Die Schildbürger

  • Autor: Simrock, Karl

1. Die Bürger von Schilda
2. Das neue Rathaus
3. Der Salzanbau in Schilda
4. Mit einem Reim zum Bürgermeisteramt
5. Frau Bürgermeisterin
6.Der Kaiser zu Besuch in Schilda
7. Eine Hand voll Senf
8. Das Brot in der Suppe
9. Der tote Wolf
10. Die Kuh auf der Mauer
11. Die versunkene Glocke
12. Ein Krebs wird verurteilt
13. Das Herz am rechten Fleck
14. Schulunterricht für einen Tag
15. Die Schildbürger vertauschen ihre Beine
16. Der Häusertausch
17. Eine Hochzeit in Schilda
18. Eier für den Markt
19. Eine ziemlich lange Wurst
20. Die Schildbürger bauen eine Mühle
21. Der kopflose Mann
22. Der gemeine Kuckuck
23. Der Pferdekuss
24. Eine Sache für die Katz
25. Die Schildbürger ziehen in die Welt

 

 

1. Die Bürger von Schilda

Vor gar nicht allzu langer Zeit, in einem Land, gar nicht so weit weg, gab es ein kleines Städtchen, das sich Schilda nannte. Die Bürger waren sehr gescheit. Und wenn in fremden Ländern wieder einmal Not und Ratlosigkeit herrschte, dann wurden die Männer aus Schilda gerufen, um das Problem zu lösen.

So kam es im Laufe der Jahre, dass immer mehr Männer das Land verließen. Nur selten kehrten sie zurück, denn bei ihren neuen Herrschern konnten sie viel Geld verdienen, das sie gerne ihren Familien in Schilda schickten.

Die Stadt wurde reicher und reicher, aber auch immer armseliger. Weil nämlich alle Männer ausgezogen waren, um im Ausland ihr Glück zu versuchen, blieben in Schilda nur die Frauen zurück. Die gaben zwar ihr Bestes, doch die Arbeit, die anfiel, war einfach zu viel.

Die Frauen nämlich sollten Brot backen wie die Bäcker, Schuhe besohlen wie die Schuster, Felder bestellen wie die Bauern, zudem auch noch den Haushalt versehen und in der Schule die Kinder unterrichten. Das alles auf einmal schafften sie nicht – und so sah es irgendwann im schönen Schilda so aus, als hätte schon lange Zeit niemand mehr etwas getan.

Den Frauen wuchs einfach alles über den Kopf und so hielten sie eines Tages einen Rat ab und beschlossen, die Männer zurück nach Hause zu holen. Das geschah auch, und bald blühte und grünte es in dem kleinen Städtchen wieder wie früher einmal.

Wie aber sollten die Männer verhindern, wieder zu den fremden Königen, Kaisern oder Sultanen gerufen zu werden? Sie ersannen ein List und beschlossen, sich von nun an fürchterlich dumm zu stellen.

Und ich sage euch, die List funktionierte. Schnell war überall herum, dass die Bürger von Schilda eine merkwürdige Entwicklung durchgemacht hatten – und kein anderer Herrscher mochte sich mehr mit ihnen umgeben.

 

 

 

2. Das neue Rathaus

Einst beschlossen die Bürger der kleinen Stadt Schilda ein Rathaus zu bauen. Ein ganz besonderes sollte es sein, denn ihr Architekt hatte schon den Schiefen Turm von Pisa erbaut. Und nun erhoffte man sich in Schilda ein ähnlich schönes Gebäude. Dreieckig sollte es sein, nicht zuletzt deshalb, weil man die Besucher in Scharen anlocken wollte.

Fleißig schichteten die Männer Stein um Stein aufeinander. Binnen kürzester Zeit war das Bauwerk vollendet und die Ratsherren zogen mit all ihren Tischen, Bänken und Akten ein. Eine feierliche Eröffnung folgte, doch siehe da: es mehrten sich die Stimmen, dass es im neuen Rathaus doch fürchterlich dunkel sei.

Die Schildbürger mussten gar nicht lange nachdenken, um die Lösung zu finden. „Ei", sagte einer von ihnen, „Licht ist doch ein Element wie Wasser. Lasst es uns mit Eimern in das Rathaus tragen.“ Gesagt, getan. Schon zogen Männer, Frauen und Kinder mit allem aus, in dem man etwas transportieren konnte: Eimer, Säcke, Schubkarren und vieles mehr wurde schließlich – voll gestopft mit Licht - im Rathaus entleert. Doch es half nichts. Das neue Haus blieb dunkel.

„Merkwürdig“, sagten die Schildbürger und verstanden die Welt nicht mehr. „Lasst uns doch einfach das Dach abdecken“, bemerkte schließlich einer von ihnen nach einer ganzen Weile. „Ein prima Idee“, waren auch die anderen schnell begeistert und begannen gleich die Dachpfannen zu entfernen. Nun konnten die Beamten arbeiten, hatten bestes Licht – und niemand beschwerte sich mehr.

Erst als der Sommer langsam zu Ende ging und die Herbststürme aufbrausten, wurde die Arbeit in dem neuen Rathaus unangenehm. Denn es regnete stets auf die Akten, die dann bald noch einmal geschrieben werden mussten.

Ganz zum Erliegen kam die Tätigkeit aber, als der Winter ins Land zog und mit ihm die dicken Schneeflocken. Nun konnte in dem neuen Rathaus niemand mehr arbeiten – und so wurde das Dach wieder mit den alten Pfannen eingedeckt. Zwangsläufig wurde es in den Räumen stockfinster, das kannte man ja schon.

Eines Morgens aber rief ein besonders fleißiger Beamter aus: „Wir haben beim Bau des Rathauses die Fenster vergessen.“ Alle Schildbürger kamen schnell herbei gelaufen. Nun erkannten auch sie ihren Fehler.

Und genau deshalb wurde das Rathaus von Schilda berühmt – und nicht, weil es dreieckig gebaut worden war.

 

 

 

3. Der Salzanbau in Schilda

Salz ist schon immer ein kostbares Gut der Menschheit gewesen. Mancher Krieg ist darum geführt worden, und eines Tages fürchteten auch die Schildbürger um diese kostbare Errungenschaft.

