Ivanhoe

  • Autor: Scott, Sir Walter

1. Der Narr und der Schweinehirt
2. Cedric von Rotherwood
3. Das Gastmahl
4. Der Pilger und der Jude
5. Das Turnier
6. Gurth verteidigt seinen Lohn
7. Der zweite Turniertag
8. Robin von Locksley
9. Das Bankett
10. Der schwarze Ritter
11. Der Überfall
12. In Gefangenschaft
13. Der priesterliche Narr
14. Der entflohene Mönch
15. Die Heilerin
16. Die Rache der Ulrica
17. Unter der Eiche in Harthill Walk
18. Lösegeldforderungen
19. Misstrauen
20. Der Großmeister des Templerordens
21. Die Anklage
22. Richard Löwenherz
23. Das Gottesurteil
24. Nachwort

 

 

1. Der Narr und der Schweinehirt

Die Region des Flusses Don in England zwischen Sheffield und Doncaster ist der Hauptschauplatz unserer Geschichte. Es geht die Sage, dass hier der Drache von Wantlay gehaust habe. Außerdem fand hier die blutige Schlacht zwischen den Adelshäusern der weißen und der roten Rose statt.


Wamba

Wir befinden uns gegen Ende des zwölften Jahrhunderts. König Richard I., war in österreichischer Gefangenschaft. Während seiner Abwesenheit hatten sich die Zustände in der ärmeren Bevölkerung mehr und mehr verschlechtert und sein Bruder, Prinz John, versuchte die Macht an sich zu reißen.

Seit Generationen kämpften die Normannen, aus dem heutigen Frankreich, gegen die Angelsachsen und hatten in der Schlacht von Hastings einen großen Sieg davongetragen. Was zur Folge hatte, dass der Hass zwischen beiden Ländern nur größer wurde.

Die normannisch-französische Sprache wurde zur Sprache der Ehre und Ritterlichkeit erklärt. Dagegen blieb das kraftvolle Angelsächsisch den Bauern und Knechten. Es entstand eine Kluft zwischen Normannen und Engländern, die in den Herzen tiefe Wunden hinterließ.

Die Geschichte beginnt auf einer Waldlichtung, in deren Mitte eine uralte Eiche stand. Zwei Männer lehnten an unbehauenen Steinen, die offenbar einen Kreis bildeten. Der Ältere hatte ein rohes, wildes Aussehen, einfache Kleidung, die ihm bis zum Knie reichte und ihn wie einen schottischen Highlander wirken ließen. Die Füße steckten in Sandalen, die mit Bärenhautriemen befestigt waren.

Seine Haare wucherten wild und waren von der Sonne zu einem rötlichen Braun versengt worden. Um seinen Hals trug er einen Messingreif, der zusammengelötet war. Darauf stand in angelsächsischen Buchstaben: "Gurth, Sohn des Beowulph, geborener Leibeigener des Cedric von Rotherwood."

Neben Gurth, dem Schweinehirten des Sir Rotherwood, saß ein etwa zehn Jahre jüngerer Mann, dessen Kleider aus besserem, jedoch auffallend buntem Stoff waren. Um die Arme trug er dünne Silberspangen und um den Hals denselben Messingreif mit der Aufschrift: "Wamba, der Sohn des Witless, Leibeigener des Cedric von Rotherwood." Auf dem Kopf hatte er eine Mütze, die spitz zulief und an deren Ende kleine Glöckchen baumelten.

Daran konnte man ihn sofort als einen jener Hofnarren erkennen, die sich Adlige damals zum Zeitvertreib hielten.

Wie im Äußeren waren die beiden Männer auch im Wesen sehr unterschiedlich. Gurth blickte traurig und niedergeschlagen zu Boden, während Wambas Blick eher selbstgefällig schien.

"Diese verfluchten Schweine", schimpfte Gurth, der mit seinem Horn vergeblich versuchte die Herde einzusammeln. Er rief seinen Wolfshund, Fangs, und wollte mit Wamba die Tiere einfangen. Doch der meinte:

"Überlass das Borstenvieh nur seinem Schicksal. Es dauert nicht lange und es wird sowieso normannisch sein."

"Das verstehe ich nicht. Wie meinst du das?", fragte Gurth.

"Das lebende Tier von angelsächsischen Sklaven gehütet hat einen angelsächsischen Namen, nämlich Schwein. Wenn es aber geschlachtet in das Schloss kommt vor die hochwohlgeborenen Münder, dann bekommt es einen normannischen Namen und wird zum Pork."

"Du hast Recht, Wamba. Sie haben uns alles genommen. Sogar unsere Sprache. Die Luft, die sie uns noch lassen, ist nur dazu da, damit wir weiter für sie arbeiten können. Sie nehmen das Beste für ihre Tafel, die Lieblichsten für ihr Bett und die Tapfersten für ihre Truppen. Cedric, unser Herr, tut sein Bestes. Aber dieser Reginald Front de Boeuf, wird bald alle Bemühungen zunichtemachen."

"Pass auf, was du zu wem sagst, Gurth. Ich könnte dich verraten und schon morgen hängst du an einem Baum", drohte Wamba.

"Du willst mich verraten?", fuhr Gurth auf.

"Dich verraten? - Still, ich höre Hufschläge."

Aus der Ferne vernahmen die Männer nicht nur Pferde, sondern auch Donnergrollen. Erste riesige Tropfen ließen sie die Herde eilig vor sich hertreiben.

Die Reiter hatten Gurth und Wamba bald eingeholt. Es waren zehn Männer. Zwei Anführer, mit augenscheinlich je vier Mann Gefolge. Der eine war offenbar ein hochrangiger Geistlicher. Trotz der eleganten Kleidung konnte man erkennen, dass er zum Orden der Zisterziensermönche gehörte. Seine Augen verrieten, dass er weltlichen Genüssen nicht abgeneigt war.

Ihm folgten vier Mönche desselben Ordens, die miteinander lachten und scherzten.

Der Begleiter des Geistlichen war ungefähr vierzig Jahre alt, groß und schlank. Seinen Kopf zierte eine pelzbesetzte, scharlachrote Kappe. Sein Gesicht war von der Sonne gegerbt. Seine Kleidung glich der eines Ritters. Unter dem edlen Umhang zeigte sich ein feinmaschiges Kettenhemd, und ein zweischneidiger Dolch befand sich an seinem Gürtel.

Ihn begleiteten zwei Knappen und dahinter folgten zwei dunkelhäutige, orientalisch gekleidete Diener mit weißen Turbanen.

Dieser ungewöhnliche Trupp erregte die Aufmerksamkeit von Wamba und Gurth. Wamba erkannte den Mönch als den Prior der Abtei von Jorvaulx, Prior Aymer. Über ihn wurde viel gesprochen. Er liebte nicht nur den Sport, sondern auch schöne Frauen. Dennoch war er sowohl beim Adel als auch beim Volk beliebt, weil überaus freigiebig war.

Die beiden grüßten den Prior und erhielten einen Segen zur Antwort. Dann fragte er, ob sie nicht jemanden wüssten, der einen demütigen Diener der Kirche mit seinem Gefolge für eine Nacht aufnehmen würde.

Wamba befand das Wort demütig für nicht sehr angebracht, behielt dies aber klugerweise für sich. "Wenn die Herren einen reich gedeckten Tisch und eine komfortable Unterkunft wünschen, empfehle ich die Priorei von Brinxworth. Sollten sie lieber einen Abend in Buße verbringen wollen, gibt es die Einsiedelei von Copmanhurst."

Der Prior schüttelte den Kopf und erklärte, dass er lieber bei Laien einkehren wolle, um denen die Gelegenheit zu geben, Gott zu dienen, indem er einem Diener Gottes diene. Dann fragte er nach dem Weg zum Anwesen von Cedric von Rotherwood.

Nun meldete sich Gurth zu Worte, der ebenso wenig wie sein Gefährte wollte, dass die Gesellschaft bei ihrem Herrn absteigt. "Der Weg ist schwer zu finden. Außerdem geht Cedrics Familie früh zur Ruhe."

"Schweig", rief der Reiter im Kettenhemd und griff bereits nach seinem Dolch. Doch der Prior griff ein.

"Haltet ein Bruder Brian!", und an Wamba gerichtet. "Dieser Bruder ist vom Orden der Tempelritter und hat sein ganzes Leben gekämpft, um das Heilige Grab zu erobern. Ich vergebe euch eure Ausreden und ihr zeigt mir den Weg zu Cedrics Haus."

"Nun gut. Ihr müsst diesem Pfad folgen, bis Ihr an ein im Morast fast völlig versunkenes Kreuz gelangt. Dort müsst Ihr links abbiegen. So erreicht Ihr die Herberge noch vor Ausbruch des Unwetters."

Der Prior dankte und sie ritten davon.

"Wenn sie deinem Rat folgen, Wamba, erreichen sie Rotherwood nie. Mit viel Glück kommen sie bis nach Sheffield", sagte Gurth.

"Ja", kicherte der Narr. "Und da gehören sie auch hin. Stell dir vor, wenn Prior Aymer unsere schöne Lady Rowena zu Gesicht bekäme. Ich denke, wir beide wissen von nichts und halten unseren Mund, wie es sich für gute Diener gehört."

 

 

 

2. Cedric von Rotherwood

"Ihr kennt diesen Cedric?", fragte der Tempelritter den Prior.


Cedric von Rotherwood

"Er ist ein stolzer, wilder und reizbarer Mann. Ein Widersacher des Adels, den selbst seine Nachbarn Reginald Front de Boeuf und Philip de Malvoisin nicht gezähmt bekommen. Er kämpft unerbittlich für sein Volk und ist stolz auf seine direkte Abstammung der Könige von Angeln und Sachsen im vergangenen Jahrtausend.I"

"Mein lieber Prior. Ihr verlangt sehr viel von mir, bei einem solch aufrührerischen Mann zu nächtigen. Einzig Ihre Erzählungen über die Schönheit seiner Tochter Rowena wird mir helfen, mich zu beherrschen."

"Ihr irrt. Rowena ist nicht seine Tochter, nur eine entfernte Verwandte. Sie trägt höheres Blut in sich als er. Cedric ist ihr Vormund. Von ihrer Schönheit werdet Ihr Euch bald selbst ein Bild machen können."

"Nennt mir Euren Einsatz, falls Euer Versprechen nichts das hält, was es verspricht", forderte der Tempelritter.

"Ich verwette meine goldene Kette gegen zehn Eimer des besten griechischen Weins. Seid Ihr einverstanden?"

"Da die Entscheidung bei mir liegen wird, sehe ich Eure Kette in Gefahr. Sie wird mich bei dem Turnier von Ashby zieren."

"Ihr seid ein Ehrenmann. Ich vertraue darauf. Aber einen Ratschlag möchte ich Euch noch geben. Feilt Eure Zunge. Cedric ist sehr empfindlich und solltet Ihr nur ein falsches Wort sagen, setzt er uns augenblicklich wieder an die Luft."

Bruder Brian nickte gerade gequält, als sie das versunkene Kreuz erreichten.

"Man kann es kaum erkennen", sagte der Prior. "Sagte der Narr, wir müssen links abbiegen?"

"Nein, nach rechts", erwiderte Brian.

"Ich bin mir sicher, er hat links gesagt", beharrte der Prior.

Da entdeckten sie am Fuße des Kreuzes eine schlafende Gestalt. Ein Knappe weckte ihn mit der Lanze auf. Sofort sprang der Mann auf und grüßte vorsichtig. Der Prior fragte nach dem Weg.

"Hätte ich ein Pferd, könnte ich Euch führen."

"Du kannst eines unserer Pferde haben, wenn du uns sicher nach Rotherwood bringst."

