein Land zu kommen, das weit weg von meiner Frau und von Kahira ist. Vielleicht gibt es ein Land, in dem man auch als Fremder etwas werden kann.“

„Wenn ich dich recht verstehe, willst du reich und mächtig werden“, entgegnete der Dschinni. „Sehe ich das richtig?“ „Nein, so stimmt es auch wieder nicht“, antwortete der Schuhflicker. „Natürlich wäre ich gerne reich, aber nicht um jeden Preis. Ich will auch dabei den rechten Weg behalten.

Und nach Macht trachte ich gar nicht. Ich will es nur besser haben, als bisher, ein Leben eben ohne Arbeitsnot und zankende Weiber.“ Der Dschinni nickte. „Solche Menschen wie du haben es besonders verdient, reich und mächtig zu werden, denn sie missbrauchen ihre Macht nicht. Aber du musst wissen, dass du eine Reihe von Prüfungen bestehen musst. Darum bringe ich dich nun in eine Stadt, die dir gefallen wird.“

Er setzte Maruf auf seine Schultern, trug ihn aus der Höhle und flog mit ihm davon. Über Wüsten, Wälder, Flüsse und Täler ging es. Es wurde Tag und Nacht, und dann am Morgen landete der Dschinni mit Maruf auf einem Berg. „Geh dort hin“, sagte er und zeigte in ein Tal. Dann verschwand er.

Der Schuhflicker machte sich auf den Weg. Und als die Sonne höher stand, kam er schließlich in einer großen Stadt an. Die Menschen hier sahen anders aus, als in Kahira. Sie trugen andere Kleidung und schauten sich verwundert nach Maruf um.

„Woher kommst du?“, fragten ihn die Menschen. „Aus Kahira“, antwortete Maruf. „Dann warst du lange unterwegs, Fremder“, sagte man ihm. „Nicht so ganz lange“, erwiderte Maruf. „Gestern zum Nachmittagsgebet war ich noch dort.“ Da lachten die Menschen.

„Bist du ein Spaßvogel oder ein Lügner?“, fragten sie ihn. „Ich sage die Wahrheit“, erwiderte Maruf. „Das kann nicht sein“, erwiderten die anderen. „Von Kahira bis hier her ist man ein gutes Jahr unterwegs. Und auch das nur, wenn man gute Kamele hat.“

Da zog Maruf seine Brote, die er in Kahira gekauft hatte, aus der Tasche. „Seht diese Brote“, sagte er. „Die habe ich gestern in Kahira gekauft.“ Die Brote waren ganz anders und trugen das Zeichen der Bäckerzunft aus Kahira, aber die Menschen glaubten ihm trotzdem nicht. Sie lachten laut über ihn. Da merkte Maruf, dass es nicht viel Zweck hatte, auf die Wahrheit zu bestehen.

In der Menge aber stand auch ein Kaufmann und sah zu, wie Maruf verspottet wurde. „Was fällt euch ein, diesen Fremden auszulachen“, mischte er sich ein. „Er hat uns verkohlt“, erwiderten die Umstehenden. „Unsere Stadt ist nett zu Gästen“, erwiderte der Kaufmann. „Egal, was er gemacht hat. Also lasst ihn in Ruhe.“

Da gingen die Menschen davon. Der Kaufmann aber lud Maruf ein, mit sich zu kommen. Gerne ging Maruf mit ihm. Jetzt erfuhr er auch, dass die Stadt Ichtian-Alchuta hieß, in der er angekommen war.

„Es ist eine gute Stadt“, erklärte der Kaufmann. „Die Menschen sind nur ein wenig neugierig. Aber sie sind herzlich und eigentlich auch nett zu Fremden.“ Und er führte Maruf in sein schönes Haus, ließ ihn ein Bad nehmen und edle schöne neue Kleider bringen.

Maruf hatte noch nie so schöne Gewänder besessen. Er fand diese Tracht auch viel schöner, als die ärmliche Handwerkstracht, die er in Kahira getragen hatte. Und als er sich nun mit dieser schönen Kleidung betrachtete, hatte er das Gefühl, sein ärmliches Leben als Schuhflicker zu vergessen.

Dann bat ihn der Gastgeber zu Tisch. Wieder wollte er wissen, ob Maruf wirklich aus Kahra käme, und da erzählte ihm Maruf die ganze Geschichte. Er schämte sich zwar ein bisschen seiner Herkunft, gerade jetzt, in der neuen Kleidung, doch er beschloss trotzdem, die Wahrheit zu erzählen.

„Aus welchem Stadtviertel stammst du?“, wollte der Fremde wissen. „Ich komme aus dem Roten Quartier“, erzählte Maruf. „Sag, kennst du auch den Drogisten Achmed?“, erkundigte sich der Fremde. „Aber ja, das war mein Nachbar.“

„Berichte mir von seinen Söhnen“, forderte der Fremde Maruf auf. „Er hat drei Söhne“, erzählte Maruf. „Der erste wurde Drogist, wie sein Vater, der zweite wurde Professor, der dritte aber …“ „Was war mit dem dritten?“

„Der dritte war das schwarze Kamel in der Familie. Er trieb sich herum, er soll sogar gestohlen haben. Dann hat ihm sein Vater Achmed das Hinterteil ordentlich versohlt, und er lief davon.“ „Kanntest du ihn?“, fragte der Gastgeber weiter.

