Die drei Hunde

Ein Schäfer hinterließ seinen beiden Kindern, einem Sohn und einer Tochter, nichts als drei Schafe und ein Häuschen. Auf seinem Totenbett sprach er: "Teilet redlich, dass nicht Zank und Hader zwischen euch entstehe."

Als der Schäfer nun gestorben war, fragte der Bruder die Schwester, was sie lieber wollte, die Schafe oder das Häuschen? Und als sie das Häuschen wählte, sagte er: "So nehme ich die Schafe und gehe in die weite Welt. Es hat schon mancher sein Glück gefunden, und ich bin ein Sonntagskind." Er ging darauf mit seinem Erbteil fort, doch das Glück wollte ihm lange nicht begegnen.

Einst saß er recht verdrießlich an einem Kreuzweg und wusste nicht, wohin er sich wenden sollte. Da sah er auf einmal einen Mann mit drei schwarzen Hunden neben sich, von denen der eine immer größer als der andere war. "Ei, junger Gesell", sagte der Mann, "ihr habt da drei schöne Schafe. Wisst ihr was, gebt mir doch die Schafe, ich will euch meine Hunde dafür geben." Trotz seiner Traurigkeit musste der Bursche lachen. "Was soll ich mit euren Hunden tun?" fragte er. "Meine Schafe ernähren sich selbst, die Hunde aber wollen gefüttert sein."

"Meine Hunde sind von absonderlicher Art", antwortete der Fremde. "Sie ernähren euch selbst, statt ihr sie, und ihr werdet euer Glück machen. Der Kleinere da heißt: 'Bring Speisen', der zweite 'Zerreiß'n', und der große Starke 'Brich Stahl und Eisen'." Der Schäfer ließ sich endlich beschwatzen und gab seine Schafe her. Um die Eigenschaft seiner Hunde zu prüfen, sprach er: "Bring Speisen!" Und alsbald lief der eine Hund davon und kam mit einem großen Korb zurück, voll der herrlichsten Speisen. Der Schäferbursche freute sich gar sehr über seinen Tausch. Er ließ sich's wohl sein und zog lange im Lande umher.

Einst begegnete ihm ein Wagen mit zwei Pferden bespannt. Die Pferde waren ganz mit schwarzen Decken bekleidet und auch der Kutscher war schwarz angetan. In dem Wagen saß ein wunderschönes Mädchen in einem schwarzen Gewande, das weinte bitterlich. Die Pferde trabten traurig und langsam daher und ließen die Köpfe hängen.

"Kutscher, was bedeutet das?", fragte der Schäfer. Der Kutscher antwortete mürrisch, ein großer Drache hause in der Gegend. Um sich vor seinen Verwüstungen zu sichern, habe man eine Jungfrau als jährlichen Tribut versprechen müssen, die der Drache mit Haut und Haar verschlänge. Das Los entscheide allemal unter den vierzehnjährigen Jungfrauen, und diesmal habe es die Königstochter getroffen. Darüber sei der König und das ganze Land in tiefster Betrübnis, und doch müsse der Drache sein Opfer erhalten.

Der Schäfer fühlte Mitleid mit dem schönen jungen Mädchen und folgte dem Wagen. Dieser hielt endlich an einem hohen Berge. Die Jungfrau stieg aus und schritt langsam ihrem schrecklichen Schicksal entgegen. Der Kutscher sah nun, dass der fremde Mann ihr folgen wollte. Er warnte ihn ernst, jedoch der Schäfer ließ sich nicht abspenstig machen.

Als sie die Hälfte des Berges erstiegen hatten, kam vom Gipfel ein schreckliches Untier herab. Es hatte einen Schuppenleib, Flügel und ungeheure Krallen an den Füßen. Aus seinem Rachen loderte ein glühender Schwefelstrom, und schon wollte es sich auf seine Beute stürzen. Da rief der Schäfer: "Zerreiß'n!"

Der zweite seiner Hunde stürzte sich auf den Drachen, biss sich in der Seite desselben fest und setzte ihm so zu, dass das Ungeheuer endlich niedersank und sein giftiges Leben aushauchte. Der Hund aber fraß ihn völlig auf, dass nichts übrig blieb als ein Paar Zähne. Die steckte der Schäfer zu sich.

Die Königstochter war ganz ohnmächtig vor Schreck und vor Freude. Der Schäfer erweckte sie wieder zum Leben, und nun sank sie ihrem Retter zu Füßen und bat ihn flehentlich, mit zu ihrem Vater zu kommen, der ihn reich belohnen werde. Der Jüngling antwortete, er wolle sich erst in der Welt umsehen, nach drei Jahren aber wiederkommen. Und bei diesem Entschluss blieb er. Die Jungfrau setzte sich wieder in den Wagen, und der Schäfer ging eines anderen Weges fort.