Der Fremde schlug nicht die Richtung ein, die Wamba genannt hatte, um die Reiter in die Irre zu führen. Der Pfad ging tief in Wald hinein und wurde immer unwegsamer, aber der Führer brachte sie sicher hindurch. Schließlich deutete er auf ein flaches Gebäude am Ende des Weges.

"Dort liegt Rotherwood, das Haus Cedrics des Sachsen."

Aymer fragte den Mann, wer und was er sei und der erklärte, er wäre ein Pilger und gerade erst aus dem Heiligen Land zurückgekehrt. Er war in dieser Gegend geboren und kenne sich deswegen so gut aus.

Inzwischen waren sie am Haus angekommen, um das ein breiter Wassergraben gezogen war. Der Tempelritter zog sein Horn hervor und blies kräftig hinein, weil der Regen nun mit aller Gewalt losbrach.

Die Halle von Rotherwood bildete den Mittelpunkt des Anwesens. Von dort zweigten Flügeltüren in die angrenzenden Räume. Alles war von einer rauhen Schlichtheit, wie es der angelsächsischen Art entsprach, worauf Cedric sehr stolz war.

Zwei lange Tafeln bildeten ein T und am Kopf der oberen Tafel saß Cedric. Sein Gesicht verriet einen aufrichtigen Mann, mit unbeherrschtem Temperament. Er hatte blondes, gescheiteltes Haar, das bis auf die Schultern reichte. Obwohl er sich seinem sechzigsten Geburtstag näherte konnte man kaum eine graue Strähne entdecken.

Eine Anzahl von Dienern stand bereit, ihrem Herrn jeden Wunsch zu erfüllen. Doch heute hatten sie es schwer Cedric zufrieden zu stellen, weil seine Laune nicht die beste war. Lady Rowena, die zu einer Abendmesse in einer weit entfernten Kirche ausgeritten war, kam völlig durchnässt zurück und wechselte gerade ihre Garderobe.

Gurth hätte mit seiner Herde längst eintreffen sollen. In diesen unruhigen Zeiten konnte eine solche Verspätung schnell bedeuten, dass er von Geächteten überfallen worden war. Auch die Abwesenheit seines Narren Wamba ärgerte ihn, denn dessen Späße würzten stets die Mahlzeiten, wie Salz die Suppe.

Plötzlich hörte Cedric ein Horn ertönen. "Ans Tor!", rief er. "Seht nach welche Botschaft man uns überbringt. Ich vermute, Raub und Plünderung meines Eigentums."

Nach wenigen Minuten meldete ein Diener, der Prior Aymer von Jorvaulx und der edle Ritter Brian de Bois-Guilbert, Befehlshaber des Ordens der Tempelritter, bäten mit ihrem Gefolgte für eine Nacht um Unterkunft. Sie seien auf dem Weg zum Turnier, das in zwei Tagen in der Nähe von Ashby stattfinden solle.

"Normannen!", murmelte Cedric. "Nun egal, ob Normanne oder Sachse - die Gastfreundschaft von Rotherwood muss gewahrt bleiben. Geht Hundebert", wandte er sich an seinen Majordomus, den obersten Aufseher über Haus und Hof, "begleite die Gäste in die Fremdenzimmer, versorge ihre Pferde und sage den Köchen Bescheid."

An seinen Mundschenk richtete er die Frage: "Prior Aymer - ist das nicht der Bruder, von Giles de Mauleverer, dem Lord von Middleham?"

"Ganz recht", erwiderte Oswald.

"Damit hat er das Erbe eines besseren Geschlechts an sich gerissen. Wie alle Normannen. Der Prior soll ein heiterer Zeitgenosse sein. Einer der Wein und Weib mehr liebt als Gebetbuch und Bibel. Wie hieß der Templer?"

"Brian de Bois-Guilbert."

"Sein Name ist weithin bekannt. Er steht für Gutes und Böses. Die Leute sagen, er sei der Tapferste seines Ordens. Aber ebenso ein hartherziger Mensch. Wie dem auch sei, für eine Nacht sei auch er willkommen. Oswald zapfte das beste Weinfass an und bringe das beste Met."

Er rief eine Zofe herbei. "Elgitha, melde Lady Rowena, dass wir sie heute Abend nicht in der Halle erwarten, es sei den sie wünscht es ausdrücklich."

"Sie wird es sicherlich wünschen. Über die neuesten Nachrichten aus Palästina kann sie nie genug hören", antwortete die Zofe.

"Sei still Mädchen! Deine Zunge reicht weiter als dein Verstand. Teile deiner Herrin meine Nachricht mit. Sie soll selbst entscheiden!"

Elgitha verließ den Raum, aber Cedric zürnte ihr nicht lange, weil alles, was zu Rowena gehörte seine besondere Gunst besaß.

Er zog die Augenbrauen zusammen und starrte auf den Boden. Als er wieder aufsah, öffnete sich die Flügeltür und angeführt vom Majordomus traten die Gäste ein.

 

 

 

3. Das Gastmahl

Der Prior und der Tempelritter hatten die Zeit genutzt und sich umgekleidet und waren nun noch eleganter als zuvor. Hinter ihnen gingen ihre Begleiter und mit einigem Abstand der Pilger, der sie hergeführt hatte. Er war in einen schwarzen Mantel gehüllt und seine nackten Füße steckten in derben Sandalen.

Mit einem Blick erkannte der Pilger, dass an der Tafel kein Platz mehr war und so nahm er auf einem Schemel beim Kamin Platz.

Cedric erhob sich und begrüßte die Gäste. "Ich hoffe Ihr vergebt mir, dass ich Euch in meiner Muttersprache anrede und ich bitte Euch darum in selbiger zu antworten, falls ihr es könnt. Wenn nicht, verstehe ich genug normannisch um den Sinn Eurer Worte zu verstehen."

"Ich bin gerne bereit mich mit Euch in der Sprache meiner verehrten Großmutter Hilda von Middleham zu unterhalten", sagte der Prior.

"Und ich", begann der Templer, "ich spreche immer Französisch, die Sprache König Richards und seiner Adligen. Aber ich verstehe genug Englisch, um mich zu verständigen."

Cedric warf dem Ritter einen wütenden Blick zu, besann sich aber seiner Gastgeberpflichten und wies ihnen einen Platz direkt an seiner Seite zu.

In diesem Augenblick betraten Gurth und Wamba die Halle.

"Hierher ihr unpünktlichen Burschen", rief Cedric ärgerlich. "Warum taucht ihr erst jetzt auf? Hast du die Herde mitgebracht oder hast du sie Räubern überlassen?"

"Die Herde ist in Sicherheit, Herr. Ihr könnt beruhigt sein", antwortete Gurth.

"Es beruhigt mich aber nicht, wenn ich über zwei Stunden das Gegenteil fürchten muss. Das nächste Mal landest du in Ketten im Kerker. Verstanden?"

Gurth, der das aufbrausende Gemüt seines Herrn kannte schwieg, aber der Narr, der sich mehr erlauben durfte, sagte: "Wirklich, Onkel Cedric, Ihr seid heute weder weise noch vernünftig. Warum wollte Ihr den armen Gurth bestrafen, für den Fehler eines anderen?"

"Was willst du damit sagen?"

"Sein Hund Fangs hat es nicht geschafft die Herde zusammenzutreiben, bevor die Abendglocke läutete."

"Dann hänge Fangs auf", sagte Cedric zu Gurth.

"Mit Verlaub, Onkel", fiel Wamba ein, "Fangs ist auch nicht Schuld. Es war der Förster von Philip de Malvoisin. Er hat Fangs die Vorderkrallen abgehackt und jetzt lahmt er."

"Zum Teufel mit Malvoisin. Gurth besorge dir einen neuen Hund. Und sollte der Förster ihn anfassen, hacke ich ihm eigenhändig seinen Zeigefinger ab! - Aber vergebt, werte Gäste. Was halte ich mich mit meinen unglückseligen Nachbarn auf. Greift zu und seid willkommen."

Als die Gesellschaft eben zu tafeln beginnen wollte, erhob der Majordomus seinen weißen Stab und verlautete: "Noch einen Augenblick! Platz für Lady Rowena!"

Kaum hatte er das gesagt, öffnete sich eine Seitentür und Rowena, gefolgt von vier Dienerinnen, trat in den Saal. Cedric, nicht sehr erfreut sein Mündel bei diesem Anlaß zu sehen, ging ihr entgegen und führte sie feierlich zu dem Platz an seiner Seite. Sämtliche Anwesenden erhoben sich. Rowena neigte kurz den Kopf und ging zu ihren Stuhl.

Der Templer flüsterte dem Prior zu: "Ihr könnt Eure Kette behalten und Euch an dem griechischen Wein erfreuen."

"Habe ich es Euch nicht gesagt?", Antwortete der Prior. "Aber haltet Euch zurück. Cedric beobachtet Euch genau."

Brian dachte nicht im Traum der Warnung von Aymer Beachtung zu schenken und bannte seinen Blick auf der sächsischen Schönheit. Sie war recht groß und gut proportioniert. Ihr Gesicht hatte edle Züge und einen hellen Teint und strahlte Milde ebenso wie Stolz aus.

Als sie dem glühenden Blick des Tempelritters begegnete, zog sie den Schleier vor ihr Gesicht, um ihm zu zeigen, dass es ihr missfiel.

Cedric war all das nicht entgangen. "Verehrter Ritter, die Wangen unserer Jungfrau sind zu wenig an die Sonne gewöhnt, als dass sie die glühenden Blicke eines Kreuzritters aushalten könnten."

Brian entschuldigte sich demütig, und Aymer ergriff das Wort. "Lady Rowena hat soeben uns alle bestraft. Ich hoffe sie wird weniger grausam sein, was ihre Anwesenheit beim Turnier angeht."

"Es ist noch nicht sicher, ob wir dort erscheinen", erwiderte Cedric. "Ich mag diese Eitelkeiten nicht. Als England noch frei war, war so etwas unbekannt."

"Ich hoffe dennoch, dass wir Euch noch umstimmen können. Sir Brians Eskorte ist auf solch unsicheren Wegen nicht zu verachten", sagte der Prior.

"Verehrter Prior. Wo immer ich in meinem Land gereist bin, waren mein Schwert und meine Anhänger ausreichender Schutz. Sollten wir wirklich zum Turnier gehen, dann reisen wir in Gemeinschaft mit meinem Nachbarn und Landsmann Athelstane von Coningsburth und seinem Gefolge. Und nun lasst uns trinken."

Die Gesellschaft begann zu speisen und Wamba fing an, seine Arbeit zu tun. Da erkannte der Templer ihn wieder und drohte, ihn umzubringen, sollte er nochmals Reisende in die Irre führen.

Cedric knöpfte sich seinen Narren gerade vor, als ein weiterer Gast gemeldet wurde.

"Lasst ihn herein. In einer solch stürmischen Nacht darf man niemanden abweisen. Oswald sorge dafür, dass seine Wünsche erfüllt werden.

Der Mundschenk verließ die Halle, kehrte bald darauf zurück und flüsterte seinem Hausherrn zu: "Der Fremde ist ein Jude. Er nennt sich Isaak von York. Soll ich ihn in die Halle bringen?"

"Das lass Gurth übernehmen", fiel Wamba ein, "ein Schweinehirt ist der passende Begleiter für einen Juden."

"Heilige Maria!", rief der Abt und schlug ein Kreuz. "Ein ungläubiger Jude in unserer Gesellschaft."

Und auch der Tempelritter fand keine milderen Worte.

Da meldete sich Wamba erneut zu Wort: "Es scheint, dass die Templer das Erbe der Juden mehr lieben, als die Juden selbst."