Denn wer möchte sein Frühstücksei oder die Suppe schon ohne Salz essen. Und auch Kartoffeln oder Fleisch erhalten nicht die richtige Würze, wenn das „Weiße Gold“ fehlt.

Da man aber Salz bekanntlich oft von weit her holen muss, überlegten sich die Schildbürger, es selbst zu züchten. „Wenn man Zucker auf den Felder anbauen kann, dann kann man auch Salz anbauen“, waren sie fest überzeugt.

Und weil sie ihren Worten gerne Taten folgen ließen, zogen sie mit der Hälfte ihrer Salzvorräte aus, bestellten die Felder und säten die krümelige Masse mit vollen Händen aus.

„Nun müssen wir nur noch warten bis es wächst“, sagten sie. Und legten alsbald die Hände in den Schoß. Sie warteten. Wochenlang. Dann waren die Pflanzen auf dem Acker prächtig gediehen.

Als aber die Ernte eingebracht werden sollte und die Schildbürger mit samt Kind und Kegel auszogen, um das kostbare Gut in die Scheunen einzubringen, da hörte man doch überall ein heftiges Gemurre und Gestöhne: „Dieses Salz ist aber ganz besonders salzig“, riefen alle aus.

Und wisst ihr auch warum? Weil die Schildbürger natürlich kein Salz geerntet hatten – sondern Brennnesseln, die wunderbar auf dem Acker gediehen waren.

 

 

 

4. Mit einem Reim zum Bürgermeisteramt

Das kleine Städtchen Schilda gehörte zu einem Land namens Utopia. Dort regierte ein Kaiser. Und dem war immer wieder einmal zu Ohren gekommen, dass die Bürger dieses kleinen Städtchens ganz besonders dumm seien. Nun beschloss er, selbst einmal nach dem Rechten zu sehen und kündigte seinen Besuch an.

In Schilda herrschte plötzlich helle Aufregung. Wer sollte den Kaiser begrüßen? Man hatte zwar alle offiziellen Ämter besetzt, das Amt des Bürgermeisters aber schlicht und einfach vergessen.

Da der Kaiser Reime liebte, beschlossen die Schildbürger nun denjenigen zum Bürgermeister zu machen, der den schönsten Reim vorlegen könne. Auch der Schweinehirt wollte sich mit einem kleinen Verslein an dem Wettstreit beteiligen, doch ihm fiel partout nichts ein.

„Werde ich dann Frau Bürgermeisterin, wenn du den Wettstreit gewinnst?“, wollte eines Abends seine Ehefrau wissen. „Natürlich wirst du das“, antwortete der Schweinehirt.

In der folgenden Nacht wecke sie ihn auf. „Ich habe einen Reim“, sagte sie und legte los: „Katrine heißt die Gattin mein, möchte gerne Bürgermeist`rin sein, ist schöner als mein schönstes Schwein und trinkt am liebsten Moselwein.“

99 Mal musste der Schweinehirt nun das kleine Gedicht nachsprechen, dann waren beide davon überzeugt, dass er es nie wieder vergessen würde.

Der Tag des Wettbewerbs kam. Der Schuster wollte auch Bürgermeister werden und deklamierte: „Ich bin ein Bürger und kein Bauer und mache mir das Leben bitter.“ Dann kam der Hufschmied an die Reihe: „Ich bin ein Bürger und kein Ritter und mache mir das Leben sauer.“

So ging es weiter, bis außer dem Schweinehirten niemand mehr da war, der Bürgermeister werden wollte. „Meine Frau, die heißt Katrine, wäre gerne Bürgermeisterin, ist schwerer als das schwerste Schwein und trinkt am liebsten Bayrisch Bier.“

Dass er Bürgermeister wurde, ist doch schon klar.

 

 

 

5. Frau Bürgermeisterin

Als einmal ein neuer Bürgermeister in Schilda gewählt worden war, da war es seine Frau, die ganz besondere Ansprüche stellte. So wollte sie doch unbedingt einen Pelzmantel haben, um allen Menschen zu zeigen, welchen Rang sie nun in der Gesellschaft bekleidete. Immerhin war sie ja zuvor nur die Frau des Schweinehirten gewesen.

Der neue Bürgermeister machte sich nun also auf den Weg ins Nachbarstädtchen, um seiner Frau den so begehrten Pelzmantel zu kaufen. Da er sich in der Stadt aber nicht auskannte, musste er nach dem Weg fragen.

So stellte er sich zunächst beim Buchbinder vor, der sein Geschäft gleich neben dem Stadttor hatte. „Guten Tag, werter Mann“, sagt er, „ich bin der Bürgermeister von Schilda und möchte meiner Frau einen Pelzmantel kaufen. Bitte sag mir doch, wo ich einen Kürschner finden kann.“

Der Buchbinder war ein Mann, der stets zu Scherzen aufgelegt war und gerne einmal den ein oder anderen Mitmenschen veralberte. So schickte er den Bürgermeister zum Bäcker. Und auch der hatte seine Freude daran, dem Bürgermeister einen falschen Weg zu weisen. Er schickte ihn zum Metzger und der Metzger verwies den Bürgermeister zum Schreiner. So ging es in einem fort. Denn die Bewohner des Nachbarstädtchens wussten natürlich um die Dummheit der Schildbürger.

Erst als der Bürgermeister alle Handwerksbetriebe und Handeltreibende besucht hatte, kam er schließlich beim Kürschner an. Der Pelz, den er dort kaufte, war sehr schön und gefiel der Bürgermeisterin ganz besonders gut. „Den trage ich am Sonntag beim Kirchgang“, beschloss sie.

Und so sollte es dann auch kommen. Nur leider hatten sich Bürgermeisters an diesem Morgen etwas verspätet, so dass sie die Kirche erst betraten, als sich alle Gläubigen gerade zum Gebet erhoben.

Das nahm die Frau Bürgermeisterin nun als Zeichen, ihrerseits den Anwesenden huldvoll zuzuwinken, denn sie glaube felsenfest, dass alle Leute nur ihretwegen und wegen des neuen Pelzes aufgestanden waren.

