Die drei Musketiere

  • Autor: Dumas, Alexander

1. Auf dem Weg nach Paris
2. Audienz bei Herrn de Tréville
3. Haltet den Dieb
4. König Ludwig XIII.
5. Kleine Hofintrige
6. Die Falle und das Alibi
7. Begegnung in der Nacht
8. Der Herzog von Buckingham
9. Der Mann von Meung
10. Der König und der Kardinal
11. Herr und Frau Bonacieux
12. Reisevorbereitungen
13. Die Gräfin Winter
14. Der Ball der guten Laune
15. Porthos und Aramis
16. Athos in der Falle
17. Mylady
18. Engländer und Franzosen
19. Seltsame Rache
20. Ein kurzes Wiedersehen
21. Wein aus Anjou
22. Eine Eheszene
23. Familienangelegenheiten
24. Gefangen
25. Kampf um die Freiheit
26. 23. August 1628
27. Im Kloster von Béthune
28. Das Gericht
29. Leutnant der Musketiere
30. Ausklang

 

 

1. Auf dem Weg nach Paris

Es war der erste Montag im April des Jahres 1625. In der kleinen französischen Gemeinde Meung ging es drunter und drüber. Vor dem Gasthof des Freimüllers drängte sich ein dichter Haufen von Kindern und Frauen, sowie mit Musketen und Säbeln bewaffneter Männer.

Derartige Unruhen waren im damaligen Frankreich keine Seltenheit. Kaum ein Tag verstrich ohne dass die Herren des Landadels miteinander stritten oder die Anhänger des Königs, gegen die des Kardinals kämpften. Zudem hatte Spanien Frankreich gerade den Krieg erklärt.

Da keiner die Ursache des Aufruhrs kannte, eilten sie in Scharen zum Gasthof. Dort angekommen, staunte so mancher nicht schlecht. Ein junger Mann, etwa achtzehn Jahre alt, war der Grund dafür. Er trug einen wollenen Wams, der irgendwann einmal blau gewesen sein mag. Sein Gesicht war länglich und braungebrannt mit hervortretenden Wangenknochen. Seine Augen strahlten klug und seine Nase war edel geformt. Sein Aussehen verriet jedem, dass er aus der Gascogne kam.

Ein langer Degen baumelte an seinem ledernen Gehänge. Alles in allem, hätte man ihn für den reichen Sohn eines Pächters halten können, wäre da nicht sein Pferd gewesen. Der Klepper war gut und gerne zwölf Jahre alt, sein Fell struppig und gelblich verblichen.

Der junge d'Artagnan, so hieß der Besitzer dieses Gauls, war das Aufsehen überaus peinlich. Wusste er doch, dass dieses Pferd ihn lächerlich machte. Er hatte den Klepper von seinem Vater als Geschenk erhalten.

"Lieber Sohn", hatte der gascognische Edelmann gesagt, "dieses Pferd erblickte in deinem Elternhaus das Licht der Welt. Jetzt soll es dich auf deinem Weg nach Paris begleiten. Sollte dir die Ehre zuteil werden, an den Königshof berufen zu werden, dann erweise dich deiner Familie würdig. Nimm keine Beleidigung hin, es sei den vom König oder vom Kardinal. Merke dir: nur durch Tapferkeit kann es ein Edelmann zu etwas bringen. Zieh fröhlich auf Abenteuer aus.

Duelliere dich wann immer sich die Gelegenheit ergibt. Dadurch kannst du deinen Mut beweisen, da Duelle verboten sind. Alles, was ich dir mitgeben kann, sind gute Ratschläge, dieses Pferd und dazu fünfzehn Francs. Deine Mutter wird dir außerdem das Rezept einer Zigeunerin für eine Wundsalbe anvertrauen. Sie hat Wunderkraft und heilt jede Verletzung, die den Leib befällt.

Und noch etwas: Nimm dir an Herrn von Tréville, unserem früheren Nachbarn ein Beispiel. Er ist heute der Hauptmann der Musketiere des Königs. Übergebe ihm diesen Brief mit den besten Grüßen von mir. Eifere ihm nach und du wirst deinen Weg machen."

Nach dieser ungewöhnlich langen Rede seines Vaters, verabschiedete sich d'Artagnan von seinen Eltern und brach auf Richtung Paris. Als er nun im Meung angekommen war und ihm der Spott der Menschen entgegenschlug, schoss ihm die Galle ins Blut. Da erblickte er am geöffneten Fenster im Erdgeschoß einen Edelmann von stattlicher Figur, der sich offenbar mit zwei Personen über d'Artagnans Pferd ausließ. Alle paar Augenblicke erschall großes Gelächter.

Mit einem raschen Blick nahm d'Artagnan die Erscheinung jenes Fremden auf, ohne zu ahnen, dass dieser noch eine wichtige Rolle in seinem Leben spielen sollte. Der Unbekannte war zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt, hatte schwarze Augen und einen bleichen Teint, der sich von seinem nach neuester Mode gestutzten schwarzen Schnurrbart abhob. Außerdem zog sich eine Narbe über seine Wange.

Als wieder ein Lachen ertönte, legte d'Artagnan seine Hand an den Degen und stürmte zu den Männern hinein. Mit jedem Schritt wurde sein Wut größer. Der Edelmann, der sich über den jungen Kerl nur amüsierte, drehte sich nach einem kurzen Streitgespräch um und ging davon.

D'Artagnan dachte nicht daran den Mann ziehen zu lassen und rief: "Heda! Dreht Euch um, damit mein Degen Euch nicht von hinten trifft!"

"Mich treffen? Aber mein Lieber. Ihr scheint nicht ganz bei Trost zu sein." Dabei wies der Edelmann spöttische an seine Stirn.

Er hatte noch nicht ausgeredet, da führte d'Artagnan einen heftigen Degenstoß aus, dem er nur im letzten Moment ausweichen konnte. Die beiden Männer, die zuvor am Fenster gestanden hatten, stürzten sich mit Stöcken und Schaufeln auf d'Artagnan und hieben auf ihn ein.

Der Gastwirt, der kein Aufsehen erregen wollte, trug den verletzten Jüngling in seine Küche um ihn zu versorgen.

Der Edelmann betrachtete von seinem Fenster aus die Menge und fragte den Wirt, wie es dem Gascogner ginge. Er erfuhr, dass dieser noch ohnmächtig war und man bei ihm einen Beutel mit elf Francs sowie einen Brief an den Herrn de Tréville gefunden habe.

Mylady darf von diesem komischen Kerl nichts erfahren, überlegte der Unbekannte. Er beschloss sich die Rechnung machen zu lassen und sobald sie da wäre, aufzubrechen.

Der Wirt erklärte in der Zwischenzeit d'Artagnan, der wieder bei Bewusstsein war, dass er sein Haus augenblicklich verlassen musste, weil die Polizei bald eintreffen würde. Der Gascogner, noch halb betäubt, ging die Treppen hinunter und sah, seinen Widersacher, wie er sich mit einer etwa zwanzig Jahre alten Dame unterhielt, die ihren Kopf zum Wagenfenster einer Kutsche herausstreckte.

Die Schönheit dieser Frau machte auf d'Artagnan großen Eindruck. Ihr blasses Gesicht wurde von großen blauen Augen und rosigen Lippen geschmückt. Ihre lockigen blonden Haare reichten bis auf die Schultern. Sie plauderte lebhaft mit dem Unbekannten.

"Seine Eminenz erwartet, dass Sie unverzüglich nach England zurückkehren und durch Eilboten mitteilen, ob der Herzog London verlassen hat."

"Und meine weiteren Anweisungen?", fragte sie.

"Befinden sich in diesem verschlossenen Kästchen, das Sie erst nach Ihrer Ankunft öffnen dürfen. Ich selbst werde nach Paris zurückkehren." Er nickte der Dame zu und schwang sich auf sein Pferd.

D'Artagnan fertigte derweilen laut der Rezeptur seiner Mutter die berühmte Wundersalbe an. Und bereits am nächsten Morgen, war er fast geheilt. Als er seine Zeche bezahlen wollte, fand er nur die elf Francs, nicht aber den Brief an Herrn de Tréville. Zuerst suchte er geduldig, doch wie er nichts fand, bekam er erneut einen Wutanfall und schrie den Wirt an, ihm sofort seinen Brief zurückzugeben.

Lange musste er nicht drohen, da erklärte der Wirt, dass er sich sicher wäre, der Edelmann hätte das Schreiben genommen. "Als ich ihm erzählte, Sie wären ein Schützling von Herrn de Tréville wurde er unruhig und fragte sofort, wo der Brief sei."

"Ich werde mich bei Herrn de Tréville beschweren, und der wird es dem König weiterleiten." Daraufhin zog d'Artagnan zwei Francs heraus, gab sie dem Wirt und bestieg sein Ross, das ihn ohne Zwischenfälle an die Tore von Paris brachte. Dort angekommen, verkaufte er das Tier und erreichte so zu Fuß Paris. Sein Bündel unter dem Arm, lief er lange umher, bis er ein Zimmer fand, dessen Mietpreis seinen Verhältnissen entsprach.

Bei dem erst besten Musketier, das ihm begegnete, erkundigte er sich nach dem Palais des Herrn von Tréville und erfuhr, dass er nicht weit von seiner gemieteten Dachstube lag. Das deutete d'Artagnan als gutes Zeichen.

Voller Vertrauen auf die Gegenwart und Hoffnung auf die Zukunft, legte er sich in sein Bett und schlief den Schlaf des Gerechten. Um neun Uhr am anderen Morgen erhob er sich, um Herrn de Tréville, die dritthöchste Persönlichkeit des Königreiches, aufzusuchen.

 

 

 

2. Audienz bei Herrn de Tréville

Herr von Tréville selbst hatte tatsächlich keinen besseren Start gehabt als d'Artagnan, nämlich ohne einen Sou in der Tasche, dafür ausgestattet mit einem Vorrat von Kühnheit und festen Willen. Er war der Freund des Königs, Ludwig XIII., dem er in zahlreichen Kriegen stets treu gedient hatte.

Als der König die Garde der Musketiere gegründet hatte, ließ Kardinal Richelieu nicht lange auf sich warten und scharte ebenfalls die tapfersten Männer des Landes um sich und so traten die Leibgarden in einen Konkurrenzkampf.

An dem Tag, als d'Artagnan sich vorstellte, befand sich eine eindrucksvolle Menge im Vorzimmer von Herrn de Tréville. Unser Gascogner hielt die Augen und Ohren offen, damit ihm nichts entging. Er nannte bescheiden seinen Namen und bat um eine Audienz bei seinem Landsmann Herrn de Tréville. Der Diener hieß ihm zu warten.

Nun hatte d'Artagnan Zeit, die Menschen um sich herum zu studieren. Im Mittelpunkt einer Traube von Musketieren befand sich einer, der besonders auffiel. Seine stolze Miene wurde von dem etwas wundersamen himmelblauen Oberrock und einem reich mit Gold bestückten Wehrgehänge unterstrichen.

Aus der Unterhaltung konnte d'Artagnan entnehmen, dass dieser Musketier Porthos hieß und ausgesprochen viel Wert auf sein Äußeres gab. Während Porthos sich an seinem Bart zwirbelte, erklärte er den Umstehenden, dass er sich das neue Wehrgehänge von seinem eigenen Geld gekauft hatte. Als man ihm dies nicht glauben wollte, rief er: "Ihr könnt es mir glauben. Zwölf Goldstücke musste ich dafür berappen. Nicht wahr Aramis?"

Der Befragte war das ganze Gegenteil von Porthos. Er war höchstens dreiundzwanzig Jahre alt, mit einem weichen Gesicht, schwarzen Augen und ebenmäßigen Zähnen. Auf die Frage seines Kameraden nickte er nur zustimmend.

"Herr de Tréville erwartet Herrn d'Artagnan!", unterbrach der Lakai das Geplänkel, und so durchschritt der junge Gascogner die Stille und trat in das Zimmer des Hauptmanns der Musketiere ein.

Dieser war gerade überaus schlechter Laune. Dennoch begrüßte er seinen Landsmann freundlich und freute sich über die Komplimente, die d'Artagnan ihm machte. Doch dann forderte er den Gascogner mit einer Handbewegung zum Sitzen auf und schrie: "Athos! Porthos! Aramis!"

Die beiden Musketiere, die wir bereits kennen gelernt haben, betraten sofort das Kabinett. Nachdem Herr de Tréville einige Male wortlos im Zimmer auf und abgeschritten war, blieb er vor ihnen stehen und herrschte sie an: "Wisst ihr, meine Herren Musketiere, was mir der König gestern Abend erzählt hat?"

"Nein", erwiderten die beiden Musketiere.

"Er sagte mir, dass er künftig seine Musketiere in die Leibwache des Kardinals einreihen werde."

Porthos und Aramis hielten den Atem an. "Und weshalb?", fragte Porthos schließlich bestürzt.

"Er ist der Ansicht, dass er seinen ungenießbaren Essig in Wein schütten müsse, um die Qualität zu verbessern. Der Essig, meine Herren, sind wir!"

Die beiden Musketiere erröteten bis in die Haarwurzel. D'Artagnan wäre am liebsten in die Erde gekrochen. Und Herr de Tréville redete sich immer mehr in Rage. Der Kardinal hatte dem König von einem Zwischenfall in der Rue Férou berichtet, bei dem sich die königlichen Musketiere in einer Schenke herumgetrieben hatten. Daraufhin hätte seine eigene Garde sich genötigt gesehen die Skandaltruppe festzunehmen.

"Darüber müsst ihr beiden doch etwas wissen. Musketiere, die von der Garde des Kardinals gefangen genommen wurden! Streitet es nicht ab! Der Kardinal hat eure Namen genannt. Aramis, warum studiert Ihr nicht weiter Theologie, das scheint Euch besser zu liegen. Und Porthos habt Ihr euer goldenes Wehrgehänge nur um, damit ihr einen Degen aus Stroh hineinstecken könnt? Und Athos? Wo ist er eigentlich?"

"Er ist sehr krank, Herr", antwortete Aramis traurig.

"Krank? Was fehlt ihm?"

"Man fürchtet, es seien die Pocken", warf Porthos ein. "Was natürlich peinlich für ihn wäre, weil sein Gesicht davon nicht schöner wird."

"Das ist ja eine glorreiche Geschichte, die du mir da erzählst Porthos. Pocken in seinem Alter! Zweifellos ist er verwundet - oder gar tot? Ließ er sich bei dem Streit von einem Gardisten des Kardinals erschlagen? Ah, zum Teufel, ihr Herren Musketiere! Ich will nicht, dass wir vor der Leibwache des Kardinals zum Gespött werden. Ausreißen und fliehen, das ist es was die Musketiere des Königs können." Herr de Tréville schrie immer lauter.

Porthos und Aramis bebten vor Wut und d'Artagnan wäre am liebsten unter den Tisch gekrochen. Da übernahm Porthos das Wort und erzählte die Geschichte aus seiner Sicht. Sie waren sechs gegen sechs. Doch die Garde des Kardinals hatte sie hinterlistig überfallen. Noch ehe sie zu ihren Degen greifen konnten, lagen zwei Musketiere am Boden und Athos wurde schwer verwundet. Er rappelte sich noch zweimal auf, brach aber letztendlich zusammen und die anderen mussten ihn gegen seinen Willen in Sicherheit bringen.

"Davon wusste ich nichts", erwiderte Herr de Tréville. "Wie ich sehe, hat der Kardinal stark übertrieben."

"Bitte, Herr Hauptmann", begann Aramis, "erzählen Sie niemandem, dass Athos verwundet ist. Seine Wunde ist sehr gefährlich, der Degen drang durch die Schulter bis in die Brust, und es ist zu befürchten…"

In diesem Augenblick hob sich der Behang der Tür und ein edles und schönes jedoch ungewöhnlich bleiches Gesicht erschien unter den Fransen.

"Athos!", schrien die beiden Musketiere und Herr de Tréville entsetzt.

"Ihr habt mich herbefohlen, Monsieur", sagte Athos mit einer schwachen, aber völlig ruhigen Stimme. "Hier bin ich, mein Hauptmann."

Bei diesen Worten eilte Herr de Tréville auf Athos zu. "Ich habe den Herren gerade erklärt, dass die Musketiere des Königs ihr Leben nicht unnötig aufs Spiel setzen sollen." Der Hauptmann begrüßte Athos mit einem festen Händedruck. In diesem Moment sackten Athos die Beine weg. Seine gesamte Kraft, die er aufgeboten hatte, um gegen seine Schmerzen anzukämpfen, verließ ihn und er schlug wie tot auf den Boden.

"Einen Wundarzt!", schrie Herr de Tréville.

Zum Glück befand sich der Arzt im Palast und so wurde Athos in die privaten Räume des Hauptmanns getragen. Der Wundarzt stellte fest, dass die Verletzung kein Grund zur größeren Besorgnis war. Athos hatte lediglich sehr viel Blut verloren und brauchte Ruhe.

Als sich die Situation wieder beruhigt hatte, verschwanden alle, bis auf d'Artagnan aus dem Kabinett des Herrn de Tréville. Dieser fand den Faden schnell wieder und sagte: "Verzeiht mir, mein lieber Landsmann, aber ich hatte Euch völlig vergessen. Euer Vater ist mir immer ein lieber Freund gewesen. Was kann ich für seinen Sohn tun?"

"Gnädiger Herr, ich bin von Tarbes bis hierher geritten um Euch zu bitten mich in die Reihen der Musketiere aufzunehmen; nach allem, was ich hier gesehen habe, begreife ich jedoch, dass ich diese hohe Gunst nicht verdiene."

"In der Tat ist es eine Gunst, junger Mann. Aber vielleicht kann ich etwas für Euch tun. Ich schreibe an den Direktor der königlichen Akademie; er wird Euch schon morgen unentgeltlich aufnehmen. Dort werdet Ihr Reiten, Fechten und Tanzen lernen. Von Zeit zu Zeit besucht Ihr mich und erzählt mir, wie weit Ihr seid. Vielleicht vermag ich dann noch Weiteres für Euch zu tun."

D'Artagnan war zwar mit den Manieren bei Hofe nicht sonderlich vertraut, trotzdem spürte er die Kühle des Empfangs. "Ach, ich merke, gnädiger Herr", sagte er, "wie sehr mir das Empfehlungsschreiben meines Vaters fehlt. Es wurde mir auf meiner Reise von einem unbekannten Edelmann gestohlen." Und nun erzählte der Gascogner von seinen Erlebnissen in Meung.

"Sonderbar", rief Herr de Tréville, "dieser Edelmann hatte an der Wange eine Narbe, sagtet Ihr? War er recht hübsch mit bleichem Gesicht und braunem Haar?"

"Gewiss, Ihr kennt den Mann? Ich werde ihn finden und wenn es in der Hölle sein wird!"

"Wartete er auf eine Dame?", fragte Tréville weiter.

"Er sprach mit einer schönen Unbekannten über ein Kästchen, dessen Inhalt sie erst in London erfahren dürfte. Er nannte sie Mylady."

"Er ist's! Und ich glaubte ihn schon in Brüssel. Junger Mann, ich kann Euch nur raten, nehmt Euch vor ihm in Acht."

Plötzlich hielt der Hauptmann inne. Was, wenn dieser junge Mann ein Spitzel des Kardinals wäre und ihn in eine Falle locken sollte? Prüfend betrachtete er d'Artagnan. Er beschloss, ihn auf die Probe zu stellen und sprach: "Mein Lieber, ich werde euch einen kleinen Einblick in die Geheimnisse unserer Politik geben. Der König und der Kardinal sind in Wirklichkeit die besten Freunde; ihre angebliche Uneinigkeit soll nur die Dummköpfe in die Irre führen.

Ich selbst bin dem König und dem Kardinal, den beiden erlauchtesten Geistern, die Frankreich hervorgebracht hat, treu ergeben. Mein Vertrauen Euch gegenüber macht mich hoffentlich zu Eurem Freund, denn ich habe bis jetzt noch nie mit jemandem darüber gesprochen."

D'Artagnan beteuerte gutherzig seine Ergebenheit gegenüber diesen Männern. Herr de Tréville war äußerst überrascht. Doch seine Zweifel waren noch nicht zerstreut. "Ihr seid ein ehrlicher Bursche, aber im Augenblick kann ich nicht mehr für Euch tun. Ihr werdet doch den Brief an den Direktor der Akademie annehmen?"

"Selbstverständlich, Euer Gnaden", erwiderte d'Artagnan.

Als Herr de Tréville den Brief beendet hatte, steckte er das Blatt in einen Umschlag, versiegelt ihn und ging auf den jungen Mann zu, um ihm das Schreiben zu übergeben. D'Artagnan, der zum Fenster hinausblickte, zuckte plötzlich zusammen und stürmte mit großen Schritten aus dem Zimmer. "Bei Gott, diesmal entrinnt er mir nicht!", schrie er.

"Wer denn?", schrie Tréville ihm nach.

"Mein Dieb!", hörte er nur noch, dann war d'Artagnan verschwunden.

"Verteufelter Narr!", brummte Herr de Tréville. "Ob er mir so entwischen wollte, weil er merkte, dass ich ihm nicht auf den Leim ging?"

 

 

 

3. Haltet den Dieb

Wie ein Wilder stürzte d'Artagnan die Treppe hinunter, als er in vollem Lauf mit einem Musketier zusammenpralle, der vor Schmerz aufschrie.

"Entschuldigt!", rief d'Artagnan, und wollte weiterlaufen, "ich bin in großer Eile."

Kaum hatte er den ersten Treppenabsatz hinter sich, da hielt ihn eine Faust fest. "Ihr habt's eilig?", schrie der Musketier zornig. "Glaubt Ihr, weil Ihr mit anhörtet, wie Herr de Tréville mit uns sprach, könnt Ihr mit mir ebenfalls so umgehen? Da irrt Ihr Euch, Kamerad."

"So glaubt mir doch", stieß d'Artagnan ärgerlich hervor. "Es war nicht meine Absicht und ich bitte Euch nochmals um Verzeihung."

"An Euren Manieren merkt man, dass Ihr aus der Provinz kommt."

"Hätte ich es nur nicht so eilig, dann…"

"Nun, Herr Eilig - mich trefft Ihr auch ohne zu rennen: Gegen Mittag am Karmeliterkloster."

"Ich werde dort sein!"

Unser junger Gascogner rannte weiter, seinem Dieb hinterher. Weit konnte er noch nicht sein. Am Tor stand Porthos, der sich mit einem Wachposten unterhielt. Zwischen den beiden war eine Lücke, durch die d'Artagnan glaubte zu passen. Er schoss hindurch und verhedderte sich in Porthos' langem Mantel. Dabei machte er eine ungewollte Entdeckung. Die Rückseite des goldenen Wehrgehänges war aus gewöhnlichem Büffelleder. Der gute Porthos, der so großartig geprahlt hatte, konnte sich doch kein Gehänge aus purem Gold leisten. Daher trug er stets den schützenden Mantel!

"Scher dich zum Teufel!", brüllte Porthos, während er sich bemühte den zappelten d'Artagnan zu befreien.

Unser junger Wilder entschuldigte sich, wie bereits zuvor bei Athos. Doch Porthos ließ diese Demütigung nicht auf sich sitzen. "In einer Stunde, hinter dem Luxembourg", rief er dem davoneilenden d'Artagnan nach.

Er bog um die nächste Ecke, doch der Unbekannte war verschwunden. Was für ein Tag; es war noch nicht ganz elf Uhr und er hatte sich bereits zwei Duelle eingehandelt, mit Männern, die es leicht mit dreien seiner Sorte aufnehmen konnten. Böse Aussichten! So viel war sicher, Porthos würde er nicht mehr zu Gesicht bekommen, weil das schon Athos erledigen würde.

Plötzlich entdeckte er Aramis, der sich mit drei Leibgardisten des Königs unterhielt. Der Musketier erkannte den jungen Gascogner, tat aber so, als sähe er ihn nicht. D'Artagnan wollte die Bekanntschaft erneuern und lief mit einer tiefen Verneigung auf die Gruppe zu. Zwar bemerkte er schnell, dass er nicht willkommen war, aber es fehlten ihm die nötigen Umgangsformen um sich gekonnt aus der Affäre zu ziehen.