"Beruhigt euch", sagte Cedric. "Ich werde meine Gastfreundschaft nicht von euren Abneigungen abhängig machen. Wenn es Gott unzählige Jahre mit diesem starrsinnigen Volk ausgehalten hat, werden wir es für einen Abend überstehen. Oswald, gib ihm einen separaten Platz."

Ein alter, dürrer Mann trat ein und näherte sich zögernd mit vielen demütigen Verbeugungen. Seine Haare und sein Bart waren lang und grau. Seine hohe gelbe Mütze, die jeder Jude tragen musste, um ihn von den Christen zu unterscheiden, hatte er abgenommen.

Der Empfang war überaus kühl. Cedric nickte ihm kurz zu und bedeutete ihm, sich am Ende der Tafel niederzulassen. Aber keiner wollte ihm Platz machen. Nur der Pilger am Kamin hatte Mitgefühl und trat ihm seinen Platz ab. "Meine Kleider sind trocken und mein Hunger gestillt." Dann schürte er das Feuer und brachte dem Alten eine Suppe und Ziegenfleisch.

Währenddessen plauderten Cedric und der Prior über die Jagd. Doch es dauerte nicht lange und das Thema wechselte zu den Kriegern im Heiligen Land. Lady Rowena war es, die die Frage aufwarf, ob König Richard berühmte englische Ritter in den Krieg mitgenommen hätte.

"Mit Verlaub Mylady", erwiderte de Bois-Guilbert, "der englische König hat in der Tat ein paar tapfere Kämpfer mitgebracht. Sie waren annähernd so heldenhaft wie die, die bereits da waren."

"Niemandem standen sie nach", fiel der Pilger plötzlich ein. "Die englische Ritterschaft stand keinem nach. Ich sah es selbst, als König Richard nach dem Sieg über St. John de Acre mit fünf seiner Ritter in einem Turnier gegen alle gewonnen hat. Nicht wahr, Sir Brian?"

Das Gesicht des Tempelritters verzog sich zu einer zornigen Fratze. Doch Cedric übersah dies und fragte den Pilger nach den Namen der tapferen Ritter. Der antwortete bereitwillig und Cedric blickte zufrieden drein.

"Der fünfte, war ein junger Ritter von geringerem Ruf und Rang. An seinen Namen erinnere ich mich nicht mehr", schloß der Pilger.

"Eure angebliche Vergesslichkeit, nachdem ihr die anderen Männer so genau wusstet ist verwunderlich. So will ich den Namen selbst nennen", stieß der Templer hervor. "Er hat mich infolge seines Glücks und eines Fehlers meines Pferdes zu Fall gebracht. Es war Ritter Ivanhoe. Keiner der Ritter brachte es, gemessen an Ivanhoes Alter, zu mehr Waffenruhm. Aber wäre er hier in England und würde er am Turnier diese Woche teilnehmen, so stünde ich ihm jederzeit zur Verfügung.'"

"Wenn Ivanhoe jemals aus Palästina zurückkommt", sagte der Pilger, "bürge ich dafür, dass er Euch gegenüberstehen wird."

"Was bietet Ihr als Pfand?", fragte der Tempelritter.

"Diese Reliquie - ein Stückchen des echten Kreuzes. Es kommt aus dem Kloster von Carmel."

Der Prior von Jorvaulx bekreuzigte sich und sprach ein Vaterunser. Sir Brian nahm seine goldene Kette ab und warf sie auf den Tisch.

"Prior Aymer soll mein Pfand und das des namenlosen Wanderers als Zeichen dafür aufbewahren, dass Ritter Ivanhoe, sich meiner Forderung stellt, sobald er englischen Boden erreicht hat. Sollte er das nicht tun, werde ich ihn öffentlich einen Feigling nennen."

Cedric ließ einen letzten Trunk reichen und dann begaben sich alle zu ihren Zimmern. Beim Vorbeigehen, redete der Templer den Juden Isaak an:

"Ungläubiger Hund! Wirst du auch zum Turnier gehen?"

"Das ist meine Absicht! Ich möchte Brüder meines Volkes aufsuchen, und sie um Hilfe bitten. Ich soll eine Steuer bezahlen und meine Taschen sind leer."

"Heuchler", erwiderte der Templer verächtlich und ließ ihn stehen.

 

 

 

4. Der Pilger und der Jude

Das Zimmer des Pilgers lag zwischen dem des Juden und dem des Schweinehirten. Oswald hätte ihm ein Besseres zugewiesen, wenn der Pilger den Bediensteten etwas über Palästina und Ritter Ivanhoe erzählt hätte. Aber der lehnte ab, mit dem Hinweis, er habe ein Gelübde abgelegt, dass es ihm verbiete darüber zu reden.

Bevor er sein Lager erreicht hatte, wurde er von einer Dienerin Lady Rowenas aufgehalten, die ihn zu ihrer Herrin bringen sollte. Der Pilger war erstaunt, hielt es aber für unpassend abzulehnen und folgte ihr.

Lady Rowena saß auf einem erhöhten Sessel und ließ sich die Haare für die Nacht vorbereiten. Sie forderte ihre Bediensteten auf, sie mit dem Mann alleine zu lassen. Bis auf Elgitha zogen sich alle in eine Ecke des Gemaches zurück.

"Pilger", begann sie, "Ihr habt vorhin den Namen Ivanhoe erwähnt. Könnt Ihr mir sagen, wie es dem edlen Ritter geht?"

"Leider weiß ich wenig von ihm. Mir ist zu Ohren gekommen, dass er seinen Verfolgern entkommen sei und auf dem Weg zurück nach England ist."

"Hab Dank, für die Nachrichten über den Gefährten meiner Jugend", sie gab ihm ein Goldstück und reichte ihm einen Trunk. Dann wurde er in sein Zimmer gebracht.

Er löschte die Fackel, warf sich auf sein Bett und schlief, bis ihn am nächsten Morgen die ersten Sonnenstrahlen weckten. Rasch sprang er auf, betete und trat leise in die Kammer des Juden Isaak. Der Jude lag in unruhigem Schlaf und stöhnte immer wieder qualvoll auf.

Der Pilger weckte ihn mit seinem Pilgerstab. Der Alte fuhr entsetzt in die Höhe, riss seine Sachen an sich und starrte den Pilger angsterfüllt an.


Isaak der Jude

"Ihr habt nichts von mir zu befürchten, Isaak. Aber Ihr müsst das Haus schnell verlassen, sonst wird es für Euch gefährlich. Ich habe gehört, wie der Tempelritter seinen türkischen Sklaven den Befehl gab Euch bei Eurer Abreise aufzulauern und auf das Schloß von Philip de Malvoisin zu bringen."

Isaak erschrak zu Tode und er fiel vor dem Pilger auf die Füße.

"Steht auf, Isaak. Ich werde Euch einen Weg zeigen, und Euch begleiten, bis Ihr sicher seid."

Er ging in die Kammer des Schweinehirten und hieß ihn die Hinterpforte zu öffnen. Als Gurth sich weigerte, beugte er sich zu dem Schweinehirten hinunter und flüsterte ihm etwas in Ohr. Eilig gehorchte Gurth. Und als die beiden auf frischen Maultieren saßen, küßte Gurth ehrfürchtig die Hand des Pilgers.

Der unwegsame Pfad brachte sie in zwei Stunden an die Stadtmauern von Sheffield. Dort verabschiedete sich der Pilger. Isaak hielt ihn zurück und nannte ihm einen Namen.

"Geht in Leicester zu meinem Vetter Kirjath Jairam. Er wird Euch helfen Eure Pilgerkutte gegen ein Pferd und eine Rüstung einzutauschen. Das ist es doch, was Ihr Euch wünscht, nicht wahr?"

"Wer hat Euch das gesagt?"

"Unter der Pilgerkutte konnte ich ein paar goldene Sporen und eine Ritterkette erkennen", lächelte Isaak wissend. "Ist das Turnier vorüber, gebt Ihr meinem Vetter alles wieder zurück."

Der Pilger dankte dem Juden und sie schlugen verschiedene Wege zur Stadt ein.

 

 

 

5. Das Turnier

Die Lage des englischen Volkes war damals elend. Ihr König Richard befand sich in österreichischer Gefangenschaft und sein Bruder, Prinz John, setzte alles daran, dass das auch so blieb. Er verbündete sich mit Philip von Frankreich und vermehrte seine Anhängerschaft, um dem rechtmäßigen Erben den Thron streitig zu machen.

Der legitime Erbe war Arthur, der Sohn ihres ältesten Bruders, Geoffrey Plantagenet. Zu all dem kamen eine Menge Geächteter, die sich unter dem Druck des Adels und der strengen Gesetze zu Banden zusammenschlossen. Sie nahmen Wälder und unbewohnte Gebiete in Besitz und widersetzten sich den Adligen.

Und wie um dieses Elend noch zu steigern, breitete sich eine höchst ansteckende Krankheit im Land aus, die vielen das Leben kostete.

Trotz dieser Verhältnisse erregte die Veranstaltung eines Turniers bei Armen und Reichen größtes Interesse. Die berühmtesten Ritter sollten, in Gegenwart des Prinzen John, zum Kampf antreten. Und so strömte eine ungeheure Menschenmenge am Morgen zum Turnierplatz.

Der Kampfplatz war ungefähr tausend Schritte lang und halb so breit. Auf einer Anhöhe waren fünf prächtige Zelte errichtet worden. Es waren die Zelte der Turnierritter. Das mittlere war als Ehrenplatz dem Ritter Brian de Bois-Guilbert zugewiesen worden. Zwei weiter Zelte gehörten den ungeliebten Nachbarn Cedrics Front de Boeuf und Malvoisin. Des weiteren traten ein Baron aus der Gegend und ein Ritter des Johanniterordens an.

Für den Prinzen war ein besonderer Balkon errichtet worden. Ihm gegenüber befand sich ein weiterer Balkon, dekoriert mit Fahnen und Herzen mit der Inschrift "Königin der Schönheit und der Liebe". Für wen dieser Ehrenplatz vorgesehen war, sollte der Sieger des ersten Turniertages bestimmen.

Die Zuschauermenge drängte sich an die für sie vorgesehen Plätze, was mitunter zu größeren Reibereien führte.

"Verfluchter Jude!", schrie ein Lehensbauer mit Pfeil und Bogen. "Wie kannst du es wagen, mich anzurempeln?"

Diese rauen Worte galten niemand anders als dem Juden Isaak. Bekleidet mit einem Pelz besetzten Mantel, bemühte er sich um einen Platz in der vordersten Reihe für sich und seine schöne Tochter Rebekka. Er hatte sich mit ihr in Ashby getroffen. Jetzt hing sie erschrocken am Arm ihres Vaters.

Doch Isaak wusste, dass er hier unter dem Schutz der Gesetze stand. Außerdem war Prinz John anwesend, und der hatte sich bei den Juden von York einen schönen Batzen Geld geliehen. Isaaks Anteil an diesem Geschäft war nicht unwesentlich, und so fühlte er sich gut beschützt.

Während der Jude weiter suchte, erschien Prinz John mit seinem Gefolge. Darunter befand sich auch der Prior von Jorvaulx, der prachtvoller denn je gekleidet war. Dahinter ritten die Ritter der Templer und der Johanniter, die sich ebenfalls von König Richard abgewandt hatten und nun Prinz John dienten.

Sie waren Prinz Johns wichtigste Verbündete und er ließ keine Gelegenheit aus, den wenigen angesehenen angelsächsischen Familien seine Überlegenheit zu demonstrieren.

Durch den Aufruhr, den Isaak allein durch seine Anwesenheit verursacht hatte, wurde auch der Prinz auf ihn aufmerksam. Sofort fiel ihm die wunderschöne Frau am Arm des Juden auf.

