Frau Holle als Ehestifterin in Andreasberg

  • Autor: Autor Unbekannt

In Andreasberg kennt man einen Ort im Wald, den man schon seit Urzeiten „Die drei Jungfern“ nennt. Dorthin zogen eines Sonntags drei junge Mädchen aus dem Ort, die alle schon einen Bräutigam hatten und bald Hochzeit feiern wollten.

Als die drei so unter den Tannen saßen und über ihre Liebsten schwätzen, hörten sie plötzlich ein Geräusch. Die Mädchen blickten auf und sahen vor sich ein altes, ungepflegtes Weib mit verfilzten Haaren, das halb gutmütig, halb zornig in die Welt blickte. „Diejenige von euch dreien, die heute Nacht zwischen elf und zwölf Uhr am Hahnenklee erscheint und ihn blitzblank scheuert, wird in Kürze ihren Bräutigam heiraten.“

Nachdem die Alte diese Worte von sich gegeben hatte, verschwand sie im Nebel und ward nicht mehr gesehen. Die Mädchen aber staunten nicht schlecht, denn sie wussten, dass ihnen gerade Frau Holle erschienen war. Für die kommende Nacht verabredeten sich die drei, denn jede wollte bald gerne Braut sein.

Es war stockfinster, kein Mond, kein Stern leuchtete, als sich die jungen Frauen um halb elf in der Nacht wieder trafen. Nur in der Ferne hörte man ein Donnergrollen. Die Mädchen gingen schweigend nebeneinander her.

Als sie die Stelle, die man im Volksmund „Gesehr“ nennt, erreicht hatten, sprach eines der Mädchen: „Ich kehre um, ich gehe nicht weiter.“ Dann trat die junge Frau den Heimweg an, und die zweite folgte ihr schon kurze Zeit später, denn auch sie hatte die Furcht gepackt. Unbeirrt aber schritt das dritte Mädchen weiter und als es am Hahnenklee angekommen und sogleich mit seiner Arbeit begonnen hatten, den Hahnenklee zu schrubben, trat Frau Holle auf die junge Frau zu: „Du hast Wort gehalten“, sagte Frau Holle, „so will auch ich Wort halten. Du wirst bald zum Traualtar geführt werden. Die anderen beiden aber werden niemals einen Mann bekommen.“

Und die Worte von Frau Holle sollten nicht unwahr sein. Das Mädchen, das zuerst umgekehrt war, hatte einen Bräutigam, der Bergmann war. Wenige Tage nach dem Zusammentreffen mit Frau Holle brachte man den jungen Mann tot nach Hause. Er war bei einem Bergwerksunglück ums Leben gekommen. Vor lauter Trauer und Gram starb das Mädchen drei Tage später an gebrochenem Herzen. Die beiden Leichname wurden nebeneinander bestattet.

Das zweite Mädchen hatte einen Bräutigam, der in den Krieg ziehen musste. Er fiel und die Frau blieb ihr ganzes Leben lang unverheiratet. Nur das dritte Mädchen heiratete tatsächlich bald ihren Verlobten und lebte glücklich bis an ihr Lebensende mit ihm. Sogar Frau Holle erschien zur Hochzeitsfeier und überreichtem einem der Gäste als Gabe für das Brautpaar eine silberne Wiege. Und als man sich das Geschenk ein wenig näher besah, da stellte man voller Rührung fest, dass es voll mit blanken Andreasberger Silbergroschen war.

So gibt es seit diesem Tage in Andreasberg die Tradition, dass ein Mädchen, das keinen Mann zum Heiraten in Aussicht hat, zum Hahnenklee geht und ihn schrubbt, will sie bald Braut sein. Und in Häusern, in denen noch jene alten Öfen stehen, die zwei Zimmer gleichzeitig beheizen können, sagt man oft: „Schrich sachte, de Frau Holle horcht!“