Während er noch überlegte, beobachtet er, wie Aramis ein Taschentuch fallen ließ und offenbar versehentlich mit dem Fuß darauf stand. Dies schien eine gute Gelegenheit ins Gespräch zu kommen. Er bückte sich, zog das Taschentuch unter Aramis' Fuß vor, ohne zu erkennen, dass dieser mit aller Mühe daran festhielt, und überreichte es Aramis mit einem freundlichen Lächeln: "Ich glaube, mein Herr, Ihr würdet das Tüchlein nur ungern verlieren."

Aramis wurde puterrot und riss es dem Gascogner aus der Hand.

"Oho!", rief einer der Leibgardisten, "willst du immer noch behaupten, du wärst von Frau de Bois-Tracy getrennt, wo sie dir ihre Taschentücher ausleiht?"

Aramis bedachte d'Artagnan mit einem Blick, der keinen Zweifel aufkommen ließ, dass er sich soeben ein drittes Duell eingehandelt hatte. So kam es, dass er in zwei Stunden am Palais Tréville seine dritte Begegnung hatte, zu der er sicherlich nicht erscheinen würde!

Weil d'Artagnan in Paris niemanden kannte, erschien er ohne Sekundanten zum Stelldichein mit Athos. Er hatte den festen Vorsatz sich bei den Musketieren zu entschuldigen, ohne dabei Schwäche zu zeigen.

Als er vor dem Kloster ankam, war Athos bereits da. Der Gongschlag kündete die Mittagsstunde an. Athos, der noch immer große Schmerzen hatte, saß am Brunnen und erwartete seinen Gegner gelassen.

"Mein Herr", begann Athos, "ich habe zwei meiner Freunde gebeten, meine Sekundanten zu sein. Leider sind sie noch nicht zur Stelle."

"Ich habe leider keinen Sekundanten", entgegnete d'Artagnan, "denn ich bin erst gestern in Paris angekommen. Ich kenne nur Herrn de Tréville, der ein guter Freund meines Vaters ist."

Athos überlegt einen Augenblick. "Ha, wenn ich Euch töte, hält man mich noch für einen Kindermörder. Ihr seid noch sehr jung."

"Ich bin jung, dafür seid Ihr verwundet. Das sollte alles ausgleichen."

"Auf mein Wort, Ihr habt mir große Schmerzen zugefügt. Es wird jedoch kein Vorteil für Euch sein, da ich mit beiden Händen gleich gut fechte."

"Wenn Ihr erlaubt, Herr, ich bin im Besitz einer Wundsalbe, die mir meine Mutter mitgegeben hat und die ich bereits mit großem Erfolg bei mir probiert habe. Ich bin überzeugt, dass Ihr in drei Tagen wieder kerngesund seid und wir könnten unser Duell dann austragen."

Die Ehrlichkeit, mit der d'Artagnan dies sagte, beeindruckte Athos: "Alle Achtung - dies ist ein Vorschlag, der mir gefällt. Aber unser Duell wäre bis Morgen überall bekannt und man würde es verhindern wollen." Athos seufzte und blickte umher. "Verwünscht, wollen die Schlendriane denn überhaupt nicht kommen?"

Da tauchte am Ende der Straße Porthos auf.

"Was?", rief d'Artagnan. "Herr Porthos ist Euer erster Sekundant?"

"Ja, ich hoffe es ist Euch nicht unangenehm?"

"Nein, keinesfalls."

"Da kommt auch der zweite!"

Natürlich war es Aramis. Athos, der d'Artagnans Gesichtsausdruck falsch deutete, erklärte ihm, dass keiner von ihnen ohne den anderen auftritt und man sie in Musketierkreisen die Unzertrennlichen nannte. Porthos hatte sein Wehrgehänge gewechselt und wollte wissen, was das hier zu bedeuten hätte. Athos erklärte, er wolle sich mit dem jungen Mann duellieren.

"Ich werde mich ebenfalls mit ihm schlagen", entgegnete Porthos.

"Aber erst in einer Stunde!", bemerkte d'Artagnan.

"Und ich", rief Aramis, der näher kam, "schlage mich ebenfalls mit ihm."

"Aber erst um zwei", sagte d'Artagnan gelassen. "Da nun alle anwesend sind, möchte ich mich entschuldigen."

Bei diesen Worten runzelten die Musketiere die Stirn.

"Versteht mich nicht falsch, meine Herren. Ich bitte um Entschuldigung, dass ich vermutlich nicht bei allen dreien meine Schuld abtragen kann. Herr Athos hat das erste Anrecht, mich zu töten." Und mit ritterlicher Geste zog er seinen Degen.

Es war Viertel nach Zwölf und die beiden Duellanten hatten ihre Degen noch kaum berührt, da bog ein Trupp der Leibgarde des Kardinals um die Ecke des Klostergebäudes.

"Die Garde des Kardinals", riefen Porthos und Aramis, "den Degen in die Scheide!"

Es war zu spät. Man hatte die beiden Kämpfer schon in ihrer Stellung gesehen.

"Holla", brüllte Jussac, der Hauptmann, "Ihr Musketiere habt wohl das Verbot vergessen. Steckt Eure Degen weg und folgt uns."

"Es sind fünf", sagte Athos halblaut, "und wir nur drei; wir werden abermals unterliegen."

Während Jussac und seine Mannen sich aufstellten, trag d'Artagnan zu den Musketieren und sagte: "Meine Herren, wie mir scheint, habt Ihr falsch gezählt. Wenn Ihr erlaubt, sind wir zu viert."

"Aber Ihr gehört nicht zu uns!", erwiderte Porthos.

"Ich trage nicht Euren Rock, aber mein Herz gehört den Musketieren."

"Wie ist euer Name?", frage Athos.

"D'Artagnan, Herr."

"Also meine Freunde, vorwärts!"

Die neun Kämpfer stürzten sich mit einer Wut aufeinander, die jedem Außenstehenden das Blut in den Adern hätte gefrieren lassen.

D'Artagnan bekam es mit dem Hauptmann zu tun. Der begann schnell Fehler zu machen, weil er wütend darüber war, gegen ein Kind zu fechten. Nach einem furchtbaren Hieb fiel Jussac wie ein Klotz zu Boden. Unser junger Held sah sich um und erkannte, dass Athos seiner Hilfe am Nötigsten bedarf.

Gemeinsam gelang es den beiden, dass der Gegner wenig später mit durchbohrter Kehle zu Boden sank. Auch Porthos und Aramis machten kurzen Prozess und so zogen sie freudestrahlend zum Palais des Herrn de Tréville, um ihrem Hauptmann zu melden, dass die Scharte vom Vortag ausgewetzt sei.

 

 

 

4. König Ludwig XIII.

Das Massenduell war in Windeseile Stadtgespräch geworden. Für die Lauscher im Vorzimmer brüllte Herr de Tréville seine Musketiere zornig an - im Stillen lachte er aber und schüttelte jedem stolz die Hände.

Er wollte keine Zeit verlieren, dem König als Erster zu berichten und eilte in den Louvre. Leider kam er zu spät, denn der Kardinal war bereits da und hatte sich mit dem König eingeschlossen. Erst am Abend sah der Hauptmann den König wieder und zwar am Spieltisch. Da seine Majestät sehr habgierig und im Begriff zu gewinnen war, hatte er vorzügliche Laune.

"Ich muss Euch schelten, Tréville, Seine Eminenz hat sich derart über Eure Musketiere aufgeregt, dass er krank wurde. Das sind wahre Teufelskerle, die man aufhängen sollte, Eure Musketiere."

"Nein, Sire", entgegnete Tréville, der sich bei der guten Laune des Königs keine Sorgen machte. "Das Einzige, was sie wollen, ist mit ihren Degen Euch dienen. Die Garde seiner Eminenz sucht unaufhörlich Streit, da müssen die jungen Leute sich doch wehren."

Der König ließ sich von seinem Hauptmann die Version aus dessen Sicht erzählen und man muss zugeben, dass sie ein klein wenig von der Realität abwich. So unternahmen die drei Musketiere einen netten Spaziergang mit dem Sohn eines Freundes aus seiner Heimat, der Gascogne, als die Gardisten seiner Eminenz sie ohne Grund überfielen.

Als seine Majestät hörte, dass die Leibwache des Kardinals gegen einen Verletzten, ein halbes Kind und noch in der Überzahl verloren hatte, wurde seine Laune noch besser. Den jungen Mann, der dem besten Fechter im Königreich, nämlich Jussac, den Degenstoß verpasst hatte, wollte der König augenblicklich kennen lernen.

"Wann geruhen Eure Majestät ihn zu empfangen?"

"Morgen Nachmittag, Tréville. Bringt mir alle vier. Ich möchte ihnen allen danken. Ergebenheit muss belohnt werden. Bitte lasst die Herren die kleine Treppe hinaufkommen… der Kardinal muss es nicht erfahren."

Zur vereinbarten Stunde erschien Tréville mit den drei Musketieren und d'Artagnan. "Nur näher, meine Tapferen", empfing sie der König. "Sapperlot, Ihr vier habt mehrere Gardisten Eurer Eminenz außer Gefecht gesetzt! In drei Wochen muss er sich eine neue Leibgarde zusammen suchen. Ich muss Euch die Leviten lesen!"

"Eure Majestät sehen ja, dass Eure Musketiere ganz zerknirscht sind", sagte Herr de Tréville.

Der König winkte d'Artagnan herbei und dieser trat mit bekümmerter Miene einige Schritte nach vorn. "Und dieses halbe Kind soll Jussac so zugerichtet haben? Bei solcher Arbeit gehen leicht die Kleider in Fetzen und die Gascogner sind doch arme Wichte, oder? Chesnaye, sieh mal, ob du in meinen Taschen noch Goldstücke findest. Und jetzt erzähle mir, Jüngling, wie sich alles zugetragen hat."

D'Artagnan erzählte das Abenteuer mit allen Einzelheiten. Danach nahm der König vierzig Goldstücke aus den Händen seines Dieners entgegen und reichte sie unserem jungen Helden. Dieser bedankte sich mit einer tiefen Verbeugung.

"Sir, für Eure Majestät lassen wir uns in Stücke hauen!", riefen die vier wie aus einem Munde.

"Schon gut, schon gut. Tréville - bringt den jungen Mann in der Garde Eures Schwagers, des Herrn des Essart, unter! Ha, wie sich der Kardinal ärgern wird!"

Er winkte Tréville mit der Hand und die Audienz war zu Ende.

Obwohl d'Artagnan das königliche Geschenk brüderlich mit seinen Kameraden geteilt hatte, kam er sich über alle Maßen reich vor. Porthos riet ihm, sich einen Pagen zu leisten und nur wenige Stunden später trat ein gewisser Planchet in d'Artagnans Dienste. Der Page war sehr enttäuscht, als er am Abend feststellte, dass das einzige Möbelstück seines neuen Herrn ein altes Bett war und er selbst im Vorzimmer auf den Dielen schlafen musste.

Athos hielt sich ebenfalls einen Diener, den er schon zu einem idealen Gehilfen ausgebildet hatte. Er heiß Grimaud und war sehr schweigsam, ebenso wie sein Herr. In den fünf oder sechs Jahren, die er mit seinen Gefährten Porthos und Aramis nun schon zusammen war, hatten diese Athos niemals lachen gehört.

Athos war kaum dreißig Jahre alt, klug und sehr gut aussehend. Dennoch lebte er ohne Geliebte und sprach niemals von Frauen; seine Freunde hatten sogar den Eindruck, als wäre ihm dieses Thema unangenehm. Grimaud hatte gelernt seinem Herrn jeden Wunsch von den Augen abzulesen.

Porthos war ganz anders. Er sprach nicht nur viel, sondern auch laut und es war ihm nicht einmal wichtig, dass ihm jemand zuhörte. Er hörte sich einfach gerne reden. Und wenn er auch nicht annähernd so gut aussah, wie Athos, so brüstete er sich dennoch mit Liebesaffären. Zurzeit bemühte er sich um die Gunst einer ausländischen Prinzessin.

Da der Knecht so singt, wie der Herr zwitschert, dürfen wir zwischen Porthos und seinem Diener Mousqueton eine große Ähnlichkeit feststellen.

Der Diener von Aramis hieß Bazin. Da sein Herr noch immer hoffte, einmal die Priesterweihen zu erhalten, verlangte er von ihm, stets in Schwarz gekleidet zu sein, wie es sich für den Diener eines Geistlichen gehörte. Bazin war ungefähr fünfunddreißig Jahre alt, konnte hervorragend kochen und war blind und taubstumm.

Planchet wurde nach anfänglichen Schwierigkeiten immer heimischer bei den Musketieren und war auch in der Kaserne bald allgemein beliebt.

Schließlich kam die Zeit, da sie das Versprechen des Herrn de Tréville erfüllte: D'Artagnan wurde als Kadett in die Gardekompanie des Herrn des Essart aufgenommen. Um ihm die Wartezeit, bis er bei den Musketieren aufgenommen wurde zu verkürzen, gestattete Tréville den drei Musketieren, den jungen Gascogner bei der Wache zu begleiten.

Auf diese Weise wuchs die Gardekompanie des Herrn des Essart nicht nur um einen, sondern um vier Musketiere an.

 

 

 

5. Kleine Hofintrige

Alles, was Freude macht, nimmt einmal ein Ende - auch die vierzig Goldstücke des Königs; so fanden sich die vier Freunde bald wieder den Alltagsnöten ausgesetzt. Und wie stets in ausweglosen Situationen wandten sie sich an Herrn de Tréville, der ihnen wieder einmal einen Vorschuss bezahlte.

D'Artagnan, der bald vergaß, wie er mit seinem Geld die Musketiere beinahe einen Monat über Wasser gehalten hatte, lag gerade unzufrieden auf seinem Bett und war sich sicher nur eine Last zu sein. Da betrat sein Diener Planchet, begleitet von einem bürgerlich gekleideten Herrn das Zimmer.

Für einen Augenblick herrschte Schweigen, dann erklärte der Mann, dass man ihm d'Artagnan als tapferen und ehrenvollen jungen Mann geschildert hatte und ihn diese Tatsache dazu bewogen hat, ihm ein Geheimnis anzuvertrauen.

"Meine Frau, steht im Dienste der Königin - sie führt die Oberaufsicht über die königliche Wäsche. Sie ist überaus schön und schlau und ihr Pate ist der Schleppenträger der Königin, Herr de la Porte…"

"Ja und Monsieur?"

Der Mann zögerte etwas. "Nun, sie wurde gestern entführt. Ich bin mir nicht sicher, wer es war, aber ich habe einen Verdacht."

"Eure Frau entführt? Was vermutet Ihr?"

"Nun, meine Frau darf mich zweimal in der Woche besuchen. Als sie vor vier Tagen zu mir kam, erzählte sie mir, dass die Königin gegenwärtig in großer Furcht lebt. Der Kardinal verfolgt sie, mehr denn je und der König interessiert sich nicht für sie. Die Königin glaubt, jemand habe in ihrem Namen an den Herzog von Buckingham geschrieben, um ihn nach Paris zu locken."

"Zum Teufel! Aber was hat Eure Frau mit dieser ganzen Sache zu tun?", warf d'Artagnan ein.

"Ihre Ergebenheit für die Königin ist bekannt. Man möchte sie von ihr fernhalten, oder sie misshandeln, um an die Geheimnisse Ihrer Majestät zu kommen. Der Mann, den ich ihm Verdacht habe, ist ein Gefolgsmann des Kardinals. Ich kenne nicht seinen Namen, aber ich weiß, wie er aussieht. Er hat schwarzes Haar, stechende Augen und eine Narbe an der Schläfe."

"Ha, mein Mann aus Meung!", schrie d'Artagnan. "Wisst Ihr, wo der Kerl wohnt?"

Der Mann verneinte und erklärte, dass er von Herrn de la Porte von der Entführung erfahren habe. Er hatte noch mehr auf dem Herzen, aber zögerte erneut. Doch dann rief er: "Ich werde Ihnen jetzt alles erzählen, so wahr ich Bonacieux heiße!"

"Bonacieux heißt Ihr?"

"Ja Monsieur. Ich bin Euer Hauswirt. Seit drei Monaten wohnt Ihr schon bei mir, aber da Ihr so vielbeschäftigt seid, habt Ihr bisher noch keine Miete bezahlt. Da Ihr es nur vergessen habt, wollte ich Euch nicht drängen. Ich sah Euch mit den Musketieren des Königs und dachte ihr könnt mir helfen, meine Frau zurückzubekommen."

D'Artagnan lächelte liebenswürdig, das war im Moment das Einzige, womit er bezahlen konnte und bedankte sich bei seinem Wirt. Dann forderte er ihn auf, die Geschichte zu Ende zu erzählen.

Bonacieux zog einen Brief aus der Tasche und begann zu lesen: Sucht nicht nach Eurer Frau - sie wird Euch zurückgegeben, sobald man sie nicht mehr braucht. Unternehmt Ihr irgendwelche Schritte, sei Ihr verloren.

Der Wirt deutet an, dass er gerne auch weiterhin auf die Miete verzichten würde, wenn d'Artagnan ihm helfe. Da schrie er plötzlich auf. Beim Blick aus dem Fenster erkannte Bonacieux den mutmaßlichen Entführer. D'Artagnan stürzte ans Fenster und erkannte in dem Mann, sein Duell aus Meung.

"Ha, dieses Mal entkommt er mir nicht", rief er, zog seinen Degen und stürzte aus dem Zimmer. Auf der Treppe rannte er gegen Porthos und Athos, die gerade noch zur Seite springen konnten. "Wohin so eilig?", riefen sie ihm nach.

"Der Mann aus Meung!", erwidert der Gascogner und war verschwunden.

Athos und Porthos hatten richtig vorausgesehen: d'Artagnan kehrte bereits nach einer halben Stunde zurück. Wieder war ihm sein Mann entgangen - spurlos verschwunden.

Währenddessen hatte sich auch Aramis in seiner Wohnung eingefunden, sodass der Gascogner bei seiner Rückkehr die Freunde bei sich versammelt fand.

"Nun!", schrie er, den Degen auf Bett schleudernd, "der Kerl muss der Teufel in Person sein. Er ist zu meinem Verderben geboren. Seine Flucht bringt uns um ein schönes Geschäft, bei dem wir hundert Goldstücke oder mehr verdienen könnten."

"Wieso?", fragten Porthos und Aramis, während Athos ihn nur fragend anblickte.

"Planchet", rief d'Artagnan, "lauf zum Hauswirt und sag ihm, er solle uns ein halbes Dutzend Flaschen Beaugency heraufschicken."

Porthos grinste wohlwollend. "Du hast schon Kredit beim Hauswirt."

Sie ließen sich nieder und öffneten eine der Flaschen, die Planchet in Windeseile besorgt hatte. Dann begann d'Artagnan seinen Freunden die ganze Geschichte zu erzählen. Als er geendet hatte, entbrannte eine Diskussion, ob sich für die fünfzig oder sechzig Goldstücke vom Hauswirt die Befreiungsaktion lohnte.

In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen, und der Wirt stürzte ins Zimmer: "Ach, meine Herren, rettet mich! Unten befinden sich vier Männer, die mich verhaften wollen."

Porthos und Aramis sprangen auf doch d'Artagnan hielt sie zurück: "Wartet, hier kommt es nicht auf Mut, sondern auf Klugheit an."

Schon erschienen die Gardisten des Kardinals auf der Schwelle. D'Artagnan bat sie freundlich herein und bot ihnen seine Hilfe an. Porthos wollte bereits protestieren und der arme Hauswirt begann zu jammern, aber Athos flüsterte nur: "Still!"

Leise erklärte d'Artagnan, dass er Herrn Bonacieux nur helfen könne, wenn er und die Musketiere in Freiheit blieben. Und laut sagte er: "Es gibt keinen Grund für mich diesen Herrn zu beschützen. Ich kenne ihn erst seit heute. Er ist gekommen, um sich die Miete zu holen… ist es nicht so, Herr Bonacieux?"

D'Artagnan sah den Hauswirt eindringlich an und dieser nickte nur. Dann schob er ihn den Gardisten zu. Die bedankten sich erstaunt und zogen mit ihrer Beute ab. Als die Tür geschlossen war, rief Porthos:

"Oh, wie schändlich hast du dich benommen!"

"Porthos, du bist ein Trottel - und dir gratuliere ich, zu deinem Einfall", sagte Athos.

"Und nun, meine Herren", rief d'Artagnan, nicht weiter bemüht Porthos sein Verhalten zu erklären, "müssen wir auf Gedeih und Verderb zusammenstehen. Unser Wahlspruch muss künftig sein: Alle für einen, und einer für alle!"

"Aber…", sagte Porthos zögernd. Er konnte nichts begreifen.

"Heb deine Hand und schwöre", sagten Athos und Aramis.

Murrend, aber keinen weiteren Widerstand wagend, hob Porthos ebenfalls die Hand. Im Chor wiederholten die vier Freunde die Parole: "Alle für einen, einer für alle!"

Es war ganz selbstverständlich, dass d'Artagnan das Kommando übernahm. "Von diesem Augenblick an stehen wir mit dem Kardinal auf Kriegsfuß."

 

 

 

6. Die Falle und das Alibi

Nach der Verhaftung des Herrn Bonacieux machten die Gardisten des Kardinals aus dessen Wohnung eine Mausefalle. Jeder, der sich dort sehen ließ, wurde festgenommen und verhört. Da d'Artagnans Wohnung einen separaten Aufgang hatte, blieben seine Besucher unbehelligt.

Er selbst ging nicht mehr aus dem Haus und beobachtete vom Fenster aus jeden, der in die Falle tappte. Außerdem hatte er das Parkett seines Schlafraumes aufgebrochen; auf diese Weise konnte er alles hören, was in der unteren Wohnung gesprochen wurde. Die Fragen waren immer dieselben: Haben Bonacieux und seine Frau sich nach etwas erkundigt oder jemandem vertrauliche Mitteilungen gemacht?

Offensichtlich wussten sie nichts Bestimmtes, denn sonst würden sie konkretere Fragen stellen, dachte sich d'Artagnan. Aber was wollten sie eigentlich erfahren? Wohl nur, ob der Herzog von Buckingham in Paris war und mit der Königin ein Stelldichein hatte.

Am zweiten Tag nach der Verhaftung des armen Bonacieux, gegen neun Uhr, klopfte es stark an die Haustür. Sie wurde geöffnet und sofort wieder geschlossen; es war also erneut jemand in die Falle gegangen. D'Artagnan begab sich auf seine Lauerstellung und vernahm Schreie und ein Stöhnen.

Teufel!, dachte d'Artagnan, das scheint eine Frau zu sein! Sie wird durchsucht und leistet Widerstand.

"Aber ich sage die Wahrheit", ertönte eine Stimme, "ich bin Frau Bonacieux und stehe im Dienste der Königin."

D'Artagnan hielt den Atem an. Sollte er gefunden haben, was seine Freunde suchten? Zuerst hörte er die Frau noch schreien, dann waren nur noch undeutliche Laute zu vernehmen. Offenbar war sie geknebelt worden.

Unser junger Held rief seinen Diener und befahl ihm, den Parkett wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen und danach eiligst die Musketiere zu Hilfe zu holen. Er selbst kletterte aus dem Fenster, klammerte sich am Fenstersims fest und ließ sich hinunterfallen.

Die Falle funktionierte soweit, wie gehabt. Er klopfte, ihm wurde geöffnet - doch dann hörten die Hausbewohner und Nachbarn Schreie, Stampfen und Waffengeklirr. Diejenigen, die an ihre Fenster geeilt waren, sahen nach wenigen Minuten, wie sich die Türe öffnete und vier schwarz gekleidete Kerle wie aufgescheuchte Raben herausflogen.

Der Sieg war verhältnismäßig einfach gewesen, weil nur einer der Häscher bewaffnet war. Frau Bonacieux saß halb ohnmächtig auf einem Stuhl. D'Artagnan betrachtete sie mit einem raschen Blick. Sie war eine entzückende Frau, Mitte zwanzig, braune Haare, blaue Augen, mit einer niedlichen Stupsnase und rosig schimmernder Haut.

Als er sich umsah, entdeckte er ein Taschentuch neben Frau Bonacieux auf dem Boden. Er hob es auf und erkannte in einer Ecke dasselbe Zeichen wie auf jenem Tuch, wegen dem es beinahe zum Duell mit Aramis gekommen wäre. Wortlos steckte er es der jungen Frau in die Tasche, die unmittelbar darauf zu sich kam.