"Beim kahlen Kopf des Abraham", sagte er, "die Jüdin ist ein Muster an Vollkommenheit. Was sagt Ihr, Prior Aymer?"

"Sie ist die Rose von Saron, aber vergesst nicht, sie ist nur eine Jüdin", warf der Prior ein.

"Bei ihr ist der Graf des Geldes", mit diesen Worten ritt er auf Isaak zu. "Wer ist sie Isaak, deine Frau oder deine Tochter?"

"Meine Tochter Rebekka, Eure Hoheit!", erwiderte der Jude mit einer tiefen Verbeugung.

"Macht dem Juden unten Platz", befahl Prinz John.

Mit viel Gezeter befolgte die Menschenmenge den Befehl und Isaak nahm mit seiner Tochter Platz.

John nahm seinen Platz auf dem Balkon ein und gab den Herolden, den Ankündigern, den Befehl die Turniergesetze vorzulesen. Sie lauteten: Erstens: Die fünf Herausforderer nehmen es mit allen auf, die sich ihnen stellen. Zweitens: Jeder Ritter, der sich zum Kampf meldet, kann sich einen der fünf Gegner und die Art der Waffen wählen. Drittens: Der Sieger des Turniers gewinnt ein Pferd und hat die Ehre die Königin der Liebe und Schönheit zu ernennen. Viertens: Am zweiten Tag findet ein allgemeines Turnier statt, an dem alle anwesenden Ritter teilnehmen können.

Das Los entschied, welche der fünf Ritter zuerst auf die Herausforderer treffen durften. Sie ritten zu den Schildern und wählten alle die Waffen der Höflichkeit, also eine Lanze an deren Spitze ein Stück Holz befestigt war.

In den ersten drei Runden gewannen nur die Herausforderer. Bereits in der vierten standen nur noch drei neue Ritter zu Verfügung, die ebenfalls alle verloren. Dann entstand eine längere Pause. Als Prinz John das Turnier schon für beendet und Brian de Bois-Guilbert zum Sieger ernennen wollte, kündigte ein Trompetenstoß das Erscheinen eines neuen Kämpfers an.

Er war von mittlerer Größe und eher schlank. Auf seinem Schild stand in spanischen Worten "Desdichado", was so viel bedeutete wie der Enterbte. Unter diesem Namen ließ er sich ins Turnierbuch eintragen.

Der Reiter preschte zu den Schildern der Herausforderer und berührte mit der Eisenspitze seiner Lanze das Schild des Tempelritters. Alle waren erstaunt über die Kühnheit, am meisten aber Bois-Guilbert, der nun zum tödlichen Kampf herausgefordert worden war.

"Habt Ihr noch mal gebeichtet, Kamerad?", fragte der Templer.

Der Enterbte gab seinem Kontrahenten den Rat ein frisches Pferd und eine frische Lanze zu nehmen und ritt zum Kampfplatz, wo er Stellung bezog.

Als die Kämpfer sich gegenüber standen, war das Publikum aufs Höchste gespannt. Niemand glaubte an einen Sieg des Enterbten, aber aufgrund seines Mutes hatte er die Sympathien auf seiner Seite.

Die Trompeten hatten kaum das Zeichen gegeben, als die Ritter blitzschnell aufeinander lossprengten und in der Mitte donnernd zusammenstießen. Die Lanzen zersplitterten bis zum Handgriff und es schien, als wären beide gestürzt, denn die Pferde wichen aus und gingen auf den Hinterbeinen in die Hocke.

Die Reiter brachten sie aber wieder zum Stehen. Dann ritten sie an die Enden des Kampfplatzes und erhielten eine neue Lanze. Die Menge tobte, doch sobald die Kontrahenten bereit waren, trat Stille ein.

Die Trompeter bliesen erneut zum Angriff. Wieder galoppierten die Gegner aufeinander los und prallten mit derselben Gewalt aufeinander. Der Tempelritter hatte auf die Mitte des Schildes gezielt und so genau getroffen, dass der Enterbte in seinem Sattel schwankte.

Dieser hingegen hatte das Visier des Normannen mit der Lanzenspitze getroffen. Trotzdem hielt sich Bois-Guilbert aufrecht im Sattel. Doch mit einem Mal riss der Sattelgurt und er fiel mitsamt Sattel in den Staub. Schnell befreite er sich und außer sich vor Wut über die Demütigung, zog er das Schwert und richtete es gegen den Enterbten.

Der sprang vom Pferd und zog ebenfalls sein Schwert. Doch die Marschälle waren schneller und ritten dazwischen. Die Turniergesetze erlaubten einen solchen Kampf nicht.

"Wir werden uns wieder treffen", sagte der Templer hasserfüllt. "An einem Ort, wo uns niemand stört."

"An mir soll es nicht liegen. Ich bin zu allem bereit."

Sir Brian kehrte zu Fuß zu seinem Zelt zurück und der Sieger bestieg sein Pferd und verlangte nach einem Becher Wein. Als er ihn geleert hatte, sprach er: "Allen treuen englischen Herzen - Untergang den fremden Tyrannen!"

Dann ließ er durch die Herolde verkündigen, dass er bereit war, einen Herausforderer nach dem anderem zu besiegen.

Der erste war Front de Boeuf. Ihn besiegte er ebenso, wie Philip de Malvoisin. Und auch die beiden letzten Gegner waren kein großes Hindernis für den Enterbten. Jubel brach los, als Prinz John die Ehre des Tages dem enterbten Ritter zuerkannte.

Die Marschälle waren die Ersten, die den Sieger beglückwünschten. Sie baten ihn, seinen Helm abzunehmen, bevor er vor den Prinzen trete. Diese Bitte schlug der enterbte Ritter höflich ab und sagte, er könne sein Gesicht nicht zeigen, die Gründe habe er den Herolden genannt.

Es kam öfters vor, dass ein Ritter ein Gelübde ablegte, sich erst nach einer bestandenen Aufgabe erkennen zu geben und so gaben sich die Marschälle zufrieden.

Das Geheimnis, mit dem sich der fremde Ritter umgab, erweckte Unruhe in Prinz John. Als noch Stimmen laut wurden, dass der Enterbte vielleicht König Richard höchstpersönlich sei, mußte ihn sein Anhänger Waldemar Fitzurse beruhigen:

"Erinnert Ihr euch nicht an die riesenhafte Gestalt Eures Bruders? Er kann unmöglich unter dieser Rüstung stecken!"

Trotz der Argumente von Fitzurse konnte Prinz John seine Angst nicht ganz abschütteln. Er hielt dem Ritter eine kurze zurückhaltende Lobrede und befahl ihm das als Preis ausgesetzte Pferd zu übergeben.

Der unbekannte Ritter nickte wortlos. Dann erklärte Prinz John: "Werter Ritter, es ist Eure Pflicht und Euer Vorrecht, die schöne Dame zu wählen, die beim morgigen Turnier als Königin der Schönheit und Liebe den Vorsitz führen soll."

Der Ritter hob die Lanze und der Prinz steckte auf die Spitze eine kleine Krone aus grüner Seide. Dann ritt er die Galerien ab und die hoffnungsvollen Gesichter der jungen Damen waren höchst interessant zu beobachten.

Isaak, der Jude hatte während des Kampfes fleißig mitgerechnet, welchen Wert die Pferde und Rüstungen hatten, die dem Sieger von seinen Gegner zufielen, und lächelte zufrieden.

Cedric, der Sachse war glücklich über die Niederlage des Tempelritters und seiner Nachbarn. Und nun stand der unbekannte Ritter vor der Galerie in der eben diese beiden Männer auf ganz unterschiedliche Weise an seinem Glück teilgenommen hatten.

Endlich senkte er langsam die Spitze seiner Lanze und legte die Krone zu Füßen der schönen Rowena nieder. Trompeten ertönten und die Herolde riefen die Königin der Liebe und Schönheit aus.

Unter den normannischen Damen hörte man unwilliges Gemurmel. Doch sie wurden übertönt durch den lauten Ruf des Volkes: "Es lebe Lady Rowena! Lang lebe die sächsische Prinzessin!"

 

 

 

6. Gurth verteidigt seinen Lohn

Kaum war der enterbte Ritter in sein Zelt getreten, folgte ihm ein ganzer Schwarm von Knappen, die ihm beim Ablegen seiner Rüstung helfen wollten. Alle waren neugierig, wer der geheimnisvolle Ritter war. Der lehnte aber jede Hilfe ab und nur sein eigener Knappe durfte bleiben.

Kurze Zeit später erschienen fünf Männer, jeder mit einem Schlachtross mit Rüstungen beladen. Der enterbte Ritter hatte sich einen weiten Umhang mit weiter Kapuze angezogen und trat ihnen entgegen. Wie es Gesetz war, sollte er als Sieger des Turniers, Ross und Rüstung seiner Gegner erhalten oder eine Auslöse dafür verlangen.

Die Knappen boten ihm je einhundert Zechinen als Lösegeld.

"Das ist zu viel. In meiner momentanen Lage bin ich gezwungen die Hälfte anzunehmen. Den Rest verteilt unter Euch und den Herolden.

Mit einer tiefen Verbeugung dankten die Pagen und wollten schon gehen, da rief der enterbte Ritter den Knappen von Brian de Bois-Guilbert zu sich.

"Von Eurem Herrn nehme ich weder Waffen noch Geld. Unser Kampf ist noch nicht beendet. Richtet ihm das aus."

Als sie wieder alleine waren, sagte der Ritter: "Es scheint, Gurth, die Ehre der Angelsachsen ist heute vermehrt worden."

"Und ich habe für einen sächsischen Schweinehirten meine Rolle eines normannischen Schildknappen nicht übel gespielt. Ich hoffe nur, dass Cedric mich nicht entdeckt."

"Ich habe dir versprochen, dich für jede Gefahr zu belohnen. Nimm diese zehn Goldstücke und diesen Beutel und bringe ihn zu Isaak von York. Er soll bekommen, was ihm für das Leihen von Pferd und Rüstung zusteht."

Gurth nahm den Beutel und murmelte: "Im Beutel ist viel zu viel. Ich werde den Juden schon herunterhandeln."

In der Nähe von Ashby hatten sich der Jude Isaak und seine Tochter Rebekka im Landhaus eines reichen Israeliten einquartiert. Isaak ging nervös im Zimmer auf und ab und zeterte über das verlorene Geld, das er in den enterbten Ritter gesteckt hatte.

"Aber Vater, diesem Ritter verdankt Ihr doch Euer Leben. Ist es Euch nicht fünfzig Zechinen wert?", fragte die Tochter.

"Das wertvolle Pferd und die prächtige Rüstung, verschlingen den Gewinn einer ganzen Woche."

Während Isaak rastlos im Zimmer umherging, meldete ein Diener einen Nazarener, wie die Juden unter sich die Christen nannten.

"Verschleiere dich Rebekka!", rief Isaak und ließ den Fremden eintreten.

Die Tür öffnete sich und Gurth betrat den Raum. "Bist du der Jude Isaak von York?"

"Der bin ich. Was wollt Ihr?"

"Euch Geld bringen."

"Heiliger Vater Abraham. Du willst mir Geld bringen? Von wem?"

"Vom enterbten Ritter."

"Sagte ich nicht, er ist ein guter Junge", rief Isaak voller Freude und lud Gurth zu einem Becher Wein ein.

Der Schweinehirte leerte ihn in einem Zug und Isaak begann mit den Verhandlungen. Zu Gurths Erstaunen, forderte der Jude gerade mal achtzig Zechinen.

"Mein Herr wird dann ohne etwas dastehen, aber wenn du es forderst, so werde ich es bezahlen", flunkerte Gurth und legte das Geld auf den Tisch.

