Ich nehme Besitz von meinem Reich

  • Autor: Stevenson, Robert Louis

Eine ganze Weile donnerte Alan an die Haustür, aber nichts geschah. Endlich vernahm ich, wie ein Fenster leise aufgemacht wurde, und da wusste ich, dass mein Oheim seinen Beobachtungsposten bezogen hatte. Obwohl es dunkel war, musste er Alan als dunklen Schatten auf der Treppe stehen sehen. Wir drei Zeugen waren seinem Blick verborgen. Er beobachtete seinen Besucher eine Weile schweigend.

Schließlich sprach er mit vor Besorgnis zitternder Stimme: "Was wollen Sie? Zu dieser nächtlichen Zeit gehört es sich nicht, an Türen zu klopfen. Was führt Euch her? Ich habe eine Donnerbüchse in der Hand!"

"Seid Ihr es selbst, Mister Balfour?", erwiderte Alan.

"Was führt Euch her und wer seid Ihr?", fragte mein Oheim nochmals.

"Ich bin keineswegs geneigt, meinen Namen in die Gegend hinauszuschreien", erwiderte Alan, "aber was mich herführt, das ist wohl eine Geschichte, die Euch angeht."

"Und um was geht's?", fragte mein Oheim.

"Um David", antwortete Alan.

"Was habt Ihr gesagt?, schrie mein Oheim mit gänzlich veränderter Stimme auf. "In diesem Fall wird es doch besser sein, ich lasse Euch ein."

"Das glaube ich auch", versetzte Alan, "die Frage ist aber, ob ich hinein will. Ich werde Euch was sagen: Nach meiner Meinung sollten wir hier auf dieser Treppenstufe über das Geschäft verhandeln, hier und nirgends anders. Zunächst nehmt gefälligst zur Kenntnis, dass ich selbst ein Edelmann bin und zwar aus viel besserer Familie als Ihr!"

Alans Ton brachte Ebenezer völlig aus der Fassung. Nach einer Weile sagte er: "Na ja, was sein muss, muss sein", und schloss das Fenster. Er brauchte längere Zeit, um die Treppen herabzusteigen und den Türriegel zurückzuschieben. Endlich hörten wir das Kreischen der Angeln, und es schien, als schlüpfe mein Oheim vorsichtig heraus und setze sich auf die obere Stufe, die Büchse schussbereit in den Händen.

Er sagte: "Die ganze Sache sieht mir nicht vertrauenswürdig aus. Vergesst nicht, dass ich ein Gewehr habe! Kommt Ihr auch nur einen Schritt näher, so seid Ihr des Todes! Und jetzt, da wir einander verstehen, sprecht über Euer Geschäft!"

"Mein Name tut nichts zur Sache, aber die Heimat meiner Freunde liegt nicht weit von der Insel Mull, von der Ihr sicher gehört habt. Es scheint, dass in dieser Gegend ein Schiff untergegangen ist. Jedenfalls ging am nächsten Tag einer meiner Freunde an den Strand und was fand er? Einen jungen Mann, der halb ertrunken war. Nun, er brachte ihn wieder zu sich und schaffte ihn gemeinsam mit anderen Männern auf eine alte, verfallene Burg. Von jenem Tag bis zum heutigen hat seine Anwesenheit dort meine Freunde ein gutes Stück Geld gekostet. Dazu kommt, dass es diese Freunde mit dem Gesetz nicht so genau nehmen. Als sie nun herausgefunden hatten, dass der Bursche anständige Verwandtschaft hat und Euer Neffe ist, Mister Balfour, da haben sie mich gebeten, mal bei Euch anzuklopfen und mit Euch über die Sache zureden.

Ich möchte von Anfang an bemerken, dass Ihr den Jungen kaum wiedersehen werdet, wenn wir uns nicht über bestimmte Bedingungen einigen können."

Mein Oheim räusperte sich. "Das kümmert mich nicht allzu sehr", sagte er. "Er war kein guter Junge, und ich habe keinen Anlass, mich da einzumischen!"

"So, so", meinte Alan, "ich sehe schon, worauf Ihr hinaus wollt, mit der Bemerkung, dass es Euch nicht kümmert: Ihr wollt weniger Lösegeld zahlen!"

"Nein", sagte mein Oheim, "es ist die reine Wahrheit. Ich habe nichts übrig für den Burschen, ich zahle kein Lösegeld. Von mir aus könnt Ihr mit ihm machen, was Ihr wollt!"

"In drei Teufels Namen, Sir", sagte Alan, "Blut ist dicker als Wasser! Ihr könnt doch Eures Bruders Sohn nicht im Stich lassen! Tätet Ihr das, und es würde bekannt, so würdet Ihr in Eurer Gegend einen ganz schlechten Ruf bekommen."

"Ich habe sowieso nicht den besten Ruf", gab Ebenezer zurück, "und ich kann mir nicht vorstellen, wie es bekannt werden sollte. Durch mich jedenfalls nicht. Und durch Euch und Eure Leute erst recht nicht! Es ist also leeres Geschwätz, Freundchen!"

"Dann wird es David sein, durch den es herauskommt", sagte Alan.

"Wieso?", fragte Ebenezer in scharfem Ton.

"Ach, ich denke", erwiderte Alan, "dass ihn meine Freunde so lange festhalten, wie Hoffnung auf ein Lösegeld besteht. Wenn das nicht mehr der Fall ist, dann werden sie ihn sicher laufen lassen und sich nicht mehr um ihn kümmern.