 

 

 

6. Der Kaiser zu Besuch in Schilda

Eines Tages meldete sich in Schilda der Kaiser des Landes an, um sich selbst ein Bild von den Schildbürgern zu machen. Zuvor hatte er einen Brief geschickt, in dem hieß es, dass die Einwohner ihm „halb geritten und halb gegangen“ entgegenkommen sollten.

Das wollten diese auch gerne tun. Aber so sehr sie sich auch abmühten, den einen Fuß in den Steigbügel des Pferdes zu stecken und den anderen Fuß am Boden zu lassen, um sich dann auf solch merkwürdige Art fortzubewegen – es klappte einfach nicht.

Dann hatte einer von ihnen eine glorreiche Idee. „Der Kaiser meint wahrscheinlich, dass wir ihm auf Steckenpferden entgegen kommen sollen!“ „Na klar“, dieser Gedanke begeisterte alle und so erhielt der örtliche Schreiner eine Menge Aufträge für hölzerne Steckenpferde.

Der Kaiser machte wahrlich große Augen, als ihm die Einwohner Schildas an Tag seines Besuches auf solch ungewöhnlichen Pferden entgegen ritten. So etwas hatte er noch nicht gesehen.

 

 

 

7. Eine Hand voll Senf

Als der Kaiser des Landes Utopia wieder einmal auf Besuch nach Schilda kam, da schenkten ihm die Einwohner des kleinen Städtchens zum Abschied einen großen Topf Senf.

Schade war nur, dass der Überbringer dieser Gabe den Topf direkt vor den Füßen des Kaisers fallen ließ, der Tontopf in tausend Scherben zersprang und sich der köstliche Inhalt auf dem ganzen Boden verteilte.

„Macht nix“, sagte der Tollpatsch, dem das Missgeschick unterlaufen war, und tauchte seine ganze Hand in den Senf hinein. Dann hielt er sie dem Kaiser hin. Er solle einmal kosten, sagte er.

Doch der hohe Gast lehnte dankend ab. Er habe gerade keinen Hunger, sagte der Kaiser. Gleichzeitig überreichte er den Bürgen Schildas eine Urkunde, worin allen Bewohner der Stadt vollkommene Narrenfreiheit zugesagt wurde. Niemand dürfe die Schildbürger – egal was sie auch täten – auslachen oder gar mit dem Finger auf sie zeigen, hieß es in der Urkunde.

Und die Schildbürger? Die freuen sich natürlich mächtig.

Als zum Abschied der Kaiser seine Hand aus dem Wagenfenster streckte, um zu winken, ergriff diese Hand sofort jener, der den Senftopf hatte fallen lassen. Und so kam der Kaiser doch noch in den Genuss, den Senf probieren zu können.

 

 

 

8. Das Brot in der Suppe

Wenn man Gäste empfängt, dann serviert man ihnen gerne einmal ein schmackhaftes Mahl. So geschah es auch in Schilda, einer kleinen Stadt mitten in Utopia gelegen, als eines Tages der Kaiser des Landes zu Besuch kam.

Zuerst hatte man große Reden geschwungen und sich dann gemeinsam am Tisch niedergelassen, um eine deftige Mahlzeit einzunehmen. Die Schildbürger hatten beschlossen, dem Kaiser saure Buttermilch mit Brot aufzutischen.

Und weil die Leutchen hier besonders sparsam waren, bekamen die Bauern, die am Tisch saßen, schwarzes Brot gereicht und der hohe Herr natürlich weißes Brot. Das tunkte man dann in die Buttermilch und aß es.

Doch weil man so ins Reden vertieft war, erwischte einer der Bauern aus Schilda plötzlich ein Stückchen Weißbrot und schob es sich genüsslich in den Mund. Das sah aber nun der Bürgermeister und schlug dem Bauern leicht auf die Hand und warf ihm einen strengen Blick zu.

Sogleich spukte der Mann das durchgekaute Brot wieder aus und warf es in die Schüssel mit Buttermilch zurück. Genau in dem Moment, als der Kaiser hinschaute.

Dass der von diesem Augenblick an nun keinen Hunger mehr hatte, könnt ihr wohl glauben.

 

 

 

9. Der tote Wolf

Einst, als wieder einmal der Kaiser in der Stadt Schilda weilte – der oft kam, weil er das Tun seiner Untertanen genau erkunden wollte, gab er den Schildbürgern eine Aufgabe auf. Im Wald habe er einen toten Wolf gefunden, erzählte er. Nun wolle er von den Einwohnern Schildas wissen, wie dieser zu Tode gekommen sei.

Die Schildbürger setzten sich natürlich gleich zusammen, um die Aufgabe zu lösen. Einer von ihnen erzählte, dass der Wolf im bitter kalten Winter und bei Schnee barfuß gegangen und ihm die Kälte schließlich aufs Herz geschlagen sei, so dass er an dieser Krankheit sterben musste.

Der zweite sagte, der Wolf sei zu Fuß gegangen und nicht geritten. Aber er sei verfolgt worden und als ihm der Atem ausging, sei er hingefallen und gestorben.

Der nächste Schildbürger meldete sich zu Wort: „Nein“, sagte er, „der Wolf hatte solche Schmerzen, dass er sich einfach hingelegt hat und nicht mehr aufgestanden ist!“

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Bürgermeister Schildas noch nicht zu Wort gemeldet. Doch das tat er nun. „Ihr müsst wissen“, so sprach er nun zu den Anwesenden, „dass der Wolf viel zu viel rohes Fleisch gefressen hat. Und das lag einfach daran, dass er keine Haushälterin oder gar Köchin beschäftigte, die ihm das Fleisch hätte kochen oder braten können.“

Außerdem, so fuhr er fort, habe der alte Wolf stets das fressen müssen, was so übrig blieb, sogar die toten Tiere, die an Krankheiten und mehr verendet seien.

So hab er, der Bürgermeister, erst neulich gesehen – und das bei dieser eisigen Kälte –, dass der Wolf eine Kuh roh verspeist hätte, anstatt sich davon eine leckere Pastete zu backen. Darauf habe der Wolf noch eiskaltes Wasser getrunken. Kein Wunder also, dass er Bauchschmerzen bekommen habe und nun tot sei.

