Im Staatskabinett

  • Autor: Dumas, Alexander

Frau Danglars war um halb zwei Uhr zum Büro von Herrn von Villefort gefahren und wurde sofort vorgelassen.

"Madame, meinen innigen Dank für Ihre Pünktlichkeit." Der Staatanwalt bot ihr einen Stuhl an, den sie gerne annahm, denn ihr Herz raste gewaltig.

Herr von Villefort suchte sein Büro ab, und kontrollierte die Türen, dann raunte er: "Madame, der Graf von Monte Christo weiß Dinge über uns, die niemals ans Tageslicht kommen dürfen."

"Was meinen Sie damit?"

"Als er in seinem Garten graben ließ, kann er weder das Skelett eines Kindes noch ein Kistchen gefunden haben!"

"Nicht?"

"Nein, denn weder das eine noch das andere waren vorhanden. Da Monte Christo aber von einem Kind spricht, das an einer Stelle vergraben sein soll, wo es nicht ist, so kennt er das Geheimnis, denn sonst könnte er nicht davon reden!"

"Wie? Sie hatten also das arme Kind, das wir für tot hielten, nicht dort begraben?"

"Doch, aber erinnern Sie sich, gleich darauf wurde ich von einem Korsen niedergestochen, und er hielt mich für tot. Monate später, als ich endlich genesen war und aus Marseille zurückkehrte, war mein erster Gang in diesen Garten. Getrieben von meinem Gewissen, suchte ich das Kistchen. Ich durchwühlte die Erde, jeden Fleck. In nur wenigen Stunden verrichtete ich die Arbeit wofür mehrere Männer einen Tage gebraucht hätten. Nichts! Das Kistchen war verschwunden - das Kind auch!"

"Unser Kind war nicht da?" Frau Danglars atmete schwer.

"Können Sie sich meinen Schreck vorstellen? Ich benutzte alle Möglichkeiten, die mir mein Amt gibt, und stellte jede nur denkbare Nachforschung an. Hören Sie, Hermine, am Tage nach jener unglückseligen Nacht wurde ein Säugling in das Waisenhospiz gebracht. Das Kind war in ein Tuch gewickelt, das die Krone eines Barons zierte…"

"Oh Gott, mein erster Gatte war Baron…"

"Noch mehr! Nicht nur eine Baronenkrone, sondern auch den eingetickten Buchstaben H!"

"Himmel, wie strafst du mich", rief Frau Danglars. "H, das bedeutet mein Vornamen, meine ganz Wäsche war so bezeichnet. Oh, mein Sohn lebt? Und Sie sagen mir das, ohne zu fürchten, ich könnte vor Freude sterben? Aber wo ist er?"

"Ich weiß es nicht, Hermine, alle meine Versuche, ihn zu finden, waren bisher vergeblich!"

"Und sie glauben, ich würde es dabei bewenden lassen?"

"Nein", erwiderte Herr von Villefort ebenso eindringlich wie scharf, "von heute an will ich mit noch größerem Nachdruck nach ihm suchen als schon früher, und ich werde ihn finden. Denn es ist nicht mehr nur das Gewissen, das mich treibt, sondern auch viel mehr die Furcht!"

"Der Graf von Monte Christo…", flüsterte sie schreckensbleich.

"Dieser Mensch verfolgt Pläne, die uns vernichten können. Ich frage sie nochmals Hermine! Weiß irgendjemand über unsere frühere Verbindung Bescheid?"

"Nein", flüsterte sie - und wusste, dass es die Unwahrheit war.

Der Staatsanwalt war aufs höchste beunruhigt. Insgeheim erkundigte er sich nach Monte Christo. Doch was er erfuhr, war nur dazu bestimmt, ihn in die Irre zu führen.