Sehen Sie, Mister Balfour, nach allem, was ich so gehört habe, gab es zwei Möglichkeiten: Entweder Ihr liebt David und dann hättet Ihr gezahlt, um ihn wieder zu bekommen oder Ihr hättet gute Gründe, ihn nicht wieder sehen zu wollen. Dann müsst Ihr zahlen, damit wir ihn behalten. Das erste scheint nicht der Fall zu sein, gut, dann nehmen wir das zweite! Ich bin froh, dass zu wissen, denn es wird mir und meinen Freunden ein nettes Sümmchen einbringen."

"Ich kann Euch da nicht folgen", sagte mein Oheim.

"Nein?", fragte Alan. "Also passt mal auf: Ihr wollt den Jungen nicht zurück haben. Gut! Aber was wollt Ihr, was mit ihm geschieht? Und was wollt Ihr Euch das kosten lassen?"

Mein Oheim antwortete nicht, sondern rutschte nur unruhig auf der Treppe herum. Alan versuchte ihn zum Reden zu bringen, aber Ebenezer war unschlüssig. Schließlich sagte Alan zu ihm: "Sir, ich verlange jetzt von Euch eine Entscheidung: Sollen wir den Jungen umbringen oder behalten?"

"Oh, mein Himmel!", reif Ebenezer. "Ist das die Sprache von Menschen?"

Dann fing er an zu wimmern: "Behalten, behalten. Bitte kein Blutvergießen!"

"Gut", sagte Alan, "wie Ihr wollt. Das ist teurer."

"Teurer?", schrie Ebenezer.

"Natürlich!", entgegnete Alan. "Verbrechen ist beides. Aber ihn umzubringen ist leichter und sicherer und geht schneller. Ihn behalten ist mühsamer."

"Ich will ihn trotzdem am Leben haben", gab mein Oheim zurück. "Nie habe ich etwas mit kriminellen Sachen zu tun gehabt, und ich lasse mich auch jetzt nicht darauf ein!"

"Ihr habt ein empfindliches Gewissen!", spottete Alan.

"Ich bin ein Mann mit Grundsätzen", erwiderte Ebenezer, "und wenn ich dafür zahlen muss, dann tue ich es eben. Übrigens vergesst Ihr, dass der Junge meines Bruders Sohn ist."

"Ganz recht", sagte Alan, "und nun ein Wort über den Preis! Es ist nicht leicht für mich, eine Summe zu nennen; ich muss erst ein paar Kleinigkeiten erfahren. Zum Beispiel: Wie viel habt Ihr Hoseason beim ersten Versuch bezahlt?"

"Hoseason?", schrie mein Oheim auf und wich zurück. "Wofür?"

"Für Davids Entführung", sagte Alan.

"Das ist eine Lüge! Eine schwarze Lüge!", rief der Alte. "Niemals ist er entführt wurden. Wer das sagt, lügt!"

Alan bemerkte: "Hoseason und ich sind Geschäftspartner. Es nützt Euch also nichts, weiter zu lügen. Ihr habt Hoseason zu viel erzählt! Also, wie viel habt Ihr ihm gezahlt?"

"Ich weiß nicht, was er Euch gesagt hat, aber es war sicher gelogen. Die Wahrheit ist, dass ich ihm zwanzig Pfund gegeben habe. Er wollte zwar noch mehr, aber das habe ich ihm nicht gegeben."

"Besten Dank, Mister Thomson, das genügt völlig", sagte der Anwalt und trat aus dem Dunkel hervor. Dann sprach er sehr höflich: "Guten Abend, Mister Balfour!"

Auch ich trat vor und sagte: "Guten Abend, Ohm Ebenezer!"

Und auch der Schreiber trat zu uns und sprach: "Eine schöne Nacht, Mister Balfour, nicht wahr?"

Mein Oheim sagte kein Wort. Er sank auf der obersten Stufe nieder und starrte uns wie versteinert an. Alan nahm ihm das Gewehr aus den Händen. Dann fasste ihn der Anwalt beim Arm, zog ihn von der Stufe empor und führte ihn in die Küche, wohin wir ihnen alle folgten. Dort setzte er ihn auf einen Stuhl.

Eine Weile sahen wir uns an; froh über den Erfolg, aber auch so etwas wie Mitleid mit der Schande dieses Mannes bewegte uns.

"Mister Ebenezer", sagte endlich der Anwalt, "ich verspreche Euch, dass wir es Euch nicht zu schwer machen wollen. Gebt zuerst mal den Kellerschlüssel heraus! Zur Feier des Tages wollen wir uns eine Flasche Wein gönnen!"

Mister Rankeillor und mein Oheim gingen ins Nachbarzimmer um alles zu besprechen. Dort blieben sie etwa eine Stunde. Inzwischen hatten wir restlichen drei Männer ein gutes Abendessen aus dem Korb gegessen, den der Schreiber getragen hatte.

Der Anwalt und mein Oheim gelangten zu vollem Einverständnis, und schließlich unterzeichneten Ebenezer und ich die Abmachung in formgerechter Weise. Darin verpflichtete sich mein Oheim, Mister Rankeillor für seine Mitwirkung zu entschädigen und mir volle zwei Drittel vom jährlichen Einkommen aus Shaws regelmäßig auszuzahlen.

Wir verbrachten diese Nacht alle im Hause meines Oheims, ich als vermögender Mann. Während die anderen schliefen, dachte ich über die kommenden Tage und Jahre nach.