Nun waren sich alle Schildbürger einig, dass der Bürgermeister natürlich die beste Begründung für den Tod des Wolfes gefunden habe. Und auch der Kaiser hatte keine Einwände dagegen.

 

 

 

10. Die Kuh auf der Mauer

Tagein, tagaus gingen die Schildbürger ihren Berufen nach. Sie waren Lehrer, Bäcker, Schuster oder Schweinehirt. Diesen Schweinehirten wählten sie sogar eines Tages zum Bürgermeister. Und weil Bürgermeister immer wissen müssen, was so in ihrer Stadt passiert, machte auch der Bürgermeister von Schilda jeden Tag seine Runde durch das Städtchen, um nach dem Rechten zu sehen.

Dabei fiel ihm eines Tages eine alte Mauer ins Auge, das Überbleibsel eines Hauses, das schon vor Jahren eingestürzt war. Auf der Mauer wuchsen herrliche Kräuter und Gras, so dass dem Bürgermeister nur ein Gedanke durch den Kopf schoss: „Das ist wunderbares Weideland für eine Kuh!“

Und weil sich niemand in der nächsten Ratsversammlung bereit erklärte, das Gras auf der Mauer mit der Hand zu mähen, war die Sache mit der Kuh bald beschlossen.

Minna, so der Name dieses edlen Tieres, das auserkoren war für den Dienst, sollte aber die Mauer selbst empor klettern, um an das frische Grün zu kommen. „Nun los Minna“, rief der Bürgermeister, dem das Tier auch gehörte, „hinauf mit dir.“

Doch so viel er auch drücke und schob, die Kuh wollte einfach nicht. Schließlich warf man einen dicken Strick über die Mauer, band die Kuh an dem einen Ende fest, schickte einen ganzen Tross Männer auf die andere Seite und begann kräftig zu ziehen.

Minna muhte kurz auf, für die Männer ein Zeichen, dass sie nun doch Appetit auf Gras und Kräuter bekommen habe, zog noch ein wenig kräftiger – doch Minna fraß einfach nicht.

Als man sie nach einer ganzen Weile wieder zu Boden sinken ließ, war die arme Kuh tot – und das Gras noch immer an Ort und Stelle.

Nun aber feierten die Schildbürger ein Fest, bei dem sie siegessicher feststellten, dass sie noch immer nicht dumm genug seien. Denn nur ihr Scharfsinn habe den Tot der Kuh verursacht, waren sich die Schildbürger einig. Hätte nämlich der Bürgermeister nicht das Gras auf der Mauer bemerkt und erkannt, dass man es zum Nutzen der ganzen Stadt verwerten könne, so würde die Kuh Minna noch leben und nicht als „Kalbsschnitzel“ auf dem Teller liegen.

 

 

 

11. Die versunkene Glocke

Wenn Krieg in einem Land herrscht, dann bringen die Bürger ihre Schätze gerne vor den Plünderern in Sicherheit. In Schilda herrschte zwar kein Krieg, aber man konnte ja nie wissen, und so beschlossen die Schildbürger eines Tages, die Glocke ihrer Kirche in Sicherheit zu bringen. Das war eben das Kostbarste, was man in Schilda besaß.

Alle Bürger stellten sich nun eine bange Frage: Wo sollte man diese schwere Bronzeglocke, die zudem noch ziemlich groß war, nur verbergen? Natürlich fanden sie auch für dieses Problem eine Lösung, denn sonst wären sie ja nicht die Bürger von Schilda gewesen.

In der Nähe des kleinen Städtchens lag nämlich ein See. Den kannte kaum jemand, und tief war er auch noch. Also beschlossen die Schildbürger kurzerhand, die Glocke in dem See zu versenken. Denn dort würde bestimmt niemand sie finden.

Sie holten die Glocke also aus dem Kirchturm, verfrachteten sie in einem alten Ruderboot und schon ging es mit ganzer Kraft hinaus auf den See. An geeigneter Stelle rollten sie Männer die Glocke zum Bootsrand, warfen sie ins Wasser und mir nichts, dir nichts war sie im tiefen See verschwunden, nur noch ein paar letzte Luftblasen, die vom Seegrund aufstiegen, zeigten ihre Existenz an.

Nun zog der Schmied sein Taschenmesser aus der Jackentasche und schnitt in den Bootsrand eine dicke Kerbe. „Was tust du da“, wollten die anderen Männer wissen. „Ich markiere die Stelle, an der wir die Glocke ins Wasser geworfen haben. Womöglich finden wir sie nach dem Krieg sonst nicht wieder.“ Alle lobten des Schmieds Verstand.

Natürlich gab es keinen Krieg in Schilda, und so wollten die Männer, die die Glocke versenkt hatten, sie eines Tages wieder aus dem See holen, um sie an ihren rechtmäßigen Platz zurück zu bringen. Doch die Suche nach der Glocke gestaltete sich recht schwierig. Man hatte zwar das Boot mitgenommen, mit dem man damals die Glocke hinausgerudert hatte auf den See. Doch die Kerbe, die der Schmied in den Bootsrand geritzt hatte, war keine wirkliche Hilfe. Denn sie war ja geradewegs immer dort, wo gerade das Boot war. Und so gab der See die Glocke niemals wieder frei.

 

 

 

12. Ein Krebs wird verurteilt

Eines Tages verirrte sich ein Krebs nach Schilda. Niemand wusste, woher er kam, und niemand kannte so ein merkwürdiges Tier. Aber den Schildbürgern kam ein Tier mit solch vielen Scheren eigentlich ganz gelegen.

Gleich überlegte man, wie praktisch es doch wäre, ein solches Tier zum Schneider in die Lehre zu geben. Weil die Bewohner Schildas nun aber eher Menschen der Tat als des Wortes waren, legten sie dem Krebs gleich teure Stoffe vor. Doch es tat sich natürlich nichts. Der Krebs lief nur über das feine Tuch, kreuz und quer, und das wiederum hielten die Schildbürger für ein Zeichen des Himmels.