„Ja, natürlich“, erzählte Maruf. „Wir spielten als Kinder miteinander, und ich war untröstlich, als er plötzlich verschwand. Ich war damals noch viel zu klein, und konnte mir aus all den Geschichten um Ali keinen Reim machen.“

Da lachte der Kaufmann und sagte: „Der kleine Dieb und das schwarze Kamel bin ich.“ Maruf stand auf und umarmte ihn. „Oh Ali, ist es war?“, rief er. „Mein Freund aus der Kindheit.“ „Ja“, sagte Ali. „Ich war nicht wirklich so böse, wie du erzählst, aber ich habe damals wirklich gestohlen. Und ich bin nicht weggelaufen, weil ich verprügelt wurde, sondern weil ich mich im Roten Quartier nicht mehr blicken lassen konnte.

Ich hatte es nicht so gut wie du und wurde von einem Dschinni hierher versetzt, sondern ich musste den langen Weg zu Fuß gehen und habe dabei viele Erfahrungen machen müssen. Ich lieh mir damals Geld von einem Kaufmann und machte einen Laden auf. Und da ich viele Dinge aus Kahira kannte, die hier nicht bekannt waren, wurde ich reich mit meinem Geschäft und konnte meine Schulden zurückzahlen.

Doch ich denke noch oft an meine Familie und meine Stadt, und eines Tages möchte ich nach Kahira zurückkehren.“ Er sah Maruf lange an. „Wie sonderbar, dass uns das Schicksal zusammengeführt hat. Ich finde, dein Leben als Schuhflicker sollte nun ein Ende haben.“

„Ja“, stimmte Maruf zu. „Mit Allahs und deiner Hilfe möchte ich hier ein neues Leben anfangen. Aber hilf mir dabei.“ „Gut“, nickte Ali. „Dann kann ich dir gleich sagen, dass es schön ist, wenn jemand die Wahrheit erzählt, aber man sollte es auch nicht damit übertreiben. Also, die Geschichte mit deiner Frau und dem Honigkuchen würde ich an deiner Stelle nicht groß herumerzählen. Und die Sache mit dem Dschinni solltest du auch niemandem weitersagen, das glaubt ja doch keiner, und dann machst du dir nur Feinde.“

Maruf sah das genauso. „Ich würde es auch verschweigen, ein armer Schuhflicker zu sein. Lass uns zusammenarbeiten. Ich gebe dir tausend Dinare und du reitest allein zum Bazar. Dort werde ich dich empfangen und dich fragen, wo du deine Waren gelassen hast, und dann wirst du sagen, dass sie bald eintreffen werden.

Dann werde ich dich als reichen Freund empfangen und ein Fest für dich geben. Und dann wirst du sehen, Handel und Kredite werden dir offen stehen. Und nach einiger Zeit haben die Leute vergessen, dass du noch auf Waren wartest.“

Maruf dachte in Ruhe über den Vorschlag nach. Dann schüttelte er den Kopf. „Nein“, sagte er. „Das ist nichts für mich. Du hast zwar recht, dass ich nicht so viel herumschwatzen soll, aber mich als jemand auszugeben, der ich nicht bin, ist mir auch nicht recht.“

„So wirst du immer ein armer Schuhflicker bleiben“, rief Ali verächtlich. „Du sagst zwar die Wahrheit und bist ein gütiger und gerechter Mann, aber angesehen bist du nicht. Nur ein reicher Kaufmann ist ein angesehener Mann.“

„Es ist, wie du sagst“, erwiderte Maruf. „Und doch empfinde ich alles andere als unredlich.“ „Aber wem schadest du denn, wenn du etwas anderes sagst?“ wunderte sich Ali. „Komm, spring über deinen Schatten und spiel dieses Spiel mit mir. Du wirst viel Spaß daran haben.“

Er redete noch eine Weile, und schließlich fand Maruf Gefallen daran und beschloss, sich auf das Spiel einzulassen. „Und vor allem vergiss nicht, den Bettlern und Armen etwas zu geben“, erinnerte ihn Ali. „Das bringt dir einen guten Ruf ein.“

Schließlich spielten sie diese Rolle, wie Ali es vorgeschlagen hatte. Und auf die Frage der Neugierigen im Hafen erklärte Ali, Maruf sei einer der reichsten Kaufleute der Welt und unermesslich sei sein Reichtum. Da schauten alle Menschen ehrfurchtsvoll zu Maruf hinüber.

Maruf war das alles ein wenig unangenehm, und er hielt Abstand zu den anderen. Doch das machte ihn für die anderen nur noch interessanter. „Schaut, was für ein vornehmer Mann“, sagten sie und nannten ihn den reichsten Mann des Morgenlandes.

