Michael Strogoff

  • Autor: Verne, Jules

Wenig später öffnete sich wieder Tür und der Posten meldete General Kissoff an, der sofort eintrat.

"Wo ist der Kurier?", fragte der Zar ungeduldig.

"Wartet im Vorzimmer!"

"Glaubst du, er ist der richtige Mann?"

"Ich verbürge mich für ihn. Er war bei der Leibwache, danach bei der Palastwache. Ich kenne ihn persönlich und er hat schon einige verdammt schwierige Sonderaufgaben mit Bravour gelöst."

"Kennt er Sibirien?"

"Er ist in Sibirien geboren - in Omsk. Er ist dreißig Jahre alt, gesund und kräftig und bringt alles mit, was ein Mann braucht, um dort durchzukommen, wo andere längst aufgeben. Er selbst ist aus Eisen und sein Herz ist aus reinem Gold!"

"Sein Name?"

"Michael Strogoff."

"Soll eintreten."

General Kissoff verschwand kurz und kam mit dem Mann zurück, der die schier unlösbare Mission für den Zaren ausführen sollte.

Michael Strogoff war groß, schlank, mit breiten Schultern und mächtiger Brust. Auf seinem Kopf kräuselten sich Locken, die unter seiner moskowitischen Mütze hervorschauten. Seine sympathischen Augen funkelten tiefblau und voll selbstbewusster Offenheit.

Er trug eine elegante Uniform, die an der Brust mit zahlreichen Auszeichnungen bestückt war. Zur Elitetruppe der Kuriere des Zaren gehörte er seit geraumer Zeit und sah man in sein Gesicht, erkannte man sofort den unbedingten Gehorsam.

Man konnte sagen, wenn es überhaupt einem Menschen gelingen sollte, die Reise von Moskau nah Irkutsk in der gegenwärtigen Situation durchzustehen, dann musste dieser Mensch Michael Strogoff heißen.

Von seinem Vater, Peter Strogoff, hatte er schon als kleiner Junge alles gelernt, was man zum Überleben in der Wildnis wissen musste. Mit vierzehn Jahren erlegte er seinen ersten Bären und weder Frost noch Hitze, Hunger oder Durst konnten ihm etwas anhaben.

Seine Mutter lebte seit dem Tod seines Vaters vor zehn Jahren alleine in Omsk. Marfa Strogoff war es schwer ums Herz, aber sie hatte Verständnis, als ihr Sohn mit zwanzig Jahren ging, um dem Zaren zu dienen. Michael besuchte seine Mutter so oft es ihm möglich war. Nach jeder gefährlichen Expedition verbrachte er seinen wohlverdienten Urlaub zu Hause, egal wie beschwerlich der Weg dorthin auch sein mochte.

Zu dem Zeitpunkt, als er nun zum Zaren gerufen wurde, hatte er seine geliebte Mutter seit drei Jahren nicht mehr besuchen können. In wenigen Tagen sollte er seinen Jahresurlaub antreten und er hatte bereits alle Vorkehrungen für die Reise getroffen.

Er trat ein und salutierte. Von dem, was auf ihn wartete, hatte er nicht die geringste Ahnung.

Der Zar musterte ihn schweigend. Zufrieden nahm er ein Schriftstück von seinem Schreibtisch und winkte den Kurier heran.

"Dein Name?"

"Michael Strogoff, Sire!"

"Dienstgrad?"

"Hauptmann bei den Kurieren des Zaren."

"Du kennst Sibirien?"

"Ich wurde in Omsk geboren."

"Hast du dort Verwandte?"

"Meine Mutter."

Der Zar zeigte dem Kurier den Brief und fuhr fort: "Dies ist ein sehr wichtiges Schreiben, Michael Strogoff. Ich befehle dir hiermit, diesen Brief auf dem schnellsten Weg meinem Bruder, dem Großfürsten, eigenhändig abzuliefern."

"Ich werde den Befehl ausführen, Sire!"

"Du wirst durch Gebiete reisen, die von Tataren überfallen werden und von Rebellen unsicher gemacht werden. Diese Leute werden großes Interesse an diesem Brief haben. Vor allen nimm dich in Acht vor einem gewissen Iwan Ogareff, ein Deserteur."

"Sollte er mir begegnen, werde ich ihm ausweichen!"

"Dein Weg führt über Omsk?"

"Es ist der nächste."

"Ein Treffen mit deiner Mutter ist zu gefährlich. Du darfst sie also nicht besuchen."

Michael Strogoff zögerte nur einen kurzen Augenblick, dann willigte er ein. Der Zar erklärte ihm nochmals eindringlich, dass niemand erfahren dürfe, wer er war und wohin seine Reise ging. Dann übergab er ihm das Schreiben.

"Der Brief wird unversehrt in die Hände Eures Bruders gelangen."

Die kurzen und deutlichen Worte machten auf den Zaren großen Eindruck und er schien zufrieden und voller Vertrauen.

"Dann geh jetzt mit Gott! Für Russland, für meinen Bruder und für mich!"

Der Kurier grüßte militärisch und verließ das Kabinett.