Sie schnitten also kreuz und quer durch das Tuch in der Hoffnung auf ein ganz außergewöhnlich schönes Kleidungsstück wie Jacke oder Hose! Nur von einem Kleidungsstücke konnte zum Ende der Arbeit des Krebses natürlich nicht die Rede sein. Es blieben lediglich Fetzen von dem feinen Stoff über.

Nun hielten die Schildbürger den Krebs für einen Schwindler und als er noch den Schneider des Dorfes kräftig in die Finger kniff, da war es schnell beschlossene Sache: Solch ein gefährliches Tier gehört vor Gericht.

Also rief man kurzerhand eine Gerichtsversammlung ein. Der Richter hörte sich die Anklage gut an, überlegte kurz und sagte dann: „Der Angeklagte ist in allen Punkten schuldig zu sprechen. Ich verurteile ihn zum Tode durch Ertrinken.“

Und so geschah es auch. Der Gerichtsdiener brachte den Krebs an den nahe gelegenen See, der Pastor war auch dabei und alle Bürger Schildas. „Strafe muss eben sein“, sagte schließlich der Bürgermeister – und warf das Tier ins Wasser.

 

 

 

13. Das Herz am rechten Fleck

Man kann nicht sagen, dass die Bürger von Schilda nicht tapfer waren. Nein, als der Kaiser nach Soldaten rief, zog auch ein Dutzend Männer aus Schilda in die Schlacht.

Viele kamen um, manche wurden verwundert und nur 12 kamen wieder nach Hause zurück. Einer von ihnen hieß Kilian.

Bevor er ausgezogen war, um in den Schlachten zu kämpfen, hatte ihm der Schneider ein Eisenstück an die Stelle seiner Kleidung genäht, an der er das Herz des jungen Mannes vermutete. Das Eisenstück sollte das gefährdete Körperteil gut schützen.

So gerüstet zog Kilian in den Krieg. Aber er kämpfe weniger, sondern hatte es eher mit den Hühnern der umliegenden Bauern zu tun, denn schließlich will man auch in Kriegszeiten gut essen.

Einst Tages erwischte ihn einer der Bauer auf frischer Tat, jagte Kilian mitsamt dem ganzen Gesinde über den Hof. Kilian sprang über einen Zaun, um sich zu retten, blieb aber am Zaunpfahl hängen und der Bauer und seine Männer schlugen mit Stöcken auf sein Hinterteil ein. So kam er schließlich frei. Zwar war das Huhn weg, was Kilian sehr bedauerte, aber immerhin sein Leben gerettet.

Der Arzt, der später Kilian untersuchte, fand in Kilians Hose ein Eisenstück und fragte ihn, warum der Schneider es denn wohl gerade an dieser Stelle am Hosenboden eingenäht hätte. Da sagte Kilian nicht ohne Stolz: „Weil der gute Mann genau weiß, wo wir Schildbürger unser Herz tragen.“

 

 

 

14. Schulunterricht für einen Tag

Es gab einmal einen Bürger in dem kleinen Örtchen Schilda, der wollte seinen Sohn tatsächlich zur Schule schicken. Allerdings war der „Junge“ schon 30 Jahre alt.

Gemeinsam machten sich die beiden also auf den Weg zum Lehrer. Und der hatte auch nichts gegen den Unterricht, sagte aber gleich, dass er den Sohn trotz seines Alters genau so behandeln werde wie jedes andere Kind auch.

„So soll es sein“, sagte der Vater und fragte gleich, wann er denn den Jungen denn wieder abholen könne.

„Das kommt darauf an, wie viel dein Sohn lernen soll“, antwortete der Lehrer.

„Es reicht, wenn er so schlau ist wie du“, sagte der Vater. Das pikierte den Lehrer nun doch ein wenig, aber er wiederholte seine Frage.

„Na“, sagte da der Mann, „der Junge kann so lange zur Schule gehen wie eurer Hufschmied benötigt, um mein Pferd neu zu beschlagen.“

Da staunte der Lehrer nicht schlecht: „Selbst wenn ich das Wissen in deinen Sohn hineinprügeln würde, in so kurzer Zeit schaffe selbst ich das nicht. Dein Junge muss mindestens ein Jahr lang zur Schule gehen.“

Da nahm der Mann seinen Sohn bei der Hand und verließ das Schulzimmer. „Dass das Lernen weh tut, weiß ich. Dass es Geld kostet auch. Aber ein Jahr. Nein, die Zeit ist mir zu schade. Dann soll das Kind so dumm bleiben wie der Vater.“

 

 

 

15. Die Schildbürger vertauschen ihre Beine

Eigentlich waren die Schildbürger ganz redliche Menschen, die kaum ein Laster pflegten. Als sie aber einmal zu Besuch bei ihrem Kaiser waren und sich auf den Rückweg machten, da konnten sie ein paar guten Flaschen Wein, die der hohe Herr ihnen mit auf den Weg gegeben hatte, einfach nicht widerstehen.

Sie veranstalteten auf einer grünen Wiese ein richtiges Gelage, aßen gutes Brot und tranken eben jenen Wein, so dass sie nach einiger Zeit ziemlich betrunken waren und einschliefen.

Als sie aufwachten, da war aber die Verwirrung groß. Denn keiner konnte seine eigenen Beine, geschweige denn seine Füße wieder finden!

Denn wie es Sitte bei den Schildbürgern war, so trugen sie, wenn sie in fremde Städte reisten, alle die gleichen roten Hosen. So konnte man sich besser in der Fremde erkennen und wusste gleich, woher man kam. Kein Wunder also, dass keiner der noch immer Angetrunkenen mehr seine Beine finden konnte.

Als ein Reiter daher kam, riefen die Schildbürger ihn an. „Du“, sagten sie, „wenn du uns hilfst, dass jeder wieder seine eigenen Beine bekommt, dann wollen wir dich gut bezahlen.“

Der Reiter überlegte nicht lange, stieg vom Pferd und schlug jedem so fest mit der Hand auf einen Oberschenkel, dass er aufspringen musste und so wieder Herr über die eigenen Beine war.

Wie freuten sich da die Schildbürger. Sie dankten dem Reiter sehr, gaben ihm seinen Lohn und zogen ihres Weges – jeder auf seinen eigenen Füßen.