Als am nächsten Tag ein Bettler auf Maruf zukam und seine Hand aufhielt, legte Maruf eine Handvoll Goldstücke in seine Hand. Der Bettler war sehr verwirrt und konnte kaum fassen, was ihm geschah.

Das sprach sich schnell unter den Bettlern herum und am nächsten Tag war Maruf von Bettlern umdrängt. Er tat so viel Gutes, wie es ihm möglich war. So waren die tausend Dinare schnell ausgegeben, ohne dass etwas Sinnvolles dabei herausgekommen war.

Und so stand Maruf eines Abends genauso arm und mittellos wie früher mitten auf dem Bazar und seufzte. „Hast du Sorgen?“, erkundigte sich ein Kaufmann besorgt. Maruf nickte. „Ich habe das Gefühl, alle mittellosen Menschen haben sich in dieser Stadt versammelt“, sagte er. „Jedenfalls habe ich mein Geld verschenkt und habe nun nichts mehr.“

„Du hast ja auch Millionen verschenkt“, wunderte sich der Kaufmann. „Du musst es so machen wie wir. Du musst einfach sagen: „Allah wird schon für euch sorgen.“ „Ja, ihr Reichen handelt so“, ärgerte sich Maruf. „Dabei solltet ihr bei eurem Vermögen besser für die Armen sorgen.“

„Aber natürlich“, erwiderte der Kaufmann. „Übrigens habe ich gehört, dass deine Karawane noch auf sich warten lässt. Also, wenn du in Geldschwierigkeiten bist, will ich dir gerne tausend Dinare ausleihen. Tu damit, was du möchtest.“

Und er ließ Maruf einen Beutel Goldstücke überreichen. Maruf wusste zwar, dass das Geld nur geliehen war und er es eines Tages wieder zurückgeben musste, aber er kümmerte sich nicht darum. Er begann sofort, das Geld an die Armen zu verteilen.

Und wieder drängten sich die Bettler um ihn, bis das Geld ausgegeben war, und wieder fand sich ein neuer Kaufmann, der ihm tausend Dinare lieh. So ging das immer weiter. Ali ärgerte sich zwar ein bisschen über Marufs Verhalten, er hatte ihm aber selbst dazu geraten, großzügig zu Bettlern zu sein.

Dann gab er ein großes Fest für Maruf und alle wollten eingeladen werden und drängten ihm erneut Geld auf. Mittlerweile hatte Maruf sechzigtausend Dinare Schulden, aber die Menschen lobten seine Mildtätigkeit.

Doch die ersten Kaufleute, die Maruf ihr Geld zur Verfügung gestellt hatten, wurden allmählich misstrauisch, weil sie Marufs Karawane nicht sehen konnten, und er keinen Geschäften nachging, außer eben Menschen zu helfen.

Auch Ali konnte das alles nicht mehr mit ansehen und er fragte Maruf: „Wann in Allahs Namen gedenkst du, das Geld zurückzuzahlen?“ „Wenn meine Karawane ankommt“, erwiderte Maruf gelassen.

Da wurde Ali sehr wütend. „Mach dich bloß über mich lustig“, zischte er. „Du benutzt unser Geld, um den Wohltäter zu spielen.“ „Woher willst du das wissen?“, fragte ihn Maruf verärgert. „Vielleicht gibt es ja diese Karawane. Oder vielleicht geschieht ein Wunder.“

„Du bist wirklich ein Narr!“, empörte sich Ali. „Längst schon hättest du reich und mächtig sein können. Aber so wie du das machst, die Reichen zu schröpfen um es den Armen zu geben, das kann niemals gut gehen.“

„Vielleicht wird es doch ein Wunder geben“, erwiderte Maruf. „Die Begegnung mit dem Dschinni war doch auch ein Wunder. Und es war doch auch ein Wunder, dass wir uns hier nach vielen Jahren trafen. Und du kannst dir ganz sicher sein, Allah wird meine Werke schätzen und mir gnädig sein, auch wenn ich eine Komödie gespielt habe.“

„Dir ist nicht zu helfen“, sagte Ali. Und es kam, wie er befürchtet hatte. Die Kaufleute wollten nicht länger auf ihr Geld warten und gingen zum König, um Maruf zu verklagen. Der König hörte sich den Vorwurf an und sagte dann:

„Eigentlich ist er kein Betrüger, wenn er das Geld verschenkt. Wahrscheinlich erwartet er wirklich eine Karawane von großem Wert. Diese Kaufleute sollen nur den Mund halten, denn sie haben noch nie den Armen etwas abgegeben.“ „Das ist richtig“, entgegnete der Wesir. „Andererseits sollten wir uns den Maruf wirklich einmal vornehmen.“

„Du hast recht“, sagte der König. „Wenn er reich ist, kann er uns sogar nützlich sein. Wir sollten ihn auf die Probe stellen. Ich werde ihm eine kostbare Perle zeigen und ihren Wert schätzen lassen. Nur ein wirklich großer Handelskaufmann kann erkennen, dass diese Perle dreißigtausend Dinare wert ist.“

Der Wesir hielt diese Probe zwar für etwas seltsam, aber er war merkwürdige Einfälle des Königs gewöhnt. So ließ er Maruf holen und zeigte ihm die Perle. Maruf hatte nicht die leiseste Ahnung von Perlen, und als er sie in seinen harten Schuhflickerhänden hin und her bewegte, zerbrach sie plötzlich in viele Splitter.

