Brot und Salz

  • Autor: Dumas, Alexander

Ungerührt von allem nahm der Graf von Monte Christo die Einladung zu einem Ball des Grafen von Morcerf an. Dessen Sohn, der Vicomte Albert, überbrachte sie dem von ihm so sehr geschätzten Mann. Dieser brachte dem jungen Mann eine gleich bleibende Freundlichkeit entgegen, die sich nie erwärmte, sondern eher kühl blieb.

Bei dieser Gelegenheit konnte Albert von seiner Abneigung gegen Eugenie, die Tochter Danglars sprechen: "100 000 Francs wollte ich geben, wenn ich sie nicht heiraten müsste!"

Da lächelte Monte Christo. "Seien Sie unbesorgt", verriet er dem unglücklichen jungen Mann, den er dadurch zum glücklichsten machte, "Herr Danglars ist bereit, mehr als das Doppelte dafür zu geben, damit Ihr Vater und Sie vom Verlöbnis zurücktreten."

"Ist das wirklich wahr?", fragte Albert staunend und mit erregt glänzenden Augen.

"Verlassen Sie sich darauf, aber tun auch Sie mir einen Gefallen. Laden Sie den jungen Andrea Cavalcanti ebenfalls zu Ihrem Ball ein. Und noch eines: Falls Franz d'Epinay aus Italien zurückgekehrt ist, wie ich hörte, so wäre ich glücklich ihn bald wieder zu sehen."

Der Ball fand an einem der heißesten Julitage statt, gleichwohl sah er die glänzendste Gesellschaft. Vor allem Mercedes von Morcerf überstrahlte alle mit ihrer Schönheit, die sich immer dann noch zu steigern schien, wenn sie Monte Christo in der Menge erblickte.

Es mochten schönere Männer da sein, aber es war keiner ausdrucksvoller als er. Alles an ihm wollte etwas sagen und hatte einen Wert.

Frau von Morcerf ließ mit ihren Blicken nicht von Monte Christo ab. Sie sah die Platten voller Essen vorübergehen, ohne dass er sich etwas davon nahm. Sie hatte sogar das Gefühl, dass er sich davon entfernte.

"Albert", sagte sie, "hast du bemerkt, dass der Graf nie ein Diner bei Herrn von Morcerf annehmen wollte?"

"Ja, doch er hat ein Frühstück bei mir angenommen, da er durch dieses Frühstück in die Gesellschaft eingetreten ist."

"Bei dir ist nicht bei dem Grafen", erwiderte Mercedes, "und ich beobachte ihn, seitdem er hier ist."

"Das ist sicher nur Zufall!"

"Nein", entgegnete sie traurig. "Bleibe in seiner Nähe und biete ihm von der ersten Platte, die vorüberkommt, etwas an!"

Albert tat, was seine Mutter wünschte. Aber der Graf weigert sich hartnäckig. Albert kehrte zu seiner Mutter zurück; die Gräfin wurde sehr blass.

"Nun, du siehst es, er hat sich geweigert", sagte sie.

"Ja, doch warum ängstigt Sie das, meine geliebte Mama?"

"Gut, ich werde ein Beispiel geben", sagte Mercedes - sich an Monte Christo wendend, sprach sie: "Graf, haben Sie die Güte, mir Ihren Arm zu bieten?"

Es ist nicht zu beschreiben, mit welchen Gefühlen er, Edmond Dantes, den Arm seiner Mercedes nahm, um ihre Bitte zu erfüllen. Am Ende der Allee betraten sie ein Treibhaus. Mercedes pflückte eine Muskattraube: "Nehmen Sie, Herr Graf!"

"Madame, entschuldigen Sie, aber ich esse nie Muskat!"

In ihren Befürchtungen bestärkt, kämpfte sie mit den Tränen. "Graf, es gibt eine arabische Sitte, die auf ewig diejenigen zu Freunden macht, die Brot und Salz unter demselben Dach geteilt haben."

"Ich kenne sie, Madame, doch wir sind in Frankreich und nicht in Arabien und in Frankreich gibt es ebenso wenig ewige Freundschaften, wie eine Teilung von Salz und Brot."

"Mein Herr, ist es wahr, dass Sie ebenso viel gelitten haben, wie Sie gereist sind?"

"Es ist wahr, ich habe viel gelitten, Madame!"

"Aber nun sind Sie glücklich?"

"Es hört mich niemand klagen!"

"Aber Sie sind nicht verheiratet!"

"Vor vielen Jahren hatte ich eine Geliebte. Der Krieg trennte uns. Ich glaubte, sie würde bis an das Ende aller Tage auf mich warten, aber als ich zurückkehrte, war sie vermählt."

Die Gräfin suchte einen Halt, um nicht niederzusinken. "Hassen Sie sie?", fragte sie fast unhörbar.

"Warum sollte ich sie hassen?"

Sie fasste sich. Noch einmal wagte sie einen Versuch: "Nehmen Sie diesen Pfirsich!"

Der Graf hob abwehrend die Hand. Sie seufzte: "In der Tat, ich habe Unglück!"

Wer weiß, wie dieses Zusammentreffen voll unausgesprochener, innerer Dramatik geendet hätte. Doch Albert lief in diesem Augenblick herein und rief: "Oh Mutter, ein großes Unglück!"

"Was ist geschehen?", fragte die Gräfin, und richtete sich, wie nach einem Traum zur Wirklichkeit erwachend auf.

"Herr von Villefort ist hier, um seine Frau und Valentine zu holen. Die Marquise von Saint-Meran ist mit der Nachricht nach Paris gekommen, dass ihr Mann auf der Reise hierher gestorben ist."

"Wie ist den Fräulein Valentine mit Herrn von Saint-Meran verwandt?", fragte der Graf.

"Sie ist seine Enkeltochter. Er war der Vater von Herrn von Villeforts erster Frau. Er wollte kommen, um die Heirat von Franz und Valentine zu beschleunigen", erklärte Albert. "Franz hat nun Aufschub. Warum ist Herr von Saint-Meran nicht ebenso der Großvater von Fräulein Danglars - dann müssten wir auch nicht heiraten."

Die Mutter überhörte diese Ungezogenheit. Sie wandte sich dem Grafen von Monte Christo zu. Als sie sich von ihm verabschiedete, fragte sie ihn leise: "Nicht wahr, wir sind Freunde?"

"Ich werde mir nicht anmaßen, mich Ihren Freund zu nennen, Madame, aber ohne Zweifel bin ich Ihr ergebener Diener!" Er verbeugte sich und ließ die Gräfin von Morcerf mit beklommenem Herzen zurück.