Flucht durch die Heide: Das Moor

  • Autor: Stevenson, Robert Louis

Nach elf oder zwölf Stunden ununterbrochener Wanderung kamen wir in den frühen Morgenstunden zum Ende einer Gebirgskette. Vor uns lag niedriges, unebenes, einsames Land, das wir nun überqueren mussten. Schwacher Nebel stieg aus dem Moorgebiet auf wie Rauch, durch den wir keine Soldaten hätten sehen können.

Deshalb ließen wir uns in einem Versteck am Abhang nieder um abzuwarten, bis der Nebel ganz aufstieg. Wir bereiteten uns Mehlbrei und hielten Kriegsrat.

Alan erklärte mir: "Es steht folgendermaßen: Appin bedeutet unseren sicheren Tod. Nach Süden hin ist nur Gebiet der Campbells, daran ist also nicht zu denken. Nach Norden? Ja, aber davon hätten wir beide nicht viel, da du nach Queensferry willst und ich nach Frankreich. Was bleibt übrig? Osten! Nach Osten können und müssen wir also!"

Im Stillen wünschte ich mir, dass sich unsere Wege hier trennen.

Alan erzählte weiter, dass wir den Weg durch das Moor nehmen müssen, das uns aber keinerlei Schutz vor den Rotröcken bietet und ganz besonders gefährlich ist, wenn sie mit ihren Pferden kommen, denn dann würden sie uns im Nu einholen. Deshalb sollten wir nachts gehen.

"Alan", antwortete ich darauf, "hör mal zu! Wir haben nicht viel Geld und kaum noch Mehl. Je länger die Soldaten suchen, umso leichter werden sie wittern, wo wir sein könnten. Wegen mir können wir sofort weiter laufen."

Alan war begeistert von meinem Mut. Er sagte: "David, es gibt Augenblicke, da bist du ein großartiger Kerl. Dann liebe ich dich wie einen Bruder!"

Als der Nebel verweht war, sahen wir ein Land vor uns, das öde wie das Meer war. Zu unserem Glück waren keine Rotröcke hier.

Wir begannen also unsere mühevolle, uns weit vom eigentlichen Weg abführende Wanderung nach Osten in diesem gottverlassenen Land. Da ringsumher hohe Berge standen, von denen wir leicht erspäht werden konnten, mussten wir uns an die Gruben und Löcher im Moor halten oder mit unendlicher Vorsicht auf der nackten Fläche dahin schleichen. Manchmal krochen wir von einem Busch zum anderen. Es war wieder ein klarer Tag mit glühendem Sonnenschein. Das Wasser in unserer Flasche war rasch verbraucht. Hätte ich gewusst, was mich hier erwartet, wäre ich sicher nicht mit diesem Weg einverstanden gewesen.

Wir schleppten uns fort, rasteten, machten uns wieder auf und so verging der Morgen. Um die Mittagsstunde lagerten wir uns in dichtes Heidegebüsch und schliefen. Alan übernahm die erste Wache. Danach war ich an der Reihe, aber ich war so erschöpft, dass mir immer wieder die Augen zufielen, bis ich schließlich ganz einschlief. Als ich erwachte, hätte ich fast laut aufgeschrien, denn mir wurde klar, dass ich versagt hatte!

Als ich auf das Moor sah, war es, als sterbe mir das Herz im Leib. Eine Abteilung berittener Soldaten näherte sich uns aus Südosten. Sie verteilten sich und sprengten hin und her.

Als ich Alan weckte, sah er gleich die Soldaten. Er runzelte die Stirn und sah mich böse und beunruhigt an.

"Was können wir nun machen?", fragte ich.

"Hasen spielen!", antwortete er. "Siehst du den Berg da?", und er deutete auf einen Umriss im Nordosten. "Dorthin wollen wir. Es ist Ben Alder; ein wilder, einsamer Gebirgsstock mit Kuppen und Höhlen. Wenn wir vor morgen hinkommen, sollte noch alles klar gehen."

"Aber Alan, da müssen wir ja mitten durch die Soldaten!"

"Das weiß ich wohl", versetzte er, "aber wenn wir zurück nach Appin flüchten, sind wir tote Leute. Also los, David, frisch voran!"

Damit begann er, sich mit einer unglaublichen Geschwindigkeit auf Händen und Knien vorwärts zu bewegen. Dabei suchte er sich die Teile des Moorlandes aus, wo man sich am besten verstecken konnte. Das mitgenommene Wasser war längst verbraucht, und die Fortbewegung in dieser ungewohnten Haltung machte uns entsetzlich müde und schwach; die Gelenke schmerzten, und manchmal blieben wir keuchend eine Weile in einem Heidebusch liegen.