Schnell tat er so, als habe er sie mit Absicht zerdrückt. „König!“, sagte er. „Diese Perle taugt nicht viel. Allenfalls zwischen tausend und dreißigtausend Dinare. Aber mehr nicht. Ich aber handele mit Perlen, die siebzig bis hunderttausend Dinare wert sind.“

„Indische oder afrikanische?“, wollte der König wissen. „Indische“, antwortete der Schuhflicker, der keine Ahnung hatte. „Die besten aber kommen von einer Insel weit im südlichen Meer.“ „Gibt es auch Perlen in deiner Karawane?“, wollte der Wesir wissen. Maruf nickte. „Viele sogar. Und wenn meine Karawane kommt, will ich euch einige davon schenken.“

Da freute sich der König und entließ Maruf. Maruf aber verließ das Schloss in großer Sorge und erkannte, dass er sich immer weiter in seine Lügengeschichte verstrickte. Wo sollte er denn eine Karawane herbekommen? Und dann auch noch eine Karawane mit Perlen.

Aber es kam alles noch schlimmer. Im Vorsaal des Palastes nämlich begegnete ihm die Prinzessin, die Tochter des Königs. Ihre Blicke trafen sich, und sein Herz entflammte. Sie glich dem schimmernden Mond, und ihre Augen waren wie Teiche der Oasen, in denen Lotusblumen blühten.

Sie war die Frau seiner Träume, das spürte er sofort. Und auch der Prinzessin ging es ähnlich. Sie blickte Maruf mit offenem Munde an und auch ihre Seele war entflammt wie die seine. Da lief sie zu ihrem Vater und fragte, was das für ein Mann gewesen sei.

„Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen“, sagte sie. „Und er hat mir sofort gefallen.“ „Mein liebes Kind“, sprach ihr Vater. „Das freut mich sehr.“ Und er ging zum Wesir und redete mit ihm. „Es wäre keine schlechte Idee, wenn wir meine Tochter an diesen Mann geben“, sagte er. „Er ist steinreich. Bisher kamen nur arme Schlucker vorbei, um um die Hand meiner Tochter anzuhalten.“

Der Wesir wollte selbst gerne Nachfolger des Königs werden und riet darum dringend davon ab, aber der König setzte seinen Willen durch. Er ließ Maruf fragen, ob er seine Tochter heiraten wolle, und Maruf war überglücklich darüber. Dann aber überkamen ihn die großen Sorgen über all den Schwindel.

Und als der König die Hochzeit festlegte, ging er zum König, und versuchte, den Termin zu verschieben. „Wovon soll ich denn deiner Tochter ein Brautgeschenk machen?“, fragte er unglücklich. „Und was soll ich all den armen Menschen geben, die dem Hochzeitszug folgen? Lass uns warten, bis die Karawane kommt.“

Das überzeugte den König noch mehr von der Aufrichtigkeit Marufs und er rief: „Oh, Maruf, mein lieber Schwiegersohn, nimm aus meiner Schatzkammer, was immer du möchtest und brauchst.“ Und er bedrängte ihn so, dass Maruf nicht mehr Nein sagen konnte.

Und so lief Maruf die Hochzeit mit Fatma vom Großmufti nach den Gesetzten des Landes lösen und feierte seine Hochzeit mit der Prinzessin. Vier Tage lang feierte das Volk mit Pomp und Freude, und Maruf streute Geld unter die Armen, sodass alle Menschen noch tagelang von der Hochzeit sprachen.

Das Misstrauen gegen Maruf war seit dem Tage verschwunden, seit dem er Schwiegersohn des Königs geworden war. Nur drei Menschen blieben misstrauisch gegen ihn, das eine war Ali, Marufs Freund, das andere war der Wesir, der selbst gerne König geworden wäre, und der dritte war der Schatzmeister, der sich wunderte, warum Maruf so viel Geld für die Armen ausgab.

Maruf war überglücklich mit seiner neuen Frau, und er vergaß in diesen Tagen seinen Kummer und seine Sorgen vollständig. Erst als die Flitterwochen vorbei waren, tauchte die Frage nach der Karawane wieder auf. Der Schatzmeister sagte auch, er solle doch versuchen, eine neue Karawane mit Perlen aus dem Handelshäusern in Bewegung zu setzen und in Ichtian-Alchuta eine große Zweigstelle zu eröffnen.

„Ich werde es mir überlegen“, sagte Maruf. Und nun überkam ihn Trauer und er überlegte, was er tun könnte und fiel in ein dumpfes Brüten. Immer wieder kam seine junge Frau zu ihm und fragte ihn nach seinen Sorgen, aber er wollte sie ihr nicht anvertrauen.

