Ende der Flucht: Über den Forth

  • Autor: Stevenson, Robert Louis

Tief im August, als herrliches warmes Wetter war, wurde ich für gesund erklärt und konnte weiterwandern. Wir hatten kaum noch Geld, und Alan meinte, dass die Jagd nach uns wohl nicht mehr so eifrig betrieben würde, da wir nur noch wenige Wachen sahen.

"Es ist einer der obersten Grundsätze in militärischen Dingen", belehrte er mich, "dort aufzutauchen, wo man am wenigsten erwartet wird. Der Forth ist unsere größte Schwierigkeit. Wenn wir versuchen, den Fluss an seiner Quelle zu umgehen, so werden sie uns gerade dort erwarten und festnehmen. Wenn wir aber geradewegs auf die alte Brücke von Stirling losmarschieren, so wette ich meinen Degen, dass sie uns ungeschoren durchlassen."

Wir wanderten mehrere Nächte und verbrachten die Tage bei Freunden. Schließlich kamen wir an den Rand des Gebirges und sahen den Forth, vom Mondschein überglänzt.

"Nun", sagte Alan, "vielleicht macht es dir nichts aus, aber jetzt bist du wieder in deiner Heimat! Die Grenze des Hochlandes haben wir in der Nacht überquert, und wenn wir nun noch das Gewässer da überschritten haben, können wir unsere Mützen voll Jubel in die Luft werfen."

Wir entdeckten ein kleines, sandiges Inselchen, auf dem Kletten und andere niedrige Kräuter wuchsen. Wir brauchten uns da nur hinzulegen und waren geschützt.

Als die Abenddämmerung kam, wateten wir zurück zum Ufer. Dort gingen wir im Schutz der Felder und Zäune und gelangten so zu der Brücke von Stirling. Sie liegt dicht unter dem Burgberg. Von der Burg hörten wir den Trommelwirbel der Truppen.

Der Mond war noch nicht hoch, als wir sie erreichten. Einige Lichter schimmerten, aber ansonsten war alles völlig still und lautlos. Kein Posten schien den Übergang zu bewachen.

Ich meinte, wir sollten einfach hinübergehen, aber Alan riet dringend zur Behutsamkeit. Als ein altes Weiblein mit einem Krückstock die Brücke überquerte, lauschten wir gespannt ihren Schritten. Als sie die andere Seite erreicht haben musste, erklang plötzlich eine Stimme: "Wer da?" Wir vernahmen das Rasseln eines Gewehrkolbens auf den Pflastersteinen. Offenbar hatte die Wache geschlafen, aber nun war ein Mann wach.

Alan sagte: "Das geht nicht! Nie und nimmer gelingt uns das!" Ohne ein weiteres Wort fing er an, durch die Felder davon zu kriechen. Erst als wir außer Sichtweite waren, erhob er sich auf die Füße. Ich begriff nicht, was er im Sinn hat, und ich war auch schmerzlich enttäuscht. Eben noch hatte ich mir vorgestellt, wie ich an Mister Rankeillors Tür klopfen würde, um mein Erbe zu fordern, gleich einem Helden; und nun war ich zurückgeschleudert in mein Wanderdasein.

Alan sagte: "Was kann man da tun? Sie sind nicht so dumm, wie ich dachte. Über den Forth müssen wir noch, Davie! Über den Fluss und seine Brücken können wir aber nicht! Versuchen wir es mit dem Meeresarm!"

Ich war der Ansicht, dass wir doch lieber durch den Fluss schwimmen sollten, als zum Meeresarm zu gehen, denn wie sollten wir den überwinden?

Alan entgegnete, dass unsere Schwimmkünste nicht ausreichen, um den Fluss zu überqueren, für den Meeresarm gebe es ja aber Boote. Nun meinte ich, dass uns dafür aber das Geld fehle.

"David", entgegnete Alan, "du hast zu wenig Erfindungsgabe und Zuversicht. Ich will meinen Kopf ordentlich gebrauchen, und wenn ich kein Boot erbetteln, keins leihen oder stehlen kann, so werde ich eins bauen. Lass Alan für dich denken!"

So wanderten wir also weiter die ganze Nacht. Gegen zehn Uhr morgens kamen wir hungrig und müde zu einem Ort dicht an der Küste. Auf der gegenüberliegenden Seite sahen wir die Stadt Queensferry. Aus den Schornsteinen stieg Rauch auf, die Felder wurden gemäht, und zwei Schiffe lagen vor Anker. Für mich war das ein erfreulicher Anblick. Ich konnte mich an den grünen, bebauten Hügeln und dem geschäftigen Volk auf Feld und See nicht sattsehen.

Vor allem aber: Da drüben am Südufer stand Mister Rankeillors Haus. Reichtum lag dort für mich bereit, daran zweifelte ich keinen Augenblick. Aber ich war hier auf der Nordseite, in armselige Sachen gekleidet, mit nur drei Silberschillingen in der Tasche, ein Preis war auf meinen Kopf ausgesetzt und meine einzige Gesellschaft war ein Geächteter.