Sie öffnete die Augen, sah sich erschrocken um und stellte fest, dass sie mit ihrem Retter alleine war. "Oh, mein Herr, Ihr habt mich gerettet, erlaubt mir, dass ich Euch danke. Was wollten diese Männer nur? Und wo ist mein Mann?"

"Madame, es sind Häscher des Kardinals. Und Bonacieux hat man gestern in die Bastille gebracht. Mir ist bekannt, dass Ihr entführt wurdet, von einem Mann mit einer Narbe an der linken Schläfe. Ihr Gatte hat durch einen Brief von Eurer Entführung erfahren. Aber wie seid Ihr geflohen?"

"In einem unbeobachteten Moment konnte ich mich mit einem Leintuch vom Fenster abseilen. Ich hatte gehofft, mein Mann könnte mir helfen. Die Sache ist sehr vertraulich…"

"Und hier ist nicht der richtige Ort. Die Häscher kommen sicherlich bald mit Verstärkung zurück."

Sie verließen die Wohnung und Frau Bonacieux schlug vor, ihren Patenonkel Herrn de La Porte aufzusuchen. Aus Sicherheitsgründen, brachte d'Artagnan die junge Frau in die Wohnung von Athos, der bei Herrn de Tréville weilte. Dann ließ er sich die Parole für den Louvre nennen und eilte davon.

Nur wenig später machte sich de La Porte auf zu Frau Bonacieux. Allerdings nicht, ohne d'Artagnan noch einen Rat zu geben. "Ihr könntet wegen der Sache Scherereien bekommen. Geht zu einem Freund, dessen Uhr etwas nachgeht. Dieser kann dann bezeugen, dass Ihr zur entsprechenden Uhrzeit bei ihm wart. So etwas nennt man ein Alibi."

D'Artagnan gefiel der Rat und er lief zu Herrn de Tréville. In der kurzen Zeit, in der er auf den Hauptmann wartete, stellte er die Wanduhr um eine dreiviertel Stunde zurück. Herr de Tréville wunderte sich etwas, hörte dann aber geduldig die Geschichte über die Königin, den Herzog von Buckingham und den Kardinal an.

Kurz bevor d'Artagnan den Hauptmann gut gelaunt verließ, korrigierte er erneut die Uhrzeit und machte sich auf den Nachhauseweg.

 

 

 

7. Begegnung in der Nacht

Woran d'Artagnan auf seinem Weg nach Hause wohl dachte? An Frau Bonacieux! Für einen angehenden Musketier war sie die ideale Geliebte. Hübsch, geheimnisvoll und in die Geheimnisse bei Hofe eingeweiht. In seiner Fantasie sah er sich schon bei einem Rendezvous. Während er so vor sich hinträumte, kam er an der Wohnung von Aramis vorbei.

Es schlug elf Uhr, als er vor dem Haus seines Freundes stand. Da sah er eine schattenhafte Gestalt, in einem weiten Mantel gehüllt auf das Haus zutreten. Die zögernden Schritte verrieten, dass es eine Frau sein musste. D'Artagnans Neugier erwachte.

Er schmiegte sich dicht in eine Nische und beobachtete die Szene. Die Person klopfte an den Fensterladen, dieser wurde geöffnet und es wurden zwei Taschentücher getauscht. D'Artagnans Neugier siegte über die Vernunft und er huschte in einen Mauerwinkel, von wo er in die Wohnung seines Freundes blicken konnte.

Zu seinem Erstaunen sprach nicht Aramis mit der Person vor dem Fenster, sondern eine Frau. Nach einem kurzen Wortwechsel, schloss sich das Fenster und die Person ging knapp vier Schritte entfernt an d'Artagnan vorüber. Es war Frau Bonacieux!

Er eilte ihr nach. Schnell hatte er sie eingeholt und legte ihr die Hand auf die Schulter. Da brach sie in die Knie und stöhnte: "Ihr könnt mich töten, aber erfahren werdet Ihr nichts!"

D'Artagnan versuchte sie zu beruhigen und da erst merkte Frau Bonacieux, wen sie vor sich hatte. "Ihr seid es! Gott sei Dank. Seid ihr mir gefolgt?"

"Nein, der Zufall hat mich geführt; ich sah, wie eine Frau ans Fenster meines Freundes pochte…"

"Eures Freundes?"

"Gewiss! Aramis gehört zu meinen besten Freunden."

"Aramis? Wer ist das?"

"Also hat Ihr Besuch nicht ihm gegolten?"

"Ihr habt doch gesehen, dass ich mit einer Frau sprach. Mehr kann ich euch nicht sagen."

"Frau Bonacieux, Ihr seid allerliebst, aber leider voller Rätsel."

Sie bat um d'Artagnans Arm und ließ sich von ihm bis zu einem Haus an der Rue de la Harpe führen. "Hier mein Herr, bin ich am Ziel. Vielen Dank für Ihre Begleitung. Geht nun bitte." Sie lächelte ihn freundlich an. "Für den Rückweg habe ich nichts zu fürchten. Ich habe keinen Sous in der Tasche, den man mir stehlen könnte."

"Ihr vergesst Euer schönes, besticktes Taschentuch!"

"Schweigt! Oder wollt Ihr mich ins Verderben stürzen?", rief Frau Bonacieux aufgebracht.

"Ach", rief er, sah sie mit leidenschaftlichem Blick an und griff nach ihrer Hand. "Vertraut mir. Ich bin Euch von ganzem Herzen ergeben."

"Das glaube ich Euch gern. Aber bitte mischt Euch nicht in meine Angelegenheiten. Kümmert Euch nicht mehr um mich. Es ist besser so."

"Könntet Ihr in meinem Herzen lesen, würdet Ihr nicht so sprechen. Von einem, der Euch liebt, habt Ihr nichts zu befürchten", schmachtete d'Artagnan.

"Oh, Ihr sprecht sehr rasch von Liebe", rief die junge Frau und schüttelte den Kopf. "So geht nun endlich."

Er wandte sich ab und lief nach Hause. Schon nach fünf Minuten kam er dort an und wurde von einem aufgeregten Planchet empfangen. "Es steht schlecht, Herr", rief er dem Ankommenden entgegen. "Herr Athos ist verhaftet. Er sagte, Ihr, mein Herr, hättet die Freiheit im Moment nötiger und er würde sich in drei Tagen ausweisen, dann würde man ihn wohl oder übel laufen lassen müssen."

"Bravo Athos, daran erkenne ich dein edles Herz."

Der Diener erzählte weiter, dass er Porthos und Aramis nicht angetroffen habe, ihnen aber eine Nachricht hinterlassen hätte.

"Ich gehe jetzt zu Herrn de Tréville, um ihn von den Vorfällen zu berichten. Du bleibst hier und passt auf."

Doch Herr de Tréville war nicht zu Hause. Er hatte mit seiner Kompanie Wache am Louvre. Kurz entschlossen lenkte d'Artagnan seine Schritte dorthin. Seine Gardeuniform würde ihm bestimmt Einlass verschaffen.

Plötzlich sah er aus der Rue Dauphine zwei Personen, einen Mann und eine Frau herauskommen. Sie war von gleicher Gestalt wie Frau Bonacieux und er sah Aramis zum Verwechseln ähnlich, außerdem trug er eine Musketieruniform.

Die Frau hatte die Kapuze ihres weiten, schwarzen Mantels tief ins Gesicht gezogen und er verbarg sein Gesicht hinter einem Taschentuch. D'Artagnan folgte ihnen.

Tief bohrte sich der Stachel der Eifersucht. Er fühlte sich von seinem Freund und von der Dame, die er seit drei Stunden liebte verraten. Zornig wurde er immer schneller und überholte die beiden und wandte sich um.

"Was wünscht Ihr?", fragte der Musketier mit englischem Akzent.

"Nein, Ihr seid nicht Aramis", sagte d'Artagnan erleichtert.

"Da ich sehe, dass ihr mich nur verwechselt habt, will ich Euch die Belästigung verzeihen. Bitte lasst uns nun weitergehen."

"Ihr könnt passieren, mein Herr, aber mit Madame habe ich noch ein Wort zu sprechen." Trotzig und wütend stellt er sich in den Weg und riss den Degen aus der Scheide. Der Fremde parierte augenblicklich.

"Um Himmels Willen, Mylord!", schrie Frau Bonacieux und warf sich zwischen die beiden.

D'Artagnan stand wie vom Donner gerührt. "Mylord", stammelte er. "Verzeiht, ich wusste nicht, dass Ihr…Aber ich liebe Madame und war eifersüchtig. Vergebt mir, Mylord, und sagt mir, wie ich mein Leben für Euch einsetzen kann."

"Ihr seid ein wackerer junger Mann", entgegnete der Herzog von Buckingham. "Ich nehme Eure Dienste gerne an. Folgt uns in einiger Entfernung, und wenn und jemand zu nahe kommt, erstecht ihn!"

Der Herzog und seine Begleiterin setzten den Weg fort und kamen unbehelligt an einer Seitenpforte des Louvre an.

 

 

 

8. Der Herzog von Buckingham

Ohne jede Schwierigkeit gelangten also Frau Bonacieux und der Herzog in den Louvre; wäre doch etwas schief gegangen, hätte man Frau Bonacieux beschuldigt, ihren Geliebten in den Louvre geschmuggelt zu haben. Ihr guter Ruf wäre verloren gewesen, aber das nahm sie aus Ergebenheit zur Königin gerne auf sich.

Alles war bestens vorbereitet. Der Herzog war ein ebenso tapferer, wie kühner Mann. Er wusste, dass die angebliche Botschaft Anna von Frankreichs, die ihn nach Paris lockte, eine Falle war. Dennoch ruhte er nicht eher, bis die Königin einwilligte ihn zu sehen. Aus Furcht, der Herzog könne eine Dummheit begehen, willigte Ihre Majestät schließlich ein.

Wie jedoch Frau Bonacieux, deren Auftrag es war den Herzog in den Louvre zu führen, entführt wurde, stand alles in der Schwebe. Kaum hatte die sich jedoch befreit, nahm sie die Fäden in die Hand um diese gefährliche Zusammenkunft zu inszenieren.

Der Herzog war Mitte dreißig und galt völlig zu Recht als der ansehnlichste Edelmann seiner Zeit. Als Günstling zweier englischer Könige hatte er ein Millionenvermögen erworben. Es war ihm gelungen das Herz der schönen und stolzen Anna von Österreich zu erobern.

Die Königin war sechsundzwanzig Jahre alt und von einer Schönheit, die von allen zeitgenössischen Dichtern gepriesen wurde.

Während sich der Herzog in seiner Musketieruniform im Spiegel betrachtete, trat die Königin in Begleitung ihrer spanischen Hofdame Donna Estefania ein. Sie ging zwei Schritte auf Buckingham zu und dieser sank vor ihr auf die Knie und küsste den Saum ihres Kleides.

"Herzog, Ihr wisst bereits, dass nicht ich Euch geschrieben habe."

"O ja, Majestät. Ich weiß, dass ich ein Narr bin. Aber die Sehnsucht nach Euch und Eurer Schönheit trieb mich zu Ihnen."

"Ich habe Euch nur kommen lassen, um Euch zu sagen, dass wir uns nie wieder sehen dürfen."

"Sprecht weiter, meine Königin. Eure liebliche Stimme überstrahlt die Härte Eurer Worte. Herzen, die Gott füreinander bestimmt hat, darf niemand trennen."

"Ihr vergesst, dass ich niemals gesagt habe, ich liebe Euch."

"Aber auch nie, dass Ihr mich nicht liebt. Seit ich Euch vor drei Jahren das erste Mal sah liebe ich Euch!"

"Für unsere Dummheiten wurden wir hart bestraft. Aufgestachelt vom Kardinal hat mir der König einen schrecklichen Auftritt gemacht. Drei meiner Vertrauten wurden vom Hofe gejagt. Und der König ist strikt dagegen, dass Ihr zum englischen Botschafter bei Hofe berufen werdet."

"Dieser Weigerung wird Frankreich mit einem Krieg bezahlen müssen. Wir werden uns vorerst nicht mehr sehen. Nun gut. Doch jeder Krieg geht vorüber und dann werde ich der Unterhändler sein, der den Frieden aushandelt. Man wird mich nicht mehr ablehnen und ich werde nach Paris kommen und Euch wieder sehen."

"Geht, Herzog! Und kommt erst als Gesandter wieder mit einer Leibwache, die Euch verteidigt. Dann bin ich glücklich Euch zu sehen."

"Ist das wahr?"

"Ja."

"So gebt mir ein Pfand, einen Gegenstand, der mich daran erinnert, dass ich nicht träume."

Die Königin verließ das Gemach und kehrte mit einem Kästchen aus Rosenholz zurück, das die Initialen ihres Namens trug. "Nehmt das Mylord, und schwört, dass ihr augenblicklich nach England zurückkehrt."

Der Herzog griff nach ihrer Hand presste seine Lippen leidenschaftlich darauf. Dann wurde er von Frau Bonacieux wieder aus dem Louvre geleitet.

Doch was wurde aus Herrn Bonacieux? Nun, die Schergen des Kardinals hatten ihn geradewegs in die Bastille gebracht. Nach einer halben Stunde rief man ihn zum Verhör. Ein Kommissar saß am Tisch und blätterte in Papieren.

Der Beamte nahm zuerst die Personalien auf und hielt Bonacieux dann eine lange Predigt über die Gefahren, wenn sich Bürger in öffentliche Angelegenheiten mischten. Bonacieux verwünschte den Tag, da er das Patenkind von Herrn de La Porte geheiratet hatte. Im Grunde war er ein selbstsüchtiger Hasenfuss. Die Zuneigung zu seiner Frau war für ihn nur zweitrangig. Und so beschwor er seine Treue zum Kardinal und verdammte die Handlungen seiner jungen Frau aufs Tiefste.

Allerdings ließ der Kommissar nicht locker und ordnete eine Gegenüberstellung mit Herrn d'Artagnan an, von dem er dachte, ihn in Gewahrsam zu haben. Dies stellte sich schnell als Irrtum heraus und der wütende Beamte ließ den jammernden Hauswirt und den überraschten Athos, der sich seiner Freiheit sicher war, wieder einsperren.

Gegen neun Uhr hörte Bonacieux Schritte auf dem Korridor und seine Zelle wurde geöffnet. "Folgt mir", kommandierte ein Gardist.

"Wohin bringt Ihr mich?", rief Bonacieux entsetzt.

"Dorthin wo wir Befehl haben Euch hinzuführen!"

"Oh Gott! Ich bin verloren!", winselte der unglückliche Hauswirt.

Widerstandslos folgte er der Wache zum Tor. Man verfrachtete ihn in eine Kutsche, die von vier Reitern eskortiert wurde. Langsam, wie ein Trauerzug, setzte sich das Gefährt in Bewegung.

 

 

 

9. Der Mann von Meung

Nach einer guten Stunde hielt der Wagen vor einem dunklen Gebäude. Bonacieux ließ sich willenlos eine Treppe hinauf in ein Vorzimmer führen dort wartete er eine Weile auf einer Bank.

Die Umgebung hatte nichts Bedrohliches sondern war überaus elegant. So fasste er wieder etwas Mut. In diesem Augenblick ging der Türvorhang auseinander, und ein stattlicher Offizier wandte sich an den Gefangenen. "Ihr seid Bonacieux?"

"Jawohl, Herr Offizier", stammelte dieser.

Bonacieux wurde hereingebeten und betrat einen Raum, dessen Wände mit kostbaren Waffen bestückt waren. Im Kamin brannte Feuer und davor stand ein mittelgroßer Mann mit stolzer Miene, stechenden Augen und breiter Stirn. Seine Haare ergrauten schon leicht, obwohl der nicht älter als sechs- oder siebenunddreißig Jahre alt sein konnte.

Dieser Mann war Armand-Jean Duplessis, Kardinal und Herzog von Richelieu. Bonacieux hatte nicht die geringste Ahnung, wer vor ihm stand. In den Papieren die auf dem Tisch lagen, erkannte der Hauswirt das Protokoll seines Verhörs in der Bastille.

"Ihr seid des Hochverrats beschuldigt", begann der Kardinal nach einer Weile die Unterhaltung. Ihm war sofort klar, dass dieser Einfaltspinsel niemals ein Verschwörer sein konnte.

"Das hat man mir schon gesagt, Hochwürden", rief Bonacieux und redete den Fremden mit dem Titel an, den der Diener gebraucht hatte.

Die Fragen, die der Kardinal stellte, unterschieden sich nicht sonderlich von denen des Beamten in der Bastille. Außerdem teilte er dem überraschten Hauswirt mit, dass seine Frau geflohen sei. Als seine Eminenz die Unterhaltung für beendet hielt, ließ er nach dem Grafen Rochefort rufen.

"Der Graf ist bereits da", antwortete der Offizier, "er bittet um eine sofortige Audienz bei Eurer Eminenz."

"Eminenz?", murmelte Bonacieux und blickte verstört um sich. Doch da öffnete sich die Tür erneut und Rochefort wurde hereingeführt.

"Er ist es!", rief Bonacieux.

"Wer?", fragte der Kardinal.

"Der meine Frau entführt hat."

Der Kardinal läutet erneut und befahl dem Offizier den Hauswirt den Wachen zu übergeben, bis er ihn wieder hereinrufe.

Der Graf blickte Bonacieux ungeduldig nach, dann ging er rasch auf den Kardinal zu und sagte: "Sie haben sich gesehen!"

"Die Königin und der Herzog?", rief Richelieu.

"Ja. Im Louvre. Madame Lannoy, die Eurer Eminenz treu ergeben ist, hat beobachtet, wie die Königin um Mitternacht für eine dreiviertel Stunde verschwand, kurz wiederkehrte und ein Kästchen mitnahm, in dem sich zwölf Diamantknöpfe befanden. Ein Geschenk des Königs."

Der Kardinal überlegte eine Weile, und als sei ihm plötzlich ein neuer Einfall gekommen lächelte er. Dann entließ er Rochefort und rief erneut nach dem armen Hauswirt.

"Lieber Freund, Ihr seid ein braver Mann!", begann er und reichte Bonacieux die Hand.

Dieser war völlig gerührt. Der Kardinal gab ihm die Hand und nannte ihn Freund!

"Ja, mein Freund", fuhr der Kardinal mit jenem väterlichen Ton fort, den er mitunter annahm, der aber nur die Leute täuschte, die ihn nicht kannten; "weil Ihr zu Unrecht verdächtigt worden seid, bekommt Ihr eine Entschädigung. Hier, nehmt den Beutel mit hundert Goldstücken und verzeiht mir!"

Noch ein letztes Winken und Bonacieux strebte rückwärts, sich bis zur Erde verneigend zur Tür.

Augenblicklich setzte sich Richelieu an seinen Schreibtisch und verfasste folgenden Brief:

Mylady! Erscheint auf dem ersten Ball, den der Herzog von Buckingham gibt. Er wird an seinem Wams zwölf Diamantknöpfe tragen; drängt Euch in seine Nähe und schneidet zwei davon ab. Sobald Ihr im Besitz der beiden Knöpfe seid, benachrichtigt mich!

Dann übergab er den Brief seinem Gefolgsmann Vitray, der sofort nach London aufbrach.

 

 

 

10. Der König und der Kardinal

Als Athos am nächsten Morgen noch immer nicht aufgetaucht war, meldeten d'Artagnan und Porthos Herrn de Tréville sein Verschwinden. Aramis hatte um fünf Tage Urlaub gebeten und war angeblich in Familienangelegenheiten nach Rouen gereist.

Der Hauptmann, der sich um seine Musketiere wie ein Vater kümmerte, begab sich unverzüglich zum Polizeimeister. Dort erfuhr er, wo Athos in Haft war. Man hatte ihn ebenso verhört, wie zuvor den armen Bonacieux. Doch Tréville fand seinen Musketier weder beim Polizeimeister noch beim Gouverneur des Gefängnisses und begab sich deshalb in den Louvre, wo der Kardinal gerade beim König weilte.

Von den Auseinandersetzungen zwischen König und Königin, die vom Kardinal geschickt angeheizt wurden, weiß der Leser bereits. Die Hauptursache für diese Differenzen war die Freundschaft der Königin mit Madame de Chevreuse. Diese beiden Frauen beunruhigten den König mehr als der Krieg gegen Spanien und die Geldnöte des Staates.

In seinen Augen unterstützte Madame de Chevreuse die Königin nicht nur bei ihren politischen Spielchen sondern auch bei ihren Liebesangelegenheiten. Der König, der gerade vom Kardinal erfuhr, dass Madame de Chevreuse, die er nach Tours verbannt hatte, sich heimlich einige Tag in Paris aufgehalten habe, geriet in schrecklichen Zorn.

Da trat Herr de Tréville ein. Der Ausdruck im Gesicht des Königs und die Anwesenheit des Kardinals verrieten ihm, was vorgefallen war.

"Ihr kommt zur rechten Zeit!", rief der König, "über eure Musketiere hört man ja schöne Dinge."

"Ich", erwiderte Tréville gelassen, "habe Eurer Majestät ebenso schöne über Eure Beamten zu berichten. Herr Athos wurde von ihnen im Haus von Herrn d'Artagnan, auf den er dort wartete, verhaftet und auf offener Straße verschleppt."

"Hat es sich wirklich so zugetragen?", rief der König betroffen.

"Herr von Tréville vergisst zu erwähnen, dass besagter Herr Athos nur eine Stunde zuvor vier meiner Beamten mit dem Degen angegriffen hat", bemerkte der Kardinal ruhig.

"Zu dieser Zeit speiste Herr Athos zusammen mit mir und einigen Gästen. Eure Majestät, ich fordere die sofortige Freilassung eines Eurer treuesten Diener."

Der König unterschrieb einen Freilassungsbefehl und Herr de Tréville machte sich eilig auf den Weg. Nicht, dass der König es sich nochmals anders überlegte. Den Worten des Kardinals war nicht zu trauen.

Und damit hatte der Hauptmann nicht Unrecht. Kaum hatte er den Raum verlassen, setzte der Kardinal die unterbrochene Unterhaltung fort: "Sire, außerdem habe ich in Erfahrung gebracht, dass der Herzog von Buckingham ebenfalls fünf Tage in Paris war und erst heute Morgen abgereist ist."

Diese Worte ließen den König vor lauter Wut abwechselnd rot und blass werden und der Kardinal freute sich insgeheim.

"Er war hier, um die Königin zu sehen!", schrie er laut.

"Welch ein Gedanke, Sire! Dafür ist die Königin doch viel zu klug, außerdem liebt sie Eure Majestät!"

"Das Weib ist schwach! Ich sage Euch, sie liebt diesen Halunken Buckingham! Warum habt Ihr ihn nicht verhaften lassen?"

"Den ersten Minister des englischen Königs verhaften? Was für ein Skandal wäre das! Wir haben ihn beobachtet und ich versichere Eurer Majestät, dass Buckingham die Königin nicht zu Gesicht bekommen hat. Ich rate Euch mit der Königin zu versöhnen. Gebt einen Ball! Ihr wisst, wie gern sie tanzt. So wird sie Euch nicht länger grollen."

Anna von Frankreich wunderte sich nicht wenig, als der König am anderen Morgen Versuche einer Annäherung unternahm und ihr mitteilte, dass er ein Fest geben wolle.

Von diesem Tag an fragte der König jeden Tag, wann das Fest stattfinden solle. Der Kardinal fand erstaunlicher Weise stets einen neuen Grund noch abzuwarten. Am achten Tag erhielt seine Eminenz einen Brief aus London:

"Ich habe sie; leider fehlt mir das Geld für die Reise nach Paris. Schickt mir fünf Goldstücke und ich kann vier Tage später hier sein."

Als der König wieder nach einem Termin fragte, begann der Kardinal mit den Fingern zu rechnen. Er kam auf zwölf Tage, die das Gold und die reisende Person benötigen würden.

"Nun, seid Ihr fertig mit Eurer Rechnung?", fragte der König ungehalten.