Eines Nachts aber wollte er nicht länger lügen. „Liebes, ich will dir endlich die Wahrheit erzählen“, sagte er. „Ich bin Schuhflicker und kein reicher Kaufmann.“ Und dann erzählte er ihr die ganze Geschichte.

Da war auch die Prinzessin ganz verzweifelt, denn sie liebte Maruf sehr. „Oh, Maruf, ich bin sehr unglücklich“, sagte sie. „Natürlich liebe ich dich, und ich liebe dich auch, wenn du ein armer Schuhflicker bist. Du bist mir tausendmal lieber, als alle reichen Fürsten der Welt, die um meine Hand angehalten haben.

Nur weiß ich gut genug, dass dir Entsetzliches bevorsteht, wenn der Schwindel auffliegt. Mein Vater ist ein launischer Mann, und der Wesir und der Schatzmeister mögen dich nicht und werden Erkundigungen über dich einholen.

Und wenn die Wahrheit ans Licht kommt, werden sie dich verhaften und hinrichten lassen. Dir bleibt nichts anderes, als die Flucht in ein anderes Land. Dort musst du dein Glück versuchen, und mir hin und wieder eine Botschaft zukommen lassen.

Vielleicht gelingt es dir, in der Fremde zu Reichtum zu kommen. Wenn es dir aber nicht gelingt, werde ich dir heimlich nachkommen und mit dir zusammen in Armut leben. Das verspreche ich dir.

Vielleicht erleichtert sich auch hier das Leben für dich, dann schicke ich dir eine Nachricht, und wir werden wieder vereint sein.“

Dann weinte sie. Maruf aber verkleidete sich als Mameluck, nahm ein gutes Pferd, verabschiedete sich von seiner Frau und ritt davon. Die Prinzessin erzählte aber ihrem Vater, die Karawane sei in die Hände von Räubern gefallen, und Maruf hätte zusammen mit seinen Leuten die Verfolgung aufgenommen.

„Warum hat er denn nicht meine Leute zu Hilfe genommen?“, wunderte sich der König. „Ich hätte ihm sogar meine Armee gegeben.“ „Das Geschehen spielt außerhalb der Landesgrenzen“, erklärte die Prinzessin. „Aber sei unbesorgt, er hat in den Ländern Freunde, die ihm weiter helfen.“

Unterdessen ritt Maruf durch die Nacht. Er hatte Hunger und sah einen Bauern auf dem Felde. „Kann ich dir etwas zu essen abkaufen?“, fragte Maruf. „Abkaufen? Du bist mein Gast“, antwortete der Bauer. Und er ging ins nächste Dorf, um für Maruf Essen zu holen.

„Das kann ich doch auch machen“, rief Maruf, doch der Bauer war schon verschwunden. Da beschloss Maruf, die Arbeit des Bauern zu übernehmen. Es setzte sich auf den Pflug, trieb die Stiere an und pflügte, so gut es ihm möglich war.

Plötzlich knirschte es unter dem Pflug und die Pflugschar stieß auf einen Widerstand. Maruf schaute nach, was es war, und fand einen goldenen Ring, der an einer Platte befestigt war. Er hob die Platte hoch und sah eine Treppe vor sich. Sie führte ihn in ein dunkles Gewölbe.

Maruf stieg die Treppe hinunter und geriet in ein dunkles Gemacht. Hier lagerten Gold und Edelsteine, Smaragde, Rubine und Diamanten. In der Mitte des Raumes stand eine Truhe voll mit Kristall. Und dann gab es da auch eine goldene Dose.

Maruf öffnete sie und fand einen Ring aus Feuergold, der in der Mitte einen Skarabäus, einen Käfer aus Stein hatte. Maruf war fasziniert von diesem Ring und drehte daran. Da ertönte eine Stimme:

„Welchen Wunsch hast du?“ zirpte die Stimme und schien von dem Skarabäus zu kommen. „Soll die Wüste blühen? Soll es Feuer regnen? Soll ich einen König töten?“ „Allah, wer bist du denn?“, fragte Maruf ängstlich. Jetzt stand eine leuchtende Gestalt vor ihm, die sich verbeugte.

„Ich bin ein Fürst und dein Diener“, sagte der Geist. „Ich bin Herr über unzählige Dschinnis, Riesen, Kobolde, was immer du haben willst. Mein Name ist Abu Saadar, ich bin ein Meister des Glücks und an diesen Ring gebannt. Reib nur an dem Ring, und so werden deine Wünsche erfüllt. Aber reibe nie mehr als dreimal, sonst sterbe ich.“

„Also, dann wünsche ich mir, dass du mir all diese Schätze an die Oberfläche schaffst“, sagte Maruf. „Nichts leichter als das“, erwiderte der Geist. Und dann war das Gewölbe leer. „Es ist alles oben“, sagte der Geist.