Der Jude nahm die ersten siebzig Zechinen zitternd vor Freude weg. Er hatte überlegt, dem Überbringer ein paar Münzen zu überlassen, aber seine Habgier war größer und so füllte er auch die restlichen zehn Zechinen in den Beutel.

Rebekka hatte bereits zu Beginn der Verhandlungen das Zimmer verlassen. Ihr Vater schenkte Gurth noch einen Becher Wein ein und verabschiedete sich dann von ihm.

Gurth stieg die Treppe hinab, als ihn die Tochter des Juden plötzlich zu sich winkte. Er erkannte in ihr die schöne Jüdin, die ihm bereits beim Turnier aufgefallen war.

"Mein Vater hat nur gescherzt, guter Mann. Er verdankt Eurem Herrn viel mehr, als Pferd und Rüstung wert sind. Wie viel habt Ihr ihm bezahlt?"

"Achtzig Zechinen", antwortete Gurth, erstaunt über die Frage.

"In diesem Beutel werdet Ihr hundert finden. Gebt Eurem Herrn zurück, was ihm gehört, den Rest behaltet für Euch. Und nun geht schnell und passt gut auf. In der Stadt könnt Ihr leicht Leben und Geld verlieren."

Rebekkas Diener Ruben leuchtete Gurth mit einer Fackel den Weg hinaus.

"Bei allen Heiligen", murmelte Gurth, "das ist keine Jüdin, das ist ein Engel. Zehn Zechinen von meinem guten Herrn und zwanzig von dieser Perle. Was für ein glücklicher Tag!"

Er machte sich auf den Nachhauseweg. Die überfüllten Häuser und engen Gassen verursachten bei ihm ein mulmiges Gefühl. Die Jüdin hatte Recht und er wünschte sich mit seinem Gold schon am Ziel. Er beschleunigte seine Schritte. Als er fast am Ende eines Hohlweges war, sprangen vier Männer aus dem Gebüsch.

"Gib her, was du hast", rief einer der Männer. Guth wehrte sich und so packten sie ihn und brachten ihn durchs Dickicht bis zu einer Lichtung. Dort kamen zwei weitere Männer hinzu.

"Wie viel Geld hast du?", fragte einer der Räuber.

"Dreißig Zechinen sind alles, was ich besitze", antwortete Gurth.

"Der Beutel unter deinem Mantel scheint mir aber viel voller zu sein!"

"Das gehört meinem Herrn, Dem enterbten Ritter, der heute das Turnier gewonnen hat."

Nun gab Gurth bereitwillig Auskunft über das Lösegeld der Unterlegenen und wie er dem Juden achtzig Zechinen bezahlt und dafür hundert zurückbekommen hatte.

"Du tischst uns eine solche Lüge auf? Ein Jude gibt ebenso wenig Geld zurück, wie der trockene Wüstensand einen Becher Wasser, den man verschüttet hat."

"Es ist, wie ich es sage", beharrte Gurth.

Einer der Männer entriss ihm seine Beutel und tatsächlich fanden sie alles so vor, wie es der Schweinehirte beschrieben hatte. Der Hauptmann beschloss, dass er das Geld des enterbten Ritters nicht nehmen wolle. Er sei einer von ihnen - arm, enterbt und gegen die Normannen. Und wenn Gurth seinen Anteil ebenfalls behalten wolle, so müsse er gegen einen von ihnen mit dem Knüppel kämpfen.

Ein grobschlächtiger Kerl trat hervor, den alle den Müller nannten. Das Mondlicht leuchtete die Mitte der Lichtung aus und die Kontrahenten gingen ohne viel Umschweife aufeinander los. Als der Müller merkte, dass Gurth ihm ebenbürtig war, verlor er die Fassung.

Doch der Schweinehirte blieb ruhig und überlegt. In einem glücklichen Moment traf er den Müller mit voller Wucht am Schädel, sodass der zu Boden ging.

"Ein ehrlicher Kampf, Sachse. Du hast deine Haut und dein Geld gerettet. Nun kannst du weiter ziehen. Aber höre, forsche nicht nach wer oder was wir sind; sonst wird es dir schlecht ergehen", sagte der Hauptmann.

Gurth dankte und gab sein Versprechen. Dann machte er sich auf den Weg zum Zelt seines Herrn. Dort erzählte er alles und der enterbte Ritter staunte nicht schlecht über Rebekkas Geschenk.

Schließlich gingen sie schlafen und Gurth legte sich mit seinem Bärenfell quer vor den Eingang um seinen Herrn zu beschützen.

 

 

 

7. Der zweite Turniertag

Der Morgen brach mit strahlend blauem Himmel an. Die ersten Zuschauer machten sich schon mit den ersten Sonnenstrahlen auf den Weg zum Turnierplatz.

Zwei Parteien gab es: die es enterbten Ritters, als Sieger des Vortages - und die von Brian de Bois-Guilbert, der als Zweiter geführt wurde. Die Herolde nahmen die Namen der Ritter auf, die am Turnier teilnehmen wollten und trugen ein, für welche Partei sie kämpften.

Die Besiegten vom Vortag trugen sich alle bei Sir Brian ein. Es gab aber genug ausgezeichnete Bewerber, die sich auf beide Seiten verteilten und als fünfzig auf jeder Seite gemeldet waren erklärten die Marschälle, dass die Aufnahme beendet sei.

Mit Fanfaren wurde Prinz John angekündigt. Gleich danach erschien Cedric mit Lady Rowena. Wer fehlte war sein Freund und Nachbar Athelstane. Der hatte sich die Rüstung angelegt und sich auf der Seite des Templers eintragen lassen. Er hatte schon länger ein Auge auf Lady Rowena geworfen und so war ihm der Unbekannte, der Rowena zur Königin erwählt hatte ein Hindernis, das es zu bezwingen galt.

Sobald Prinz John die Ankunft von Lady Rowena bemerkte, ritt er mit jener Höflichkeit, die er so gut zur Schau stellen konnte, auf sie zu, half ihr aus dem Sattel und führte sie zu ihrem Ehrenplatz gegenüber seines eigenen Throns. Die Menge jubelte ihr lautstark zu.

Nach einer Fanfare ritten die Ritter ein und stellten sich einander gegenüber auf. Die Anführer befanden sich in der Mitte. Es war ein prächtiger und zugleich Angst einflößender Anblick. Die Ritter hielten ihre Lanzen aufrecht und saßen reglos in ihren Sätteln.

Die Trompeten ertönten erneut und die Lanzen senkten sich. Die Ritter gaben ihrem Pferd die Sporen, stürmten in vollem Galopp los und trafen in der Mitte des Platzes mit lautem Getöse aufeinander. Die ersten Folgen ließen sich nicht gleich erkennen. Als sich der Staub gelegt hatte, konnte man feststellen, dass ungefähr die Hälfte aller Ritter jeder Partei aus dem Sattel geworfen worden war. Sie berappelten sich und kämpften, wie es die Turnierregeln vorsahen gegen Gegner in derselben Lage.

Wer noch auf dem Pferd saß, zog sein Schwert, weil die Lanzen beim Zusammenprall alle gesplittert waren. Mit jedem Angriff verringerte sich die Zahl der Kämpfer und bald war der enterbte Ritter fast allein gegen Bois-Guilbert, Front de Boeuf und Athelstane, den Nachbar von Cedric. Es war offensichtlich, dass er keine Chance mehr hatte und die Gefolgsleuchte des Prinzen forderten ihn auf, das Zeichen zur Beendigung des Kampfes zu geben.

Doch Prinz John dachte nicht daran. Dieser namenlose Ritter musste zu Fall gebracht werden. Und so ging der Kampf unvermindert weiter. Unter den Anhängern des enterbten Ritters, befand sich ein Kämpfer in einer schwarzen Rüstung und schwarzem Pferd.

Er war es, der unserem Ritter nun zu Hilfe kam und sowohl Front de Boeuf, als auch Athelstane mit einem gekonnten Schlag zu Fall brachte. Dann zog er sich wieder zurück und überließ seinem Anführer Brian Bois-Guilbert.

Das Pferd des Tempelritters blutete stark und wankte bei jedem Stoß. Endlich stürzte Sir Brian zu Boden und verwickelte sich im Steigbügel. Sein Gegner sprang ebenfalls vom Pferd und forderte den Templer auf, sich zu ergeben.

Prinz John gab augenblicklich das Zeichen zum Ende des Kampfes. Es war seine Pflicht den tapfersten Mann an diesem Tag zu küren. So beschloss er, den schwarzen Ritter zu ernennen. Aber der war wie vom Boden verschluckt. So blieb ihm nichts anderes übrig, als den enterbten Ritter auch am zweiten Tag zum Sieger zu erklären.

Der Ritter machte eine tiefe Verbeugung und begab sich zur Königin der Liebe und Schönheit um aus ihren Händen die Ehrenkrone zu empfangen. Unter großem Jubel querte er dem Kampfplatz bis zum Balkon Lady Rowenas.

Dort kniete er nieder und Rowena kam die Stufen herab, um ihm den Kranz aufs Haupt zu setzen.

"So darf es nicht geschehen", riefen die Marschälle, "der Helm muss abgenommen werden."

Und ehe der enterbte Ritter etwas erwidern konnte, nahmen sie ihm den Helm ab. Es kam ein hübsches Gesicht eines jungen Mannes zum Vorschein. Es war blutverschmiert und totenbleich. Also Rowena ihn erblickte stieß sie einen kurzen Schrei aus, fasste sich aber schnell wieder und setzte ihm mit zitternden Fingern den Kranz auf.

"Ich reiche Euch diesen Kranz, werter Ritter, als Auszeichnung für Eure Tapferkeit und den Sieg dieses Tages."

Der Ritter neigte den Kopf und küsste die Hand Rowenas, dann sank er auf die Knie und fiel leblos vor ihre Füße. Alles schrie bestürzt auf. Cedric, starr vor Schreck, weil er unter dem Helm seinen verbannten Sohn erkannte hatte, rannte hinzu.

Die Marschälle nahmen ihm eilig die Rüstung ab und entdeckten, dass eine Lanze durch den Panzer gedrungen war und ihm eine tiefe Wunde in der Seite zugefügt hatte.

 

 

 

8. Robin von Locksley

Der Name Ivanhoe ging wie ein Lauffeuer von Mund zu Mund und erreichte in Windeseile Prinz John. Dem war beim Gedanken, den Liebling seines Bruders, König Richard, hier zu haben, mehr als unwohl. Zusammen mit seinen Gefolgsleuten diskutierte er, was dieses Eintreffen für Folgen haben würde.


Robin von Locksley

Prinz John hatte ein Lehen, das König Richard Ivanhoe versprochen hatte, einfach an Front de Boeuf gegeben. Außerdem war es den Herren nicht entgangen, welch großen Anteil die Königin der Liebe und Schönheit am Zustand Ivanhoes genommen hatte.

"Wir wollen ihren Kummer lindern", sagte Prinz John, "indem wir ihr Blut durch die Heirat eines Normannen verbessern. Was meint Ihr, de Bracy? Die Lady hat schöne Ländereien, wäre das etwas für Euch?"

"Die Ländereien sind ganz nach meinem Geschmack, Eure Hoheit. Es wird mir leicht fallen, mich mit der Braut anzufreunden."

"Wir werden Lady Rowena zusammen mit ihrem Vormund dem Sachsen Cedric zum Bankett heute Abend einladen. Die Einladung soll so höflich wie möglich vorgetragen werden, auch wenn es bedeutet Perlen vor die Säue zu werfen."

Als Prinz John gerade aufbrechen wollte, wurde ihm eine Nachricht überbracht. Sie war vom König von Frankreich und war kurz und prägnant: Nehmt Euch in Acht, der Teufel ist los!

"Wir müssen sofort aufbrechen und unsere Truppen sammeln", erklärte Fitzurse.