"Ja, Sire; am 3. Oktober feiern die Schöffen der Stadt ein Fest. Das ließe sich wunderbar verbinden und es sähe auch nicht aus, als wolltet Ihr der Königin entgegenkommen. Vergesst nicht, Ihrer Majestät am Abend vorher zu sagen, dass Ihr Euch freuen würdet, die diamantenen Knöpfe an ihrem Gewande zu sehen!"

 

 

 

11. Herr und Frau Bonacieux

Warum erwähnte der Kardinal die Diamantknöpfe? Der König wurde stutzig; nicht nur einmal hatte er erfahren müssen, dass die Gardisten des Kardinals besser über die Vorgänge bei Hofe unterrichtet waren, als er selbst. Im Gespräch mit Anna von Frankreich würde er wohl irgendeinen Aufschluss über jene Bemerkung erhalten.

Als der König den Salon seiner Gattin betrat, überschüttete er zuerst, wie immer, die Damen aus dem Gefolge mit wilden Drohungen. Die Königin schlug demütig die Augen nieder und ließ das Gewitter verrauschen.

Aber genau das wollte Ludwig XIII. nicht, er war auf einen regen Wortwechsel aus, um hinter das Geheimnis der Diamantknöpfe zu kommen. So donnerte er weiter uferlose Beschuldigungen heraus. Als er die Zeit für gekommen hielt, wies er die Königin darauf hin, dass das Fest stattfinden werde und sie die Knöpfe tragen solle, die er ihr kürzlich geschenkt hatte.

Damit hatte die Königin nicht gerechnet. Wusste der König bescheid? Hatte der Kardinal ihm alles gesagt? Als der König ihre Gemächer verließ wusste sie, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis ihr Gatte über alles informiert war. Sie glaubte sich verloren und begann zu weinen.

"Kann ich Euch helfen, Majestät?" Mit einer zarten Stimme trat jemand auf die Königin zu. Es war ihre treue Freundin Frau Bonacieux.

"Mir droht von allen Seiten Verrat. Kann ich denn Euch noch trauen?", schluchzte die Königin.

"Bei meiner Seele, ich bin bereit für Euch zu sterben", erwiderte die junge Frau und sank auf die Knie. "Ihr habt die Knöpfe dem Herzog von Buckingham geschenkt, nicht wahr? Vertraut mir, Königin, ich werde einen Boten finden, der die Diamantknöpfe wieder nach Paris holt."

"Oh mein Gott, wie soll das geschehen?", fragte Anna von Frankreich verzweifelt.

"Ihr müsst nur ein paar kurze Zeilen mit Eurem Siegel verfassen. Ich stehe dafür, dass sie in die richtigen Hände gelangen. Mein Mann ist ein ehrlicher, guter Mensch, der tut, was ich von ihm möchte. Er wird den Brief abgeben ohne Fragen zu stellen und ohne zu wissen, dass er von Eurer Majestät ist."

Die Königin ergriff die Hände der jungen Frau und blickte sie prüfend an. In deren Augen erkannte sie nur Aufrichtigkeit und schrieb einen Brief an den Herzog in London. Frau Bonacieux versicherte, dass der Brief dem Herzog persönlich übergeben werde, verbarg ihn in ihrem Mieder und verließ ihre Herrin flink.

Nur wenig später war sie zu Hause. Leider ahnte sie nichts von der neuen Einstellung ihres Gatten und dessen Einbildung den Kardinal zum Freund zu haben

In den fünf Tagen, seit Bonacieux aus der Bastille entlassen worden war, hatte ihn der Graf Rochefort einige Male aufgesucht und ihm versichert, dass der Kardinal große Stücke auf ihn halte. Der Hauswirt sah sich schon als gemachter Mann.

Auch Frau Bonacieux hatte viel, worüber sie nachgrübelte. Immer wieder kam ihr der hübsche Jüngling, der sie so glühend verehrte, in den Sinn. Sie hatte mit achtzehn Jahren geheiratet und in der Ehe mit ihrem älteren Mann nicht das gefunden, was sie befriedigte. Kein Wunder, dass der junge d'Artagnan eine große Anziehung auf sie ausübte.

Das Paar hatte sich acht Tage nicht gesehen und Bonacieux schloss seine schöne Frau in die Arme und küsste ihre Stirn. Dann sagte sie:

"Ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen."

Bonacieux wollte zunächst wissen, warum seine Frau entführt wurde. Doch sie wich ihm aus. Aber der Wirt war hartnäckig und erklärte, dass er einen ganzen Tag und eine Nacht in der Bastille verbringen musste, und erst sein neuer Freund, der Kardinal ihn befreit hätte.

"Du warst beim Kardinal?", rief Frau Bonacieux erstaunt.

"Ich wurde von den Gardisten zu ihm geführt. Er war sehr freundlich zu mir und hat mich seinen Freund genannt. Sei nicht böse, liebe Frau, aber ich konnte nicht ahnen, dass du heute kommst. Ich habe noch eine Verabredung. Du kommst alleine zurück zum Louvre?"

Enttäuscht ließ Frau Bonacieux den Kopf sinken und nickte schwach.

Er küsste seine Frau auf die Stirn und entfernte sich rasch. So ein Unglück, dachte Frau Bonacieux, musste dieser Dummkopf ausgerechnet ein Anhänger des Kardinals werden! Wie gelangt nun die Botschaft nach London?

In diesem Augenblick hörte sie es über sich Klopfen und vernahm eine Stimme: "Teure Frau Bonacieux, öffnet mir die Tür, ich bin gleich bei Ihnen."

D'Artagnan dessen Parkett immer noch lose war, hatte das Gespräch des Ehepaares angehört und erkannte, dass seine Herzensdame in Schwierigkeiten war. "Euer Mann ist ein Dummkopf; ich möchte Euch meine Dienste anbieten - denn für Euch ginge ich durchs Feuer."

Frau Bonacieux antwortete nicht sofort, aber ihr Herz schlug vor Freude höher. "Wie wollt Ihr mir beweisen, dass ich Euch eine solch gefährliche Mission anvertrauen kann?"

"Meine Liebe zu Euch ist der Beweis. Befehlt, ich tue alles für Euch!"

"Gut, ich will Euch trauen. Die Königin braucht einen tapferen und gescheiten Mann, der nach London reist. Aber ich schwöre Euch, wenn ihr mich verratet, nehme ich mir das Leben und Ihr werdet des Mordes angeklagt."

"Und ich, Madame, werde eher sterben, als Euch zu gefährden", stieß d'Artagnan hervor.

Nun vertraute die junge Frau ihm das ganze Geheimnis und den Brief für den Herzog an.

"Ich reise sofort", rief der Gascogner stolz. "Heute Abend gehe ich zu Herrn de Tréville und bitte ihn den Urlaub bei meinem Kapitän zu erwirken."

"Ihr müsst aufbrechen", drängte Frau Bonacieux. "Nur Mut und vor allem Vorsicht. Denkt daran, dass euer Leben der Königin gehört."

"Und Euch, Constanze", rief d'Artagnan und hinterließ eine lebhafte Röte auf den Wangen der jungen Frau.

 

 

 

12. Reisevorbereitungen

Auf dem kürzesten Weg eilte d'Artagnan zu Herrn de Tréville. Als der Hauptmann erfuhr, dass sein Schützling vierzehn Tage Urlaub benötigte um im geheimen Auftrag Ihrer Majestät nach London zu reisen, stellte er keine weiteren Fragen.

Vielmehr stellt er noch drei weitere Urlaubspässe für Athos, Porthos und Aramis aus. D'Artagnan verneigte sich und Tréville reichte ihm die Hand und dreihundert Goldstücke, die die geheime Mission unterstützen sollten. Als erstes begab sich unser Freund zu Aramis, der mehr als erstaunt war über den unverhofften Urlaub. Nach und nach gesellten sich Athos und Porthos ebenfalls hinzu, die über einen Boten ihre Urlaubspässe erhalten hatte.

Der Hauptmann schrieb Athos er solle seine Verletzung in einem Seebad auskurieren und von seinen Kumpanen dorthin begleitet werden. Heiß wurde der richtige Schlachtplan diskutiert. Wie ihr Hauptmann, erfuhren die drei Musketiere ebenfalls lediglich den Zielort. Sie beschlossen zusammen loszureiten. Wenn d'Artagnan etwas zustoßen würde, sollte der Nächste den Brief aus seiner Tasche nehmen und dem Adressaten übergeben. Vier Reiter boten schon eine kleine Truppe und einer sollte wohl ans Ziel kommen.

Sie beschlossen, zusammen mit ihren Dienern in einer halben Stunde aufzubrechen. Jeder bekam fünfundsiebzig Goldstücke und begab sich nach Hause, um die Reisevorbereitungen zu treffen.

Es schlug gerade zwei Uhr, als die vier Freunde das nächtliche Paris verließen. Sie boten einen kriegerischen Anblick; und hinter ihnen ritten, bis an die Zähne bewaffnet, ihre vier Diener.

Gegen acht trafen sie ohne Zwischenfall in Chantilly ein und begaben sich zum Essen in die Herberge "Zum heiligen Martin". Die Diener sollten sich um die Pferde kümmern und alles für einen sofortigen Aufbruch bereit halten. Sie begaben sich in die Gaststube und setzten sich zu Tisch. Ein Gast saß am selben Tisch und aß bereits.

Wenig später kam Mousqueton herein und meldete, dass die Pferde bereit seien. Die Männer erhoben sich und da forderte der Fremde Porthos auf, mit ihm auf das Wohl der Kardinals zu trinken. Porthos ließ sich provozieren und im Nu war er in einen Streit verwickelt.

"Das war eine Dummheit, Porthos", sagte Athos. "Erledige den Mann und komm so schnell nach, wie du kannst." Als sie weiter ritten meine er: "Das wäre Nummer eins!"

In Beauvais machten sie zwei Stunden Rast, damit die Pferde verschnaufen konnten. Außerdem wollten sie auf Porthos warten, aber der kam nicht. Eine Stunde später erreichten sie eine Baustelle, die sich als Hinterhalt herausstellte. Die angeblichen Arbeiter waren mit Musketen bewaffnet und trafen Aramis in die Schulter und Mousqueton in den Schenkel.

"Ein Hinterhalt", rief d'Artagnan. "Machen wir, dass wir weiter kommen."

Aramis klammerte sich, trotz Verletzung an die Mähne seines Rappens, aber Mousqueton mussten sie zurücklassen. Sie galoppierten zwei Stunden. Danach war Aramis so erschöpft, dass sie ihn in ein Wirtshaus brachten und seinen Diener Bazin bei ihm ließen.

Um Mitternacht hielten sie in Amiens im "Gasthof zur Lilie" und verlangten ein Zimmer für die Nacht. Sie verbarrikadierten ihre Türe und versuchten zu schlafen. Doch es wurde eine unruhige Nacht. Zweimal versuchte man, bei ihnen einzudringen und Grimaud wurde mit einer Heugabel niedergestreckt, als er sich in den frühen Morgenstunden um die Pferde kümmern wollte.

Planchet eilte in den Stall und entdeckte, dass die Pferde lahmten. Die Sache fing an, bedenklich zu werden. Er ging in die Stadt, um sich nach neuen Pferden zu erkundigen. Mittlerweile traten d'Artagnan und Athos vor die Haustür und sahen zwei ausgeruhte, gesattelte Pferde stehen, deren Besitzer gerade ihre Rechnung beim Wirt beglichen. Athos begab sich in der gleichen Absicht in die Wirtsstube.

Der Wirt nahm das Geld entgegen, drehte es ein paar Mal und erklärte plötzlich, es sei falsch, er werde Athos und seinen Gefährten auf der Stelle verhaften lassen.

"Schuft!", schrie Athos.

Im nächsten Augenblick stürzten vier schwer bewaffnete Männer herein und fielen über Athos her.

"Ich bin gefangen", schrie Athos, so laut er konnte; "fort mit dir, d'Artagnan." Während er das rief, feuerte er seine beiden Pistolen ab.

D'Artagnan und Planchet ließen sich das nicht zweimal sagen, banden die vor der Tür stehenden Rosse los, schwangen sich hinauf und jagten davon. Ohne Unterbrechung galoppierten sie bis Saint-Omer. Hier durften die Pferde verschnaufen. Ohne die Zügel loszulassen, aßen sie einen Bissen und brachen bald wieder auf.

Nur einhundert Meter vor den Toren von Calais machten die Pferde schlapp und die beiden mussten den restlichen Weg bis zum Hafen zu Fuß zurücklegen. Dort fanden sie rasch einen Kutter, dessen Kapitän nach England übersetzen wollte, und bald schon waren sie auf hoher See.

D'Artagnan und sein Diener blieb etwas Zeit sich auszuruhen. Wieder an Land bestiegen sie eine Postkutsche, die sie in vier Stunden bis in die Hauptstadt brachte. Der Gascogner kannte weder London noch ein Wort Englisch. Er schrieb den Namen Buckingham auf ein Stück Papier und jeder zeigte ihm den Weg zum Palais des Herzogs.

Leider war dieser mit dem König in Windsor auf der Jagd. Der Kammerdiener erklärte sich bereit die beiden zu begleiten und an einem See mitten bei der Entenjagd war d'Artagnan endlich am Ziel.

"Wen darf ich dem Herzog melden?", fragte der Kammerdiener, der Patrice hieß.

"Den jungen Mann, der eines Abends auf dem Pont-Neuf, vor der Samariterin, mit ihm Streit gesucht hat."

"Eine sonderbare Empfehlung!"

"Sie gilt so viel, wie jede andere."

Buckingham erinnerte sich sofort, und sprengte auf seinem Pferd zu d'Artagnan.

"Der Königin ist doch kein Unglück geschehen?", rief er besorgt.

"Ich glaube nicht, aber Ihre Majestät schwebt in großer Gefahr, aus der nur Euere Gnaden sie retten kann. Lest diesen Brief, er kommt, so viel ich weiß von Ihrer Majestät."

Der Herzog las den Brief und erbleichte. Dann rief er Patrice und ließ sich beim König entschuldigen. Im Galopp jagten er und d'Artagnan nach London zurück.

 

 

 

13. Die Gräfin Winter

Unterwegs ließ sich Buckingham alles, was d'Artagnan wusste, berichten. Schon in kurzer Zeit erreichten sie London und den Palais. Sie eilten die Treppe hinauf, durch mehrere elegante Salons, bis ins Schlafgemach des Herzogs.

Auf einer prachtvollen Kommode stand das Kästchen aus Rosenholz mit den Diamantknöpfen. Der Herzog öffnete es. "Seht", sagte er und nahm eine mit glitzernden Diamanten besetzte Schleife heraus. "Hier sind die kostbaren Knöpfe, die ich geschworen hatte, mit ins Grab zu nehmen."

Er küsste jeden einzelnen der Reihe nach, fuhr aber plötzlich mit einem Schrei in die Höhe.

"Was fehlt Euch, Mylord?", fragte d'Artagnan.

"Alles ist verloren!", rief Buckingham, dem das Blut aus dem Gesicht gewichen war. "Zwei Knöpfe fehlen - es sind nur noch zehn! Jemand muss sie im Auftrag des Kardinals gestohlen haben. Seht, die Ösen, an denen sie befestigt waren, sind durchgeschnitten."

"Wer kann der Dieb sein? Vielleicht befinden sie sich noch in dessen Händen."

"Wartet, lasst mich nachdenken… natürlich, ich habe sie nur ein einziges Mal getragen. Auf dem Ball des Königs auf Schloss Windsor vor acht Tagen. Die Gräfin Winter, wir waren im Streit und an diesem Abend wollte sie sich versöhnen. Aber das war nur ihre Rache. Sie muss eine Spionin des Kardinals sein. Er ist ein gefährlicher Gegner. Wann findet der Ball statt, von dem die Königin schreibt?"

"Nächsten Montag."

"In fünf Tagen also? So viel Zeit werden wir nicht benötigen."

Der Herzog von Buckingham befahl die sofortige Sperrung aller britischen Häfen. Offiziell ließ er verkünden, dass der Krieg gegen Frankreich beschlossene Sache und die Hafensperre die erste feindliche Maßnahme Englands sei.

Noch als d'Artagnan über die Befehle des Herzogs staunte, trat der Juwelier ein. Er war Ire und einer der geschicktesten seiner Art. Buckingham bot ihm dreitausend Goldstücke, wenn er die beiden fehlenden Knöpfe bis zum übernächsten Tag anfertigte.

Um elf Uhr zwei Tage später waren die beiden Diamantknöpfe fertig, und es war unmöglich, die neuen von den alten zu unterscheiden. Der Herzog übergab d'Artagnan die Knöpfe, ohne das Kästchen und gab ihm Anweisungen für die Rückreise.

"Geht zum Hafen, fragt nach der Brigg "Sund" und übergebt dem Kapitän diesen Brief. Er bringt Euch nach Saint-Valéry. Dort angekommen, geht Ihr in die einzige Herberge, und nennt dem Wirt die Parole "Vorwärts!" Er wird Euch ein gesatteltes Pferd geben und den richtigen Weg zeigen. In der gleichen Weise werden Euch noch viermal Pferde zur Verfügung stehen. Wenn Ihr wollt, hinterlasst jedes Mal Eure Pariser Adresse, und die Pferde werden Euch nachgeschickt.

Ein Pferd für Euch und Eure tapferen Kameraden werdet Ihr kaum ausschlagen, zumal Ihr mit den Tieren gegen uns in den Krieg ziehen könnt. Der Zweck heiligt die Mittel, nicht wahr?"

"Allerdings, Mylord! Ein solches Geschenk nehme ich, und wenn es sein muss, werde ich davon guten Gebrauch machen."

"Und nun Eure Hand, junger Mann! Vielleicht treffen wir uns bald auf dem Kriegsfeld, doch bis dahin bleiben wir gute Freunde."

"Ja, Mylord."

D'Artagnan grüßte den Herzog und eilte zum Hafen. Alles traf er genau so an, wie der Herzog von Buckingham es beschrieben hatte. Abends um neun traf er im Hof des Herrn de Tréville ein. Der machte kein großes Aufheben und entließ den Gascogner zur Wachablösung im Louvre.

 

 

 

14. Der Ball der guten Laune

Seit Tagen redete man in Paris nur noch von dem Ball, den die Schöffen der Stadt geben wollten und auf dem auch der König und die Königin erscheinen würden. Um sechs Uhr füllten sich die Tribünen im großen Saal. Endlich, um Mitternacht, kündete lauter Jubel die Ankunft Seiner Majestät an.

Ludwig XIII. erschien in großer Gala, aber jeder sah ihm sofort an, dass er schlechte Laune hatte. Er begab sich in ein Zimmer in dem das Kostüm für ihn bereit lag. Eine halbe Stunde später erschien die Königin, die ebenfalls keinen glücklichen Eindruck machte.

Im Augenblick, als sie den Saal betrat, wurde der Vorhang einer kleinen Loge zur Seite geschoben: Der Kopf des Kardinals war zu erkennen, verkleidet als spanischer Ritter. Er musterte die Königin und ein Lächeln grausamer Freude umspielte den harten Mund. Anna von Frankreich war ohne die diamantenen Knöpfe erschienen!

Die Königin blieb einen Moment stehen um die Komplimente entgegenzunehmen, da sah sie, wie Richelieu ihren Gatten etwas ins Ohr raunte. Unmaskiert trat der König zu ihr und fragte mit erregter Stimme: "Madame, warum tragt Ihr nicht die Diamantknöpfe? Ich bat Euch, sie anzulegen."

Die Königin schaute sich um und erblickte den Kardinal, der diabolisch lächelte.

"Sire, ich befürchtete, ich könnte sie im Gedränge verlieren. Aber wenn Ihr es befehlt, werde ich sie augenblicklich aus dem Louvre bringen lassen."

"Tut das, Madame. In einer Stunde beginnt der Tanz."

Als der König in seinem Jagdkostüm aus dem Ankleidezimmer trat, überreichte ihm der Kardinal eine Schatulle. Darin erblickte er zwei Diamantknöpfe und wollte wissen, was das zu bedeuten habe. Der Kardinal bat Seine Majestät darum die Knöpfe der Königin nachzuzählen - er werde nur zehn bemerken.

Da erschien die Königin. Sie war gewiss die schönste Frau Frankreichs, das Jagdkostüm stand ihr ausgezeichnet und auf ihrer linken Schulter funkelten die Diamantknöpfe. Ludwig XIII. machte einen Versuch die Knöpfe zu zählen, doch die Musik begann und die Tanzbewegungen der Königin machten es ihm unmöglich.

Nach einer Stunde führte er seine Gemahlin an ihren Platz und übergab ihr etwas: "Ich danke Euch, dass Ihr meinen Wunsch erfüllt habt, aber ich glaube, Euch fehlen zwei Knöpfe; hier sind sie."

"Wie, Sire", rief die Königin erstaunt, "Ihr schenkt mir zwei weitere Knöpfe, dann besitze ich jetzt vierzehn?"

Der König zählte nach - es waren tatsächlich zwölf. Er blickte fragend zum Kardinal, der sich geschickt aus der Affäre zog, in dem er behauptete, er selbst wagte nicht der Königin ein solches Geschenk zu machen und habe deshalb diesen Weg gewählt.

Die Königin aber durchschaute Richelieu, dankte ihm lächelnd und zog sich in ihre Garderobe zurück.

Im Glanz und der Intrige der Mächtigen haben wir d'Artagnan ganz aus den Augen verloren. Er war wohl der Einzige, der den Auftritt des Königspaares und seiner Eminenz verstand. Als er eben gehen wollte, winkte ihn eine Frau. Trotz der Maske erkannte er Frau Bonacieux.

Sie zog ihn mit sich durch Gänge und über Treppen, bis er in einem finsteren Kabinett war. Frau Bonacieux gebot ihn zu schweigen und verschwand durch eine Tapetentür. D'Artagnan hörte Stimmen und erkannte, dass eine davon der Königin gehören musste.

Die Tür öffnete sich erneut und die Hand der Königin erschien. Der Gascogner kniete sich nieder, ergriff die Hand und küsste sie ehrfürchtig. Dann verschwand sie wieder. Zurück blieb ein Ring, den sich d'Artagnan an den Finger steckte.

Frau Bonacieux brachte ihn wieder zurück. "Wo und wann sehe ich Euch wieder?", fragte der verliebte Bursche.

"Ein Briefchen, das Ihr zu Hause findet, wird es Euch sagen!"

Im Eilschritt kehrte d'Artagnan nach Hause zurück und fand tatsächlich einen Brief vor, der ihn zum nächsten Abend um zehn Uhr nach Saint-Cloud bestellte. Unterzeichnet war er mit den Initialen C.B.

Er empfand ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Sein erster Liebesbrief!

Am nächsten Morgen machte er sich auf den Weg zu Herrn de Tréville. Dabei begegnete er Herrn Bonacieux, der ihn freundlich begrüßte und sie wechselten zwangsläufig ein paar Worte.

Tréville warnte d'Artagnan vor dem Kardinal. Ihm war klar, dass die gute Laune der Majestäten und die miserable seiner Eminenz mit der Reise seines Schützlings zu tun hatte. Als ihm der Ring an d'Artagnans Finger auffiel, empfahl er ihm, ihn zu verkaufen, weil es zu gefährlich wäre einen Ring der Königin offen zu tragen.

Dann erkundigte er sich nach seinen Musketieren. "Ich an Eurer Stelle, würde Paris sofort verlassen und mich auf die Suche nach meinen Kameraden machen. Denn Seine Eminenz lässt gewiss nach Euch suchen."

"Vor Morgen Früh kann ich nicht abreisen. Ich habe noch eine wichtige Sache zu erledigen", entgegnete der Gascogner.

"Dann versprecht mir, unbedingt morgen Paris zu verlassen - glückliche Reise."

D'Artagnan verabschiedete sich vom Hauptmann. Auf dem Heimweg, kam er an der Gardekaserne vorbei und entdeckte, dass drei der vier Pferde des Herzogs bereits da waren. Planchet war begeistert und berichtete seinem Herrn, dass er den Hauswirt Bonacieux beobachtet habe. Nach dem Gespräch mit d'Artagnan sei er verstohlen in die andere Richtung davongeeilt. "Traut ihm nicht, Herr. Er ist sicher ein Verräter."

Gegen neun Uhr kam der Gascogner erneut bei der Gardekaserne an. In der Zwischenzeit war auch das vierte Pferd eingetroffen. Er uns sein Diener machten sich, schwer bewaffnet auf den Weg zum Stelldichein mit Frau Bonacieux.