„Da soll es nicht liegen bleiben“, sprach Maruf weiter. „Es soll eine Karawane entstehen, aus Pferden und Kamelen, Sklaven und Trommlern, die all diese Güter wohlverpackt zu mir nach Hause transportieren.“

„Nichts leichter als das“, erwiderte der Geist. „Dann füge den Schätzen noch eine Ladung Perlen hinzu“, sagte Maruf. „Die schönsten Perlen aus ganz Syrien. Außerdem Stoffe, Brokate und Seide. Mehr brauche ich nicht.“

Da verschwand der Geist. Maruf ging nach oben und traf auf eine große Karawane. In dem Moment traf der Bauer mit dem Essen ein. „Ich hielt dich für einen Mameluck“, sagte er. „Aber jetzt sehe ich, dass du der König selber bist.“

„Der bin ich“, sagte Maruf und verneigte sich. Und auch die Sklaven verneigten sich. „Haha, das ist zu komisch“, lachte der Bauer. „Ich habe dir nämlich ganz normale Linsen gebracht. Jetzt habe ich den ganzen Weg wohl umsonst gemacht, denn so ein einfaches Essen willst du bestimmt nicht zu dir nehmen.“

„Ich esse Linsen sehr gerne“, erwiderte Maruf und nahm den Teller an sich. Dann aß er die Mahlzeit und füllte anschließend den Teller mit Gold. Der Bauer traute seinen Augen kaum und ging wie im Traum davon.

„Hee, Bauer“, rief ihm Maruf nach. „Während du fort warst, habe ich ein bisschen gepflügt.“ Der Bauer rieb sich erneut die Augen. „Gepfügt. So ein hoher Herr? Wahrlich, das hast du vortrefflich gemacht. Schnurgerade Furchen. Also, wenn du nicht so ein hoher Herr wärest, könnte ich dich wunderbar als Knecht gebrauchen.“

Der Satz erschien ihm dann ziemlich respektlos, aber Maruf lachte. Dann gab Maruf das Zeichen zum Aufbruch und die Karawane brach nach Ichtian-Alchuta auf. Als er in der Stadt ankam, weinte die Prinzessin vor Glück. „Siehst du!“, sagte der König zu seinem Wesir. „Mein Schwiegersohn ist doch ein großartiger Mann. Und er ist der reichste Mann des Morgenlandes.“

Maruf zahlte alle seine Schulden, schenkte dem König die Perlen und füllte die Schatzkammer wieder auf. Dann gab er auch den Armen von seinem Reichtum ab. Und die ganze Stadt verehrte und liebte diesen Wundertäter.

Nur Ali wunderte sich. „Maruf, wie hast du das bloß gemacht?“, wollte er wissen. „Ich hatte ein magisches Erlebnis“, berichtete Maruf, „Aber du hast mir beigebracht, nicht darüber zu sprechen. Ich bin jetzt reich, aber ich habe mich mit diesem ganzen Schwindel sehr schlecht gefühlt. Zum Dank für deine Unterstützung möchte ich dir auch ein paar Perlen und Edelsteine schenken.“

So blieben sie Freunde und gleichzeitig die reichsten Männer der Stadt. Die Zeit blieb lange glücklich, doch Maruf hatte noch einige Prüfungen zu bestehen. Der Wesir nämlich traute ihm immer noch nicht über den Weg. Und als Maruf immer beliebter wurde, hasste er ihn immer mehr.

Eines Tages ging er zum König. „Verehrter König“, sagte er. „Ich kann dir immer noch sagen, dass mir dein Schwiegersohn unheimlich ist. Woher meinst du, hat er das ganze Geld? Und warum ist er so freigiebig. So freigiebig darf man nicht sein, das macht die Ärmsten nur frech.“

„Ach Unsinn“, winkte der König ab. „Das verhindert den Aufstand im Land. Dass es nicht so viel Elend gibt, haben wir doch Maruf zu verdanken. Er ist ein toller Geschäftsmann und ein guter Ehemann.“ „Aber woher hat er das Geld?“, jammerte der Wesir. „Er betreibt keine Geschäfte, und das Geld scheint von allen zu kommen. Wir sollten versuchen, herauszufinden, wer er in Wirklichkeit ist.“

„Willst du ihn foltern lassen?“, fragte der König entsetzt. „Aber nein“, erwiderte der Wesir. „Wir sollten ihn nur auf ein paar edle tropfen Wein einladen.“ Und so geschah es.

Gemütlich ließen sie sich zu Dritt im Garten des Königs nieder und ließen sich den Wein schmecken. Aber auch wenn Maruf ein bisschen schummrig vom Wein wurde, veriet er doch nichts. Da entdeckte der König den Ring an seinem Finger. „Was ist das für ein Ring?“, fragte er nach.

„Das ist der Ring eines Dschinni – haha“, erzählte Maruf plötzlich. „Welcher Wunsch –befehl – haha – Dschinni kommt und bringt es – haha.“ Und in seiner Betrunkenheit war er nicht mehr Herr über seine Sinne. „Ich verstehe jetzt alles“, sagte der Wesir. „Gib mir doch einmal diesen Ring.“

„Haha“, lachte Maruf wieder. „Der dicke Wesir will den Ring des Schuhflickers haben – haha- des Geisterflickers – haha.“ Und so redete er immer mehr Unsinn. Da ergriff der Wesir plötzlich die Weinflasche und schlug sie Maruf über den Kopf.

