Walther und Hildegund

  • Autor: Autor Unbekannt

Dem Hunnenkönig Etzel, den viele heute besser als Attila kennen, hat in seinem Leben für manchen Schrecken gesorgt. So ist es nicht verwunderlich, dass schon zu seiner Zeit viele Könige dem furchtbaren Herrscher freiwillig Geiseln gaben, damit er ihr Land verschone.

So gab Gibbich, der Frankenkönig in Worms, den adeligen Knaben Hagen von Tronje mit vielen kostbaren Schätzen als Geisel, der Burgundenkönig Herrich gab sein Töchterchen Hildegund her und der König der Goten, Alpherr von Aquitanien, erkaufte sich den Frieden in seinem Land, indem er seinen Sohn Walther dem Hunnenkönig auslieferte. Hildegund und Walther waren sich zu diesem Zeitpunkt übrigens schon als Eheleute versprochen.

König Etzel und seine Frau Helche ließen es den jungen Menschen in ihrer Gefangenschaft an nichts fehlen. So wuchsen sie heran und einzig die hin und wieder aufkeimende Sehnsucht nach dem Land der Väter trog ihre Glückseligkeit. Walther und Hagen wurden sogar richtig streitbare Recken, die sich oft in den Dienst des Hunnenkönigs stellten, und Hildegund war so geschickt im Haushalt, dass ihr Königin Helche eines Tages sogar die Schatzkammer zur Verwaltung übergab.

Ja, das Leben am Hofe des Hunnenkönigs hätte richtig schön sein können, auch auf Dauer. Doch dann starb Gibbich zu Worms und sein Sohn Gunther, der zu Zeiten des Hunneneinfalls noch ein kleines Kind gewesen war, folgte ihm auf dem Thron. Als Hagen von Tronje davon hörte, hielt ihn nichts mehr in Hunnenreich und heimlich stahl er sich davon.

Nun war Etzel natürlich gewarnt. „Wir müssen verhindern, dass auch Walther uns verlässt“, sagte er eines Tages zu Helche. Und er wusste auch schon, wie er das anstellen wollte: Mit der Vermählung Walthers mit einer hunnischen Fürstentochter.

Doch Walther, dessen Herz längst einer anderen Frau gehörte, wusste sich gegen die Hochzeit zu wehren, denn er zog in den Krieg. Als er bereits nach kurzer Zeit mit Ruhm und Ehre nach Hause kam, hatte er auch endlich die Möglichkeit, Hildegund seine Liebe zu gestehen. Da auch Hildegund in Liebe für Walther entbrannt war, war es schon bald klar, dass auch diese beiden Geiseln des Hunnenkönigs ihr Heil in der Flucht suchen wollten.

Eines Tages gab Walther ein Festmahl, zu dem er neben dem Königspaar auch alle anderen wichtigen Vertreter des Reiches eingeladen hatte. Es wurde ausgelassen gefeiert und der Hausherr servierte schweren Wein, von dem bald alle so viel getrunken hatten, dass sie in einen tiefen Schlaf sanken.

Für Walther und Hildegund war zu diesem Moment der Zeitpunkt zur Flucht gekommen. Natürlich hatten die beiden Liebenden alles gut vorbereitet – Hildegund hatte sogar auf Walthers Verlagen hin zwei große Kisten mit goldenen Armbändern und Edelsteinen aus der Schatzkammer gefüllt, die sie nun mit sich nahmen. Außerdem trugen sie eine Angel und eine Leimrute bei sich, um sich auf ihrem beschwerlichen Weg zurück in die Heimat gut versorgen zu können.

Walther selbst hatte die kostbare Rüstung des Hunnenkönigs Etzel angelegt. Und da man ihn und seine Taten im Reich gut kannte, wagte es niemand, sich ihm in den Weg zu stellen oder ihn und seine Gefährtin gar aufzuhalten. Unterwegs lebten er und Hildegund von Wildbret oder frischem Fisch.

40 Tage waren sie schon auf der Flucht, als sie in die Nähe von Worms am Rhein kamen. Dem Fährmann, der Walther und Hildegund auf die andere Seite des Flussufers übersetzte, gaben sie zur Entlohnung zwei Fische, dann zogen sie unbesorgt weiter.

Der Fährmann verkaufte diese Fische gleich am nächsten Tag am Königshof zu Worms. Als König Gunther beim Mahl nach der Herkunft der außergewöhnlichen Fische fragte, da erzählte der Fährmann ihm die Geschichte von dem Recken und der schönen Jungfrau, die mit zwei großen Kisten gereist seien, aus denen es so klang, als würden Gold und Edelsteine aneinander geworfen.