Zum Glück hatten uns die Rotröcke nicht erspäht und ritten in anderer Richtung weiter.

Die Schmerzen und meine Schwäche, der wilde Herzschlag, meine aufgeschundenen Hände, das Brennen in den Augen und in der Kehle von dem aufsteigenden rauchigen Dunst aus dem Moor - das alles war bald so unerträglich, dass ich am liebsten die Flucht aufgegeben hätte. Nur die Angst vor Alan trieb mich weiter. Obwohl auch er völlig außer Atem war, ließen seine Tatkraft und Ausdauer nicht nach.

Im ersten Abendlicht hörten wir den Klang einer Trompete und sahen, dass die Soldaten sich sammelten und um ein Feuer niederließen.

"In dieser Nacht gibt es keinen Schlaf!", bestimmte Alan. "Von jetzt an werden die Rotröcke das Moor besetzt halten, und keiner kommt mehr aus Appin heraus. Wir sind im letzten Augenblick durchgeschlüpft. Wenn der Tag kommt, müssen wir an einem sicheren Ort sein, und zwar auf Ben Alder."

"Alan", gab ich zurück, "mir fehlt dazu die Kraft! Ich kann einfach nicht mehr!"

"Gut", sagte Alan, "dann werde ich dich tragen!"

Ich blickte ihn an, ob er etwa Spaß mache; aber nein, er sprach mit tödlichem Ernst. Der Anblick seiner Entschlossenheit erfüllte mich mit brennender Scham.

Da sagte ich: "Geh nur weiter! Ich werde dir folgen."

Sofort machte er sich mit höchster Geschwindigkeit auf den Weg. Langsam kam die Nacht, und es wurde kühler. Reichlicher Tau fiel auf das Land und befeuchtete das Moor wie Regen. Das machte mich für einige Zeit frischer.

Allerdings änderte es nichts an meiner Wut auf Alan. Er war schuld daran, dass ich bei jedem Schritt dachte, er wäre mein letzter. Alan war Offizier, und er und seine Leute mussten Dinge tun, für die sie vielleicht den Tod fanden. Aber ich nicht!

Als der Tag herauf kam, waren wir aus der größten Gefahr heraus. Endlich konnten wir wieder wie Menschen auf den Füßen gehen und mussten nicht wie Tiere kriechen. Aber wir sprachen kein Wort, sondern kämpften mit den Schmerzen in unseren Gliedern.

Da Alan ebenso erschöpft wie ich war, achtete er nicht richtig auf unsere Umgebung. Als wir einen buschigen Abhang hinab stiegen, raschelte es plötzlich in der Heide. Drei oder vier abgerissene Kerle sprangen heraus, und im nächsten Augenblick lagen wir beide auf dem Rücken, jeder einen offenen Dolch an der Kehle.

Vor lauter Schmerzen war mir selbst das ziemlich gleichgültig. Ich hörte, wie Alan mit einem von ihnen auf gälisch flüsterte, konnte aber nichts verstehen. Die Männer steckten die Dolche ein und nahmen unsere Waffen weg. Wir setzten uns in der Heide einander gegenüber.

Es stellte sich heraus, dass sie zu einem befreundeten Clan gehörten. Sie waren Außenposten und wollten mit uns gemeinsam auf einen Boten warten, den sie zum Häuptling Cluny geschickt hatten, auf dessen Kopf ebenfalls ein Preis ausgesetzt war.

Alan nutzte die Wartezeit zum Schlafen. Mir war das unmöglich.

Als der Bote zurückkam, machten wir uns auf die Beine, denn es hieß, dass Cluny erfreut sei, uns zu empfangen. Alan war in ausgezeichneter Stimmung, erfrischt durch seinen kurzen Schlaf, sehr hungrig und vergnügt bei der Aussicht auf einen Schnaps und ein Rehschnitzel.

Mir dagegen ging es nicht gut. Ich konnte an nichts zu essen denken, und das Laufen fiel mir schwer. Ich trieb nur so dahin und hätte weinen können über meine Hilflosigkeit.

Schließlich fassten mich zwei Männer unter den Armen und trugen mich fast durch ein Irrsal von düsteren Schluchten und Höhlen, mitten hinein in das öde Bergmassiv von Ben Alder.