 

 

 

16. Der Häusertausch

Auch bis Schilda war die Kunde durchgedrungen, dass man mit Tauschen ein gutes Geschäft machen kann. Das bewog einmal zwei Männer, sogar ihre Häuser zu tauschen. Die Sache ward abgemacht bei einem Gläschen Rotwein.

Schon am nächsten Tag begann der eine, der am oberen Ende der Stadt wohnte, sein Haus Stück für Stück abzubauen und ans andere Ende zu tragen, genau dorthin, wo sein Freund sein Haus stehen hatte.

Und der tat Gleiches. Er trug seine Haus Stück für Stück auf das Grundstück des anderen. So wurde ein Tausch vollzogen, den die Welt bis dato noch nicht gesehen hatte.

 

 

 

17. Eine Hochzeit in Schilda

Der Bürgermeister von Schilda hatte nicht nur eine Frau, sondern auch einen erwachsenen Sohn, der nun bald heiraten sollte. So hatten es die Eltern beschlossen.

„Geh in die Spinnstube und suche dir dort ein nettes Mädchen aus“, hatte ihm die Mutter mit auf den Weg gegeben.

In der Spinnstube gab es viele nette Mädchen und bald hatte sich der Sohn des Bürgermeisters eine junge Frau ausgesucht, die er ehelichen wollte. Er sprach kurz mit ihr, verlangte aber, damit der Handel perfekt würde, dass sie drei Tage lang niemandem etwas über die Hochzeit verraten dürfe. Sie versprach es, und schon trennten sich die Wege der beiden jungen Leute.

Doch der Sohn des Bürgermeisters war misstrauisch und schnüffelte hinter seiner Braut her. Schon am nächsten Morgen erzählte sie beim Melken der Mutter von der bevorstehenden Hochzeit. Und hatte damit ihr Versprechen gebrochen.

Der Bürgermeistersohn sah sich sogleich nach einer anderen jungen Frau um und hatte sie alsbald auch gefunden. Mit der ging er nun zum Traualtar.

Zum Hochzeitszug durch Schilda kamen viele Menschen, und auch die junge Frau, die zuerst seine Ehefrau hätte werden sollen. Sie fragte: „Warum hast du mich nicht geheiratet?“ Und er antwortete: „Weil du dich nicht an dein Versprechen gehalten hast, drei Tage lang Stillschweigen zu bewahren.“

Nach diesem kleinen Zwischenfall wurde die Hochzeit ausgelassen gefeiert. Die Mutter der Braut hatte ihrer Tochter einige Benimmregeln mit auf den Weg gegeben. So solle sie beispielsweise nur mit halbem Munde reden. Was so viel heißen soll, dass sie nicht so viel reden solle.

Doch die junge Frau wäre keine echte Schildbürgerin gewesen, wenn sie die Sache nicht anders verstanden hätte. So hielt sie sich beim Reden nun immer den halben Mund mit der Hand zu, redete aber kein bisschen weniger deswegen.

Auch aß sie nur mit zwei Fingern, so wie es die Mutter der Tochter aufgetragen hatte. Als das üppige Hochzeitsmahl beendet war, da rief die Tochter laut über den Tisch hinweg: „Und wer leckt mir nun die Finger ab?“

Und die Mutter antwortete: „Putz sie dir am Tischtuch ab!“ Das tat die junge Braut auch, erinnerte sich dabei an eine andere Regel, die die Mutter mit auf den Weg gegeben hatte und die sie nun anzuwenden glauben musste.

Sie ließ den Tisch ein wenig zur Seite schieben. Dann legte sie ihre stattlichen Beine fein säuberlich neben dem Teller ab, das eine links, das andere rechts, und ließ es sich fortan in dieser Haltung so gut ergehen.

Als die Gäste gegangen waren, fragte sie ihren frisch gebackenen Ehemann, was denn vorhin die junge Dame von ihm gewollt habe. Und der berichtete, dass er eigentlich diese Frau habe heiraten wollen, sie aber nicht einmal drei Tage lang über die Hochzeit hätte schweigen können.

Da lachte die junge Ehefrau und sagte, dass er nun eine viel bessere Wahl getroffen habe. Sie sei verschwiegen und habe es zwei Jahre lang geschafft, niemandem von ihrem Verhältnis zum Stallknecht zu berichten.

Da sah auch der Sohn des Bürgermeisters ein, dass er die richtige Frau geheiratet hatte.

 

 

 

18. Eier für den Markt

Es lebte in Schilda eine Frau, die ein Huhn besaß. Drei Wochen lang sammelte sie die Eier, um sie dann zum Markt zu tragen, wo sie die Eier Gewinn bringend verkaufen wollte. So zog sie mit ihrem Korb voller Eier los.

Weil der Weg zum Markt sehr weit und die Frau alleine unterwegs war, begann sie sich selbst etwas zu erzählen. Sie rechnete sich den Gewinn vom Eierverkauf aus, überlegte dann, was sie mit dem Geld so anstellen könne und kam bald ans Träumen.

Wenn sie also die Eier verkaufen könnte, dann würde sie sich von dem Erlös zwei neue Hühner kaufen. Die würden dann so viele Eier legen, dass sie sich beim nächsten Marktbesuch davon gleich eine Gans kaufen könne. Die würde sie so gut mästen, dass sie die Gans wieder gut verkaufen könne, um dann von diesem Erlös eine Ziege kaufen. Die würde Milch geben, und auch die könnte die Frau auf dem Markt verkaufen.

So malte sie sich in den schönsten Farben stets eine Steigerung ihres Gewinns aus. Baute bald sogar in Gedanken ihre kleines altes Häuschen aus, nahm einen schönen Jüngling zum Manne.

Bald war die Schildbürgerin so glücklich über all die Dinge, die ihr die Eier in ihrem Korb ermöglichen konnten, dass sie laut „Juchhe“ schrie, einen Luftsprung machte. Und dabei passierte es: der Korb fiel zu Boden, die Eier zerbrachen und Aus war es mit dem schönen Traum.

 

 

 

19. Eine ziemlich lange Wurst

Die Schildbürger hatten ein Stadtschwein, an dem sie mit großer Liebe hingen. Doch eines Tages brach dieses Schwein aus seinem Gehege aus und fraß den gesamten Hafer der Schildbürger auf.

