Von den zwölf Brüdern, die zwölf Schwestern zu Frauen suchen

[von Josef Haltrich]

Ein Mann hatte zwölf Söhne, und als diese groß waren, sprach er: "Ihr sollt nicht eher heiraten, bis ihr zwölf Schwestern in einem Hause findet!" Da waren die Söhne traurig und sprachen: "Wo werden wir denn zwölf Schwestern in einem Hause finden?" Nun ging aber der Älteste zuerst in die Welt, ein solches Haus zu suchen, und kehrte lange nicht zurück. Darauf ging der Zweite. Auch der blieb aus, und so der Dritte, Vierte bis zum Elften, und keiner kam wieder.

Zuletzt machte sich auch noch der Jüngste auf, um seine Brüder und das Haus mit den zwölf Schwestern zu suchen. Der Weg führte ihn durch einen dichten Wald. Da trat ein alter Mann zu ihm und sprach: "Wohin gehst du, Junge?" "Ich will meine Brüder suchen", antwortete er, "und zwölf Schwestern in einem Hause, die wir heiraten sollen!" "Wenn du mir ein Jahr dienen willst, will ich dir beistehen", sprach der Alte. "Ein Jahr ist nicht viel", dachte der Knabe und war damit zufrieden. Er diente treu und redlich und wurde in der Zeit ein guter Jäger.

Als das Jahr vorüber war, schenkte ihm der alte Mann eine Büchse und sprach: "Mit dieser triffst du alles, worauf du zielst. Gehe jetzt fort in den Wald, da wirst du eine Hütte finden. Dort wohnt eine Hexe, die deine elf Brüder in Steine verzaubert hat. Hätten sie bei mir Dienste getan, wäre ihnen nichts geschehen, doch sie waren zu stolz und wollten nicht. Wenn du nun fortgehst, halte die Büchse immer fest in der Hand, dann kann dir die Hexe nichts anhaben!"

Der Junge machte sich auf und hatte bald große Lust, seine Büchse zu versuchen. Da sah er einen Löwen aus dem Dickicht kommen. "Du kommst mir gerade recht", dachte er bei sich, nahm die Büchse und zielte. Aber der Löwe rief ihm zu: "Schieße nicht auf den König der vierfüßigen Tiere, und du sollst belohnt werden! Nimm dieses Haar von mir. Wenn du in Not bist, so drehe daran, und ich werde dir gleich mit allen meinen Tieren zu Hilfe eilen." Der Junge nahm das Haar und ging weiter.

Auf einmal sah er einen Adler hoch in den Lüften kreisen. Er legte an und wollte sogleich schießen. Da rief ihm der Adler zu: "Schieße nicht, ich will es dir gut vergelten." Der Adler schwebte herab und sprach: "Siehe, ich bin der König aller Vögel. Nimm diese Feder von mir. Wenn du in Not bist, drehe daran, und gleich komme ich dir mit meinen Scharen zu Hilfe!" Der Junge nahm die Feder und ging weiter.

Bald sah er ein großes Wasser und einen mächtigen Fisch darin. "Heißa!", dachte er, "Den kannst du nun endlich schießen!" Wie er aber abdrücken wollte, rief ihm der Fisch zu: "Halte ein, und lass dich dafür belohnen! Ich bin doch der König der Wassertiere. Nimm meine Flossenspitze hier. Wenn du in Not bist, drehe sie ein wenig und ich werde dir mit meinem Volke zu Hilfe kommen." Der Junge nahm die Flosse und ging weiter.

Es dauerte nicht lange, da kam er zu der Hütte, wo die Hexe wohnte. Er trat mutig ein und sprach: "Hexe, schaffe mir meine elf Brüder auf der Stelle herbei, sonst schieße ich dich nieder!" Die Hexe lachte hell auf und rief: "Oh, du närrischer Erdwurm! Schieße, so viel du Lust hast, mir schadet es nicht. Weißt du denn nicht, dass mein Leben nicht in mir wohnt sondern weit, weit weg? - Es ist in einem verschlossenen Berge, in einem Teich, auf dem eine Ente schwimmt. Diese Ente hat ein Ei in sich, in dem ein Lichtlein brennt. Das ist mein Leben! Aber glaube ja nicht, dass du es auslöschen könntest. Nie und nimmer kann das geschehen, und darum bekommst du auch deine Brüder nicht zurück!"