"Hier wären wir", erklärte d'Artagnan nach einem längeren Ritt durch die Nacht. "Wenn es dir zu kalt wird, begibst du dich in eine der Schenken. Morgen Früh sehen wir uns wieder."

Das Herz des Jünglings schlug stürmisch, als er einen Wiesenweg einschlug und nur wenig später vor dem vereinbarten Pavillon ankam. Aus dem ersten Stock schimmerte mattes Licht; dahinter wartete sicherlich seine Angebetet. Erfüllt mit diesem Gedanken, wartete er geduldig.

Es schlug elf Uhr. Jetzt beschlich ihn große Sorge und er kletterte auf einen Baum, um in das Zimmer zu sehen. Der Anblick, der sich ihm bot, war verheerend. Das Zimmer ein Bild der Verwüstung. Hastig kletterte er nach unten. Hinter dem Pavillon entdeckte er eine kleine Hütte. Er klopfte an. Zuerst gab niemand Antwort, dann wurde der Fensterladen ein wenig geöffnet und d'Artagnan erkannte einen alten Mann.

Als dieser die Not des Jünglings erkannte, schilderte er ihm seine Beobachtungen. Gegen neun Uhr hatte er eine Kutsche und drei Pferde ankommen sehen. Sie verlangten von ihm eine Leiter und bedrohten ihn. Er sah, wie ein kleiner dicker Mann die Leiter emporstieg und rief: "Sie ist es!" Daraufhin sperrte ein anderer das Tor auf und wenig später wurde eine Frau herausgezogen und in die Kutsche verfrachtet. Nur der kleine Dicke stieg zu.

"Nein, ich kann ihn nur beschreiben. Er war groß und hager, brünett, mit dunklem Schnurrbart, schwarzen Augen - ein Edelmann."

"Er ist es!", rief d'Artagnan. "Mein böser Dämon, der mich verfolgt. Und der Dicke?"

"Der war kein Edelmann. Er trug keinen Degen und wurde auch nicht sonderlich respektiert."

Der Jüngling dankte dem alten Mann und ging.

Es war fast Mitternacht, als er seinen Diener suchte und ihn endlich in einer Schenke fand, wo er mit den beiden Pferden wartete.

 

 

 

15. Porthos und Aramis

Anstatt nach Hause begab sich d'Artagnan zuerst zu Herrn de Tréville. Er war entschlossen, dieses Mal die ganze Geschichte zu erzählen. Der Hauptmann versprach seinem Schützling der Königin alles zu berichteten und ermahnte ihn erneut, Paris so schnell wie möglich zu verlassen.

Der Gascogner begab sich nach Hause. Schon von weitem erkannte er Bonacieux. Er wollte rasch an ihm vorübergehen, doch der Hauswirt sprach ihn an: "Ei, ei, junger Mann. Wenn andere aufstehen, kehrt Ihr erst nach Hause. Wo habt Ihr heute Nacht nur gesteckt? Wohl nicht auf den saubersten Wegen?"

D'Artagnan betrachtete seine schmutzigen Stiefel; dabei fiel sein Blick auf die Gamaschen und Schuhe seines Wirts, die sich merkwürdiger Weise in ähnlichem Zustand befanden. Plötzlich durchzuckte ihn der Gedanke: Dieser dicke, kleine Mann, von dem der alte Mann ihm erzählt hatte, war kein anderer als Bonacieux!

Er musste sich beherrschen, diesem Duckmäuser nicht den Hals umzudrehen. Aber sicherlich wusste der, wo sich seine Frau befand. Irgendwie konnte man den scheinheiligen Kerl sicherlich zum Reden bringen.

D'Artagnan begab sich in seine Wohnung und erklärte seinem Diener, dass sie sofort abreisten. Er selbst ging schon vor, und suchte die Wohnungen seiner drei Freunde auf. Doch außer eines duftenden Briefchens für Aramis, das er einsteckte, fand er nichts.

Als alle Pferde gesattelt waren, ritten er und Planchet auf verschiedenen Straßen aus Paris und trafen sich erst wieder in Saint-Denis. Ohne Zwischenfall gelangten sie nach Chantilly, wo sie Porthos damals zurücklassen mussten.

Vom Wirt des Gasthauses erfuhr d'Artagnan, dass sein Freund sich in einem der oberen Zimmer befand. Seit dem Duell, bei dem Porthos verletzt worden war, ließ er sich - ohne zu bezahlen - mit Wein und gutem Essen verwöhnen. Der Duellpartner hatte, sobald er erfuhr, dass er es mit Porthos und nicht mit d'Artagnan zu tun hatte, von ihm abgelassen, und war davon gestürmt. Das Geld, dass Porthos von Herrn de Tréville bekommen hatte, verlor er beim Spiel und von seiner Herzensdame, die bei Hofe einen hohen Rang bekleidete, war auch kein Geld zu erwarten, weil diese die Eifersucht plagte.

Dies alles erzählte der Wirt, obwohl Porthos im verboten hatte, darüber zu reden. D'Artagnan stieg die Treppen empor und klopfte bei Zimmer Nummer vier. Porthos rief "Herein!"

Der Freund lag im Bett und vertrieb sich die Zeit durch eine Partie Karten mit seinem Diener Mousqueton. Er begrüßte d'Artagnan mit lautem Jubel. Dann tischte er ihm seine Version des Kampfes auf. Als er soweit berichtet hatte, erzählt d'Artagnan wie es ihm in den vergangnen zehn Tagen ergangen war.

Dann meldete Planchet, dass die Pferde wieder frisch seien und man weiter reiten könne. Der Gascogner verabschiedete sich von seinem Freund und versprach in acht bis zehn Tagen zurück zu sein.

Von Chantilly bis Crèvecoer, wo sie den armen Aramis zurückgelassen hatten, waren es nur sechs oder sieben Meilen. Diesmal empfing ihn eine freundliche Wirtin. Von ihr erfuhr er, dass auch Aramis noch da war. Im Moment befanden sich gerade der Pfarrer und der Abt des Jesuitenklosters bei ihm. Um Gott für seine Genesung zu danken, hatte sich Aramis entschlossen ins Kloster zu gehen.

Im zweiten Stock, Zimmer Nummer fünf, stand Bazin Wache. Er, der sich danach sehnte der Diener eines Geistlichen zu werden, war nicht sehr erfreut über d'Artagnans Ankunft. Doch der schob Bazin einfach zur Seite und betrat das Zimmer.

Aramis mit schwarzem Überrock und einer runden Kopfbedeckung, saß zwischen Büchern und Schriftstücken. Zu seiner Linken befand sich der Abt und zur Rechten der Pfarrer von Montdidier. Er begrüßte seinen Freund höflich, aber reserviert. Es kostete d'Artagnan allerhand Anstrengungen ihn aus der Reserve zu locken. Erst, als sich die Geistlichen verabschiedet hatten, taute er auf und erzählte dem Gascogner, wie er einst zu den Musketieren gestoßen war.

Drei Tage vor seinen Weihen zum Abt wurde Aramis damals zu einem Duell provoziert. Mit einem Degenstoß streckte er seinen Gegner tot nieder. So sah er sich gezwungen, das geistliche Kleid vorerst abzulegen und lernte Athos und Porthos kennen. Nun hielt er die Zeit gekommen, wieder in den Schoß der Kirche zurückzukehren.

Aramis errötete und wehrte ab.

"Gut, dann kann ich den Brief, den ich in deiner Wohnung fand, dem Feuer übergeben."

"Ein Brief? Von wem?"

"Ich weiß nur, dass er eine Herzogskrone trägt…"

Mit einem Satz sprang Aramis auf seinen Freund zu, riss ihm den Brief aus der Hand und verschlang ihn… Sein Gesicht strahlte.

"Sie musste nach Tour zurück und liebt mich immer noch. Komm, mein Freund, lass uns feiern und erzähl mir endlich, wie es dir ergangen ist."

 

 

 

16. Athos in der Falle

Nun stellte sich nur noch die Frage, was aus Athos geworden war. D'Artagnan wollte so bald wie möglich weiter nach Amiens reiten. Aramis wollte ihn begleiten und so ging es, sehr zum Verdruss von Bazin in der Morgendämmerung los. Der Musketier suchte sich ein Pferd von denen des Herzogs aus und ließ sich in den Sattel helfen. Die Schmerzen waren aber immer noch zu groß und so beschloss d'Artagnan alleine zu Athos zu reiten. Aramis sollte sich erst völlig auskurieren.

Gegen elf Uhr vormittags kam Amiens in Sicht. D'Artagnan hatte dem üblen Wirt Rache geschworen und so stellte er ihn mit gezogener Waffe zur Rede. Dieser erinnerte sich augenblicklich an den Vorfall vor vierzehn Tagen, bei dem er Athos der Falschmünzerei bezichtigt hatte und begann zu erzählen.

Die Obrigkeit hatte ihn gewarnt, dass ein Falschmünzer in Musketierbegleitung bei ihm auftauchen würde. Die Behörde stellte ihm sogar sechs Mann zur Verfügung. Als es zum Kampf kam, verbarrikadierte sich Athos im Keller der Gaststätte. Dort hausten er und sein Diener seither und ließ sich Essen und Trinken durch das Kellerloch reichen.

Plötzlich hörten sie im Keller wildes Lärmen.

"Da hört nur, wie er wieder wütet. Dabei möchte meine Frau nur etwas Wein für die Engländer holen, die gerade angekommen sind. Sie haben schon gedroht, die Kellertür einzuschlagen, wenn sie nicht das Gewünschte bekommen."

"Das werdet Ihr schön bleiben lassen, meine Herren!", rief d'Artagnan und zog die zweite Pistole aus dem Gürtel.

"Donnerwetter, das ist doch d'Artagnan!", schallte es dumpf aus dem Keller.

"Allerdings", rief dieser mit lauter Stimme.

"Das ist ja großartig!", jubelte Athos, öffnete die Tür und erschien bleich und ziemlich angetrunken. Der Wirt begann zu jammern. Der Keller war eine einzige Wein- und Olivenölpfütze. Überall schwammen Schinkenknochen und Würste und aus einem Fass rannen die letzten Tropfen des Rebenblutes.

D'Artagnan, der die Angelegenheit friedlich lösen wollte, vermachte dem Wirt Athos' altes Pferd. Dann bezogen sie das schönste Zimmer und begannen sich zu erzählen. Er berichtete, was aus Porthos und Aramis geworden war und erzählte von seinem eigenen Herzensleid.

Athos hörte zu, ohne ihn zu unterbrechen, dann sagte er hart: "Nichts als erbärmliche Geschichten."

"Wie kannst du so reden. Du hast ein Herz aus Stein und nie geliebt, sonst würdest du nicht so hart sein und mir mit Rat und Trost bei meinem Unglück zur Seite stehen."

"Soll ich dir eine Liebesgeschichte erzählen, die ein wirkliches Unglück ist?"

"Ist sie dir geschehen?"

"Oder einem Freund, das ist doch gleichgültig."

"Erzähl!"

Athos leerte sein Glas und begann finster lächelnd zu erzählen: "Ein Freund von mir, nicht ich, ein Graf aus Berry, verliebte sich mit fünfundzwanzig Jahren in eine bildschönes Mädchen, das mit ihrem Bruder, einem Pfarrer neu in der Gegend war. Sie gefiel ihm nicht nur, sie berauschte ihn und wenig später nahm er sie zu seiner Frau und machte sie zur ersten Dame der Provinz.

Eines Tages, als sie mit ihrem Gemahl auf der Jagd war, stürzte sie vom Pferd und wurde ohnmächtig… Der Graf eilte ihr zur Hilfe und riss ihre engen Kleider auf. Rate mal, was er auf ihrer Schulter erblickte?"

"Wie soll ich das wissen?", fragte d'Artagnan.

"Eine Lilie - sie war als Diebin gebrandmarkt. Der Engel war ein Teufel. Der Graf, war der Grundherr und konnte selbst über Leben und Tod entscheiden. So riss er die Gewänder der Gräfin vollends entzwei, band ihr die Hände auf den Rücken und hing sie kurzerhand am Ast eines Baumes auf."

"Ein Mord", flüsterte d'Artagnan entgeistert.

"Ja, ein Mord. Nichts weiter", sagte Athos und trank blass wie ein Leichnam sein Glas leer.

"Sie ist also tot?"

"Bei Gott, ja!"

Auch am nächsten Morgen war d'Artagnan noch sehr beeindruckt von der schrecklichen Erzählung seines Freundes. Es war fast eine Enthüllung - der Graf war sicherlich identisch mit Athos. Das wollte er herausfinden. Doch als er das Gespräch mit ihm suchte, wich Athos ihm aus und erweckte den Anschein nichts mehr vom Vorabend zu wissen.

Athos hatte noch in derselben Nacht mit den Engländern verhandelt und sein neues Pferd für hundert Dukaten verkauft. Er überredete d'Artagnan es ihm gleich zu tun.

So machten sie sich auf den Pferden ihrer Diener auf, um Aramis und Porthos abzuholen. Grimaud und Planchet nahmen die nächste Postkutsche nach Paris.

Aramis war wieder vollkommen gesund. Auch er hatte sein neues Pferd verkauft, weil ihm ein Edelmann achtzig Dukaten dafür geboten hatte.

Um ein Haar wäre Porthos der Einzige gewesen, der sein edles Tier vom Herzog mit nach Hause gebracht hätte. Aber kurz bevor die Freunde bei ihm eintrafen, hatte er es an einen anderen Gast verspielt. Die Advokatengattin, seine "Herzogin", hatte noch immer nichts von sich hören lassen und so mussten seine Freunde erst die Zeche beim Wirt begleichen, ehe sie aufbrechen konnten.

Es wurde eine stille Heimkehr. Sie erreichten Paris um die Mittagsstunde und gingen mit kurzem Gruß auseinander, um sich, jeder in seinem Quartier, von den Strapazen ihrer Englandreise zu erholen.

 

 

 

17. Mylady

Zu Hause angekommen, fand d'Artagnan einen Brief von Herrn de Tréville in dem stand, dass der König ihn bald in sein Musketierregiment aufnehmen werde. Voller Freude eilte er zu Athos, um ihm die gute Nachricht zu berichten.

Allerdings traf er seine drei Freunde in gedrückter Stimmung. Tréville hatte mitteilen lassen, dass Seine Majestät am 1. Mai seinen Feldzug gegen Englang beginnen wollte und sich alle Gardisten unverzüglich neu ausrüsten mussten.

D'Artagnan machte sich, was seine Ausrüstung betraf die größten Sorgen, obwohl er als Gardist viel weniger benötigte als ein richtiger Musketier. Dazu kam das Bangen über den Verbleib von Frau Bonacieux. Die Königin hatte dem Hauptmann zwar zugesagt Nachforschungen anstellen zu lassen, aber das machte d'Artagnan wenig Hoffnung.

Als er am nächsten Tag an der Kirche von Saint-Leu vorüberging, erregte eine Dame seine Aufmerksamkeit. Es war die gleiche Dame, die der Fremde von Meung als Mylady angesprochen hatte. Unbemerkt folgte er ihr, sah sie in ihre Equipage steigen und hörte, wie sie dem Kutscher befahl, nach Saint-Germain zu fahren.

Da er zu Fuß die Verfolgung nicht aufnehmen konnte, begab er sich zu Athos, der bei einer Flasche spanischem Wein saß. Mit Engelszungen versuchte d'Artagnan seinen Freund dazu zu überreden, mit ihm nach Saint-Germain zu reiten, aber der pflegte weiterhin seine schlechte Laune, die er seit seinem Kelleraufenthalt nicht verloren hatte.

Also schwang er sich mit Planchet auf die Pferde und ritt los. Am Ziel angekommen, hielt er Ausschau nach der schönen Engländerin. Es war Planchet, der ein bekanntes Gesicht erblickte. Lubin, der Diener des Grafen de Wardes, der ein treuer Anhänger des Kardinals war, stand auf der Terrasse eines hübschen Hauses.

"Meinst du, er erkennt dich?", fragte d'Artagnan seinen Diener.

"Das glaube ich nicht, gnädiger Herr."

"Nun, dann geh hin und unterhalte dich ein wenig mit ihm."

Während die beiden Diener einvernehmlich plauderten, versteckte der Gascogner die Pferde und wartete hinter einer Hecke. Plötzlich erschien der Wagen von Mylady und blieb vor dem Haus des Grafen de Wardes stehen. Sie wechselte einige Worte mit ihrer Zofe und reichte ihr einen Brief.

Lubin war zufällig gerade ins Haus zurück gerufen worden und Planchet stand alleine dort. Die Zofe trat zu ihm und überreichte das Briefchen: "Bitte, für deinen Herrn!"

"Für meinen Herrn?", fragte Planchet ungläubig.

"Ja, und es ist sehr eilig."

Damit lief sie zur Kutsche zurück und sie fuhren davon. Planchet ging zu seinem Herrn und übergab ihm das Schreiben. D'Artagnan öffnete aufgeregt und las:

Eine Person, die sich sehr für Euch interessiert, möchte wissen, wann Ihr Zeit für einen gemeinsamen Waldspaziergang habt. Morgen wird ein schwarz-rot gekleideter Diener Eure Antwort im Palais abholen.

"Ausgezeichnet, Planchet. Das hast du hervorragend gemacht. Jetzt reiten wir der Dame hinterher."

Nur wenige Minuten später hatten sie die Kutsche eingeholt. Sie stand am Straßenrand und Mylady unterhielt sich lebhaft mit einem vornehm gekleideten Reiter. Da sie englisch sprachen, konnte er nicht verstehen, worum es ging. Aber Myladys Stimme verriet ihre Aufregung.

"Darf ich Euch meine Dienste anbieten, Madame?", mischte er sich in das Gespräch ein. "Ein Wort aus Eurem Munde und ich werde dem Herrn für seine mangelnde Höflichkeit einen Denkzettel verpassen."

Die Dame wandte sich erstaunt um und antwortete in tadellosem französisch: "Wäre dieser Kavalier nicht mein Schwager, würde ich mich gerne Euch anvertrauen."

"Dann entschuldigt, das konnte ich nicht ahnen."

"Was mischt sich dieser junge Narr in unsere Angelegenheiten", fragte der Kavalier.

"Selbst ein Narr", zischte d'Artagnan zurück.

Jede andere Frau wäre nun vermittelnd eingesprungen. Nicht so Mylady. Sie lehnte sich in die Polster ihrer Kutsche zurück und ließ den Kutscher anfahren. Die Zofe warf einen scheuen Blick auf d'Artagnan, der sie sehr beeindruckte.

Die Kutsche fuhr ab und die beiden Männer standen einander gegenüber. Beim genaueren Hinsehen, erkannte er in dem Engländer den Mann wieder, der sein und Athos' Pferd in Amiens gekauft hatte. Da keiner bereit war, sich zu entschuldigen, vereinbarten sie ein Duell am Abend hinter dem Luxemburg. Jeder wollte drei Freunde mitbringen. D'Artagnan nannte noch seinen Namen und erfuhr, dass sein Gegner Lord Winter, Baron von Sheffield hieß.

Mit dieser Neuigkeit begab er sich zu Athos, der sich endlich aufraffte und mit Porthos und Aramis die Lage besprach.

D'Artagnan überdachte lächelnd einen Plan, von dessen Ausführung wir noch lesen werden und der ihm ein nettes Abenteuer zu verheißen schien. Von dem Brief von Mylady erzählte er vorerst niemandem.

 

 

 

18. Engländer und Franzosen

Zur verabredeten Stunde begaben sich die Musketiere mit ihren Dienern zum Luxembourg. Als die Engländer eintrafen, nannte sie alle ihre Namen. Die kurzen und seltsamen Namen der Musketiere wollten die vornehmen Herren nicht akzeptieren und forderten, die echten Namen zu erfahren.

"Dem Gegner, dem ich meinen echten Namen nenne, muss ich leider töten, da ich selber für tot gehalten werde, also überlegt es Euch gut", erklärte Athos. Doch der Engländer gab nicht nach, und so flüsterte ihm Athos seinen wahren Namen ins Ohr.

Und sogleich flogen die Degen aus den Scheiden. Athos erledigte als Erster seinen Gegner. Ein Dolchstoß genügte - er traf mitten ins Herz. Porthos war der Nächste, der seinen Gegner durch einen Stich in den Schenkel kampfunfähig machte und dessen Degen überreicht bekam. Aramis trieb seinen Duellanten in die Enge, sodass dieser Reißaus nahm.

Wie d'Artagnan merkte, dass Lord Winter müde wurde, schlug er ihn mit einem gekonnten Hieb den Degen aus der Hand. Der Lord strauchelte, fiel zu Boden und der Gascogner beugte sich über ihn und setzte ihm den Degen an die Kehle.

"Ich könnte Euch töten, Baron. Doch um Eurer Schwägerin willen schenke ich Euch das Leben."

Lord Winter war glücklich und schloss d'Artagnan in die Arme. "Mein junger Freund, erlaubt mir Euch so zu nennen, ich möchte Euch für heute Abend meiner Schwägerin, Lady Clarick, vorstellen."

D'Artagnan wurde vor Freude rot und verneigte sich zum Zeichen des Einverständnisses. Beim Auseinandergehen gab Lord Winter ihm die Adresse: Place Royale, Nr. 6 - die vornehmste Gegend in Paris. D'Artagnan bat den Lord, ihn um acht Uhr bei Athos abzuholen.

Zur rechten Zeit, erschien er elegant gekleidet bei seinem Freund Athos. Dieser versuchte ihn zu warnen. Schließlich war Mylady eine Spionin des Kardinals. Aber d'Artagnan hatte seinen Plan, und ließ sich nicht beirren. Als der Lord eintraf, ging Athos ins Nebenzimmer.

Mit einem eleganten Zweispänner fuhren sie zum Place Royale. Lady Clarick, wie sich Mylady noch nannte, empfing den Gascogner sehr würdevoll.

"Ich bringe dir hier einen jungen Edelmann, der mein Leben in der Hand hatte, aber von seinem Recht nicht gebrauch machte", sagte Lord Winter.

Mylady zog die Brauen leicht zusammen und lächelte so seltsam, dass d'Artagnan unweigerlich schauderte. Dann hieß sie ihn Willkommen.

Die niedliche Zofe, die unser Freund schon von Saint-Germain kannte, erschien, und flüsterte dem Lord etwas ins Ohr, woraufhin der sich verabschiedete.

Es wurde ein sehr angeregter Abend. Auch wenn d'Artagnan das Gefühl nicht los wurde, dass Mylady etwas zu verbergen hatte. Außerdem war er sich nach einer halben Stunde im Klaren, dass sie keine Engländerin, sondern ebenfalls Französin sein musste. Ihre Aussprache war zu perfekt.

Die abendlichen Treffen sollten nun regelmäßig stattfinden. D'Artagnan war zwar noch jung, aber ebenso schlau. Als ihn Mylady auf den Kardinal ansprach, begann er eine Lobrede über Seine Eminenz.

Er verabschiedete sich immer zur selben Zeit und traf im Flur auf die hübsche Zofe Kitty, die ihn verliebt anblickte. Doch d'Artagnan war zu sehr mit der Herrin beschäftigt, dass keine anderen Gedanken Platz hatten.

Die Warnungen von Athos schlug er in den Wind und seine Erinnerung an Frau Bonacieux verblasste nach und nach. Allabendlich machte unser junger Freund Mylady den Hof und war sich sicher, dass sie seine Gefühle irgendwann erwidern würde.

Eines Abends, als er dem Haus Myladys zustrebte, wurde er an der Tür von Kitty bei der Hand erfasst. "Ich muss Euch etwas sagen", stammelte die Zofe, "aber nicht hier, es muss geheim bleiben." Damit zog sie unseren Freund in ihr Zimmer, das an das von Mylady grenzte.

"Ihr liebt meine Herrin wohl sehr?"

"Mehr als ich sagen kann, Kitty!"

"Aber sie liebt Euch nicht!", und mit diesen Worten überreichte sie ihm einen Brief, der an den Grafen de Wardes gerichtet war. Er knüpfte dort an, wo der Brief, der versehentlich in Planchets Hände gewandert war, aufgehört hatte und ließ keinen Zweifel entstehen, dass Mylady sehr an dem Grafen interessiert war.

