Das Versprechen

  • Autor: Dumas, Alexander

Die Marquise von Saint-Meran befand sich in einem äußerst schlechten Zustand. Der plötzliche Tod ihres Gatten hatte sie schwer getroffen und von den Strapazen der Reise war sie geschwächt. Auch die Nacht brachte keine Erholung.

"Mein Herr von Villefort", erklärte sie ihrem ehemaligen Schwiegersohn am nächsten Morgen, "Sie hatten uns nach Paris gerufen, es geht um die Heirat von Valentine?"

"Ja, Madame, ihr zukünftiger Mann ist Franz d'Epinay."

"So beeilen Sie sich. Ich fühle, dass ich nicht mehr lange leben werde. Bevor es zu Ende geht, möchte ich den Bräutigam kennen lernen."

Herr von Villefort verließ den Raum und Valentine trat ein, um nach ihrer Großmutter zu sehen. Sie setzte sich an das Bett der Greisin. Das Mädchen war von den Ereignissen ebenso erschüttert, wie von der Aussicht, einen ungeliebten Mann heiraten zu müssen. "Liebe Großmutter, wie geht es dir?"

"Mein Kind, ich habe diese Nacht sehr schlecht geschlafen", sagte die Marquise leise. "Ich sah aus der Ecke, wo es in Frau von Villeforts Ankleidezimmer geht, eine weiße Gestalt hereinschleichen. Dann hörte ich, wie sie mein Glas verrückte!"

"Meine gute Großmutter, das war nur ein böser Traum", rief Valentine voller Grauen.

Die Wangen der alten Frau wurden flammend rot, ihr Atem ging kurz und keuchen und ihr Puls schlug, als ob sie hohes Fieber hätte. Valentine wachte viele Stunden bei ihr. Als die Großmutter eingeschlummert gab, sie ihr einen Kuss auf die Stirn und ging hinaus in den Garten. Nur wenige Augenblicke später verstarb die Marquise und folgte ihrem Gatten in die Ewigkeit.

Die Dunkelheit nistete in den Büschen. Maximilian Morel erwartete sie bereits. Die Liebenden hatten sich versprochen miteinander zu fliehen, wenn es Valentine nicht gelänge ihren Vater von der Heirat abzubringen.

"Wir gehen nach England oder Amerika", drängte Maximilian flüsternd. "Komm mit mir, komm sofort - ehe es zu spät ist."

"Lass mir noch etwas Zeit", bat Valentine. In diesem Augenblick hörten sie erregte Stimmen vom Haus. Jemand rief nach ihr und sie eilte ängstlich zurück.

Der Mond trat nun hinter der Wolke hervor, die Maximilian bisher im Gebüsch verbarg. Aus der Tür sah er Herrn von Villefort mit einem schwarz gekleideten Mann erscheinen. Sie näherten sich ihm, bis auf vier Schritte. Maximilian wich so weit es ging nach hinten, bis ein Ahornbaum ihn stoppte. Auf der Bank davor ließen sich die beiden Männer nieder. So wurde er unfreiwillig Zeuge eines Gespräches, das nicht für ihn bestimmt war und das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Der Mann erklärte: "Herr von Villefort, hören sie, die Marquise von Saint-Meran ist keines natürlichen Todes gestorben. Sie wurde vergiftet! Es war eine starke Dosis Strychnin oder Brucin."

"Doktor, was sagen Sie da!" Der Staatsanwalt war starr vor Schreck.

"Ich bin Ihr Freund, Herr von Villefort", erklärte der Arzt, "ich schweige gegenüber jedermann, aber suchen Sie den Schuldigen! Sie sind Staatsanwalt und wissen am besten, was zu tun ist.

Herr von Villefort erkannte sofort, wie wertvoll diese Aussage des Arztes war, rettete sie ihn doch vor der öffentlichen Schande: "Dank, Doktor, Dank", murmelte er. "Ich habe nie einen besseren Freund gehabt als Sie."

Die beiden Männer reichten sich stumm die Hand und gingen zurück zum Haus.

Maximilian verharrte wie betäubt. Der Mond beschien sein Gesicht, das so bleich war, dass man es hätte für ein Gespenst halten können. Dieses Gespräch stürzte ihn in einen heftigen Konflikt. Was sollte er jetzt tun? Er muss Valentine sprechen. Auf Zehenspitzen schlich er über den Kies. Das Glück war auf seiner Seite. Alle Diener waren mit der Verstorbenen beschäftigt. Maximilian gelangte über den dunklen Hausflur in Valentines Zimmer.

"Mein Freund, wie wagst du es hierher zu kommen?", flüsterte sie ängstlich. "Wenn man dich hier findet sind wir verloren!"

Maximilian hatte nicht den Mut, ihr die schreckliche Wahrheit mitzuteilen.

"Ach", seufzte sie. "Meine Großmutter starb mit dem Wunsch, dass ich jetzt heiraten soll. Im Glauben, mich zu beschützen, handelte sie gegen mich. Höre, mein einziger Freund, wir haben nur noch eine Hoffnung…"

Valentine nahm Maximilian an der Hand und zog ihn mit sich fort. Sie stiegen eine kleine Treppe hinab, die zu Noirtier führte. Gleich darauf standen sie vor dem gelähmten Großvater. Wenige Worte genügten, und der kluge Mann, der schon mehr ahnte, als er sagen konnte, hatte ihre Not erkannt.

"Von wem soll jetzt noch Hilfe kommen?", flüsterte Maximilian Morel.

Da lächelte der Greis mit den Augen. Und auf seine begrenzte, aber eindringliche Weise, die Valentine so gut zu deuten wusste, gab er ihnen zu verstehen: "Vertraut mir nur, meine Kinder!"

"Wie?", fragte Maximilian. "Unsere Rettung wird also von Ihnen kommen, mein lieber, mein verehrter Herr Noirtier?"

"Ja!" Nur die Bewegung seiner Augenlider gab die Antwort. Es lag aber eine solche Überzeugung in seinem Blick, dass man unmöglich zweifeln konnte. Der gelähmte Großvater segnete das junge Paar, und sie zogen sich unverhofft glücklich, zurück.