"Wir können das Turnier nicht so beenden. Die Lehensbauern erwarten noch das Bogenschießen für morgen", entgegnete de Bracy.

"Der Tag ist noch jung", erklärte Fitzurse, "Lasst die Bogenschützen heute noch antreten, verteilt einen Preis und alle sind zufrieden."

"Ein guter Rat", sagte der Prinz. "Und das Bankett soll noch heute Nacht stattfinden."

Der Schall der Trompeten rief die Zuschauer zurück. Dann wurde ihnen mitgeteilt, dass Prinz John wegen dringender Staatsgeschäfte die Festlichkeiten für morgen absagen musste. Deswegen würde das Preisschießen heute noch stattfinden.

Acht Männer stellten sich zum Duell. Prinz John kam heran, um die Schützen zu mustern. Als seine Neugierde befriedigt war, fiel ihm der Lehensbauer auf, mit dem der Jude Isaak am ersten Turniertag in Streit geraten war, als er einen guten Platz für sich und seine Tochter gesucht hatte.

"Höre Bursche. Gestern hattest du ein so großes Maul und heute wagst du es nicht, dich mit den Schützen hier zu messen?"

"Mit Verlaub, Herr. Ich möchte nur nicht, dass auch der dritte Preis dieses Turniers an jemanden geht, der euch missfällt."

Der Prinz wurde blass bei diesen Worten. "Wie ist dein Name?"

"Robin Locksley!"

"Nun, Locksley. Wenn der beste Schütze ermittelt wurde, wirst du gegen ihn antreten. Gewinnst du, erhöhe ich dein Preisgeld um zwanzig Zechinen, verlierst du wirst du als Prahler mit Bogensehnen vom Platz gepeitscht."

"Sehr wohl, Hoheit. Ich werde gehorchen."

Die Zielscheibe wurde aufgestellt und jeder Schütze durfte drei Schüsse machen. Von den vierundzwanzig Pfeilen landeten nur zehn im Ziel und davon zwei im Schwarzen. Sie waren von Hubert, dem Förster von Malvoisin, der damit zum Sieger ernannt wurde.

"Nun Locksley, willst du es mit Hubert aufnehmen?", sagte der Prinz mit bitterem Lächeln.

"Ich werde mein Glück versuchen", antwortete Robin.

Den ersten Schuss gewann Locksley und Prinz John wurde dem Förster gegenüber sehr ungehalten. Für den zweiten Schuss strengte der sich mehr an und landete genau in der Mitte. Das war nicht zu überbieten. Doch Robin ergriff seinen Bogen, konzentrierte sich und sein Pfeil spaltete den von Hubert in zwei Teile.

Die Zuschauer raunten sich verwundert zu: "Das muss mit dem Teufel zugehen. Einen solchen Schützen gibt es in ganz England nicht."

Nun nahm Locksley einen daumendicken Weidenzweig und steckte ihn am Ende des Weges in die Erde. "Wer diesen Zweig auf hundert Ellen trifft, den nenne ich einen Schützen, der würdig wäre König Richard zu dienen", sprach er und sah Prinz John herausfordernd an.

Dieser blickte zu Hubert, doch der trat einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. "Ich könne ebenso gut auf die Schneide eine Messers zielen. Ich gebe mich geschlagen."

"Feiger Hund", sagte Prinz John, und zu Locksley gewandt: "Schieße, und triffst du das Ziel, erkläre ich dich zum besten Schützen, den ich je gesehen habe."

Robin straffte die Sehne, und zielte mit Bedacht. Der Pfeil traf sein Ziel und spaltete den Weidenzweig entzwei. Allgemeiner Beifallsjubel ertönte und selbst Prinz John konnte nicht umhin den Schützen zu bewundern. Er übergab ihm den versprochenen Lohn und ein silbernes Jagdhorn, gratulierte und bot ihm an in seine Leibgarde einzutreten.

"Verzeihung, edler Herr, aber ich habe geschworen bei niemand in den Dienst zu treten außer bei Eurem königlichen Bruder Richard. Mein Preisgeld überlasse ich Hubert, der heute vorzüglich geschossen hat. Wäre er nicht aus Bescheidenheit zurückgetreten, hätte er ebenfalls getroffen."

Mit diesen Worten verschwand Robin Locksley in der Menge und ward nicht mehr gesehen.

Doch Prinz John hatte bereits andere Sorgen. Er rief einen Diener und schickte ihn zu Isaak von York, um zweitausend Kronen zu holen. "Wenn er Schwierigkeiten macht, sag dem ungläubigen Hund, bezahlt er mit seinem Kopf."

Prinz John bestieg sein Pferd und ritt nach Ashby, um sich für den Abend vorzubereiten.

 

 

 

9. Das Bankett

Das Schloss zu Ashby gehörte damals Roger de Quincy, Graf von Winchester, der sich derzeit im Heiligen Land aufhielt. Prinz John hatte sich dessen einfach bemächtigt.

Was das Land zu bieten hatte, fand man auf der Tafel und die Zahl der Gäste war außerordentlich groß. Gerade in diesen unruhigen Zeiten war es klug sich mit den angelsächsischen Familien gut zu stellen. So empfing Prinz John Cedric und Athelstane und zeigte keinen Unmut darüber, dass sich Lady Rowena als krank entschuldigen ließ.

Die Normannen neigten zwar zum Luxus, aber schätzten eher die Qualität als die Quantität. Das unterschied sie zu den lebenslustigen Angelsachsen. Und so wurden Cedric und Athelstane wegen ihrer unzureichenden Tischmanieren und der Massen, die sie zu sich nahmen, zum heimlichen Gespött.

Ansonsten sprach man von den Ereignissen des Turniers. Von dem Sieger im Bogenschießen, dem schwarzen Ritter und dem tapferen Ivanhoe.

Nur auf dem Gesicht von Prinz John zeigten sich düstere Wolken. Auf einmal sprang er auf, hob seinen Becher und rief: "Wir trinken auf das Wohl Wilfreds von Ivanhoe, des Siegers des Turniers. Leider kann er aufgrund seiner Verletzung nicht an diesem Mahl teilnehmen. Hebt alle Eure Becher, besonders Ihr, Cedric von Rotherwood müsst doch stolz sein auf einen solchen Sohn."

"Nein, Mylord. Ich trinke nicht auf einen Sohn, der seinem Vater nicht gehorcht. Er hat mein Haus verlassen um an den Hof Eures Bruders zu gehen. Dort hat er alles gelernt, was Ihr heute sehen konntet. Außerdem hat er das Land als Lehen angenommen, das seit jeher unser rechtmäßiger Besitz war."

Die Stimmung an der Tafel schwankte und der Ton wurde immer aggressiver. Prinz John versuchte weiter mit spitzen Bemerkungen Cedric zu provozieren.

Der Sachse unterdrückte seinen Zorn nur mit Mühe, hob dann aber seinen Becher und rief: "Ich trinke auf das Wohl Richards - auf Richard Löwenherz!"

Das hatte der Prinz nicht erwartet und seine Augen funkelten in die Runde, wie sich seine Anhänger verhalten würden. Viele der Anwesenden verhielten sich still, doch einige riefen: "Lang lebe König Richard!"

Nachdem Cedric seinen Triumph kurz genossen hatte, wandte er sich an Athelstane und die beiden erhoben sich und verließen stolz den Saal.

"Das ist Eure Schuld Fitzurse", zürnte der Prinz. "Niemals hätte ich diese angelsächsischen Flegel an meinen Tisch einladen sollen."

Fitzurse neigte sich zu de Bracy und flüsterte: "Schon der Name seines Bruders macht ihm Angst. Da haben wir es schwer als seine Berater, wenn es ihm an Ausdauer und Entschlossenheit fehlt."

Und so machte sich Waldemar Fitzurse daran die Untertanen wieder eindeutig auf die Seite von Prinz John zu bringen. Das Argument, das dabei die größte Rolle spielte, war Geld, denn keiner folgte Prinz John, weil er ihn besonders mochte. Vielmehr war es die Angst vor der Rückkehr von König Richard. Was würde der mit den untreuen Gefolgsleuten machen?

John lockte mit Reichtum und Privilegien, während sie fürchten mussten, dass Richard mit dem Racheschwert zurückkehren würde.

Diese Situation erleichterte die neuesten Pläne des Prinzen. Er rief eine Versammlung in York ein, bei der alle Vorbereitungen für eine Krönung von Prinz John getroffen werden sollten. Und die meisten willigten ein, sich dort einzufinden.

Es war tief in der Nacht im Schloss von Ashby, als die beiden Berater des Prinzen Fitzurse und de Bracy aufeinander trafen. De Bracy trug nicht mehr seine Festkleidung, sondern die Kluft eines sächsischen Kriegers.

"Was ist das für eine Verkleidung?", fragte Fitzurse.

"Ich werde mir eine Frau verschaffen."

"Und wie, wenn man fragen darf?"

"Nun, ich werde in dieser Verkleidung die Herde sächsischer Ochsen überfallen, die heute Nacht das Schloss verlassen hat. Von ihnen werde ich die liebenswürdige Rowena erbeuten."

"Ihr seid verrückt, de Bracy!"

"Keiner wird mich erkennen. Jeder wird glauben, dass es Geächtete aus den Wäldern von Yorkshire waren. Sie verbringen die Nacht im Kloster des Heiligen Withold. Im Morgengrauen überfallen wir sie. Gleich darauf erscheine ich in meiner eigenen Gestalt, spiele den galanten Ritter, befreie die Schöne aus den Händen der Räuber und führe sie auf das Schloss von Front de Boeuf. Dann lasse ich sie nicht eher zurück, bis sie meine Gemahlin ist."

"Ein wunderbarer Plan. Fast zu gut, als das er von Euch sein kann. Wer hat Euch geholfen?"

"Der Tempelritter. Er wird mir helfen und mit seinen Leuten die Geächteten spielen."

"Es wird Euch wahrlich gelingen, Lady Rowena aus den Händen der Sachsen zu reißen. Aber wie Ihr sie später aus den Klauen von Bois-Guilbert befreien wollt, scheint mir die schwerere Aufgabe zu sein", warf Fitzurse ein.

"Aber er ist ein Templer! Er kann unmöglich mein Nebenbuhler sein. Außerdem würde er es niemals wagen, mich so zu beleidigen. Ah, ich höre draußen meine Gefährten und ihr Pferde. Lebt wohl!"

Fitzurse schüttelte den Kopf und blickte dem Trupp hinterher.

 

 

 

10. Der schwarze Ritter

Wie schon erwähnt, hatte der schwarze Ritter den Turnierplatz gleich verlassen. Sein Weg führte ihn auf wenig genutzten Pfaden in Richtung Norden. Als es dunkel wurde, erreichte er eine Lichtung, auf der sich eine Lehmhütte befand. Dicht daneben floss Wasser aus einer Quelle und daneben befanden sich die Ruinen einer winzigen Kapelle.

Der Ritter stieg von seinem Pferd und klopfte an die Hüttentür.

"Reitet weiter, wer Ihr auch seid!", drang es nach einer längeren Pause heraus. "Stört mich nicht bei meiner Abendandacht."

"Ehrwürdiger Vater, ich bitte um Eure Gastfreundschaft. Ich habe mich verirrt und bin hungrig."

Die Stimme in der Hütte erklärte, dass er selbst nichts besäße, was er teilen könne und drängte den Ritter abermals zum Weiterreiten. Doch der ließ nicht locker. Nach längerem Hin und Her, öffnete sich die Tür und ein großer Mann von kräftiger Statur und einer Fackel in der Hand erschien. Zwei große, zottige Hunde standen bereit und knurrten den Ritter an.