Der König war entsetzt und wollte die Leibgarde holen, da aber drehte der Wesir schnell an dem Ring und der Geist erschien. „Nehmt diesen betrunkenen Mann und werft ihn in die Wüste“, befahl er. Und der Dschinni führte den Befehl aus. „Siehst du“, sagte der Wesir zum König. „Er war ein Hexenmeister.“

„Gib mir doch einmal den Ring“, bat der König. Doch da lernte er seinen Wesir endlich einmal kennen. „Das könnte dir so passen“, rief er und schlug dem König kräftig auf die Finger. „ich habe deine Launen lange genug ertragen müssen. Jetzt behalte ich den Ring und mache mich zum König. Und du bist und bleibst ein hilfloser Trottel.“

Er rieb an dem Ring und rief: „Nimm auch diesen eitlen Pavian und trage ihn zu Maruf in die Wüste.“ Und der Dschinni packte den König und verschwand.

Dann ließ der Wesir die Armee zusammen kommen und stellte sich ihnen als neuer König vor. Und wenn sie ihn nicht anerkennen wollten, ließ er sie Dschinnis Faust spüren und hielt sie in Angst und Schrecken. So gehorchten ihm alle schnell.

Dann forderte er von der Prinzessin, sie möge ihn heiraten, und sie ließ ihm noch am gleichen Abend bestellen, sie sei da, um seinem Willen zu folgen. Das überraschte aber erfreute den Wesir.

Marufs Frau aber dachte nicht im Geringsten daran, den Wesir zu heiraten. Sie wusste nur, dass der Widerstand zwecklos war und hatte darum einen Plan. So ließ sie den Wesir freundlich in ihrem Zimmer willkommen heißen. Sie ließ Speisen und Wein auftragen und lud ihn zum Essen ein.

Und dann sah sie den Finger an seiner Hand und atmete heimlich auf. Gerade wollte der Wesir mit ihr über die Hochzeitspläne sprechen, da sagte sie zu ihm: „Was steht da für ein schrecklicher Mann hinter dir? Schicke ihn weg!“

Der Wesir erschrak und drehte sich um, konnte aber niemanden sehen. „Wen meinst du?“, fragte er unsicher. „Er steht immer noch da“, sagte die Prinzessin. Da wurde es dem Wesir unheimlich. „Wie sieht der Mann denn aus?“, fragte er.

„Wie ein Dschinni“, erwiderte die Prinzessin. „Er fliegt durch die Luft und leuchtet. Da ist er wieder!“ Der Wesir drehte sich immer wieder um sich selbst. „Wenn er so aussieht, wie du sagst, ist es der Diener meines Ringes“, sagte er dann.

„Oh, ich habe Angst vor ihm. Bitte lege den Ring ab, ja?“, bat die Prinzessin. Da lachte der Wesir. „Du schlaue Katze! Du willst doch nur den Ring stehlen, nicht wahr? Aber den kriegst du nicht.“

Die Prinzessin bemerkte, dass ihr Trick durchschaut war, aber sie versuchte es noch einmal. „Nein, wirklich, da ist er“, rief sie. Und als der Wesir sich noch einmal umdrehte, schnappte sie sich eine Weinflasche und schlug sie dem Wesir über den Kopf, genau wie er es mit ihrem Mann gemacht hatte.

Der Wesir sank zusammen. Doch die Kraft der Frau war nicht ausreichend, ihn in Ohnmacht zu befördern. Und er hielt seine Hand schützend über den Ring. Nun stürzten zwei Mamelucken der Prinzessin ins Zimmer, packten sich den Wesir und fesselten ihn.

Doch als Marufs Frau versuchte, ihm den Ring von der Hand zu ziehen, biss er sie so fest er konnte in die Hand. Marufs Frau schrie auf, und dann schlug sie auf den Wesir ein, genau wie Fatma früher Maruf geschlagen hatte. Und dann zog sie ihm den Ring von dem Finger.

Auf ihr Zeichen zogen sich dann die Mamelucken zurück. Dann drehte sie an dem Ring und der Diener erschien. „Was wünschst du?“, fragte er. „Bring mir meinen Vater und meinen Mann zurück, und schicke den Wesir in die Wüste, genau dort hin, wo er meinen Mann geschickt hat. Aber nimm ihm die Fesseln ab, damit er nicht verhungert. So kann er als Einsiedler leben.“

Der Diener verschwand und mit ihm auch der Wesir. Und schon nach kurzer Zeit standen der König und Maruf unversehrt im Zimmer, halbnackt und mit zerrissenen Kleidern. Sie umarmten die Prinzessin und alle waren glücklich und feierten ein rauschendes Fest.

Das Volk erfuhr, dass der schreckliche Tyrann gestürzt war, und der Mann, der ein Schuhflicker war, wurde König, und alle waren froh darüber. Er lebte glücklich und zufrieden, und war sich sicher, dass er alle alten Zeiten für immer hinter sich lassen konnte.