D'Artagnan wurde blass, er war in seiner Ehre gekränkt und schwor sich Rache. "Kitty, werdet Ihr mir helfen, meinen Rivalen aus dem Felde zu schlagen?", rief er zornig.

"Das könnte ich nur für einen Mann tun, der mich liebt."

D'Artagnan erkannte erst jetzt wie Kitty ihn anhimmelte und überlegte, dass es nur von Vorteil wäre, eine Vertraute in Myladys Nähe zu haben. Er zog sie sanft an sich und gab ihr einen Kuss, sodass die Zofe rot wie eine Kirsche wurde. "Um dir meine Liebe zu beweisen, werde ich den Abend statt bei deiner Herrin, bei dir verbringen."

Eben wollte er ihr einen zweiten Kuss auf die Wange drücken, als Mylady mit der Glocke läutete. Statt durch die Tür zu verschwinden, schloss er sich im großen Wandschrank ein. Das Gespräch zwischen Mylady und Kitty ließ in zwischen den Kleidern und Mänteln Myladys erschaudern.

Er erfuhr nicht nur, dass Mylady ihn für einen Dummkopf hielt, der Lord Winter vor dem Tod bewahrt, und sie damit um dreihunderttausend Dukaten Rente gebracht hatte. Der Kardinal hatte Mylady auch befohlen d'Artagnan in Ruhe zu lassen. So musste sie sich damit begnügen, dass sie ihm die schöne Wirtsfrau weggenommen hatte.

Diese Frau war ein Ungeheuer! Was hatte sie mit Frau Bonacieux gemacht? Als Kitty zurückkam flehte er sie an, ihm die Wahrheit zu sagen, aber die Zofe schwor, nichts zu wissen. D'Artagnan nahm ihr das Versprechen ab, den nächsten Brief von Mylady, ihm zu bringen.

Daher stand die hübsche Zofe am nächsten Morgen mit dem dritten Brief an den Grafen de Wardes in der Hand vor seiner Tür. Als d'Artagnan ihn gelesen hatte, griff er selbst zu Feder. Er verabredete sich mit Mylady für den Abend und unterschrieb mit Graf de Wardes.

Die unglückliche Kitty versprach ihrer Herrin den Brief zu übergeben, ihre Liebe zu unserem jungen Freund war zu groß.

 

 

 

19. Seltsame Rache

Als der Abend gekommen war, ging d'Artagnan zu Lady Clarick. Sie war, wie zu erwarten bei bester Laune. Gegen zehn Uhr wurde sie nervös und unser Edelmann verabschiedete sich höflich. Die Stunde, bis elf Uhr war, verbrachte er in Kittys Zimmer. Die Zofe war in Tränen aufgelöst, aber er konnte seinen Rachplan nicht mehr ändern.

Mylady hatte befohlen alle Lichter zu löschen, so war es einfach sie zu täuschen. Pünktlich betrat er das Gemach von Lady Clarick und begrüßte sie mit verstellter Stimme.

"Lieber Graf", flüsterte Mylady mit sanfter Stimme, "ich bin glücklich über Eure Liebe, und damit Ihr mich nie vergesst, nehmt diesen Ring."

Es war ein prächtiger, mit Brillanten gefasster Saphir, den sie bisher selbst trug. D'Artagnan kämpfte mit den unterschiedlichsten Empfindungen. Diese Frau übte eine unglaubliche Macht auf ihn aus. Als es ein Uhr schlug, war es Zeit Abschied zu nehmen.

Am anderen Morgen eilte er zu seinem Freund Athos um seine Meinung zu hören. Der runzelte kräftig die Stirn, als er die Geschichte erfuhr. Sein Blick fiel auf dem Saphir, den der Gascogner an seiner rechten Hand trug. "Ich habe ihn von Mylady."

"Dein Ring erinnert mich an einen Familienschmuck. Der meine war durch einen Unfall an der Seite etwa zerkratzt. Da, sieh her - ist das nicht seltsam? Er ist ein Erbstück meiner Mutter. In einer Liebesnacht habe ich ihn verschenkt."

D'Artagnan wurde nachdenklich und steckte den Ringer nicht wieder an den Finger, sondern in seine Tasche.

"Mein Freund, ich liebe dich wie einen Sohn. Ich rate dir, verzichte auf diese Frau. Ich kenne sie nicht, aber sie wird dich ins Unglück stürzen, das fühle ich."

"Du hast Recht, Athos - ich werde mich von ihr trennen."

In seiner Wohnung erwartete ihn Kitty. Mylady bat um einen früheren Termin für ein Stelldichein. Bleich und zitternd, sah die arme Kitty der Antwort entgegen. D'Artagnan erinnerte sich an sein Versprechen gegenüber Athos und schrieb:

Madame, rechnet nicht mit einem Treffen. Seit meiner Genesung warten zahllose Unterhaltungen dieser Art auf mich, dass ich mir schon ein Register anlegen muss. Sobald Ihr an der Reihe seid, werde ich es Euch wissen lassen. Ich küsse Eure Hand. Graf de Wardes.

Die Nachricht, die Kitty überaus fröhlich stimmte, bewirkte bei ihrer Herren das genaue Gegenteil. Sie schrie und schwor Rache und verwies ihre Zofe aus dem Zimmer.

D'Artagnan ließ sich die nächsten beiden Tage nicht bei Lady Clarick blicken. Also schickte diese ihre Zofe, um ihn zu holen. Kitty war sehr besorgt, aber er versprach ihr, sich nicht von Myladys Verführungsküsten beeindrucken zu lassen.

Als er bei Lady Clarick eintraf, wurde er sofort zu ihr gebracht. Es dauerte nicht lange und er war wieder ihrem Zauber verfallen. Geschickt lenkte sie das Gespräch dorthin, wo sie es haben wollte und verlangte von d'Artagnan, dass er einen ihrer Feinde, Graf de Wardes, beseitigte.

"Mein Arm und mein Leben gehören Euch!" In Wirklichkeit traute er ihr nicht über den Weg, aber für ein Schäferstündchen mit ihr, war er bereit alles zu versprechen. Lady Clarick ging darauf ein und d'Artagnan verlebte eine glückliche Weile, in den Armen dieser wunderschönen Frau.

Mylady kehrte als erste wieder in die Wirklichkeit zurück und wollte wissen, wie und wann er den Grafen im Duell zu schlagen gedenke. Als d'Artagnan versuchte, Lady Clarick das Unterfangen auszureden wurde sie sehr ungehalten. Doch als er ihr, in einem Anfall von Verliebtheit und Unbedachtheit gestand, dass der Graf von Wardes und er selbst in jener Nacht ein und dieselbe Person waren, blickte er in ein Zorn zerfressenes Gesicht. Mylady stieß ihn mit aller Kraft aus ihrem Bett, während er sich an ihrem Nachtgewand festhalten wollte. Mit einem jähen Ruck zerriss der dünne Stoff und entblößte ihre Schulter. Schaudernd erblickte der junge Mann auf der zarten weißen Haut eine Lilie, das Brandmal des Henkers.

Wie erstarrt saß er auf dem Bett.

"Elender", schrie sie. "Erst hast du mich betrogen und jetzt kennst du auch noch mein Geheimnis! Du musst sterben." Damit stürzte sie an ihren Toilettentisch, ergriff einen kleinen Dolch und war mit einem Satz bei d'Artagnan. Dieser versuchte sie mit seinem Degen abzuwehren und schlüpfte durch die Tür, die Kitty geöffnet hatte, angelockt vom Geschrei ihrer Herrin.

Kitty warf ihm einen weiten Mantel um und so floh unser junger Freund in merkwürdigem Aufzug aus dem Haus von Mylady. Ohne an das Schicksal der armen Zofe zu denken, rannte er zu seinem Freund Athos.

Augenblicklich erzählte er ihm von seinem Erlebnis. "Athos, bist du dir ganz sicher, dass die junge Frau, von der du mir in Amiens erzählt hast, tot war? Sie ist ungefähr achtundzwanzig Jahre, blond, blauäugig und hat oben eine kleine Zahnlücke."

"Ich muss sie sehen, d'Artagnan!"

"Nimm dich in Acht, Athos! Dieses Weib ist zu allem fähig. Zum Glück verlassen wir übermorgen Paris, um in den Krieg zu ziehen. Als Spitzel des Kardinals spinnt sie ihre Fäden überall."

Athos versorgte d'Artagnan mit Kleidern und der machte sich auf den Heimweg. Dort angekommen empfing ihn schon Herr Bonacieux mit listigem Lächeln: "Ihr werdet schon sehnsüchtig erwartet."

Es war Kitty, die von ihrer Herrin geflohen war und ihn um Hilfe bat. Er schickte Planchet zu Aramis und wenig später hatte dieser ihr eine Stelle als Zofe bei Frau de Bois-Tracy vermittelt.

Als dies geklärt war, gingen sie zum Pfandhaus, um den Ring von Mylady zu verpfänden. Mit diesem Geld waren sie plötzlich alle ihre Sorgen los und konnten sich eine standesgemäße Ausrüstung leisten, mit der es gegen Englang in den Krieg gehen sollte.

 

 

 

20. Ein kurzes Wiedersehen

Um vier Uhr trafen sich die Freunde bei Athos. Plötzlich trat Planchet ein und übergab seinem Herrn einen Brief, auf dem das gefürchtete Wappen des Kardinals prangte. D'Artagnan wurde für acht Uhr am Abend zu Seiner Eminenz befohlen.

"Das wird kein angenehmes Stelldichein", stellte Athos fest. Gemeinsam fassten sie den Entschluss, dass sich jeder der drei mit einigen zusätzlichen Musketieren an den Ausgängen des Palais postieren und jeden Wagen der herausfuhr überfallen würden.

Trotz dieser Maßnahmen war d'Argagnan doch sehr unruhig, als er die Treppen zum Vorzimmer des Kardinals hinaufstieg. Sein Verhalten gegen Mylady glich doch einem Verrat und dem Graf de Wardes hatte er ebenfalls übel mitgespielt. Beide waren enge Vertraute Seiner Eminenz.

D'Artagnan wurde in eine Bibliothek geführt, an deren Tisch ein Mann saß. Als dieser aufblickte erkannte unser Freund den Kardinal, der ihn mit durchdringendem Blick musterte. Es entwickelte sich ein Gespräch, mit dem der Gascogner so gar nicht gerechnet hatte. Richelieu zählte ihm beinahe jeden seiner Schritte, seit er vor acht Monaten nach Paris gekommen war auf. Dann bot er ihm den Posten als Fähnrich in seiner Garde an, da er ihn für einen fähigen Kopf hielt.

"Aber, Eminenz", erwiderte d'Artagnan.

"Wie? Ihr lehnt ab?", rief der Kardinal verwundert.

"Ich gehöre zur Garde seiner Majestät und alle meine Freunde dienen der königlichen Garde, während alle meine Feinde bei der Garde Eurer Eminenz sind. Man würde mich nicht Willkommen heißen. In den nächsten Tagen beginnt die Belagerung von La Rochelle; dort werde ich unter Euren Augen dienen. Solltet Ihr dann immer noch mit meinen Leistungen zufrieden sein, würde es mich freuen, nochmals über Euren Vorschlag zu sprechen."

"Nun, so sei es. Nach dem Feldzug sehen wir uns wieder. Aber nehmt diesen guten Rat an: Haltet Euch gut, denn wenn ich meine schützende Hand von Euch nehme, seid Ihr ein verlorener Mann!"

D'Artagnan wollte noch etwas entgegnen, doch Richelieu beendete mit einer Handbewegung die Unterhaltung.

Seine Freunde empfingen ihn aufgeregt und wollten wissen, was der Kardinal von ihm wollte. Alle gratulierten ihm zu seinem Entschluss bei der Garde des Herrn des Essarts zu bleiben; nur Athos flüsterte ihm zu: "Du hast getan, was du tun musstest; aber vielleicht war das doch ein Fehler."

Der folgende Tag war mit den Vorbereitungen für die Abreise ausgefüllt.

Die Belagerung von La Rochelle war eines der größten politischen Ereignisse unter der Regierung Ludwigs XIII. Diese Stadt war zu jener Zeit die einzige in Frankreich, in der die Hugenotten sicher waren. Für den Kardinal war es daher eine wichtige Schlacht, denn er wollte die Protestanten aus seinem Land vertreiben um die geistliche Einheit zu erlangen. Außerdem war La Rochelle das letzte Einfallstor, das den Engländern in Frankreich offen stand.

Gegen den Herzog von Buckingham hatte Richelieu auch noch eine ganz private Rechnung offen. Er selbst war früher ein erfolgloser Verehrer der Königin gewesen und so war es ihm eine Freude seinen Nebenbuhler bei Ihrer Majestät zu demütigen.

Die Gardisten des Herrn des Essarts waren unter den ersten Truppen, während die Musketiere beim König blieben, der leider erkrankt war.

D'Artagnan hatte sich nie sonderlich darum bemüht in seiner Garde Freundschaften zu schließen, da er so schnell wie möglich zu den Musketieren gehören wollte. So fristete er ein eher einsames Dasein. Nach ein paar Tagen, vormittags um neun Uhr, erklang Trommelwirbel. Der Herzog von Orleans besichtigte die Truppe. Der Hauptmann winkte d'Artagnan, und dieser trat vor, um den Befehl entgegenzunehmen.

"Der Herzog braucht Freiwillige für eine gefährliche, aber ehrenvolle Expedition. Ihr sollt herausfinden, wie stark die Besatzung auf der Bastion ist, die wir zurückerobern wollen."

Der Gascogner bedankte sich für die Ehre und machte sich mit zwei Gardisten auf den Weg. Zwei Soldaten marschierten hinterher. Als er bis auf etwa hundert Schritte an die Bastion herangekommen war, bemerkte er, dass die beiden Soldaten zurückgeblieben waren. Die Festung schien verlassen. Er rückte mit den beiden Gardisten weiter heran. Da zischte plötzlich ein wahrer Kugelhagel auf die drei herab. Die Bastion war noch besetzt.

Sie machten kehrt, aber ehe sie den Laufgraben erreicht hatten, fielen abermals Schüsse, und einer der Gardisten fiel tot um; der andere rannte weiter. D'Artagnan drehte sich rasch um und erkannte dass die Schüsse nicht von der Festung her kommen konnten. Da fielen ihm die beiden Soldaten ein, die feige zurückgeblieben waren. Er beschloss der Sache auf den Grund zu gehen und ließ sich wie tot auf den Gardisten fallen.

Da tauchten zwei Köpfe über ihm auf, es waren die Soldaten! Das Überraschungsmoment war auf seiner Seite und im Handumdrehen hatte er die beiden in seiner Gewalt. Der eine lag schwer verletzt am Boden und der andere Bandit winselten um Gnade.

"Wer hat Euch befohlen mich zu töten?", rief d'Artagnan.

"Eine Dame, ich kenne sie nicht, aber meine Kameraden nennen sie Mylady", stieß er hervor.

"Was wisst ihr noch?"

"Es existiert ein Brief in dem von einer Frau die Rede ist, die Ihr sehr liebt und die in einem Kloster in Sicherheit sein soll."

"Stütze dich auf mich, wir wollen ins Lager zurück. Ich schenke dir das Leben."

Im Lager erntete er für sein Verhalten vor dem Feind Dank und Lob seiner Vorgesetzten. Wenn er nun aber glaubte vor Mylady sicher zu sein, dann kannte er sie noch immer nicht.

 

 

 

21. Wein aus Anjou

Es ging das Gerücht, der König sei wieder genesen und werde bald beim Heer eintreffen. D'Artagnan vermisste seine Freunde und freute sich daher ganz besonders über diese Nachrichten. Eines Morgens erhielt er eine große Kiste mit einem Schreiben. In diesem stand, dass seine Freunde nach einem nächtlichen Gelage in Gewahrsam genommen worden seien und ihm zwölf Flaschen Anjouwein zukommen ließen, als Zeichen ihrer Freundschaft.

Nach der Suppe, wollten die Herren mit dem Wein anstoßen. Da ertönten plötzlich Schreie: "Es lebe der König! Hoch der Kardinal!" Der König, samt seiner Musketiere, hatte soeben das Lager betreten. D'Artagnan bildete mit seiner Kompanie Spalier und begrüßte seine Kameraden und Herrn de Tréville mit großer Freude.

Gleich danach versammelten sich die vier Freunde. "Ihr kommt gerade recht. Soeben wollten wir den Wein versuchen, den ihr mir durch den Gastwirt Godeau habt schicken lassen."

"Wir haben dir keinen Wein geschickt! Der Brief muss gefälscht sein", rief Athos.

Eilig rannten sie zur Schänke; dort wälzte sich der arme Diener mit Krämpfen am Boden und sah dem Tod ins Auge. Planchet blieb bei ihm und die Freunde begaben sich in das Nebenzimmer.

"Das kann nur Lady Clarick gewesen sein. Es ist ein Spiel auf Leben und Tod!", rief d'Artagnan.

"Du musst dich mit dieser Frau treffen und ihr dein Ehrenwort geben, dass du über ihr Geheimnis schweigst, wenn sie sich neutral verhält. Sollte sie das nicht tun, wirst du sie vor den Henker bringen und sollte der Richter sie frei sprechen, wirst du sie selbst töten", erklärte Athos.

"Dein Vorschlag gefällt mir, aber wie komme ich mit ihr zusammen?"

"Die Gelegenheit wird kommen, glaube mir!"

"Aber was wird in der Zwischenzeit aus meiner armen Constanze? Sie soll in irgendeinem Kloster sein, aber in welchem?"

"Ich werde versuchen es herauszufinden. Der Almosenpfleger der Königin ist ein guter Freund von mir", sagte Aramis.

Die vier Freunde trennten sich daraufhin.

Der König trieb indes zur Eile an. In kurzer Zeit wurden die Engländer von La Rochelle zurückgedrängt und mussten mit ihren Schiffen fliehen. In ganz Frankreich herrschte große Freude. Ein Gesandter Buckinghams, namens Montague, wurde gefangengenommen. Bei ihm wurde Papier gefunden, die die Königin und deren Freundin Frau de Chevreuse schwer belasteten.

Richelieu arbeitete Tag und Nacht, damit alles so lief, wie er es sich vorstellte. Trotz Morddrohungen gegen ihn ritt er nachts aus um sich mit Leuten zu treffen, die man in seinem Haus nicht sehen sollte.

Unsere drei Musketiere waren von der Belagerung nicht sonderlich in Anspruch genommen und genossen das Leben. Eines Abends ritten die drei gerade von der Schenke "Zum Roten Taubenschlag" ins Lager zurück, als eine befehlsgewohnte Stimme erschall: "Wer da?"

Zu ihrer Verwunderung war es Seine Eminenz, der auf dem Weg in die Gaststätte war. Er befahl den dreien ihn zu begleiten. Bald hatten sie die einsame Herberge erreicht. Der Wirt wusste offenbar von dem hohen Besuch und hatte alle Gäste weggeschickt.

"Habt Ihr im Erdgeschoss ein Zimmer, wo die drei Herren auf mich warten können?", fragte der Kardinal.

Der Wirt machte die Tür zu einer großen Stube auf, in der wohl vor kurzem noch ein Ofen durch einen Kamin ersetzt worden war, denn aus der Wand ragte ein Ofenrohr.

"Hier hinein, meine Herren, und wartet auf mich. Es dauert nicht länger als eine halbe Stunde."

Während die Musketiere die Stube betraten, stieg der Kardinal die Treppe hinauf.

Um sich die Zeit zu vertreiben, befahlen die Musketiere dem Wirt, Würfel zu bringen. Porthos und Aramis setzten sich an einen der Tische, während Athos nachdenklich im Raum auf und ab schritt. Mehrmals kam er dabei an dem alten Ofenrohr vorüber, aus dem er plötzlich leise Stimmen hörte. Er trat näher und hielt sein Ohr dicht an die Rohrmündung. Erregt machte er seinen Freunden ein Zeichen zu schweigen. Kein Zweifel es war die Stimme des Kardinals.

"Mylady, die Sache ist von größter Wichtigkeit. Setzt Euch, wir müssen darüber sprechen."

"Mylady?", murmelte Athos. Als die Dame antwortete, trieb die Stimme dem Musketier alles Blut zum Herzen.

Der Kardinal breitete seine Pläne aus. Lady Clarick sollte zu Buckingham reisen und ihm klar machen, dass Seine Eminenz genug Beweise hatte, um die Königin bloßzustellen. Außerdem saß sein Vertrauter Montague in der Bastille und würde unter Folter sicherlich gesprächsbereit sein. Sollte das alles nicht helfen, müsste man jemanden finden, der bereit wäre den Herzog zu ermorden.

"Es findet sich immer ein Fanatiker, der gerne den Märtyrer spielt. Nehmen wir an, wir finden eine Frau, die sich an Buckingham rächen möchte, und die einem solchen Fanatiker einen Dolch zuspielt…Solche Wendungen finden sich nicht selten in der Geschichte."

"Die Frau habt ihr gefunden! Und den Fanatiker wird man noch finden", erwiderte Mylady. "Und nun möchte ich Euch ebenfalls um einen Gefallen bitten."

Athos hörte mit an, wie Mylady den Kardinal darum bat, ihr d'Artagnan ans Messer zu liefern. Richelieu verlangte nach Tinte, Feder und Papier und es wurde still am anderen Ende des Ofenrohrs.

"Meine Freunde", sagte Athos, "ich muss gehen. Sagt dem Kardinal, ich sei vorausgeritten um die Gegend zu erkunden. Der Wirt habe von auffälligen Leuten gesprochen, die ums Haus streichen. Alles Weitere könnt ihr mir überlassen!"

"Sei vorsichtig", sagte Aramis.

Draußen schwang sich Athos schnell auf sein Pferd und verschwand in der Dunkelheit.

 

 

 

22. Eine Eheszene

Athos hatte genau den richtigen Zeitpunkt für sein Verschwinden gewählt, denn schon wenige Minuten danach erschien der Kardinal. Natürlich fragte er gleich nach Athos und bekam das zur Antwort, was die Musketiere besprochen hatten.

Seine Eminenz mit Begleitung schlug unverzüglich den Rückweg zum Lager ein.

Athos war zunächst langsam geradeaus geritten; als er außer Sichtweite war, galoppierte er im großen Bogen zur Gaststätte zurück. Der Wirt öffnete ihm ohne weiteres und ließ ihn in den ersten Stock, in der Annahme man habe vergessen der Dame etwas mitzuteilen.

Leise ging er den Flur entlang und erblickte durch eine halb geöffnete Tür Mylady. Er zog sich den Hut tief ins Gesicht, betrat lautlos das Zimmer und schloss die Tür. Beim Anblick dieser stummen Gestalt rief Lady Clarick ängstlich: "Wer seid Ihr und was wollt Ihr?"

"Wahrhaftig, sie ist es!", murmelte Athos und schob den Hut zurück. "Erkennt Ihr mich, Madame?", fragte er.

Mylady wich zurück, als habe sie eine Schlange erblickt. "Graf de La Fère!", stammelte sie und wich bis zur Wand zurück.

"Ja!", rief Athos, "der Graf de La Fère, für Euch aus dem Jenseits zurückgekehrt. Ich bin gekommen, um Euch mitzuteilen, dass ich über alle Eure Schritte unterrichtet bin. Tötet den Herzog von Buckingham, oder lasst ihn umbringen - das kümmert mich nicht. Aber wenn Ihr Herrn d'Artagnan auch nur ein Haar krümmt, schwöre ich Euch, es bedeutet Euer Ende."

"Dieser Kerl hat mich zutiefst beleidigt. Er muss sterben!"

"Kann Euch, Anna von Breuil, wirklich jemand so verletzen?", höhnte Athos. Er spürte den Hass in sich aufsteigen. Mordlust packte ihn. Mit der Pistole auf Myladys Stirn gerichtet stieß er hervor: "Anna von Breuil! Ihr werdet mir auf der Stelle das Papier aushändigen, das Euch der Kardinal gegeben hat. Ich gebe Euch genau drei Sekunden!"

An der Art, wie Athos seine Gesichtsmuskeln spannte, erkannte Mylady, dass der Schuss jeden Moment fallen würde. Sie griff in ihr Mieder und streckte ihm das Schreiben entgegen. "Der Teufel soll Euch holen!"

