Unter Deck

  • Autor: Poe, Edgar Allan

Nach meiner Rechnung weilte ich drei Tage und drei Nächte in diesem Versteck, bevor ich mich heraustraute, meine Glieder zu recken. Augustus bekam ich die ganze Zeit nicht zu sehen, was mich nicht weiter beunruhigte, denn die Brigg musste jeden Moment in See stechen. Endlich hörte ich die Falltüre und bald darauf die leise Frage, ob es mir gut gehe und ob ich etwas wünsche. Ich verneinte und berichtete, dass es mir sehr wohl ginge. "Wann stechen wir in See?"

"In einer halben Stunde", antwortete Augustus. "Ich kam, um es dir zu berichten, damit du dich nicht weiter über meine lange Abwesenheit beunruhigst. In den nächsten Tagen kann ich nicht herunterkommen. Wenn ich wieder oben bin, dann schleiche mir nach. An der Stelle, wo der Nagel steckt, wirst du meine Uhr finden. Du wirst sie zur Orientierung benötigen, da du Tag und Nacht nicht unterscheiden kannst. Wir haben heute den Zwanzigsten." Dann verließ er mich wieder.

Ungefähr eine Stunde später spürte ich deutlich die Bewegungen des Schiffs. Wir waren auf Fahrt und ich wünschte mir Glück zum Beginn dieser Reise. Nachdem ich die Uhr geholt hatte, sah ich die Bücher durch und las eine Zeitlang. Bald darauf löschte ich die Kerze mit großer Behutsamkeit aus und fiel in einen tiefen Schlaf.

Als ich wieder aufwachte, fühlte ich mich sonderbar verwirrt. Es dauerte einige Zeit, ehe mir die Umstände meiner Lage wieder einfielen. Ich machte Licht und sah, dass die Uhr abgelaufen war. Meine Glieder fühlten sich steif an und ein verzehrender Hunger erinnerte mich an das kalte Hammelfleisch, von dem ich vor dem Schlafengehen verzehrt hatte. Wie groß war mein Staunen, als ich es völlig verfault wiederfand!

Diese Tatsache beunruhigte mich sehr; denn mir wurde klar, dass ich eine ungewöhnlich lange Zeit geschlafen haben musste. Hierfür mochte auch die schlechte Luft im Kielraum verantwortlich sein. Dazu schmerzte mein Kopf höllisch und ich bildete mir ein, nur mit Mühe Atmen zu können. Doch trotzdem wagte ich nicht, die Falltür zu öffnen. Nachdem ich die Uhr aufgezogen hatte, versuchte ich mich in Geduld zu üben.

Während der nächsten vierundzwanzig Stunden ließ sich niemand bei mir blicken und ich klagte Augustus der derbsten Rücksichtlosigkeit an. Inzwischen litt ich an brennendem Durst, da ich die scharfen Boulogner Würste gegessen hatte und mein Wasservorrat dramatisch schwand. Ich geriet in eine gewaltige Unruhe, aus der mich auch meine Bücher nicht mehr befreien konnten.

An den Bewegungen des Schiffes erkannte ich, dass wir schon weit auf dem Ozean waren. Für Augustus Abwesenheit konnte ich keinen Grund finden. Inzwischen waren wir gewiss weit genug vom Lande entfernt, und er konnte mich holen! War ihm etwa was zugestoßen oder womöglich war er gestorben? Ich malte mir die wildesten Möglichkeiten aus, bis ich es fast nicht mehr ertrug.

Ich grübelte über meine einsame und freudlose Lage nach und beschloss, noch einmal vierundzwanzig Stunden auszuharren. Sollte bis dahin noch keine Hilfe in Sicht sein, dann würde ich die Falltür öffnen; wenigstens um ein wenig frische Luft und klares Wasser zu erhalten. Während ich so nachdachte, fiel ich allen Anstrengungen zum Trotz in einen tiefen Schlaf; wobei der eher einer Betäubung glich.

Fürchterliche Träume verfolgten mich. Von Schlangen und Dämonen handelten diese Albträume, die mich in finstere Gegenden und grauenvolle Kämpfe lockten. Mein Gehirn schwamm davon, mir wurde übel, die Sehkraft verließ mich und selbst die glühenden Augen über mir schienen trübe zu werden. Ich stöhnte auf, ohne es zu wollen. Der Laut meiner Stimme schien die schlummernde Wut des Geschöpfes wachzurufen. Er stürzte sich der Länge nach auf meinen Körper.