Das konnte sich auch in Schilda niemand von einem Schwein gefallen lassen! Und so wurde das Schwein zum Tode verurteilt. Man wolle Wurst aus ihm machen, beschlossen alle gemeinsam und schritten zur Tat.

Und weil Wurst im Naturdarm besonders gut schmeckt, nahmen sie den ganzen Darm des Schweins in einem Stück heraus, säuberten ihn und befüllten ihn mit allerlei Köstlichkeiten, die ein Schwein eben so zu bieten hat.

Da so ein Darm aber gleich mehrere Meter misst, wurde es die größte Wurst, die die Welt je gesehen hatte. Nun musste sie nur noch gekocht werden. Doch in ganz Schilda fand sich kein einziger Kochkopf, in den die Wurst der Länge nach hinein gepasst hätte.

Nun war guter Rat teuer. Als einer der Schildbürger verzweifelt durch das Städtchen lief, kam er auch an einer Wiese vorüber, auf dem Gänse grasten. Wie Gänse es so tun, riefen sie „Gigag, Gigag“ aus.

Der Mann aber verstand „zweifach, zweifach“ und hatte ganz schnell eine Lösung für das Problem mit der Wurst parat. „Das ist es“, sagte er. „Wenn man die Wurst zweifach in den Topf legt, dann kann man das auch dreifach oder gar vierfach machen.“

Schnurstracks kehrte er zu seinen Mitstreitern zurück. Die waren begeistert davon, die Wurst einfach zusammenzulegen und sie schaffen es sogar, das komplette Gebilde in nur einen Topf zu bekommen und zu kochen.

Da sage noch einer, Gänse wären dumm.

 

 

 

20. Die Schildbürger bauen eine Mühle

Natürlich waren die Bürger von Schilda begnadete Häuslebauer. Sie bauten Rathäuser, Wohnhäuser und vieles mehr. Eines Tages beschlossen sie sogar, eine Mühle in der Stadt zu errichten.

Den Mühlstein schlugen sie auf einem Berg aus einem großen Felsen und brachten ihn mühevoll und unter Qualen ins Tal hinunter.

Unten angekommen überlegten sie, dass es doch es eine Leichtigkeit sein müsse, den Mühlstein, der ja wundervoll rund war, den Berg hinunter zu rollen. Gesagt, getan. Unter viel Anstrengung brachten die Schildbürger nun den großen schweren Stein wieder den Berg herauf. Sie plagten sich dabei wirklich ab.

Oben angekommen, hatte dann einer der Schildbürger einen genialen Einfall: „Wenn wir den Mühlstein einfach so den Berg herab rollen lassen, dann wissen wir am Ende gar nicht, wo er liegen bleibt“, sagte er zu seinen Freunden.

Sie lobten ihn und beschlossen schnell, dass einer aus ihrer Mitte gemeinsam mit dem Mühlstein, denn der hatte in der Mitte ja ein großes Loch, den Berg hinunter rollen sollte. Der Freiwillige zwängte sich also in das Mühlsteinloch hinein und schon ging es talwärts.

Pech für ihn war nur, dass sich am Ende des Hanges ein kleiner See befand, in der der Stein samt Mann rollte. Und weil man schnell untergeht, wenn man einen schweren Mühlstein um den Hals trägt, so ertrank der Mann binnen weniger Minuten.

Von ihm und dem Mühlstein war also nichts mehr zu sehen, als seine Freunde den Bergabstieg ebenfalls bewältigt hatte. „Wo ist er nur?“, fragte sie sich aufgeregt.

Doch als sich dieser Mann auch nach Tagen noch immer nicht gemeldet hatte, tja, was glaubt ihr wohl, was die Schildbürger da taten? Na klar, sie hängten überall Steckbriefe mit dem Gesicht des Mannes und dem Mühlstein auf. Wer einen Mann mit einem Mühlstein um den Hals sähe, möge sich dringend melden, stand zudem darauf geschrieben.

Dass sich bis heute niemand gemeldet hat, das ist schon klar ...

 

 

 

21. Der kopflose Mann

Unweit der kleinen Stadt Schilda, in der Menschen von ganz ungewöhnlicher Dummheit lebten, gab es einen Fluss und an dem stand ein wunderschöner alter Nussbaum. Jedes Jahr trug er Nüsse zu Hauf.

Als eines Tages einige Schildbürger an dem Baum vorbeikamen, entbrannten sie in tiefes Mitleid mit ihm. Denn der Zweig eines Astes hing ganz nahe über dem Wasser, berührte die Oberfläche aber nicht. So meinten die Männer nun, der Nussbaum müsse ungeheuren Durst haben, weil er doch nicht ans Wasser käme, obwohl er sich so schinden würde.

„Diesem Missstand wollen wir nun abhelfen“, beschlossen sie sofort. Einer der Männer kletterte also auf den Baum hinauf, lehnte sich an einen Ast, bog ihn weit zurück, um so besser den einen Zweig über dem Wasser fassen zu können. Und da geschah das Unglück: Der Ast schnellte zurück und schlug dem Mann den Kopf ab.

Seine Freunde hatten von der ganzen Sache nichts mitbekommen, wunderten sich aber, als sie den Freund dort oben im Nussbaum sitzen sahen, dass er seinen Kopf gar nicht mitgebracht habe.

„Ich habe nicht gehört, dass er heute schon etwas gesagt hatte“, sagte schließlich einer. „Er hat seinen Kopf sicher zu Hause vergessen!“

Also gingen die Männer zur Ehefrau des kopflosen Mannes und fragten sie, wo ihr Ehemann denn im Hause seinen Kopf vergessen haben könnte.

Die Frau besah sich ihren Mann und überlegte sorgsam. „Am Samstag“, sagte sie, „da hatte er ihn noch, denn da habe ich ihm den Kopf ordentlich gewaschen. Dort oben hängt sein alter Hut an der Wand. Wenn der Kopf nicht darin steckt, so wird er ihn wohl mitgenommen und irgendwo unterwegs vergessen haben.“

Natürlich steckte der Kopf nicht mehr in dem Hut, und manche Schildbürger überlegen bis heute, wo der Mann seinen Kopf wohl vergessen haben könnte.