"O Alan!" sagte ich. "Da drüben ist alles, was das Herz sich wünschen mag und wartet auf mich. Die Vögel fliegen hinüber, die Boote fahren dahin und wer Lust hat, kann hinüber - aber ich, gerade ich nicht! Ach, lieber Freund, es ist herzzerreißend!"

Wir gingen in ein kleines Gasthaus und kauften etwas Brot und Käse von einem hübschen Mädchen. Wir nahmen das Gekaufte mit und wollten es in einem Wäldchen an der Küste verzehren.

Plötzlich blieb Alan auf dem Weg stehen: "Hast du dir das Mädchen angesehen, von dem wir das hier gekauft haben?"

"Gewiss", gab ich zurück, "ein hübsches Mädel war sie!"

"Findest du?", rief er nun. "Das höre ich gern!"

"Um alles in der Welt - warum das? Was soll uns das nützen?"

"Tja", entgegnete Alan und warf mir einen seiner Spaßvogelblicke zu, "ich dachte, vielleicht würde uns das zu einem Boot verhelfen."

"Wenn es umgekehrt gewesen wäre - wenn ich ihr gefallen hätte, dann könntest du vielleicht recht haben", sagte ich.

Alan meinte: "Das Mädchen soll sich ja nicht in dich verlieben! Mitleid soll sie mit dir haben, David, und dazu braucht sie dich nicht einmal schön zu finden." Er betrachtete mich prüfend. "Ich wünschte, du wärst ein bisschen blasser; aber immerhin, du passt ganz gut zu meinem Plan. Du hast so ein richtiges abgezehrtes Bettler- und Lumpenaussehen, als hättest du deine Sachen von einer Vogelscheuche gestohlen. Los! Kehrt marsch! Zurück zum Wirtshaus, damit wir zu unserem Boot kommen!"

Ich folgte ihm lachend.

"David Balfour", sagte er nun, "du bist auf deine Art ein spaßiger Gentleman, aber wenn dir etwas an deinem und meinem Leben liegt, dann nimm diese Angelegenheit bitte ernst. Ich will ein kleines Schauspiel veranstalten, das aber im Grunde so ernst ist wie die Drohung mit dem Galgen, die über uns hängt. Also, behalte das bitte im Sinn und benimm dich danach!"

"Gut, gut", sagte ich darauf, "wie du willst!"

Als wir nahe am Gasthaus waren, ließ er mich seinen Arm nehmen und mich an ihn hängen, als ob ich vor Müdigkeit nicht mehr weiter könnte. Als er die Tür des Hauses aufstieß, machte es den Eindruck, dass er mich halb trage. Das Mädchen schien überrascht, dass wir so schnell wieder da waren. Alan gab keine langen Erklärungen, half mir auf einen Stuhl, bat um ein großes Glas Branntwein, ließ es mich in kleinen Schlucken trinken, nahm schließlich Käse und Brot heraus und gab mir davon zu essen. Alles geschah mit ernster, herzbewegender Miene. Es war kein Wunder, dass das Mädchen wahrhaft ergriffen war von unserem Anblick. Sie sah nichts anderes vor sich als einen höchst besorgten Kameraden, der einem armen, kranken, völlig erschöpften Bürschlein Hilfe brachte.

Sie kam heran und fragte: "Was fehlt ihm denn?"

"Fehlt?", rief Alan. "Fehlt? Er hat hunderte von Meilen zu Fuß ausgehalten und öfter in der nassen Heide geschlafen als in trockenen Betten. Es fehlt ihm so allerlei!" Während er mich weiter fütterte, brummte er noch vor sich hin.

"Er ist zu jung für so ein Leben", sagte das Mädchen.

"Viel zu jung", gab Alan zurück.

"Ihr braucht mir gar nichts weiter zu sagen", bemerkte das Mädchen, "ich sehe, dass Ihr von Adel seid."

Alan meinte, dass das aber kein Grund wäre, dass man Geld haben müsse. Ich war die ganze Zeit über empört über meine Rolle, die ich spielen musste. Allerdings wechselte mein Zustand zwischen Scham und Belustigung.

"Hat er denn keine Angehörigen?", fragte das Mädchen, fast schon in Tränen.

"Und ob er welche hat!", rief Alan. "Wenn wir sie nur erreichen könnten! Angehörige, ja und reiche dazu! Und Betten zum Schlafen! Und Speisen zum Sattessen! Ärzte zum Helfen! Alles, alles! Und hier muss er in den Pfützen rumspazieren und in der Heide schlafen wie Bettelvolk!"

"Und warum?", fragte das Mädchen.

"Ja, mein Herzchen", erwiderte Alan, "das kann ich nicht gut erzählen."