Da wurde der Junge zornig und rief: "Du sollst mein Blei trotzdem kosten!" Er schoss, einmal, zweimal, dreimal, aber umsonst. Die Kugeln trafen zwar und gingen durch die Hexe, aber sie schadeten ihr nicht. Sie blieb gesund und spottete nur. Weil der Junge aber die Büchse immer in der Hand behielt, hatte sie keine Macht über ihn, sonst hätte sie ihn auch verzaubert. Wütend lief der Junge zur Türe und rief der Hexe zu: "Warte nur, ich werde dein Leben schon finden!"

Damit machte er sich auf und durchquerte den ganzen Wald, bis er endlich einen Berg sah. "Das muss er sein", dachte er und ging darauf los. Als er aber ankam, wusste er nicht, wie er hineinkommen sollte. Da fielen ihm seine Geschenke ein.

Er nahm zuerst das Haar des Löwen und drehte daran. Auf einmal kamen alle vierfüßigen Tiere der Erde. Der Löwe war an ihrer Spitze und fragte, was zu tun sei. "Scharrt mir den Berg da fort", sagte der Junge, und es dauerte nur einige Minuten, da war kein Berg mehr zu sehen.

Dafür zeigte sich nun ein klarer See und darauf eine Ente. Diese hob sich sogleich in die Lüfte, um fortzufliegen. Schnell drehte der Knabe seine Feder, und im Nu war der Adler mit all seinen Vögeln da. Er fragte, was geschehen solle. "Fangt mir die Ente und bringt sie her!", rief der Junge. Da flogen sie aus, packten die Ente und zerrissen sie in tausend Stücke. So brachte jeder Vogel nur ein kleine Stück von der Ente zurück. "Ach, so habe ich es nicht gemeint", sprach der Junge traurig und fragte nach dem Ei. "Nun ja", erwiderte der Adler, "das Ei ist in den See gefallen. Es ließ sich nicht recht greifen!" Da nahm der Junge seine Flossenspitze und drehte sie. Gleich war der König der Fische mit allen Seetieren am Ufer und fragte, was er tun könne. "Bringt mir das Ei, das in den Teich gefallen ist", sagte der Junge rasch. Da tauchten alle unter, und nach einer Weile kam der Fischkönig selbst mit dem Ei im Munde zurück. Der Knabe nahm es und machte sich auf den Weg zur Hexe.

"Sieh her", sprach der Junge, als er wieder vor der Hexe stand, "hier habe ich dein Leben. Ich werde es gleich zerstören, wenn du mir nicht auf der Stelle meine Brüder lebendig machst!" Da zitterte die Hexe am ganzen Leibe, nahm ein grünes Stäbchen und ging zu den elf Steinen, die vor der Hütte lagen. Sie schlug darauf, und es standen die elf Brüder da. Es war ihnen, als erwachten sie aus einem schweren Träume. "Seht sie euch an, die Hexe, die euch verzaubert hat!", rief der Jüngste Bruder und zerbrach das Ei. Darin flackerte ein kleines Lichtlein zum letzten Male auf, und die Hexe sank tot zur Boden.

Darauf machten sich alle zwölf Brüder zusammen auf den Weg, um ihre Bräute zu finden. Sie mussten noch lange suchen, aber endlich fanden sie ein Haus mit zwölf Schwestern. Diese führten sie heim zu ihrem Vater und feierten eine große, große Hochzeit. Alle waren froh und glücklich, und es ist leicht möglich, dass sie noch leben, wenn sie nicht gestorben sind.