Athos steckte die Pistole zurück und las: Der Besitzer dieses Schreibens hat auf meinen Befehl und zum Wohle des Staates gehandelt. Richelieu, am 3. August 1628

Er verließ das Zimmer, eilte zur Gaststätte hinaus und schwang sich in seinen Sattel. Sein Ritt führte ihn querfeldein und so gelang es ihm, den Kardinal zu überholen. Er rieb sein Pferd mit Heidekraut und Laub ab und rief dem Trupp entgegen: "Wer da?"

"Das ist wohl unser wackerer Musketier?", fragte der Kardinal. "Habt Dank für die gute Vorhut."

Schweigend ritten die drei Freunde zu ihren Quartieren. Dort schickten sie Mousqueton zu Planchet, mit der Aufforderung, d'Artagnan solle so bald als möglich zu ihnen kommen.

Mylady kam noch in derselben Nacht in England an. Für einen Moment hatte sie überlegt dem Kardinal von dem Vorfall mit Athos zu erzählen, doch dann erkannte sie, dass ihr Chancen zu schlecht standen und verschob alles auf einen späteren Zeitpunkt.

Für ein Treffen, bei dem die vier Freunde alle Vorkommnisse besprechen konnten, brauchten sie einen Ort, an dem sie niemand belauschte. Es war Athos, der auf die Idee kam auf der Bastion Saint-Gervais die in der vergangen Nacht von den königlichen Truppen eingenommen worden war, zu frühstücken. Vier Gardisten, die das mitbekamen wetteten mit ihnen, dass sie es keine Stunde dort oben aushalten würden.

Mit Grimaud im Schlepptau, machten sie sich auf den Weg. In der Bastion lagen etwa ein Dutzend Tote aus beiden Lagern und zahlreiche Musketen sowie Kugeln. Grimaud wurde angewiesen die Gewehre zu laden und die Freunde machten es sich bequem um ihr Frühstück einzunehmen und ihre Unterhaltung zu beginnen.

"Jetzt werde ich hoffentlich endlich dein Geheimnis erfahren, Athos", begann d'Artagnan.

"Nun, ich hatte letzte Nacht eine Unterhaltung mit Mylady. Sie dürfte bereits England erreicht haben."

"Wer, bitte schön, ist den diese Dame", schaltete sich Porthos ein.

"Eine junge Dame, der unser junger Freund einen üblen Streich gespielt hat. Nun will sie sich an ihm rächen. Da aber weder ein Musketenschuss noch vergifteter Wein halfen, erbat sie sich gestern vom Kardinal seinen Kopf."

"Was?", schrie d'Artagnan. "Ich bin verloren!"

In diesem Moment meldete Grimaud Angreifer. Ein Trupp von knapp zwanzig Leuten näherte sich der Bastion. Die vier Freunde feuerten ihre Musketen ab und nach den ersten Treffern, flüchteten die Männer.

"Wo waren wir stehen geblieben?", fragte Athos, der sich seelenruhig wieder zum Essen setzte.

"Bei Mylady. Was hat sie jetzt vor?"

"Buckingham ermorden. Aber das ist nicht so wichtig - wir sind im Krieg und er ist unser Feind. Viel wichtiger war mir, ihr den Freibrief vom Kardinal abzunehmen. Dieses Schreiben werden wir gut aufbewahren und zu gegebner Zeit einsetzen."

"Den Herzog gebe ich so schnell nicht auf. Er ist unser Freund. Ich habe eine Idee", sagte d'Artagnan.

"Zu den Waffen", schrie Grimaud plötzlich.

Die Musketiere sprangen zu ihren Gewehren. Dieses Mal rückten fünfundzwanzig Soldaten an. Sie schossen, so lange ihre Gewehre geladen waren. Der Gegner zählte noch zwölf Mann. Athos befahl allen, sich gegen die Mauer zu lehnen, die nur durch ein Wunder noch stand. Sie gab sofort nach und stürzte mit fürchterlichem Getöse den Hang hinab. Eine Staubwolke stieg auf, dann war alles vorbei.

"Meine Herren, wir sind nun schon eine Stunde hier, unsere Wette wäre gewonnen. Aber du wolltest uns deinen Plan mitteilen d'Artagnan", sagte Athos.

"Richtig! Ich reise zu Buckingham und warne ihn."

"Das wirst du hübsch bleiben lassen. Wir sind im Krieg - dein Handeln wäre Landesverrat."

Da wurde das Gespräch ein drittes Mal unterbrochen. Grimaud meldete den Anzug einer ganzen Armee. Athos befohl ihm die Toten an die Schießscharten zu drapieren und ihnen eine Muskete in die Hand zu geben.

"Bis sie da sind, bleibt uns noch eine Viertel Stunde. D'Artagnan, Mylady hat einen Schwager, sagtest du. Einen, der ihr nicht wohlgesonnen ist! Den müssen wir ausfindig machen und ihn von den Plänen seiner Schwägerin unterrichten. Er darf sie nicht aus den Augen lassen. Notfalls muss er sie einsperren."

"Ich bin aber dafür, dass wir auch die Königin unterrichten. Ich habe eine Bekannte in Tour, die den Brief Ihrer Majestät zustellen kann. Das könnte Bazin übernehmen", schlug Aramis vor.

"Und Planchet reist nach London, dort hält sich Lord Winter gerade auf, so viel ich weiß", sagte d'Artagnan.

Die Angreifer waren schon bedrohlich nah, als sich unsere Helden auf den Rückweg ins Lager machten. Dort angekommen, hörten sie Schüsse. "Worauf schießen sie denn?", fragte Porthos.

"Auf die Toten, die Grimaud so fantasievoll aufgestellt hat", lachte Athos.

Sie wurden mit großem Jubel und Anerkennung empfangen. Als der Kardinal von dem Vorfall erfuhr, suchte er das Gespräch mit Herrn de Tréville: "Lieber Hauptmann, Eure Musketiere sind echte Helden. Wollen sie nicht Herrn d'Artagnan auch bei den Musketieren aufnehmen. Es ist nur Recht, wenn vier so tapfere Soldaten, die so aneinander hängen, in derselben Kompanie dienen."

Gleich nach der Unterhaltung teilte Tréville den Vieren die gute Nachricht mit und lud sie für den nächsten Tag zum Frühstück ein.

Noch am selben Abend sprach d'Artagnan bei Herrn des Essarts vor, um ihm die Meldung zu überbringen. Da Herr des Essarts den jungen Mann stets gut leiden konnte, nahm dieser die Gelegenheit wahr und bat ihn seinen Diamanten, den er von Königin hatte, zu schätzen. Das Geld brauchten sie für die Ausführung ihres Planes gegen Mylady.

Am nächsten Morgen erschien der Lakai des Herrn des Essarts und übergab d'Artagnan einen Beutel mit siebentausend Dukaten.

 

 

 

23. Familienangelegenheiten

Das Frühstück bei Herrn de Tréville verlief in fröhlicher Stimmung. D'Artagnan war in seiner neuen Uniform erschienen. Hätte nicht Mylady seine Laune getrübt, wäre er der glücklichste Mensch gewesen.

Am Abend trafen sie sich, um die Angelegenheit um Lady Clarick endgültig zu besprechen. Aramis wurde auserwählt, die Briefe an Lord Winter und an die Dame in Tour zu schreiben. Dabei musste jedes Wort wohlüberlegt sein, falls die Schreiben den falschen Personen in die Hände gerieten.

Der Brief an Lord Winter enthielt eine Anspielung auf das Duell am Luxembourg, damit er wusste, von wem diese Zeilen stammten. Weiter warnten sie ihn vor seiner Schwägerin, die er als seine Erbin eingesetzt hat und die ihm nach dem Leben trachtete. Als sie seinen Bruder heiratete sei sie noch in Frankreich verheiratet gewesen. Als Beweis für ihre Vergangenheit solle er ihre linke Schulter betrachten. Er wurde unterrichtet, dass Mylady auf dem Weg nach London war und er sie nicht aus den Augen lassen dürfe.

Die Dame in Tour bekam einen Brief, der mit "Liebe Base" begann. Mit blumigen Worten, die kein Dritter verstehen würde, bat Aramis sie, ihre Schwester zu unterrichten, dass er geträumt habe, Buckingham wäre gestorben. Er wusste, dass sein Bekannte die Zeilen richtig verstehen und die Königin warnen würde.

Planchet wurde gerufen. Er bekam siebenhundert Dukaten Reisegeld und ihm wurden sechzehn Tage für die Reise zugestanden. Den Brief nähte er in seinen Rockaufschlag und lernte für alle Fälle den Inhalt vorher auswendig.

Bazin bekam dreihundert Dukaten und sollte in acht Tagen wieder aus Tour zurück sein.

Während die beiden Diener unterwegs waren, hielten die vier Kameraden Augen und Ohren besonders weit geöffnet. Frühmorgens am achten Tag erschien Bazin in der Schenke, wo unsere Freunde gerade frühstückten und übergab seinem Herrn einen Antwortbrief.

"Lieber Vetter, ich deute Träume ebenso gut wie meine Schwester; daher sind wir sehr beunruhigt. Doch was Euren Traum angeht, so wollen wir hoffen, dass Träume nur Schäume sind. Bleibt gesund und lasst von Zeit zu Zeit etwas von Euch hören. Eure Base"

Der sechzehnte Tag verstrich nur mühsam und die Musketiere begannen sich bereits zu sorgen. Doch um acht Uhr, tauchte Planchet plötzlich in der Dunkelheit auf. Er übergab d'Artagnan einen Brief von Lord Winter, den sie zur Sicherheit erst in ihrer Unterkunft lasen: "Vielen Dank, macht Euch keine Sorgen!" Athos hielt ihn an den Leuchter und verbrannte ihn.

Endlich trennten sich die Freunde, um einmal wieder eine Nacht ruhig zu schlafen.

Inzwischen wartete Richelieu vergeblich auf Nachrichten von Mylady, dass er Buckingham nicht mehr zu fürchten brauche. Stattdessen kam die Kunde, dass der Herzog mit einer riesigen Flotte den Bürgern von La Rochelle zu Hilfe eilte. Diese Wendung versetzte den Kardinal in Alarmbereitschaft, während die königliche Armee ein lustiges Leben führte.

Auf einem Hügel am Strand lagen die vier Männer mit etlichen leeren Weinflaschen im Sand und lasen einen erneuten Brief der angeblichen Base von Aramis.

Diesem Brief war eindeutig zu entnehmen, dass Frau Bonacieux sich in einem Kloster in Béthune befand und es ihr gut ging. Die Zeilen machten d'Artagnan zum glücklichsten Menschen und sie beschlossen, sobald die Belagerung vorbei war, eine Reise dorthin zu unternehmen.

 

 

 

24. Gefangen

Mylady war von ihren Begleitern zwar ehrerbietig aber doch wie eine Gefangene von La Rochelle auf ein Schiff gebracht worden. Der Gedanke an Athos und d'Artagnan machte sie derart wütend, dass sie am liebsten ins offene Meer gesprungen wäre. Der Kapitän ließ nicht mit sich reden und das stürmische Wetter tat sein übriges. Erst am neunten Tag legten sie in Portsmouth an, wo Planchet gerade damit beschäftigt war, sich nach Frankreich einzuschiffen.

Buckingham stand in prächtiger Uniform von seinem Gefolge umringt auf der Hafenmole, bereit Richtung La Rochelle auszulaufen.

Mylady wurde von einem jungen Offizier auf ein Beiboot gebracht. Widerwillig folgte sie ihm: "Wer seid Ihr und welchem Umstand habe ich Eure Fürsorge zu verdanken?"

"Ich bin Offizier der englischen Marine, Madame. In Kriegszeiten müssen Fremde in bestimmte Herbergen der Regierung geführt werden."

"Aber ich bin keine Fremde", sagte sie in reinstem Englisch. "Ich bin Lady Winter."

Doch der junge Offizier duldete keinen Widerspruch. Am Kai angelangt, wartete eine Kutsche. Die Fahrt führte aus der Stadt hinaus und es wurde dunkel. Mylady protestierte und begann um Hilfe zu rufen, aber es passierte nichts. Nach etwa einstündiger Fahrt hielt der Wagen vor einem düsteren Schloss.

"Es sieht beinahe so aus, als sei ich Eure Gefangene", sagte Mylady als der Offizier sie in ihr Zimmer brachte, dessen Fenster Gitter hatte und sich mit einem Riegel versperren ließ. Sie verlor die Fassung und sank auf einen Stuhl.

"Was will man von mir?"

Da nahten Schritte. Im Lichtkreis der Lampe erkannte Mylady ihren Schwager Lord Winter. "Ich bin also Eure Gefangene? Das ist üble Gewalt!"

"Keine großen Worte! Setzen wir uns lieber." Dann wandte sich Lord Winter an den jungen Offizier: "Es ist gut Felton, ich danke Euch; lasst uns allein!"

Lord Winter nahm einen Stuhl und begann die Unterhaltung. Er erfuhr, dass Mylady vorhatte ihn zu besuchen. Diese Aussage, deckte sich mit den Warnungen aus dem Brief von d'Artagnan.

"Nun, Ihr seid also gekommen, um mich zu sehen? Schließlich seid Ihr meine einzige Erbin - ein verständlicher Wunsch! So werdet ihr mich ab jetzt jeden Tag sehen."

"Wollt Ihr mich etwas für immer gefangen halten?"

"So würde ich das nicht sagen. Ich werde es Euch so bequem machen, wie möglich. Sagt mir nur, wie Ihr es von Eurem ersten Gatten in Frankreich gewohnt ward."

"Mein erster Mann?", rief Mylady und starrte Lord Winter an.

"Ja, sollte ich ihn vielleicht selbst fragen, schließlich lebt er noch! Obwohl ich weiß, dass Ihr die Angewohnheit habt, Menschen die Euch unbequem sind, aus dem Weg zu schaffen", und mit diesen Worten deutete er unmissverständlich auf ihre linke Schulter.

Myladys Gesicht verzerrte sich in grenzenlosen Hass und ihrer Kehle entrann ein Röcheln. Lord Winter schüttelte sich bei diesem Anblick vor Grauen.

"Ihr bleibt hier, bis ich mit dem Heer nach La Rochelle muss. Dann werdet ihr auf eine unsere Kolonien gebracht. Ich gebe Euch einen Begleiter mit, der Euch beim ersten Fluchtversuch über den Haufen schießt!"

Lord Winter trat zur Tür und rief: "Felton!"

Der junge Leutnant tauchte auf und trat ein.

"Lieber John, seht Euch diese Dame gut an. Sie ist jung und schön und beherrscht alle Verführungskünste. Dennoch ist sie ein Ungeheuer, das bereits die schlimmsten Verbrechen begangen hat. Sie wird versuchen Euch zu verführen und vielleicht auch Euch zu töten. Felton, ich habe Euch aus Not und Elend befreit und sogar Euer Leben gerettet. Diese Frau kam nach England, um mich zu töten. Nun bitte ich Euch mein Freund: beschützt Euch und mich vor dieser Schlange!"

"Mylord", rief der junge Offizier, "ich schwöre Euch, alles zu tun, was Ihr von mir erwartet."

Myldys Mimik war wie umgewandelt. Ihr wunderschönes Gesicht nahm einen demütigen Ausdruck an, sodass selbst Lord Winter kaum die böse Kreatur von eben erkannte.

Erst als die beiden Männer sich entfernten, wurden ihre Züge wieder bösartig und sie ließ sich auf einen Lehnstuhl fallen um nachzudenken.

Die ersten Augenblicke der Gefangenschaft waren schrecklich. Allmählich jedoch überwand sie ihre Wutanfälle. Stunden vergingen, bis sie Schritte hörte. Sie drapierte sich in ihren Lehnstuhl und wollte den Eindruck einer Ohnmächtigen machen. Doch Felton interessierte sich nicht für sie. Er ließ den Lord rufen. Doch der war der Letzte, den sie sehen wollte und sie schlug anmutig ihre Augen auf.

In diesem Moment erschien ihr Schwager mit einem Fläschchen Riechsalz in der Tür. "Felton, soeben sei Ihr Zeuge vom ersten Akt ihrer Komödie geworden. Ihr seid doch nicht auf sie hereingefallen?", lachte Lord Winter.

"Ich ahnte es schon, aber ich wollte es nicht an der Rücksicht gegenüber einer Frau fehlen lassen."

Mylady bebte vor Zorn. Die Männer verließen lachend das Zimmer und Mylady stürzte zum Tisch und griff nach dem Messer auf dem Tablett mit Essen, das nur abgerundet und aus Silber war. Da wurde die Tür abermals geöffnet.

"Oho, sie doch, Felton. Mit diesem Messer hätte sie dich umgebracht. Das ist so ihre Art."

Diese Bemerkung war zu viel, das Messer fiel zu Boden.

"Ihr hattet Recht, Mylord", sagte Felton in einem Ton, der tiefe Abscheu verriet.

"Ich bin verloren", murmelte Mylady, als die Tür ins Schloss gefallen war. Aber die Bemerkung des Offiziers verriet ihr, dass er zuvor zu ihren Gunsten gesprochen hatte. Sie musste nur irgendwie sein Mitleid wecken. Felton ist ein harmloser, tugendhafter Jüngling. Vielleicht konnte sie bei ihm doch etwas erreichen.

 

 

 

25. Kampf um die Freiheit

Am anderen Morgen erschien eine Kammerdienerin, die Lord Winter für Mylady hatte kommen lassen. Sie fand Mylady blass und kränklich in ihrem Bett.

"Ich habe Fieber", sagte sie.

"Soll ich den Arzt rufen?", fragte die Frau.

Doch der würde schnell feststellen, dass das Fieber nur erfunden war und daher sagte sie schnell: "Ein Arzt, wozu? Die Herrn glauben mir eh nicht."

Felton, der an der Tür stand, rief: "Ich werde Lord Winter rufen lassen."

"Oh nein, nur nicht ihn!", rief Mylady eindringlich. "Mir fehlt nichts - es geht mir gut." Unwillkürlich machte der Offizier einen Schritt auf sie zu. Aha, es geht ihm zu Herzen, dachte sie.

Sie sank in ihre Kissen zurück und weinte unaufhörlich. Daher verzogen sich die Frau und Felton. Lord Winter erschien nicht! Lady Clarick spürte, dass sich ihre Lage besserte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie den jungen Mann auf ihrer Seite hatte.

Es schlug zehn und Felton erschien mit einer Bibel in der Hand und erklärte, dass Lord Winter, der Katholik war, wie Mylady selbst, dieses Buch für ihre täglichen Gebeten schicken würde.

Lady Clarick begann nachzudenken. Felton hatte diese Worte so seltsam betont. Sie betrachtete ihn eindringlich und nahm den strengen Haarschnitt und die auffallend schlichte Kleidung wahr. Da erkannte sie, dass Felton ein Puritaner sein musste. Sogleich erkannte sie dich Möglichkeit, wie sie diese Tatsache für sich nutzen konnte.

"Ich, Katholikin? Lord Winter weiß genau, dass ich nicht seinem Glauben angehöre. Ich vertraue auf meinen Gott, der mich retten wird - oder ich gehe für meine Religion zugrunde. Das können Sie Lord Winter ausrichten."

Als das Abendbrot gebracht wurde, begann Mylady laut zu beten. Gebete, die sie vom Diener ihres zweiten Mannes, der ein streng gläubiger Puritaner war, gelernt hatte. Sie wusste sehr wohl, dass Felton jedes ihrer Worte hörte. Danach aß und trank sie nur ein wenig.

Etwas später stimmte sie mit glockenheller Stimme den ersten Vers eines bei den Puritanern üblichen Psalms an. Nebenher lauschte sie, ob man sie auch hörte und sang noch inbrünstiger, als sie Feltons Schritte vernahm.

Die Tür wurde aufgerissen und Felton fragte: "Warum singt Ihr mit solcher Stimme?"

"Verzeiht, mein Herr, ich vergaß, dass in diesem Schloss solche Lieder nicht geduldet sind. Aber es geschah nicht in böser Absicht."

In diesem Moment war sie schön wie nie durch ihre fromme Begeisterung und Felton kam es vor, den Engel zu sehen, den er bis eben nur gehört hatte. Schnell verließ er das Gemach, er fürchtete weich zu werden.

Mit jeder Mahlzeit gelang es Lady Clarick den jungen Offizier etwas mehr anzulocken. Als er sich in ein Gespräch verwickeln ließ, flehte sie ihn an, ihr zu glauben, dass sie unschuldig wäre. Mylady wusste sehr wohl, dass die Puritaner einen Mann im Staat hassten und das war der Herzog von Buckingham.

Sie tischte ihm eine Geschichte auf, in der der Herzog sie unschuldig als seine Gefangene gehalten und gequält hatte. Er habe ihr das Brandmal auf die Schulter verpasst. Mit ihren schauspielerischen Fähigkeiten überzeugte sie den jungen Offizier, dass jedes ihrer Worte die reinste Wahrheit war.

Felton fühlte, dass ihn die Kraft verließ und er wankte einige Schritte zurück.

"Seid barmherzig und gebt mir das Messer zurück, das der Lord mir abgenommen hat. Ich brauche es nur für eine Minute, um meine Ehre zu retten!"

"Ihr wollt Euch töten?", rief Felton entsetzt und stürzte aus dem Zimmer.

Endlich gehörst du mir, dachte Mylady. Doch da erschien schon Lord Winter und teile ihr mit, dass sie in vier Tagen unter dem Namen Charlotte Backson, von England verbannt wurde. Sollte sie jenen Ort, der mindestens zweitausend Meilen von London entfernt sein würde, verlassen - bedeutete das den sicheren Tod.

Der Herzog von Buckingham musste nur noch den Befehl unterschreiben und dann würde er augenblicklich vollstreckt.

Vier Tage blieben ihr noch und Felton war schon fast völlig umgarnt. Sie aß etwas und stimmte dann wieder ihren Gesang an, wohl wissend, dass er vor ihrer Tür stand.

Als Felton am anderen Morgen das Zimmer betrat, stand Mylady mit einem geflochtenen Strick auf einem Stuhl. Flink sprang sie herunter und versuchte den Strick hinter ihrem Rücken zu verbergen.

Der Offizier war noch bleicher als sonst. "Was soll das, Madame?"

Sie spielte ihr Theater perfekt, sodass der junge Mann nur glauben konnte, sie wolle sich das Leben nehmen.

"Kein Wort mehr Mylady. Ihr müsst mir versprechen, nicht die Hand an Euch zu legen. Ihr müsst mir erzählen, in welcher Beziehung Lord Winter zu diesem Schurken Buckingham steht."

"Nun, nachdem mein lieber Mann gestorben war, wollte ich mein Leben in Frankreich verbringen. Doch es fehlte mir an Geld und so war ich gezwungen über Portsmouth hierher zurückzukehren. Buckingham muss Lord Winter erzählt haben, ich sei eine Gebranntmarkte eine Verbrecherin. Und er glaubt alles, was der Herzog ihm sagt. Oh, diese Schande! Felton, gebt mir das Messer!"

In diesem Augenblick ertönte Gelächter und Lord Winter betrat im Schlafrock und mit Degen den Raum. "Ei, folgt schon der letzte Akt der Tragödie? Seid unbesorgt, Felton, es wird kein Blut fließen!"

Mylady begriff, dass sie verloren war, wenn sie Felton nicht einen Beweis ihres Mutes gab. Beherzt griff sie nach dem Messer, das auf dem Tisch lag, Felton schrie. Aber es war zu spät, ihr Kleid färbte sich rot und sie fiel offenbar ohnmächtig zu Boden.

"Sie ist nicht tot. Teufel sterben nicht so einfach", sagte Lord Winter kalt.

Und er sollte Recht behalten. Die Wunde war vollkommen ungefährlich und kaum war Mylady mit ihrer Zofe alleine, schlug sie die Augen auf und spielte ihr Theater weiter. Es gab keinen Zweifel, Felton stand auf ihrer Seite.

Doch als er zur nächsten Mahlzeit nicht erschien, wurde Lady Clarick unruhig. Lord Winter erklärte ihr spöttisch, dass er den jungen Mann ihrem Einfluss entzogen habe. Außerdem solle sie ihre Sachen packen, am nächsten Morgen ginge es auf die Reise.