Aber eines Tages holte ihn seine Vergangenheit wieder ein. Die Wachen brachten eine Frau zu ihm, die ihn sprechen wollte, und als er sie hereinbat, sah er, dass Fatma, seine erste Frau zu ihm gekommen war.

Sie machte ihm halb unterwürfig, halb verärgert, Vorwürfe, dass er sie verlassen habe, und dass sie eines Tages gehört habe, dass er König geworden sei. Und so habe sie sich von einer Karawane mitnehmen lassen, um zu ihm zu kommen.

„Denn“, so endete sie, „du bist ja immer noch mein Mann.“ „Du irrst dich“, sagte Maruf. „Ich habe einen Großmufti mit der Auflösung der Ehe beauftragt. Aber vielleicht kann ich ja trotzdem etwas für dich tun.“ Und es überkam ihn etwas Mitleid.

Aber Fatma hatte schon Oberwasser bekommen. „Wenn du mich nicht wieder aufnimmst, erzähle ich überall in der Stadt, dass du Schuhflicker gewesen bist“, rief sie zornig. „Das kannst du gerne machen“, erwiderte Maruf und lächelte. „Das ist für niemanden in der Stadt eine Neuigkeit. Und weißt du was? Sie lieben mich gerade deswegen.“

Da merkte Fatma, dass sie einen Fehler gemacht hatte, und schämte sich. „Liebe Fatma, ich habe eine neue Frau, die ich sehr liebe“, sagte Maruf. „Trotzdem will ich dich aufnehmen. Du kannst im Palast wohnen, viel Geld haben und einige Dienerinnen zur Seite bekommen.“

Das nahm Fatma gerne an. Und zunächst ging auch alles gut. Sie genoss ihren Reichtum und lebte glücklich und zufrieden, dann aber kam ihre alte Streitbarkeit wieder durch. Sie zeigte ihre herrschsüchtige und zänkische Seite, behandelte ihre Dienerinnen schlecht und ließ sie auspeitschen.

Als Marufs Frau das erfuhr, warnte sie Fatma, das dem König zu melden. Aber Fatma wurde noch böser und beschloss, die Prinzessin zu ermorden. Längst hatte sie von dem Ring und dem Dschinni gehört, und beschloss, mit dieser Hilfe selbst Königin zu werden.

Heimlich schlich sie zu dem schlafenden Maruf und versuchte, ihm den Ring vom Finger abzuziehen. Doch da der Ring an seinen dicken Schuhflickerfingern sehr eng war, wurde Maruf unruhig, und es sah aus, als würde er erwachen.

Da drehte sich Fatma um und entdeckte eine seidene Schnur an der Gardine. Sie riss sie herunter und schlang sie um Marufs Hals. Da erwachte er, doch sie würgte ihn nun mit aller Kraft. Er brachte keinen Ton hervor und drohte, zu ersticken.

Ausgerechnet in dieser Nacht hatte Marufs Frau nicht schlafen können. Sie beschloss, ins Schlafgemach ihres Mannes herüber zu gehen, und kam gerade in dem Moment, als Fatma Maruf den Ring vom Finger zog.

Schnell rief sie nach den Wachen. Sie kamen sofort und kämpften mit Fatma. Bei dem Kampf stürzte Fatma aus dem Fenster, die Klippen hinab in den reißenden Fluss. Der spülte sie in den Ozean, wo die Haie auf ihr Fressen lauern.

Da kam Maruf zu sich. Als ihm seine Frau die Geschichte erzählte, berichtete er ihr von Fatma und der Geschichte mit dem Pfefferkuchen. Dann erst bemerkten beide, dass der Ring nicht mehr da war.

„Was machen wir denn nun?“, fragte die Königin verzweifelt. Doch Maruf lächelte. „Wir brauchen die Zauberkraft nicht mehr“, sagte er. „Die Geister können unter sich bleiben, und wir können wieder Menschen sein, wie andere auch.“ Und sie lebten noch lange in Frieden, bis eines Tages auch sie wie alle Menschen vom Tod erreicht wurden – ob arm oder reich, ob Schuhflicker oder König.

So erzählte Scheherazade. „Seltsam, dass Zauberringe und Lampen oder geheime Schätze immer nur armen Menschen zuteil werden, nie aber mal einem König“, sagte er. „Das liegt daran, dass sie reinen Herzens waren“, sagte Scheherazade. „Ali Baba oder Maruf oder Aladdin, sie alle waren reinen Herzens, sie waren mildtätig und gerecht. So konnten sie reich und mächtíg werden.“

„Hm“, sagte der König missmutig, denn ihm fiel ein, dass er selbst bisher noch nie milde oder gerecht gewesen war. Aber er verscheuchte die Stimme, die ihm Reue riet. „Erzähle weiter deine Geschichten“, sagte er dann. „Die Nacht ist bald um. Die Vögel erwachen schon.“

„Soll ich die Geschichte vom Rebhuhn und den Schildkröten erzählen?“, fragte Scheherazade. „Das ist mir recht“, erwiderte der König. „Ich habe genug von Dschinnis und Zauberringen gehört.“

Und Scheherazade erzählte.