Valentine und Maximilian

  • Autor: Dumas, Alexander

"Zu Hilfe, zu Hilfe", schrie Herr von Villefort, aus seiner Kammer stürzend.

"Wie zu Hilfe?", entgegnete unten von der Treppe die Stimme des Arztes. Es war die Stunde, zu der der Doktor gewöhnlich kam.

"Doktor, kommen sie schnell - Valentine."

Man brachte die Leblose in das Zimmer ihres Großvaters, Herrn Noirtier. Der Arzt murmelte: "Auch sie…"

Herr von Villefort sank in sich zusammen. In diesem Augenblick trat Maximilian Moral ein. Er starrte Valentine an und fiel vor ihrem Bett auf die Knie. Der Schmerz von Maximilian war so heftig, dass alle Anwesenden sich abwandten, um ihre Rührung zu verbergen. Plötzlich sagte er: "Herr von Villefort, Valentine ist ermordet worden. In Ihnen sind zwei Menschen: der Vater muss nun aufhören zu trauern, damit der Staatsanwalt mit seiner Arbeit beginnen kann."

Da sagte der Arzt: "Auch ich fordere Gerechtigkeit. Mein Herz blutet bei dem Gedanken daran, dass ich zu nachgiebig war. Dadurch konnte der Mörder ein viertes Mal zuschlagen."

"Meine Herren, sie sprechen im Fieberwahn", entfuhr es dem Staatsanwalt, der sich verzweifelt gegen das Schicksal aufbäumen wollte.

Herrn von Noirtiers Augen flammten, obwohl der Greis an seinen Rollstuhl gefesselt war. Villefort fing diesen Blick auf. Er befragte seinen Vater und dieser verlangte, mit seinem Sohn alleine zu sein. Maximilian und der Arzt fügten sich der Bitte und verließen den Raum.

Nachdem eine Viertelstunde vorbei war, hörte man wankende Schritte, und Villefort erschien auf der Schwelle des Zimmers in welchem die beiden Herren in Gedanken versunken warteten. Das Gesicht des Staatsanwaltes war leichenblass.

"Meine Herrn", sprach er mit gepresster Stimme, "geben Sie mir Ihr Ehrenwort, dass das furchtbare Geheimnis niemals jemand erfährt."

Die Männer schüttelten entschieden ihre Köpfe.

"Ich beschwöre Sie!"

"Doch der Mörder…", rief Maximilian Morel.

"Seien Sie unbesorgt. Mein Vater hat mir den Namen des Mörders genannt. Er wird seinem Richter zugeführt. Herr Noirtier dürstet nach Rache wie Sie, und dennoch beschwört auch er Sie, zu schweigen. Ich habe ihm mein Wort gegeben, dass Valentine gerächt werden wird!"

"So will ich einen Priester holen", erklärte Maximilian nach einer Pause, als auch der Arzt genickt hatte. "Seit kurzen wohnt im Nebenhaus ein Geistlicher, den werde ich rufen."

Der Abbé Busoni kam und erfüllte die an ihn gerichtete Bitte. Er verlangte mit der Verstorbenen allein zu bleiben, ließ sich an ihrem Bett nieder und versank in ein schweigendes Gebet.

Valentine, das liebliche Mädchen wurde in der Gruft der Familien von Saint-Meran und Villefort beigesetzt. Die Anteilnahme der vornehmen Gesellschaft war groß, die Verwunderung über die so rasch aufeinander gefolgten Todesfälle nicht minder.

Maximilian Morel, der junge Kapitän, der Valentine so heiß geliebt hatte wie sein Leben, war vom Schmerz erschüttert. Monte Christo erschien gerade noch im richtigen Moment, um das Schlimmste zu verhindern. Die geladene Pistole lag vor Maximilian auf dem Tisch.

"Töten Sie sich nicht, Maximilian", sprach Monte Christo zu ihm, indem er die Waffe an sich nahm.

"Woher nehmen Sie dieses Recht?", fragte Maximilian aufgebracht. "Sie, der Sie mir so viele Hoffnungen gemacht haben?"

"Ich will nicht, dass der Sohn des Mannes, den ich verehrte, heute stirbt!"

"Warum sprechen Sie von meinem Vater?"

Da sah der Graf Maximilian fest in die Augen: "Weil ich derjenige bin, der deinen Vater rettete, als er sich ebenfalls das Leben nehmen wollte, weil ich der Mann bin, der deiner jungen Schwester die Geldbörse für ihre Heirat gab. Ich bin Edmond Dantes, der dich als Kind auf seinem Schoß spielen ließ!"

Da bebte Maximilian. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Monte Christo an. "Sie…", stammelte er.

Und Monte Christos Augen wurden feucht. Er sagte: "Ich reise ab, Maximilian. In acht Tagen bin ich von diesem Land entfernt, in dem mein Vater vor Hunger und Schmerz starb. Versprechen Sie mir tapfer zu sein und mir zu vertrauen!"

Überwältigt von den Worten des Grafen murmelte Maximilian: "Ich werde den Tod nicht mehr suchen! Der Schmerz wird mein täglicher Begleiter sein!"

"Du wirst bei mir leben, Maximilian", erklärte Monte Christo. "Du wirst mich nicht mehr verlassen und in acht Tagen haben wir Frankreich hinter uns."

"Und Sie machen mir immer noch Hoffnung?"

"Ja, denn ich kenne ein Mittel, dass dich wieder glücklich macht. Von heute an wohnst du in Haydees Zimmer…"

"Haydee? Was wurde aus ihr?"

"Sie ist abgereist, aber nur, um mich an einem anderen Ort zu erwarten. Komm in mein Haus, Maximilian, und verlasse dieses hier, ohne dass man dich sieht!"

Maximilian neigte das Haupt. Er war wie ein Kind, das gehorchte.