Henrique

  • Autor: Beecher Stowe, Harriet

St. Clares Zwillingsbruder Alfred kam zu Gast und brachte seinen Sohn Henrique mit. Während die Brüder, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, im Garten spazierten und lange Gespräche führten, schlossen Eva und Henrique schnell Freundschaft. Als sie eines Tages einen Ausflug zu Pferde vorhatten, wurde Eva Zeuge, wie Henrique seinen Sklaven Dodo grausam mit der Reitpeitsche schlug. Erst schlug er ihm ins Gesicht, dann zwang er den Knaben zu Boden und schlug ihn, bis er selbst völlig außer Atem war. "Nun müssen wir seinetwegen noch warten.", beschwerte er sich bei Eva und setzte sich. Dann sah er Eva an. "Was ist los? Was machst du für ein Gesicht?" Evas Augen sprühten. "Wie konntest du ihn so schlagen? Liebhaben musst du ihn! Außer dir hat er niemanden. Die Bibel sagt, dass wir alle lieb haben sollen." Henrique sah Eva betroffen an. Dann sagte er: "Für dich tu ich alles Kusinchen. Du bist das lieblichste Geschöpf, das ich kenne." Eva lächelte ihn schelmisch an. "Hoffentlich vergisst du es nicht!"

Zwei Tage später reisten Alfred und Henrique wieder ab. Eva war in den Unternehmungen mit Henrique weit über ihre körperlichen Kräfte hinausgegangen und wurde nun mit jedem Tag schwächer. Schließlich ließ St. Clare einen Arzt rufen, auch wenn seine Frau das übertrieben fand. Der Arzt kam und zeigte sich besorgt über Evas Zustand. St. Clare und Miss Ophelia wachten ängstlich über Eva, deren Zustand sich nach einigen Wochen wieder zu bessern schien. Sie spielte und lachte wieder und St. Clare schöpfte neue Hoffnung. Aber Miss Ophelia und der Arzt ließen sich nicht täuschen, denn es war nur eine Pause, die die heimtückische Krankheit machte.

Es war am späten Nachmittag als Eva zu St. Clare gesprungen kam. Ihre Wangen glühten und ihre Augen glänzten verräterisch. St. Clare umarmte sie. "Nicht wahr, Eva, es geht dir schon viel besser, oder?" Eva sah ihren Vater ernst an und setzte sich auf seinen Schoß. "Weißt du, Papa, ich wollte schon lange mit dir darüber reden. Ich kann es nicht länger für mich behalten. Ich weiß, dass die Zeit kommt, wo ich dich verlassen muss. Ich werde dich verlassen und nie wiederkehren." Sie schluchzte leise. St. Clare unterdrückte ein Zittern, das ihn bei ihren Worten überfallen hatte. "Wir dürfen uns nicht selbst betrügen. Mir geht es nicht besser. Ich weiß es, und du weißt es auch. Weißt du, hier ist so vieles, das mich betrübt. Ich finde es nicht schlimm, zu sterben. Aber dass ich dich verlassen muss, bricht mir fast das Herz." Eva sah ihren Vater liebevoll an. "Ach, Eva. Sprich nicht so. Was ist es denn, was dich hier so quält?" St. Clare kämpfte mit den Tränen. "Weißt du Papa, ich meine unsere Leute. Sie haben mich alle so lieb. Sie sind so gut und freundlich. Ich wünschte, sie wären frei. Was ist, wenn dir etwas zustößt? Dann werden sie verkauft. Papa, können wir unsere Sklaven denn nicht frei lassen? Wenn ich tot bin, lässt du sie dann frei? Mir zuliebe? Versprich es mir. Auch Tom muss seine Freiheit erhalten, wenn ich ... nicht mehr bin." St. Clare nahm Evas Hand. "Ich verspreche es dir mein Liebes. Aber du wirst wieder gesund." Eva küsste ihren Vater. "Ich wünschte, wir könnten zusammen in das Reich des Heilandes gehen. Dort ist es ruhig und friedlich."

St. Clare presste die zerbrechliche Gestalt seiner Tochter an sich und als es dunkel wurde, trug er sein Kind nach oben und bettete es zur Ruhe. Er wiegte Eva in seinen Armen, bis sie eingeschlafen war.