 

 

 

22. Der gemeine Kuckuck

Auch in Schilda kannte man das Sprichwort, dass man einem anderen nicht mehr aufladen solle als man selbst tragen kann. Wenn der Müller also mit seinem Pferd Korn und Mehl auslieferte, dann hielt er es so, dass er sich auf das Ross setzte, aber die vollen Säcke mit Korn und Mehl stets auf seine Schultern nahm, um dem armen Tier ja nicht zu viel Gewicht aufzubürden.

So zog er durch die Lande und kam einmal an einem Baum vorbei, auf dem zwei Kuckucksvögel – der eine aus Schilda, der andere aus einem anderen Städtchen – in einem Wettstreit lagen, wer denn wohl am schönsten Kuckuck rufen könne. Schon schien der fremde Kuckuck den Kuckuck aus Schilda auszustechen, da griff der Müller beherzt ein, kletterte auf den Baum hinauf und half dem eigenen Vogel tatkräftig beim „Kuckuck-Rufen“.

Unterdessen kam ein Wolf angeschlichen und fraß das Pferd des Müllers auf, das am Baum angebunden war.

Als der Müller in der Stadt zurückkam, und die Leute dort von dem ehrbaren Unterfangen des Mannes und von seinem großen Pech hörten, da hatten sie Mitleid mit ihm. Selbstverständlich kaufte der Bürgermeister dem Müller aus dem Geld des Stadtsäckels ein neues Pferd.

Denn wer so schön „Kuckuck“ rufen kann, dem musste man ganz einfach helfen.

 

 

 

23. Der Pferdekuss

In Schilda gab es einen Reiter, der immer dann von seinem Pferd stieg, wenn es die anderen Reiter um ihn herum auch taten. Und mit ihnen auch zeitgleich wieder auf sein Pferd stieg.

Eines Tages wurde er von einem neugierigen Passanten gefragt, warum er so handeln würde. Prompt kam die Antwort: „Weil die Pferde alle gleich aussehen und ich sie nicht unterscheiden kann. Wenn aber die anderen auf ihre Pferde steigen und nur eines übrig bleibt, dann weiß ich genau, dass es mein Pferd ist.“ Das hielten alle für eine gescheite Antwort.

Als dieser Reiter eines Tages durch ein fremdes Städtchen ritt, da bewarf ihn ein Junge, der am Straßenrand stand, mit einem Apfel. Den Jungen hatte der Reiter nicht gesehen, nur den Schmerz am Hinterkopf verspürt.

Sofort hielt er sein Pferd an, sprach zu seinem Nachbarn: „Los, lass uns die Pferde tauschen“ – was dieser auch tat – und ritt unbeirrt weiter.

Der Reiter hatte nämlich angenommen, dass ihn sein Pferd auf heimtückische Weise von hinten an den Kopf getreten habe – und auf so einem gemeingefährlichen Gaul wollte er nun wirklich nicht mehr reiten.

 

 

 

24. Eine Sache für die Katz

Man kann es kaum glauben, aber die Schildbürger kannten nicht einmal Katzen. Und so kam es, dass die Mäuse längst die kleine Stadt Schilda erobert und sich in jedem Hause niedergelassen hatten, sogar beim Ochsenwirt.

Dort saß nun eines Tages ein fremder Wanderer in der Gaststube, der eine Katze bei sich hatte. Und weil nicht nur der Wanderer großen Hunger hatte, sondern auch die Samtpfote, hatte sie binnen kürzester Zeit bald zwei Dutzend Mäuse vertilgt.

Gleich überlegten die Schildbürger, welchen Nutzen sie von dem Tier haben könnten. Schließlich kauften sie den „Maushund“, wie sie die Katze fortan nannten, dem Wanderer für 100 Taler ab.

Der verschwand schleunigst aus der Stadt, doch gleich kam ihm ein Schildbürger hinterher gelaufen. „Was frisst der Maushund“, wollte er auf die Schnelle noch wissen. Und der Wanderer rief zurück: „Alles, nur keinen Speck!“

Doch der Schildbürger verstand etwas anderes, nämlich „Menschen und Vieh“.

Und so kam es, dass die Schildbürger ihren neuen vierbeinigen Mitbewohner ganz schnell wieder loswerden wollten. Denn wenn er erst einmal die Mäuse alle aufgefressen hätte, würde er sich sicherlich die Menschen schmecken lassen, so waren sie sich sicher.

„Wo ist der Maushund“, fragten sie deshalb aufgeregt durcheinander.

„Im Rathaus“, antwortete einer aus der Menge. Und weil alle so große Angst vor dem „Ungeheuer“ hatten, zündeten sie schnell das Rathaus an.

Denn es ist immer noch besser kein Rathaus mehr zu haben, als kein Leben mehr.

Doch die Katze war nicht dumm. Sie kletterte auf das Rathausdach und sprang von dort zum nächsten Gebäude über. Auch das steckten die Schildbürger nun an. Und so ging es weiter, bis schließlich alle Häuser in Schilda lichterloh brannten.

Die Katze fing man übrigens dennoch nicht, die hatte sich heimlich aus dem Staube gemacht.

Nur Schilda, das gab es von diesem Tage an nicht mehr.

 

 

 

25. Die Schildbürger ziehen in die Welt

Einmal ereilte die Stadt Schilda ein großes Unglück und viele Schildbürger beschlossen nun, ihr Glück in der Ferne zu suchen. So schafften sie es schließlich, dass sich die Dummheit auf der ganzen Welt verbreiten konnte.

Und wer sich einmal ein klein wenig umsieht, der wird schnell feststellen, dass auch er manchen Schildbürger ganz in seiner Nähe hat.

Die wissen natürlich nichts mehr von ihren Wurzeln und der Stadt Schilda in Utopien. Ihr aber, ihr könnt sie erkennen. Es sind nämlich immer die, die mit nichts, was sie erreicht haben, zufrieden sind, sich selbst aber stets ganz toll finden. Sie sind reich und arm – sie sind Menschen wie du und ich.