Der schaute sich um, und fand tatsächlich nichts in der Hütte als ein Lager aus Blättern, einen Holztisch und zwei Stühle.

"Eure Armut, sollte Euch doch vor Dieben schützen. Dazu habt Ihr noch diese tüchtigen Hunde", meinte der schwarze Ritter an den Geistlichen gerichtet.

"Der Förster dieses Waldes hat mir erlaubt die Hunde zu meinem Schutz zu halten."

Die beiden musterten sich eine Weile und stellten fest, dass sie selten einen kräftigeren, athletischeren Mann gesehen hatten als ihr Gegenüber.

Der Eremit bot dem Ritter einen der beiden Stühle an und stellte ihm getrocknete Erbsen auf den Tisch. Der zog seinen Helm ab und es erschien lockiges blondes Haar. Nun zog auch der Einsiedler seine Kapuze ab und zeigte das Haupt eines Mannes im mittleren Alter. Seine Tonsur war von schwarzen Locken umgeben. Das Gesicht ließ weder mönchische Strenge noch Askese erkennen.

Überhaupt deutete seine ganze Erscheinung eher auf den Genuss von Rehkeulen und Braten, als auf getrocknete Erbsen hin.

Die Männer kamen ins Gespräch und der Ritter erfuhr, dass sein Gegenüber der heilige Mönch von Copmanhurst genannt wurde. Er erklärte, dass man ihn den schwarzen Ritter nannte.

Nach einer Weile sagte der Mönch: "Ich sehe, dass Euch meine Kost nicht sonderlich schmeckt. Da fällt mir gerade ein, dass mir der Förster nicht nur die Hunde, sondern auch ein paar Lebensmittel da gelassen hat. Ich hatte sie schon ganz vergessen."

Der Eremit öffnete eine versteckte Tür und brachte eine Zinnschüssel mit einer Pastete auf den Tisch. Der schwarze Ritter bat den Mönch das Essen mit ihm zu teilen und so langten beide kräftig zu. Als der Einsiedler dann auch noch einen guten Tropfen Wein aus seiner geheimen Kammer hervorholte, versprach es ein gemütlicher Abend zu werden.

Nachdem sie ihr Mahl beendet hatten, stand der Mönch auf und holte eine alte Harfe aus einer zweiten Kammer. Der Ritter bat, sie stimmen zu dürfen. Als er das Instrument in Ordnung gebracht hatte, fragte er, was der Mönch gerne hören würde.

"Eine Ballade, ein echtes sächsisches Lied! Ich bin ein schlichter Sachse und in meiner einfachen Hütte sollen nur Sachsenlieder gesungen werden!"

Es zeigte sich, dass der Ritter zwar kein vollendeter Sänger war, sich aber auf den Vortrag von Liedern ausgezeichnet verstand. Der Mönch lauschte mit halb geschlossenen Augen und ließ seine Hände im Takt mitschwingen.

Ein Lied folgte dem nächsten und die Weinbecher leerten sich ebenso gleichmäßig. Plötzlich wurde das fröhliche Gelage durch ein lautes Pochen an der Tür unterbrochen.

 

 

 

11. Der Überfall

Nachdem Ivanhoe auf den Turnierplatz vor Lady Rowena zusammengebrochen war hatte Cedric, sein Vater, Anweisung gegeben, ihn zu versorgen und in Obhut zu nehmen. Vor der Menschenmenge konnte er unmöglich zu erkennen geben, dass dieser junge Mann sein verstoßener Sohn war. Daher wies er Oswald an, ihn nach Ashby zu schaffen, sobald die Menge sich aufgelöst hatte.

Doch irgendjemand kam Oswald zuvor, denn wie von Zauberhand war Ivanhoe plötzlich verschwunden. Nur noch sein Blutfleck war zu sehen. Doch was Oswald noch sah, war das Gesicht von Gurth, dem Schweinehirten. Der suchte ebenfalls nach seinem jungen Herrn.

Als Oswald zu seinem Herrn zurückkehrte konnte er zum einen den Schweinehirten übergeben, zum anderen erzählte er, was er von den Leuten erfahren hatte. Ivanhoe war von gut gekleideten Dienern auf die Sänfte einer der Damen aus den Zuschauerrängen gelegt und weggeschafft worden.

Cedric hatte sich große Sorgen gemacht, denn obwohl er seinen Sohn verstoßen hatte, empfand er dennoch väterliche Liebe für ihn. Kaum hatte er aber vernommen, dass Ivanhoe sich in fürsorglichen Frauenhänden befand, siegte sein gekränkter Stolz und er donnerte:

"Soll er seines Weges gehen. Soll ein normannisches Weib seine Wunden pflegen."

Die Nacht nach dem Bankett hatten sie im Kloster St. Withold verbracht. Der Abt war selbst sächsischer Herkunft und hatte seine Landsleute mit überschwänglicher Gastfreundschaft verwöhnt. Am nächsten Morgen verließ der Trupp den Klosterhof, um nach Rotherwood zurückzukehren.

Gurth wurde gefesselt mitgeführt und der Narr Wamba ritt neben seinem Freund. Der Schweinehirte wollte Wamba bitten, bei Cedric für seine Freilassung zu plädieren. Aber der Narr wusste, dass das bei der derzeitigen Laune seines Herrn wenig Aussicht auf Erfolg hatte. So fielen sie in düsteres Schweigen.

Cedric und Athelstane ritten an der Spitze und unterhielten sich über die Lage des Landes. Sein Lieblingsthema war die Befreiung von der normannischen Herrschaft. Der Sachse hatte klare Pläne, wie die Zukunft seines Landes aussehen sollte. Dafür hatte er eine Heirat zwischen seinem Mündel Rowena und seinem Freund Athelstane vorgesehen.

Diesem Plan stand aber ein Hindernis im Weg, nämlich die Liebe von Rowena zu seinem Sohn Wilfred. Und diese Liebe war der eigentliche Grund für die Verbannung seines Sohnes. Doch damit hatte er nichts erreicht. Rowena schwor, lieber ins Kloster zu gehen, als Athelstane zu heiraten.

Diesen Eigensinn hatte Cedric nicht zuletzt seiner Erziehung zuzuschreiben. Rowena war eine direkte Nachkommin von König Alfred, den Cedric vergöttert hatte. Daher behandelte er den einzigen Sprössling dieses Königs mit mehr Verehrung, als sie einer wahren Prinzessin zustand. Rowenas Wille galt im Hause Cedrics als Gesetz.

Allerdings ließ er nichts unversucht, seine Pläne doch noch in die Tat umzusetzen. Das plötzliche Auftauchen Ivanhoes auf dem Turnier war ein harter Rückschlag gewesen.

Zu Mittag machten die Reisenden auf Athelstanes Wunsch Halt in einem schattigen Waldstück unweit einer Quelle, um ihre Pferde ausruhen zu lassen und selbst etwas zu essen. Die Mahlzeit dauerte viel zu lange, und so brachen sie eilig auf, um ihre Reise fortzusetzen.

Sie hatten den Rand eines Waldes erreicht, durch den ihr durchaus gefährlicher Weg führte. Geächtete hausten dort, die durch Armut und Unterdrückung dazu gezwungen waren, Reisende auszurauben.

Plötzlich hörten sie einen Hilferuf. Sie näherten sich der Stelle und fanden eine Sänfte, neben der ein jüdisches Mädchen saß und einen alten Mann, dessen gelbe Kappe ihn ebenfalls als Jude erkenntlich machte.

Cedric fragte, was geschehen sei und Isaak von York, denn er war der alte Mann, erzählte laut fluchend, dass die sechs Männer, die er angeheuert hatte, geflohen waren, weil sie Angst vor dem Wald hatten.

"Würdet Ihr nicht erlauben, werte Herren", fragte der Jude demütig, "dass wir unter eurem Schutz reisen. Meine Dankbarkeit sei Euch gewiss."

Athelstane wollte gleich weiter reiten, doch Cedric schlug vor, zwei Männer zum Schutz zurückzulassen, die sie zum nächsten Dorf bringen sollten. Rowena stimmte dem Vorschlag ihres Vormundes zu.

Da erhob sich Rebekka, kniete vor der sächsischen Dame nieder und flehte: "Ich bitte nicht für mich, noch für meinen Vater. Ich weiß, dass es für Christen keine große Sünde ist, Juden zu misshandeln. Aber hier auf der Sänfte ist jemand, den ich Eurem Schutz befehle. Ihr selbst würdet es nicht ertragen, sollte ihm etwas zustoßen."

Die Worte beeindruckten Rowena sehr und so konnte sie Cedric umstimmen, die drei Personen mitzunehmen.

Beim allgemeinen Tumult, gelang es Gurth ins Dickicht zu entkommen. Sein Verschwinden wurde erst bemerkt, als der Trupp sich wieder in Bewegung gesetzt hatte. Da aber die Gefahr durch Geächtete zu groß war, konnte man sich nicht darum kümmern, ihn wieder einzufangen.

Der Pfad führte durch ein enges Tal. Cedric und Athelstane erkannten die Lage und trieben alle zu höchster Eile an. Doch sie waren nicht schnell genug. Plötzlich wimmelte es von allen Seiten von Angreifern.

Die Sachsen hatte keine Chance. Im Nu waren sie, samt ihrem Gefolge in Gefangenschaft geraten. Nur eine konnte entkommen - der Narr Wamba. Er versteckte sich im Dickicht. Plötzlich hörte er jemanden seinen Namen rufen und ein Hund sprang freudig auf ihn zu. Es war Fangs, Gurths Hund.

"Was ist denn passiert?", fragte Gurth.

"Man hat alle gefangen genommen, Mylord und Mylady, Athelstane und Oswald…"

"Wir müssen sie befreien!", rief Gurth.

"Wir sind nur zu zweit", wandte Wamba ein.

"Aber wir sind zwei entschlossene, tapfere Männer. Los, folge mir."

Als der Narr gerade hinter Gurth her wollte, tauchte ein Mann vor ihnen auf. Aus der Kleidung schloss Wamba, dass er ein Geächteter war. Er trug ein silbernes Jagdhorn und einen Bogen und fragte die beiden:

"Was ist hier los? Wer plündert in meinem Wald?"

"Das fragst du? Es werden deine Männer sein - hinter ihren Masken sehen alle gleich aus", entgegnete der Narr.

"Das werde ich gleich wissen. Rührt euch nicht vom Fleck." Damit nahm er sein Jagdhorn von der Schulter, die Feder vom Hut und reichte beides Wamba. Dann zog er eine Maske aus der Manteltasche und schlich davon.

Die beiden entschieden, auf den Fremden zu hören, und abzuwarten. Nach wenigen Minuten kehrte der Bogenschütze zurück. "Meine Freunde, ich habe mich unter die Kerle gemischt, und weiß jetzt, wer sie sind. Sie werden den Gefangenen keine Gewalt antun. Aber wir drei können gegen sie nichts ausrichten. Sie sind zu gute Kämpfer.

Ich werde meine Männer zusammentrommeln und dann werden wir euren Herrn, Cedric den Sachsen und seine Leute aus der Not befreien. Folgt mir!"

Mit großen Schritten ging er durch den Wald und Gurth und Wamba folgten ihm. Da es nicht in Wambas Natur lag, lange zu schweigen, meinte er: "Ich glaube, ich sah den Pfeil fliegen, der dieses Jagdhorn gewonnen hat."

"Und ich", fügte Gurth hinzu, "ich wette, dass ich eure Stimme kenne."

"Meine Freunde", sagte der Bogenschütze, "wer ich bin, tut hier nichts zur Sache. Wenn ich euren Herrn befreie, könnt ihr mich als euren besten Freund betrachten."