Das Mädchen begriff. Sie wandte sich um und lief fort. Als sie zurückkam, brachte sie eine Schüssel mit Weißwürsten und eine Flasche kräftiges Bier.

"Armes Kerlchen", sagte sie, setzte die Speisen vor uns hin und berührte mich leicht und freundlich an der Schulter. Dann bat sie uns zuzugreifen. Zu bezahlen brauchten wir nichts, da das Wirtshaus ihrem Vater gehöre und der sei heute den ganzen Tag unterwegs. Wir ließen uns nicht zweimal bitten, zumal die Würste köstlich dufteten. Sie sah uns zu, dachte stirnrunzelnd nach und zog ihr Schürzenband durch die Hände.

Zu Alan sagte sie: "Ich finde, Ihr habt eine recht geschwätzige Zunge, aber ich würde Euch nie verraten!"

Dieser gab zurück: "Ich weiß immer, zu wem ich spreche! Du bist keine, die uns verrät! Ich will dir was sagen: Du bist ein Mädel, das uns helfen könnte."

"Das kann ich nicht!", rief sie leise und schüttelte den Kopf. "Nein, das kann ich nicht!"

"Nein?", erwiderte er. "Und wenn du doch könntest?"

Darauf antwortete sie nicht.

"Sieh mal", begann Alan wieder, "hier gibt's doch Boote. Ich habe nicht weniger als zwei am Ufer gesehen. Könnten wir im Schutz der Nacht mit einem Boot hinüber, dann wären wir gerettet und der junge Mann hier in Sicherheit. Wenn wir kein Boot bekommen, weiß ich nicht, was wir tun sollen. Wir haben gerade noch drei Schillinge in dieser weiten Welt. Ich weiß nicht, wohin wir sollen und uns wird nichts anderes blühen als der Strick am Galgen. Willst du uns das antun? Willst du in deinem warmen Bett liegen oder am flammenden Herdfeuer dein Mahl essen und dabei an meinen armen, kranken Freund hier denken, wie er bei Hunger und Kälte draußen im einsamen Moor ist? Er wird sich auf endlosen Straßen im Regensturm fortschleppen, und wenn er seinen letzten Seufzer auf einem Haufen kalter Steine aushaucht, wird kein Freund um ihn sein als ich und Gott."

Dieser Aufruf an ihr Herz versetzte das Mädchen in große Gewissensnot, das sah man deutlich. Sie wollte uns helfen, fürchtete sich aber auch, Übeltätern beizustehen. So entschloss ich mich, selbst in das Gespräch einzugreifen und ihr Gewissen mit ein wenig Wahrheit zu beschwichtigen.

"Hast du einmal was von Mister Rankeillor gehört?", fragte ich.

"Von dem Anwalt Rankeillor?", sagte sie. "Aber freilich!"

"Nun", fuhr ich fort, "zu dem bin ich auf dem Weg. Jetzt kannst du ja selbst beurteilen, ob ich ein Übeltäter bin. Und ich will dir noch mehr sagen. Ich schwebe in Lebensgefahr infolge eines schrecklichen Irrtums."

Das Gesicht des Mädchens erhellte sich. "Mister Rankeillor ist ein hoch angesehener Mann."

Sie bat uns aufzuessen, so rasch wie möglich das Dorf zu verlassen und uns in dem kleinen Wäldchen an der Küste zu verbergen. "Ihr könnt Euch auf mich verlassen", sagte sie, "ich finde schon eine Möglichkeit, Euch hinüber zu bringen."

Wir warteten keinen Augenblick länger, sondern tauschten einen Händedruck mit ihr, aßen rasch die Würste auf und gingen zu dem Wäldchen. Dabei erfreuten wir uns an der Aussicht auf Rettung.

Der Tag ging zu Ende und hell und klar kam die Nacht. Die Lichter in den Häusern gingen aus, und uns folterte langsam eine seltsame Angst, bis wir endlich etwas hörten. Das Mädchen kam selbst in einem Boot angerudert, denn sie wollte niemandem von uns erzählen. Sie war heimlich aus dem Fenster gestiegen, hatte das Boot eines Nachbarn genommen und kam nun allein, um uns Hilfe zu bringen.

Sie bat uns, keine Zeit zu verlieren und uns ganz still zu verhalten. Sie setzte uns an der gegenüberliegenden Küste ab, schüttelte uns die Hände und ruderte schnell zurück. So schnell hatten wir nicht einmal ein Wort des Lobes über ihre Hilfsbereitschaft oder ein Wort des Dankes aussprechen können.

Alan stand eine ganze Weile am Ufer und schüttelte den Kopf. "Ein wunderbares Mädchen!", sagte er endlich. "Ein prachtvolles Mädchen!" Ich vermochte gar nichts zu sagen und hoffte, dass wir sie in keine gefährliche Lage verwickelt hätten.