Das Abenteuer beginnt

  • Autor: Twain, Mark

Kein Land war für umherziehende Lügner so geeignet wie dieses. Kaum ein Monat verging, ohne dass einem die Geschichte irgendeiner Prinzessin zu Ohren kam, die dringend Hilfe benötigte.

Als ich nun eines Tages nicht da war, kam ein Mädchen und erzählte eine Geschichte im üblichen Muster. Ihr Herrin werde in einer gewaltigen düsteren Burg zusammen mir vierundvierzig anderen schönen Mädchen seit sechsundzwanzig Jahren von drei riesigen Brüdern, von denen jeder vier Arme und ein Auge habe, gefangen gehalten.

Wer sollte das glauben? Der König und die gesamte Tafelrunde waren vor Freude über ein solches Abenteuer ganz außer sich. Alle rissen sich um diese Gelegenheit. Aber zu meinem Ärger und Kummer übertrug sie der König mir, der ich überhaupt nicht darum gebeten hatte.

Clarence überbrachte mir die freudige Nachricht. Er war ganz aus dem Häuschen und so unterdrückte ich meinen Verdruss, um ebenfalls fröhlich zu wirken.

Man muss aus allem das Beste machen und nicht die Zeit mit nutzlosem Ärger vergeuden. Daher schickte ich nach dem Mädchen. Es war ein hübsches Ding, sanft und bescheiden. Unser Gespräch war, sagen wir, unergiebig. Ich befragte sie eingehend, aber erfuhr weder den Ort noch die Himmelsrichtung, in die ich zu reiten hatte.

Ich teilte dies Clarence mit und der wunderte sich sehr:

"Aber Euer Gnaden, was kümmert euch der Weg. Das Mädchen wird euch doch führen. Sie wird mit dir reiten!"

"Mit mir reiten? Unsinn! Sie soll mit mir allein durch Berge und Wälder ziehen und das, wo ich so gut wie verlobt bin? Das ist ein Skandal!"

Durch diese unbedachte Aussage hatte ich die Neugierde des Jungen geweckt. Wie konnte er wissen, dass dreizehnhundert Jahre später eine wunderbare Frau auf mich wartete. Ich ließ mich erweichen und vertraute Clarence unter größter Geheimhaltung den Namen an - Puss Flanagan.

Da er von einer solchen Gräfin noch nie etwas gehört hatte, machte er ein enttäuschtes Gesicht. Ich seufzte nur und beendete unser Gespräch.

Meine Expedition war der einzige Gesprächsstoff. Am nächsten Tag wollte ich in der Morgendämmerung aufbrechen. Leider hatte ich große Probleme in meine Rüstung zu kommen. Ohne die Hilfe der Jungs, hätte ich es niemals geschafft. Sie trugen mich auf mein Pferd und ich fühlte mich ganz eigenartig. Ich war bereit - nur meine Jungfer musste noch auf dem Reitkissen hinter mir Platz nehmen. Sie legte einen Arm um mich und ich ritt los.

Alle riefen Lebewohl und winkten mit ihren Schnupftüchern oder Helmen.

Schnell befanden wir uns auf dem Lande. Wunderbar erfreulich war diese waldige Einsamkeit in der kühlen Morgenluft eines frischen Herbsttages. Etwa zwei Stunden nach Sonnenaufgang war es allerdings nicht mehr ganz so angenehm. Allmählich wurde es heiß. Vor uns lag eine lange Strecke ganz ohne Schatten.

Der Staub des Bodens wirbelte in Wolken direkt in mein Visier und meine Gesichtsöffnungen, brachte mich zum Niesen und Weinen. In meinem Eisengefängnis wurde es immer heißer. Ich begann Dinge zu sagen, die ich besser nicht hätte sagen sollen. Aber wenn einem derartig heiß ist, regt jede Kleinigkeit auf.

Man kennt das ja - der Schweiß rinnt und es kommt unweigerlich der Moment, in dem es einen juckt. Ich war drinnen und meine Hände draußen - und zwischen uns nichts als Eisen. Als es am Schlimmsten war und ich glaubte es nicht länger auszuhalten, kam eine Fliege durch das Gitter herein und setzte sich auf meine Nase.

Sie machte sich einen Spaß daraus von Mund zu Ohr zu Nase zu brummen und stach mehrere Male zu. Das konnte ich nicht länger ertragen. Ich stieg vom Pferd und ließ meine Jungfer, die im übrigen Alisande hieß, den Helm abmontieren.