Der Kutscher aber war auf böse Gedanken gekommen. Als sie über eine Brücke fuhren, unter der ein großer Strom floss, hielt er still, wandte sich zur Königstochter und sprach: "Euer Retter ist fort und begehrt eures Dankes nicht. Es wäre schön von Euch, wenn ihr einen armen Menschen glücklich machtet. Saget deshalb eurem Vater, dass ich den Drachen umgebracht habe. Wollt ihr das aber nicht, so werf' ich euch hier in den Strom. Und niemand wird nach euch fragen, denn es heißt, der Drache habe euch verschlungen." Die Jungfrau klagte und flehte vergeblich. Sie musste endlich schwören, den Kutscher für ihren Retter auszugeben und keiner Seele das Geheimnis zu verraten.

So fuhren sie in die Stadt zurück, wo alles außer sich vor Entzücken war. Die schwarzen Fahnen wurden von den Türmen genommen und bunte darauf gesteckt. Und der König umarmte mit Freudentränen seine Tochter und ihren vermeintlichen Retter. "Du hast nicht nur mein Kind, sondern das ganze Land von einer großen Plage errettet", sprach er. "Darum ist es auch billig, dass ich dich belohne. Meine Tochter soll deine Gemahlin werden; da sie aber noch allzu jung ist, so soll die Hochzeit erst in einem Jahr sein."

Der Kutscher dankte, ward prächtig gekleidet, zum Edelmann gemacht und in allen feinen Sitten, die sein neuer Stand erforderte, unterwiesen. Die Königstochter aber erschrak gar heftig und weinte bitterlich, als sie dies vernahm, wagte sie doch nicht, ihren Schwur zu brechen. Als das Jahr zu Ende war, konnte sie nichts erreichen, außer die Frist um ein weiteres Jahr zu verlängern. Auch dieses Jahr ging ins Land. Da warf sich die Prinzessin dem Vater zu Füßen und bat um noch ein Jahr, denn sie dachte an das Versprechen ihres wirklichen Erretters. Der König konnte ihrem Flehen nicht widerstehen und gewährte ihr die Bitte. Er sagte aber auch, dass dies die letzte Frist sei, die er ihr gestattete.

Wie schnell doch die Zeit verrann! Der Trauungstag ward nun festgesetzt, auf den Türmen wehten rote Fahnen, und das Volk war im Jubel. An demselben geschah es, dass ein Fremder mit drei Hunden in die Stadt kam. Der fragte nach der Ursache der allgemeinen Freude und erfuhr, dass die Königstochter eben mit dem Manne vermählt werde, der den schrecklichen Drachen erschlagen. Der Fremde schalt diesen Mann einen Betrüger, der sich mit fremden Federn schmücke. Aber er wurde von der Wache ergriffen und in ein enges Gefängnis mit eisernen Türen geworfen.

Als er nun so auf seinem Strohbündel lag und sein trauriges Geschick überdachte, glaubte er plötzlich draußen das Winseln seiner Hunde zu hören. Da dämmerte ein leiser Gedanke in ihm auf: "Brich Stahl und Eisen!", rief er so laut er konnte, und alsbald sah er die Tatzen seines größten Hundes an dem Gitterfenster, durch welches spärliches Tageslicht in seine Zelle fiel. Das Gitter brach, der Hund sprang in die Zelle und zerbiss die Ketten, mit denen sein Herr gefesselt war. Darauf sprang er wieder hinaus, und sein Herr folgte ihm.

Nun war er zwar frei, aber der Gedanke schmerzte ihn sehr, dass ein anderer seinen Lohn ernten solle. Es hungerte ihn auch und er rief einen seiner Hund: "Bring Speisen!" Bald darauf kam der Hund mit einer Serviette voll köstlicher Speisen zurück; und in die Serviette war eine Königskrone gestickt.

Der König hatte eben mit seinem ganzen Hofstaat an der Tafel gesessen, als der Hund erschien und der bräutlichen Jungfrau bittend die Hand leckte. Mit freudigem Schreck hatte sie den Hund erkannt und ihm die eigene Serviette umgebunden. Sie sah dies als einen Wink des Himmels an, bat den Vater um einige Worte und vertraute ihm das ganze Geheimnis an.

Der König sandte einen Boten dem Hunde nach, der bald darauf den Fremden in des Königs Kabinett brachte. Der König führte ihn an der Hand in den Saal. Da erblasste der ehemalige Kutscher und bat kniend um Gnade. Die Königstochter erkannte den Fremdling als ihren Retter, konnte er doch auch noch die Drachenzähne vorzuweisen, die er bei sich trug. Der Kutscher ward in einen tiefen Kerker geworfen, und der Schäfer nahm seine Stelle an der Seite der Königstochter ein. Diesmal bat sie nicht um Aufschub der Trauung.

Das junge Ehepaar lebte schon längere Zeit in wonniglichem Glück, als der ehemalige Schäfer seiner armen Schwester gedachte. Er hatte den Wunsch, etwas von seinem Glück mit ihr zu teilen. Darum sandte er einen Wagen fort, sie zu holen. Und es dauerte gar nicht lange, da lagen sie sich mit Freudentränen in den Armen. Da begann einer der Hunde zu sprechen und sagte: "Unsere Zeit ist nun um; du bedarfst unser nicht mehr. Wir sind nur so lange bei dir geblieben, um zu sehen, ob du auch deine Schwester im Glück nicht vergisst." Darauf verwandelten sich die Hunde in drei Vögel und verschwanden in den Lüften.