Gegen zehn Uhr am Abend brach ein Unwetter los. Ihr Gemüt war ebenso aufgewühlt, als sie es plötzlich ans Fenster klopfen hörte. Es war Felton! Der junge Offizier hatte die Gitterstäbe so angesägt, dass Mylady hindurchklettern konnte. Als sie erkannte, dass Felton an einer Strickleiter über dem Abgrund hing, bekam sie Angst. Doch er hielt sie fest umschlungen.

Unter ihnen liefen die Wachen ihren Kontrollgang. Es war ein schrecklicher Augenblick für die Flüchtlinge. Als sie vorbei waren flüsterte Felton: " Wir sind gerettet!"

Er brachte Mylady zu einem Schiff und erklärte ihr mit finsterem Lächeln, dass dieses zuerst nach Portsmouth fuhr, wo er Buckingham noch einen Besuch abstatten musste. Mylady bebte vor Freude; sie hatte den Fanatiker gefunden, der Buckingham ermorden würde.

An den Kapitän gewandt, sagte Felton: "Das ist die Frau, die Ihr wie besprochen nach Frankreich bringen sollt. Wir landen zuerst in der verabredeten Bucht in Portsmouth."

Und mit Mylady vereinbarte er, dass das Schiff Richtung Frankreich ablegen sollte, falls er nicht bis zehn Uhr zurück sei.

 

 

 

26. 23. August 1628

Felton wurde ohne Schwierigkeiten beim Herzog von Buckingham vorgelassen, da er sich als Gesandter von Lord Winter ausgab. Gleichzeitig mit ihm, erschien ein zweiter Mann, der ebenfalls sofort mit dem Herzog sprechen wollte. Doch Patrick, der Kammerdiener gab Felton das Vorrecht.

Ohne Umschweife kam der junge Offizier auf den Punkt und versuchte, ganz im Glauben Mylady hätte ihm die Wahrheit erzählt, den Herzog von seinem Verbannungsbefehl abzubringen. Als Buckingham erklärte, dass die Verbannung im Grunde eine viel zu Milde Strafe für die Vergehen von Lady Winter war, griff Felton nach seinem Messer.

In dem Moment trat Patrick ein und meldete einen Brief aus Frankreich. Diese Ablenkung nutzte Felton und stieß Buckingham das Messer bis ans Heft in die Seite.

"Mörder!", stöhnte Buckingham.

Felton stürzte hinaus und wollte fliehen, doch da trat ihm Lord Winter entgegen und übergab ihn den Wachen. Die brachten ihn auf eine Terrasse, von wo aus er das Meer überblicken konnte.

Der Herzog von Buckingham, der im Sterben lag - ganz so, wie Richelieu es sich ausgemalt hatte, ließ den Boten aus Frankreich kommen. Der übergab einen Brief der Königin, in dem sie ihn warnte, dass sein Leben bedroht sei. Außerdem erklärte sie ihm ihre tiefe Zuneigung.

In der Gewissheit, dass die Königin von Frankreich ihn liebte, starb Buckingham an diesem 23. August 1628.

Feltons Blick klebte in der Zwischenzeit auf dem Meer. Plötzlich zuckte er zusammen, denn während die Kirchturmuhr neun Mal schlug, erspähte er das Segelschiff, das zur Küste Frankreichs fuhr. Mylady hatte ihre Abfahrt um eine Stunde vorverlegt und nie die Absicht besessen ihn mit zu nehmen.

Nach der Ermordung des Herzogs hatte der englische König alle Häfen sperren lassen. Da aber dieser Befehl erst mit einiger Verzögerung erteilt worden war, waren bereits zwei Schiffe ausgelaufen. Das eine mit Mylady an Bord, die an den schwarzen Fahnen erkannte, dass Buckingham tot war. Wer sich auf dem zweiten Schiff befand, erfahren wir etwas später.

Während all dieser Vorkommnisse hatte sich im Lager von La Rochelle nicht viel ereilt. Daher beschloss der König nach Paris zu reisen und sich von zwanzig Musketieren begleiten zu lassen. Unsere vier Freunde wurden unter anderem dafür ausgewählt. In Paris angekommen erhielten sie von Herrn de Tréville vier Tage Urlaub.

Aramis hatte über seine Base erwirkt, dass Frau Bonacieux das Kloster in Béthune verlassen durfte und so war es der 25. August, als die vier das Wirtshaus "Zu goldenen Egge" in Arras erreichten, das auf dem Weg zum Kloster lag.

D'Artagnan hatte sich soeben ein Glas Wein bestellt, als er draußen einen Reiter Richtung Paris davon galoppieren sah. Unser Freund wurde blass, als er den Mann erblickte - es war der Unbekannte von Meung. Er wollte ihm sofort nach Paris hinterher reiten. Doch seine Freunde überzeugten ihn, dass sie mit ihren müden Pferden keine Chance hatten. Außerdem ritt er in die Richtung, aus der sie kamen.

Doch das Glück war auf ihrer Seite, denn der Unbekannte hatte einen Zettel verloren. Auf dem Stand der Ort Armentières. Aber was noch viel Wichtiger war, es war Myladys Handschrift!

"Auf, lass uns weiter reiten!", rief d'Artagnan, den eine plötzliche Furcht überkommen hatte. Im Galopp sprengten die Kameraden auf der Straße nach Béthune von dannen.

 

 

 

27. Im Kloster von Béthune

Mylady war ohne Zwischenfall in Boulogne gelandet. Sie behauptete eine Französin zu sein, die in England schwere Misshandlungen hatte erdulden müssen. Nach den Formalitäten schrieb sie an den Kardinal: Eure Eminenz können beruhigt sein. Der Herzog von Buckingham kommt nicht nach Frankreich."

Dann machte sie sich auf den Weg nach Béthune. Dort angekommen, bekam sie von der Äbtissin ein Zimmer und etwas zu Essen. Mylady zeigte sich von ihrer liebenswürdigsten Seite und die beiden kamen ins Gespräch. Dabei erfuhr sie, dass noch eine weitere Frau anwesend war, die ein Opfer des Kardinals war und sich im Kloster vor ihm versteckte.

Unverzüglich suchte sie die junge Frau auf, in der Gewissheit, dass sie auf Frau Bonacieux gestoßen war. Es war ihr ein leichtes sich bei der Herzensdame von d'Artagnan einzuschmeicheln und im Handumdrehen waren sie beste Freundinnen. Lady Clarick nahm Constanze tröstend in die Arme und wären ihre Kräfte so stark wie ihr Hass gewesen, wäre die junge Frau tot aus dieser Umarmung gesunken.

Stattdessen lächelte Mylady ihr süßestes Lächeln und Constanze erzählte von einem Schreiben, in dem ihr angekündigt wurde, dass sie bald frei sein würde.

In diesem Moment hörten die beiden Frauen Hufschläge und eilten ans Fenster. Mylady erkannte den Grafen Rochefort. Die Äbtissin kündigte den Besucher für Lady Clarick an und Frau Bonacieux zog sich diskret zurück.

Als die beiden alleine waren, erfuhr der Graf von der Ermordung Buckinghams und davon, wer sich noch im Kloster befand.

"Kennt diese Frau Euch nicht? Hält sie Euch für eine Fremde?", fragte er.

"Oh, nein. Sie hält mich für ihre beste Freundin. Aus einem Brief habe ich erfahren, dass d'Artagnan hierher unterwegs ist, um sie abzuholen. Reitet zum Kardinal und sagt ihm, dass er sich um die junge Frau keine Sorgen mehr machen solle. Ich kümmere mich um sie. Ihr werdet mich in Armentière finden. Ich schreibe Euch den Namen lieber auf, damit Ihr ihn nicht vergesst."

Wenige Stunden später ritt Rochefort durch Arras, wo er von d'Artagnan erkannt wurde, aber das wissen wir bereits.

Kaum war Rochefort gegangen, da kam Frau Bonacieux wieder.

"Frau Bonacieux, es tut mir leid, aber dieser Mann hat mir berichtet, dass man Euch in eine Falle locken möchte. Die angeblichen Musketiere sind Häscher des Kardinals und werden euch nach Paris verschleppen."

"Ach Gott, was soll ich nur tun?", rief die junge Frau verzweifelt.

"Wenn es Euch recht ist, nehme ich Euch in meinem Wagen mit. Aber wir müssen uns beeilen, geht und holt Euer Gepäck."

Frau Bonacieux kehrte gerade mit ihren Habseligkeiten in Myladys Zimmer zurück, als sie erneute das Geräusch von galoppierenden Hufen hörten. Lady Clarick erbleichte und lief zum Fenster. Dort erkannte sie d'Artagnan.

"Wir müssen fliehen, es sind die Leute des Kardinals!", rief sie.

Aber Frau Bonacieux konnte sich vor Schreck nicht von der Stelle bewegen und fiel auf die Knie. Da fielen draußen einige Schüsse. Myladys Augen begannen böse zu funkeln; sie eilte zum Tisch und schüttete den Inhalt einer Kapsel, die sich an ihrem Ring befand, in ein Glas mit Wasser, das sich rot wie Wein färbte.

"Hier, trinkt! Das wird Euch stärken."

Die junge Frau trank gehorsam.

"So wollte ich mich eigentlich nicht rächen", sagte Mylady höhnisch und verließ das Kloster durch den Klostergarten, wo ihr Wagen auf sie wartete.

Frau Bonacieux konnte nicht aufstehen und starrte nur angstvoll zur Tür. Stimmen ertönten und sie erkannte d'Artagnan. Mit einem Freudenschrei stürzte sie zur Tür: "D'Artagnan! Endlich bist du hier!"

"Constanze!" Er riss die Tür auf und fiel Frau Bonacieux vor die Füße. Sie war in einen Sessel gesunken und atmete schwer.

"Oh, teurer d'Artagnan! Ich wusste, dass du kommst, obwohl sie bis zuletzt behauptet hat, du würdest nicht kommen."

Mit schwacher Stimme erzählte Constanze von ihrer Begegnung mit der Gräfin Winter. "Sie gab mir diesen Wein zu trinken", sagte sie mit verlöschender Stimme

"Einen Arzt", schrie d'Artagnan.

"Hier hilft nichts mehr", sagte Athos. "Für dieses Gift gibt es kein Gegengift!"

Mit letzter Kraft nahm die junge Frau den Kopf von d'Artagnan zwischen ihre zitternden Hände und presste schluchzend die Lippen auf die seinen. Sie seufzte noch einmal - dann war es vorbei.

D'Artagnan stürzte neben ihr nieder, Porthos stöhnte und Athos ballte die Hand zur Faust. Aramis machte das Zeichen des Kreuzes.

In diesem Augenblick trat ein Mann auf die Schwelle - es war Lord Winter. Er war Mylady hinterher gejagt. "Sind beide tot?", fragte er entsetzt.

"D'Artagnan ist nur ohnmächtig", antwortete Athos. In diesem Moment fasste er einen Entschluss. Er veranlasste alles, damit sich die Äbtissin um die Tote kümmerte. Dann teilte er mit, dass er sich um Gräfin Winter alleine kümmern wolle.

"Mir scheint aber", bemerkte Lord Winter, "dass ich Maßnahmen gegen die Gräfin ergreifen muss, ist sie doch meine Schwägerin."

"Und meine Frau", ergänzte Athos ruhig.

Fassungslos sahen ihn Porthos, Aramis und der Lord an. D'Artagnan, der wieder bei Bewusstsein war, erkannte, wie ernst es seinem Freund war, sonst hätte er dieses Geheimnis nicht preisgegeben.

 

 

 

28. Das Gericht

Athos verließ seine Freunde und begab sich ans andere Ende der Stadt um einer ganz besonderen Person einen Besuch abzustatten. Diesem Mann zeigte er den Freibrief des Kardinals und der erklärte sich bereit zu gehorchen. Mehr wollte Athos für den Moment nicht.

Bald darauf kam von der Äbtissin die Nachricht, die Beerdigung von Frau Bonacieux finde zur Mittagsstunde statt. Lord Winter und die vier Freunde begaben sich zur angegebenen Zeit in das Kloster. Die Glocken läuteten und die Leiche war in einer Nonnentracht aufgebahrt. D'Artagnan sah sich nach seinem Diener um, aber er konnte Planchet nirgendwo entdecken.

Der war zusammen mit den anderen Dienern von Athos abgestellt worden, den Spuren Myladys zu folgen. Und sie hatten Erfolg. In Armentières im Gasthaus "Zur Post" erfuhr Planchet, dass sich eine einzelne Dame für mehrere Tage eingemietet hatte. Die drei anderen blieben dort, um die Gräfin zu überwachen und Planchet ritt zurück nach Béthune.

Die Trauergesellschaft kehrte von der Beerdigung zurück. Athos hieß allen zu warten. Um acht Uhr abends befahl er die Pferde zu satteln und sich bereit zu halten. D'Artagnan saß schon ungeduldig in seinem Sattel, als Athos rief: "Geduld! Es fehlt noch ein Mann!"

Da erschien ein Mann mit rotem Umhang und einer Maske. Keiner der Männer konnte sich erklären, wer er war, doch ritten sie gemeinsam von Planchet geführt davon.

In Armentières angekommen, trafen sie auf die restlichen Diener. Bazin bewachte das Zimmer von Mylady. Athos blickte durchs Fenster und erkannte die Gesuchte. Plötzlich wieherte ein Pferd. Mylady blickte auf und erkannte das bleiche Gesicht ihres Mannes. Sie schrie entsetzt auf. Athos zertrümmerte das Fenster und stand mit einem Satz im Zimmer.

Mylady wollte durch die Tür fliehen, doch dort trat ihr noch bleicher und drohender d'Artagnan entgegen.

"Tretet ein, meine Herren!", rief Athos.

Als sie die anderen Musketiere und Lord Winter sah, sank sie auf einen Schemel und streckte abwehrend beide Hände von sich. "Was wollt Ihr?", schrie sie.

"Über Euch richten!", sagte Athos. "D'Artagnan willst du beginnen?"

So trug einer nach dem anderen die schweren Vorwürfe gegen Gräfin Winter, alias Gräfin de la Fère, alias Anna von Breuil vor.

Als Athos berichtete, wie er feststellen musste, dass seine Frau eine Lilie auf der Schulter trug und gebrandmarkt war, sprang Mylady auf.

"Nennt mir den Richter, der dieses schändliche Urteil über mich gefällt hat. Es gibt keinen…"

"Still!", sagte eine Stimme. "Die Antwort darauf gebe ich." Der Mann im roten Mantel trat vor.

"Wer ist das?", schrie Lady Clarick. Da nahm sich der Mann die Maske vom Gesicht und Mylady kreischte wie von Sinnen. "Der Henker von Lille! Gnade!" Dabei sank sie auf die Knie.

"Diese Frau war als Mädchen so schön, wie sie es noch heute ist. Damals war sie Nonne in einem Kloster. Sie verführte einen jungen Priester und die beiden flohen mit gestohlenen heiligen Gefäßen. Sie wurden entdeckt und gefangen genommen. Aber sie verführte den Schließer und konnte entfliehen. Der junge Priester wurde zu zehn Jahren Kerker und zur Brandmarkung verurteilt. Da ich der Henker von Lille war, musste ich den Schuldigen brandmarken; er war mein Bruder.

Ich schwor Rache und machte mich auf die Suche. Als ich sie fand brannte ich ihr das gleiche Mal auf die Schulter. Meinem Bruder gelang am Tage meiner Rückkehr die Flucht und ich wurde wegen angeblicher Beihilfe verurteilt. Er fand das Mädchen in Berry wieder und bekam dort eine kleine Pfarrei. Er war vollkommen ahnungslos über ihre Taten und mein Schicksal und gab sie dort als seine Schwester aus. Als der Graf de la Fère sich in sie verliebte, verließ sie meinen Bruder um Unheil über einen weiteren Mann zu bringen."

Alle blickten zu Athos, der durch stummes Nicken die Worte des Henkers bestätigte.

"Meine Herren, welche Strafe soll diese Frau erleiden?", fragte Athos.

"Den Tod!", antworteten die Gefragten wie aus einem Munde.

Mylady schrie auf. Auf den Knien und mit gefalteten Händen rutschte sie zu ihren Richtern. Doch Athos trat ihr entgegen. "Himmel und Erde sind Eurer Verbrechen müde. Wenn Ihr noch beten könnt, so betet, denn Eure Stunde hat geschlagen."

Der Mann im roten Mantel packte die Unselige, stieß sie hinaus und vollstreckte das Urteil. Die Zurückgebliebenen bekreuzigten sich und atmeten erleichtert auf.

 

 

 

29. Leutnant der Musketiere

Zwei Tage später waren die Musketiere wieder in Paris und meldeten sich bei Herrn de Tréville zurück. Als der König wieder nach La Rochelle ritt, begleiteten sie ihn. Keiner von ihnen sprach ein unnötiges Wort und man hörte sie nicht lachen. Selbst der Wein schmeckte ihnen nicht mehr; lustlos saßen sie während einer Rast im Gasthaus.

D'Artagnan blickte aus dem Fenster und sprang auf, als er den Reiter erkannte. Er griff nach seinem Degen und rannte auf die Straße. Der Fremde von Meung hielt direkt vor ihm.

"Ah, endlich treffe ich Euch! Diesmal werdet Ihr mir nicht entkommen", rief er.

"Das ist auch nicht meine Absicht. Im Namen Seiner Eminenz verhafte ich Euch. Folgt mir bitte!"

"Wer seid Ihr?"

"Ich bin Graf Rochefort und habe Befehl Euch zum Kardinal zu bringen."

D'Artagnan übergab seinen Degen und gab sein Ehrenwort sich unverzüglich bei Kardinal Richelieu einzufinden. Seine Freunde begleiteten ihn und blieben vor der Tür stehen.

"Monsieur", begann Richelieu, "Ihr seid auf meinen Befehl verhaftet worden. Man klagt Euch an mit Frankreichs Feinden in Verbindung zu stehen und Staatsgeheimnisse belauscht zu haben."

"Wer beschuldigt mich? Etwas eine vom Henker gebrandmarkte Frau, die mit zwei Männer zur selben Zeit verheiratet war, ihren zweiten Mann vergiftet hat und mich ebenfalls vergiften wollte?"

Der Kardinal schien bestürzt. "Was redet Ihr da! Von wem sprecht Ihr?"

"Von Lady Clarick, oder der Gräfin Winter."

"Wenn die Gräfin diese Verbrechen begangen hat, so soll sie schwer bestraft werden."

"Die Frau ist bereits gerichtet. Sie ist tot."

"Tot?" Den Kardinal ergriff ein Grauen und er schwieg lange. "Ihr habt Euch also selbst als Richter aufgeworfen. Das ist ebenfalls strafbar und kommt einem Mord gleich."

"Wenn ich nicht d'Artagnan hieße, könnte ich Eurer Eminenz antworten, dass ich den Gnadenbrief, der mich in jedem Fall retten würde, in der Tasche trage. Er wurde von Euch selbst unterzeichnet."

Wortlos überreichte er dem Kardinal jenes Schreiben, das Athos Mylady entrissen hatte. Richelieu las es und zerriss es in kleine Stücke.

Ich bin also verloren, dachte d'Artagnan. Aber er war entschlossen, dem Kardinal zu zeigen, wie ein Edelmann stirbt. Er verneigte sich schweigend, als wolle er sagen: Euer Wille geschehe.

Der Kardinal trat an den Arbeitstisch, schrieb im Stehen einige Worte auf ein Pergament, das zur Hälfte bereits beschrieben war. Dann drückte er sein mächtiges Siegel darauf.

"Hier, Monsieur", sagte er, das Pergament d'Artagnan in die Hand drückend, "habt Ihr einen Freibrief für jenen, den ich Euch eben abgenommen habe. Es fehlt nur noch der Name, den müsst Ihr selbst einsetzen."

D'Artagnan warf einen Blick auf das Blatt. Es war eine Ernennungsurkunde zum Leutnant der Musketiere. Er stürzte dem Kardinal vor die Füße. "Monseigneur, mein Leben gehört Euch. Wie habe ich diese Gunst verdient? Ich habe drei Freunde, die ihrer viel würdiger wären."

"Ihr seid ein tapferer junger Mann! Macht damit, was Ihr wollt." Dann rief er Rochefort. "Rochefort, hier stelle ich Euch d'Artagnan vor, der jetzt zum Kreise meiner Freunde gehören wird. Umarmt einander, meine Herren."

Der Kardinal lächelte voller Ironie, wusste er doch, dass die beiden spinnefeind waren. Dennoch kamen sie dem Befehl nach. Vor der Türe hörten sie jedoch mit den Freundlichkeiten auf und verabredeten sich zu einem Duell.

Athos empfing seinen Freund mit einem freudigen Lächeln. "Wir wurden schon ungeduldig."

"Ja, Freunde, da bin ich wieder. Ich bin nicht nur frei, sondern erfreue mich der Gunst der Kardinals. Heute Abend erzähle ich Euch alles."

Am Abend ging er zuerst zu Athos, der vor einer Flasche spanischem Wein saß. Er erzählte ausführlich und überreichte seinem Freund schließlich die Urkunde. "Nimm, was dir vor uns allen am meisten gebührt!"

Athos lächelte. "Nein, nein. Für Athos wäre es zu viel, für den Grafen de la Fère zu wenig. Es ist deine Beförderung."

D'Artagnan erhob sich und suchte Porthos auf. Er traf ihn vor dem Spiegel in einem prächtigen neuen Rock.

"Wie sehe ich aus?", fragte Porthos.

"Wundervoll, aber ich bin gekommen um dir einen schöneren anzubieten. Den Leutnantsrock!"

Als er Porthos alles erzählt hatte, erklärte der: "Als wir nach Béthune ritten, ist der Gatte meiner Herzogin gestorben. Sie ist sehr reich und wir werden heiraten. Behalte deine Beförderung. Du hast sie mehr als verdient."

D'Artagnan ging Stirn runzelnd zu Aramis. Er traf ihn betend. Auch er wies das Leutnantspatent ab und erklärte, dass er den Entschluss gefasst habe, ins Kloster einzutreten.

Halb lachend und halb weinend kehrte er zu Athos zurück, der beim letzten Glas saß und rief: "Auch sie haben mich abgewiesen!"

"Ganz einfach", lächelte Athos, "keiner ist dieser Gunst würdiger als du!" Er nahm eine Feder und setzte d'Artagnans Namen auf das Pergament.

 

 

 

30. Ausklang

Es bleibt nicht mehr viel zu berichten. Nach einjähriger Belagerung ergaben sich die tapferen Bürger von la Rochelle.

D'Artagnan trat seine Leutnantsstelle an. Porthos nahm seinen Abschied und heiratete die Herzogin.

Aramis macht eine Reise ins Lothringische und war plötzlich verschollen. Später erfuhr man durch Frau von Chevreuse, dass er in Nancy in ein Kloster eingetreten sei. Der wackere Bazin wurde Laienbruder im gleichen Kloster.

Athos diente unter d'Artagnan als Musketier, bis er im Jahre 1631 ins Zivilleben zurückkehrte, weil er angeblich eine kleine Erbschaft gemacht hatte, Grimaud, folgte seinem Herrn.

Übrigens: dreimal schlug sich d'Artagnan mit dem Grafen Rochefort und dreimal verwundete er ihn. Beim dritten Mal reichten sie sich die Hand und wurden Freunde.

Planchet wurde Korporal bei der Garde.

Herr Bonacieux, der übrigens noch heute, und sei es in der Hölle, auf d'Artagnan Mietzahlungen wartet, lebte zunächst friedlich weiter. Er wusste nicht, was aus seiner Frau geworden war, und es kümmerte ihn auch nicht. Er freute sich weiterhin, ein Freund des Kardinals zu sein.

Als eine geraume Zeit verstrichen war, ohne dass ihn der Kardinal aufgesucht hatte, beging er die Dummheit sich selbst Seiner Eminenz in Erinnerung zu bringen. Der Kardinal ließ ihm antworten, dass es ihm fortan an nicht mehr mangeln sollte.

Und wirklich, Herr Bonacieux kehrte von einem Ausgang in die Stadt nie wieder nach Hause zurück. Leute, die sich in solchen Dingen auskennen, waren der Meinung, er sei auf Kosten Seiner großmütigen Eminenz bei freier Kost und Wohnung in irgendeinem Schloss untergebracht worden.

Möglicherweise auch in der Bastille!