Sandy, wie ich sie für mich nannte, holte mit meinem Helm Wasser, ließ mich trinken und goss mir den Rest über den Kopf. Das tat gut. Ich genoss den Moment, bis mir einfiel, dass ich ohne Hilfe nicht mehr auf mein Pferd kommen würde. Sandy allein konnte da auch nichts bewirken.

Also machten wir es uns im Schatten eines Baumes bequem und warteten auf Hilfe. Das Mädchen entpuppte sich zu einer überaus redseligen Person. Es dauerte nicht allzu lange, bis ich von ihrem Geplapper Kopfschmerzen bekam.

Ja, es ist seltsam, wie der Mensch immer nur für kurze Zeit zufrieden sein kann. Wie ich so dalag und der Dinge harrte, bemerkte ich, dass ich großen Hunger bekam. Auf die Idee mir einige belegte Brote mit auf den Weg zu geben waren meine Jungs nicht gekommen.

Es wurde Nacht und ein Sturm zog auf. Natürlich mussten wir im Freien lagern. Ich fand für meine Jungfer einen guten Unterschlupf unter einem Felsen, dann ging ich weiter und fand an einer anderen Stelle einen für mich. Leider war ich gezwungen, meine Rüstung anzubehalten, weil ich sie ohne Hilfe nicht ablegen konnte. Sandy wollte ich nicht um Hilfe bitten, das war mir zu unangenehm.

Mit dem Sturm kam ein Wetterumschwung und es wurde kälter. Bald krochen Käfer, Ameisen und Würmer aus irgendwelchen Löchern hervor und krabbelten in meine Rüstung, um sich aufzuwärmen. Ich wälzte mich am Boden hin und her aber es half nicht wirklich. Selbst als ich schon fast steifgefroren war, spürte ich immer noch das Kitzeln, wie eine Leiche, die mit Elektroschocks behandelt wird.

Ich versprach mir, nach dieser Reise nie wieder eine Rüstung zu tragen!

Als endlich der Morgen herankam, war ich in einem schlimmen Zustand: verkatert, matt und hungrig. Und wie es dem Fräulein Alisande la Carteloise ergangen? Oh, sie war munter wie ein Eichhörnchen. Wir machten uns vor Sonnenaufgang auf den Weg. Sandy ritt und ich humpelte hinterdrein.

Nach einer halben Stunde stießen wir auf eine Gruppe armseliger Männer, die den Weg reparierten. Sie benahmen sich mir gegenüber sehr demütig und waren hocherfreut, als ich ihnen vorschlug, gemeinsam zu frühstücken. Meine Dame verzog schmollend den Mund - es war wohl unter ihrer Würde, mit derlei Leuten zu speisen.

Da mein Hunger weitaus überwog, war mir ihr stiller Protest einerlei. Wir setzten uns und so erfuhr ich, dass die Leute sogenannte "Freie" waren. Jedoch durften sie die Ländereien ihres Grundherren nicht ohne Erlaubnis verlassen und auch nicht ihr eigenes Brot backen. Wirklich frei hörten sich ihre Berichte für mich nicht an.

Diese armeseligen angeblich Freien, die mich an ihrem Frühstück und ihrem Gespräch teilhaben ließen, verehrten ihren König, die Kirche und den Adel. Ich fragte sie, ob sie sich vorstellen konnten, dass ein Volk selbst entscheidet, wer es regiert und dieses Vorrecht nicht einfach vererbt wird.

Sie sahen mich ungerührt an. Doch plötzlich blickte ein Mann hoch und meinte, dass ein Volk, das selbst wählen konnte, sich nicht freiwillig so schlecht behandeln lassen würde, wie es ihnen erging.

Ich dachte mir: Das ist mein Mann. Ich nahm ihn zur Seite und erzählte ihm von einigen Dingen, die ich bisher bewegt hatte. Wie er erfuhr, dass die Menschen in meinen Fabriken alle lesen und schreiben konnten, wurde er ganz aufgeregt und rief:

"Ich gäbe mein Herzblut dafür, diese Kunst zu beherrschen. Oh, ich will Euer Sklave sein …"

"Nein, das wirst du nicht. Du wirst niemandes Sklaven sein. Hol deine Familie und mach dich auf den Weg. Gehe zu Amyas le Poulet, den ich Clarence nenne, und sage ihm, dass ich dich schicke. Er gibt dir alles, was du zum Leben brauchst."