Verwirrt erkannte ich das lang gedehnte Winseln; es begann mit größter Zuneigung, mir Gesicht und Hände zu lecken! Es war mein Hund - Tiger. Mit pochenden Schläfen sprang ich auf von der Matratze, um meinem treuen Neufundländer um den Hals zu fallen und erleichtert in eine Flut heißer Tränen auszubrechen.

Nur langsam kehrte meine Wahrnehmung zurück und ich konnte mich wieder auf die Umstände besinnen. Tigers Anwesenheit war mir unerklärlich, deshalb musste mir die Freude darüber, dass er da war, genügen. Meine Liebe zu Tiger überstieg bei Weitem das alltägliche Maß. Sieben Jahre lang, war er schon mein ständiger Gefährte. Während dieser Zeit bewies er mir häufig seine edlen Eigenschaften. Ich hatte ihn einst einem kleinen Nantucketer Bösewicht entrissen, der ihm einen Stein um den Hans gebunden hatte und ihn ertränken wollte.

Meine Uhr war erneut abgelaufen. Daraus schloss ich, dass ich wieder sehr lange geschlafen hatte. Wie lange, das wusste ich nicht. Ich brannte im Fieber und hatte unerträglichen Durst. Mit einer Hand durchsuchte ich den Koffer nach dem geringen Wasservorrat. Die Kerze war ausgebrannt und ich konnte keine Streichhölzer finden. Leider war der Krug leer. Wahrscheinlich hatte Tiger nicht widerstehen können. Ebenso hatte er den Rest des Fleisches gefressen, was ich am abgenagten Knochen unschwer erkennen konnte.

Geschwächt vom Fieber und in einem Anfall von Seekrankheit beschloss ich, trotz jeglicher drohender Gefahr, die Falltür aufzusuchen. Ich befahl Tiger, stillzuliegen und kroch mit letzter Kraft den Weg zurück. Ich kämpfte mich weiter, bis ich mit der Stirn heftig gegen die scharfe Ecke eines Eisenkorbes stieß. Der hatte sich durch die schlingernden Bewegungen des Schiffes derart über meinen Weg geworfen, dass ein Weiterkommen unmöglich schien.

Da ich meine Führungsleine nicht loslassen wollte, blieb mir nichts anders, als über die Kiste zu steigen. Nach vielen Mühen, die ich trotz meiner Schwäche überwand, erreichte ich endlich jenen Nagel an der Falltür. Erst sachte und dann immer verzweifelter drückte ich gegen die Tür. Mein Herz klopfte, ob der Angst, in der Kabine jemand anderen vorzufinden als Augustus. Doch die Tür bewegte sich keinen Millimeter, was mich verwunderte; war sie zuvor doch wie von selbst aufgegangen. Ich stieß mit Wut, mit Zorn gegen sie - vergeblich. Wahrscheinlich hatte man das Loch entdeckt und zugenagelt oder durch ein schweres Gewicht verschlossen.

Ich fühlte Entsetzen, das sich in grauenvolle Übelkeit verwandelte. Nun schien ich lebendig begraben zu sein. Ich konnte nicht mehr klar denken und sank zu Boden. Düsterste Fantasien vom Tod durch Verdursten, Ersticken, Verhungern ereilten mich. Dann holte ein Teil meiner Geistesgegenwart mich wieder ein. Ich begann, mit den Fingern, die Ritzen der Falltüre zu untersuchen. Zuletzt schob ich mein Messer hindurch. An den Kratzgeräuschen erkannte ich, dass die Tür durch eine Kette verschlossen sein musste.

Entmutigt gelang es mir wieder, den Weg zurückzukriechen. Als ich erschöpft auf meine Matratze sank, streckte sich Tiger an meiner Seite aus und schien mich durch seine Liebkosungen trösten zu wollen.

Sein seltsames Benehmen erregte schließlich meine Aufmerksamkeit. Erst leckte er mir eine Weile Gesicht und Hände, dann warf er sich plötzlich winselnd auf den Rücken, die Pfoten nach oben ausgestreckt. Dieses Verhalten wiederholte sich mehrmals, sodass ich erst meinte, er wäre fürchterlich traurig und dann glaubte ich, er sei hungrig oder durstig. Dann suchte ich ihn nach Verletzungen ab.

Dazu untersuchte ich sorgfältig seinen Kopf, strich ihm mit der Hand vorsichtig über den Rücken. Da bemerkte ich, dass sich die Haare an einer Stelle emporgesträubt hatten, in gerader Linie um den Tierkörper herum. Da entdeckte ich eine Schnur. Als ich ihr folgte, spürte ich ein Stück Briefpapier auf, das mit dem Faden unmittelbar unter der linken Schulter des Tieres befestigt war.