„Das kann nur mein Waffenbruder Walther mit der schönen Jungfrau Hildegund sein“, rief Hagen von Tronje sogleich, der natürlich nach seiner Flucht aus dem Hunnenreich bei König Gunther Unterschlupf gefunden hatte.

Doch während Hagen glücklich über die Nachricht war, ärgerte es Gunther zusehends, denn er war sich sicher, dass das Gold, das Walther bei sich trug, jenes war, das sein Vater Gibbich einst als Pfand Etzel mitgegeben hatte. Sofort ließ Gunther zwölf Männer zusammenrufen, die Walther nachsetzen sollten. Hagen versuchte dagegen zu sprechen, doch ohne Erfolg.

Unterdessen waren Walther und Hildegund in den wilden Wasgenwald gekommen und machten am Wasgenstein, einer kleinen Schlucht, Rast. Bislang hatte Walther stets in seiner Rüstung geschlafen, dieses Mal aber zog er sie aus und bettete seinen Kopf in Hildegunds Schoss. Sie sollte Wache halten.

Nach kurzer Zeit erblickte Hildegund eine Staubwolke und kurze Zeit später jede Menge Reiter. Sofort weckte sie ihren Geliebten auf, der seine Rüstung anzog und sich bereit zum Kampfe machte.

Als die Reiter nahe genug waren, schickte Gunther auf Anraten Hagens zuerst einmal einen Reiter zu Walther, um die Situation zu klären. Doch die beiden gerieten in Streit, denn natürlich hatte Walther nicht vor, seinen Schatz wehrlos aufzugeben und der Bote hatte es abgelehnt, nur einen kleinen Teil davon in Empfang zu nehmen.

Der Streit spitze sich schließlich so zu, dass Walther den Boten erschlug. Weitere folgten, doch immer ging Walther als Sieger hervor. Schließlich blieben nur noch Gunther und Hagen übrig, doch Hagen wollte nicht gegen seinen alten Freund kämpfen. Erst als Gunther ihm berichtete, Walther habe gerade seinen Neffen getötet, war er bereit, sich im Zweikampf dem einstigen Weggefährten zu stellen. Und für beide war nun klar, dass sie Walther aus der Schlucht locken mussten.

Inzwischen war es Nacht geworden. „Man soll mir nicht nachsagen, ich sei wie ein Feigling bei Nacht entwichen“, sagte Walther zu Hildegund und sicherte mit Dornen den Eingang zur Schlucht. Dann legte er sich schlafen, Hildegund wachte und nach einiger Zeit wechselten sie sich ab. Am nächsten Morgen fühlte sich Walther gestärkt, belud die eigenen und die erbeuteten Pferde der Wormser und machte sich auf den Weg.

Sie waren erst ein kurzes Stück des Weges geritten, da stellten sich ihnen Hagen von Tronje und Gunther in den Weg. Walther forderte Hildegund auf, sich mit dem Schatz in dem nahe gelegenen Wald zu verstecken, was sie auch sofort tat.

Der folgende Kampf zwischen den drei Recken war unausweichlich, hart und brutal. Er währte sieben Stunden und noch immer stand kein Sieger fest. Schließlich schleuderte Walther seinen Speer auf Hagen und stürzte sich fast zeitgleich mit dem Schwert auf Gunther, um ihm das Bein abzuschlagen. Als Walther zum letzten Schlag gegen den Gunther ansetzte, warf sich Hagen dazwischen, um das Schlimmste zu verhindern.

Noch einmal gerieten die beiden Freunde heftig aneinander. Hagen hieb Walther dabei die rechte Hand ab, Walther ergriff mit der Linken das Hunnenschwert und schlug Hagen ein Auge und sechs Zähne aus. Erst danach waren alle drei so müde, dass sie nicht mehr kämpfen wollten. Stattdessen versorgten sie sich gegenseitig ihre Wunden, wobei ihnen die aus dem Wald zurückgekehrte Hildegund half.

Die drei Männer schlossen Frieden miteinander, Walther und Hagen fanden sogar zu ihrer alten Freundschaft zurück. Gunther und Hagen gingen nach Worms, Walther ins Land seines Vaters. Dort heiratete er kurze Zeit später die schöne Hildegund. Und als sein Vater starb, wurde er König von Aquitanien, das er mit viel Weisheit und Kraft regierte.