Nach gut drei Stunden Wanderung erreichten die drei Männer eine Lichtung, in deren Mitte eine gewaltige Eiche stand. Darunter lagen fünf Männer. Als der Wachposten das Geräusch nahender Schritte bemerkte, schlug er Alarm. So wurden die drei von sechs aufgespannten Bogen begrüßt.

Als sie Locksley erkannten grüßten sie ihn freundlich und voller Respekt. Er erfuhr, dass sich einige seiner Männer auf Beutezug befanden.

"Wo ist der Mönch?"

"In seiner Klause!"

"Dann will ich zu ihm. Ihr verteilt euch und sucht eure Gefährten. Sammelt so viele ihr könnt. Bei Tagesanbruch trefft ihr mich hier."

Locksley und seine beiden Begleiter setzen ihren Weg fort in Richtung der Klause des Mönches. Als sie ganz in der Nähe waren flüsterte Wamba Gurth ins Ohr: "Auch wenn das Harfentöne sind, ein Sanctus hört sich anders an!"

In der Tat hatten der Mönch und sein Gast in der Hütte gerade aus vollen Lungen ein Trinklied angestimmt und wurden durch Locksleys Klopfen aufgeschreckt. Schnell ließen sie alle Spuren der Völlerei verschwinden und der schwarze Ritter setzte sich seinen Helm auf.

"Der Himmel vergebe Euch, werter Reisender", säuselte der Mönch, "geht Eures Weges mit Gottes Segen und stört nicht weiter meinen Bruder und mich bei unserer Andacht!"

"Verrückter Pfaffe! Erkennst du mich nicht? Ich bin's Locksley!"

Da öffnete sich die Tür und die drei Männer betraten die kleine Hütte.

Robin zog den Mönch zur Seite und flüsterte: "Bist du verrückt? Einen Ritter, den du nicht kennst, einzulassen? Hast du unsere Gesetze vergessen?

Da mischte sich der schwarze Ritter ein: "Guter Mann, streitet nicht mit einem gutmütigen Wirt. Er war so freundlich mir ein Lager für die Nacht zu geben."

"Seid Ihr nicht der Ritter, der beim Turnier von Ashby dem enterbten Ritter beigestanden hat? So seid Ihr auf unserer Seite?"

"England und das Leben jedes Angelsachsen kann niemandem wertvoller sein als mir."

"So hört beide gut zu. Du mein Freund, musst die Kutte gegen das Wams tauschen, wir brauchen jede Hand. Eine Bande von Schurken in der Verkleidung von Geächteten hat den edlen Cedric sowie seine Tochter und seinen Freund Athelstane gefangen genommen und auf ein Schloss hier in der Gegend gebracht. Ich frage Euch nun, Ritter, wollt Ihr bei der Befreiung helfen?"

"Das ist meine Pflicht!"

 

 

 

12. In Gefangenschaft

Der Zug mit den Gefangenen war bereits Nahe am Schloss von Front de Boeuf. Der Morgen brach an und so kamen so etwas zügiger voran.

"Nun, de Bracy", sagte der Tempelritter, "es wird langsam Zeit, dass ihr uns verlasst, um als ritterlicher Befreier wiederzukehren."

"Ich habe es mir anders überlegt", antwortete de Bracy, dem noch die Warnung seines Kollegen Fitzurse nachklang. "Ich werde die Schöne sicher zum Schloss begleiten und ihr dort meine Aufwartung machen. Meine Leidenschaft wird sie milde stimmen."

"Was bewegt Euch, Eure Pläne zu ändern? Traut Ihr mir nicht? Ich versichere Euch die blauäugige Schönheit kümmert mich nicht. Mich reizt vielmehr die schöne Jüdin."

"Bei allen Heiligen! Aber ich nehme an, dass Euer Augenmerk mehr auf dem Geldbeutel des Vaters als auf den Augen der Jüdin liegt!"

"Ich bewundere beides", erwiderte Brian.

Etwas weiter hinten versuchte Cedric herauszubekommen, warum und von wem sie gefangen genommen worden waren. Aber seine Bewacher schwiegen ihn eisern an. Endlich beim Schloss von Front de Boeuf angekommen wurde ihm aber alles klar. Es waren auf keinen Fall Geächtete, die ihm zum Schloss seines gehassten Nachbarn brachten.

Eine Zugbrücke wurde heruntergelassen und die Gefangenen in Räume aufgeteilt. Rowena und Rebekka wurden in abgelegene Zimmer geleitet und Isaak, der sogar Geld geboten hatte, um bei seiner Tochter zu bleiben, wurde unsanft in die Kellergewölbe gebracht.

Die Dienerschaft kam in einen anderen Teil des Schlosses. Nur Cedric und Athelstane blieben zusammen und bekamen von vier maskierten Dienern zu essen.

"Was soll das", schrie Cedric. "Denkt ihr, wir wissen nicht, wessen Gefangene wir sind? Sagt Reginald Front de Boeuf er soll das Lösegeld nennen und ich werde bezahlen."

Die Diener verbeugten sich und ließen die beiden Männer allein. Nach einiger Zeit ertönte ein Horn. Es wurde dreimal mit solcher Macht geblasen, als sollten die Mauern von Jericho erschüttert werden.

Das Zimmer, in das Lady Rowena gebracht wurde, war das der Verstorbenen Gattin von Front de Boeuf. Die Spuren der Zeit hatten die Einrichtung etwas mitgenommen, dennoch erwies es sich als das passendste Zimmer für eine sächsische Prinzessin.

De Bracy, der seine Maske und den grünen Mantel abgelegt und sich ganz nach der Mode herausgeputzt hatte, erschien, um der Schönheit seine Aufwartung zu machen. Mit einer höflichen Geste lud er sie ein, Platz zu nehmen.

Rowena wehrte ihn schroff ab und sagte: "Wenn ich mich in Gegenwart meines Kerkermeisters befinde, so halte ich es für passend mein Urteil stehend zu erwarten."

"Schöne Rowena, Ihr befindet Euch in Gegenwart Eures Gefangenen, und aus Eurem Mund muss ich das Urteil erwarten."

"Euer eitles Geschwätz ziemt sich nicht. Ich kenne Sie überhaupt nicht."

De Bracy setzte seinen ganzen Charme ein, doch die Prinzessin blieb ungerührt.

"Euer Hochmut, stolze Lady, wird Euch noch vergehen. Ihr werdet dieses Schloss erst wieder verlassen, wenn Ihr meine Frau seid. Und solltet Ihr noch hoffen, König Richard kehrt zurück und gibt seinen Segen zu einer Heirat mit seinem Günstling Wilfred von Ivanhoe, dann muss ich Euch enttäuschen.

Was denkt Ihr, wer in der Sänfte der Jüdin war? Ivanhoe ist in meiner Gewalt. Und ich bin mir sicher, dass Front de Boeuf nichts lieber täte, als ihn aus dem Weg zu räumen, weil er seinen Ansprüchen auf den Besitz Ivanhoe im Weg steht. So werdet Ihr bald um ihn trauern."

"Um Gotteswillen, rettet ihn!", rief Rowena, deren Standhaftigkeit bei dem Gedanken an das drohende Schicksal des Geliebten gewichen war.

"Das werde ich tun, wenn Ihr einwilligt, meine Frau zu werden. Euer Geliebter liegt schwer verwundet im Schloss, wie schnell kann sich seine gesundheitliche Lage verschlechtern. Denkt darüber nach."

Die Prinzessin ließ sich auf einen Sessel sinken und vergrub Ihr Gesicht in ihren Händen. De Bracy sah, wie ihr Körper anfing zu beben und Rowena in Tränen ausbrach. Er war Berater des Prinzen, Ritter in zahllosen Gefechten, aber bei den Tränen schöner Frauen, wurde er weich wie Butter in der Sonne.

Während er gerade mit sich haderte, schmetterte plötzlich jenes Jagdhorn, dass das gesamt Schloss aufschreckte.

Rebekka saß währenddessen in einem abgelegenen Turm und erwartete ihr Schicksal. Die Jüdin müsste ein noch schrecklicheres Los erwarten als Rowena. Doch sie hatte den Vorteil, dass sie daran gewöhnt war nachzudenken und Gefahren besser zu begegnen. Außerdem war sie nicht allein. Man hatte sie zu einer alten, hässlichen Frau gesteckt, die offenbar sächsischer Herkunft war.

Doch die Alte verließ das Zimmer mit wilden Flüchen, weil sie es nicht mit einer Jüdin teilen wollte.

Zunächst untersuchte Rebekka die Kammer, ob es ein Versteck oder eine geheime Tür gab. Das einzige Fenster führte nur auf eine Zinne. Ihre Hoffnung wurde enttäuscht. Es blieb ihr nichts, als mit mutigem Gottvertrauen ihre Lage hinzunehmen. Trotzdem zitterte sie, als sie Schritte auf der Treppe hörte.

Ein Mann mit langem Mantel und einer Kapuze, die sein Gesicht verhüllte trat ein. Rebekka nahm ihren gesamten Schmuck ab und reichte ihn dem Mann. "Nehmt dieses Gold und seid barmherzig gegen mich und meinen Vater."

"Schöne Blume Palästinas, dieser Schmuck ist schön, doch kann er mit Eurer Anmut nicht mithalten."

"Versündigt Euch nicht. Mit diesem Lösegeld könnt Ihr Euch Vergnügen erkaufen, und müsst nicht länger von Verbrechen leben. Aber wenn Ihr mein Angebot ausschlagt, könnt Ihr kein Geächteter sein. Ihr seid ein Normanne."

"Gut geraten, Rose von Saron", antwortete Brian de Bois-Guilbert und enthüllte sein Gesicht. "Ich bin kein Geächteter, sondern der Mann, der deinen Hals und deine Arme mit Perlen und Diamanten schmücken wird."

"Was wollt Ihr von mir. Ihr seid Christ und ich Jüdin. Eine Verbindung zwischen uns verstößt gegen Eure und unsere Gesetze."

"In der Tat. Ich würde niemals eine Jüdin heiraten. Deshalb rate ich dir, dich deinem Schicksal zu unterwerfen und den christlichen Glauben anzunehmen und du wirst unter den normannischen Damen eine wichtige Rolle spielen."

"Mich meinem Schicksal fügen und Euren Glauben annehmen? Was ist das für ein Glaube! Euch Templern ist es verboten eine Frau zu heiraten. Ihr würdet Euren Schwur brechen. Was kann man auf das Wort eines solchen Mannes halten? Für mich gibt es nur einen Ausweg…"

Mit diesen Worten öffnete Rebekka das Fenster und kletterte hinaus auf die Zinne. Sir Brian hatte keine Zeit gehabt sie aufzuhalten. Zu überrascht war er von ihrem plötzlichen Entschluss. Er wollte sich ihr nähern aber die Jüdin hieß ihn keinen Schritt zu tun, oder sie würde sich in die Tiefe stürzen.

"Lieber soll mein Körper auf den Steinen zerschmettern, als Opfer Eurer Rohheit zu werden."

Der Ritter zögerte, und seine Entschlossenheit wich der Bewunderung ihrer Seelenstärke. "Komm herunter, Mädchen. Ich schwöre bei der Erde, dem Meer und dem Himmel, ich werde dir nichts tun."

"Ich traue Euch nicht, Templer", erwiderte Rebekka. "Die Tugenden Eures Ordens scheinen nicht sehr ausgeprägt zu sein."

"Du tust mir Unrecht. Verschone dich und sei es nur um deines Vaters willen. Ich werde euch helfen, denn in diesem Schloss braucht ihr einen mächtigen Freund. Gesetze habe ich schon so manche gebrochen, aber noch niemals ein Versprechen, das ich gegeben habe."

Rebekka stieg von der Zinne herab und der Templer bat sie um Verzeihung und um Frieden.

"Wenn Ihr es wollt, ja."

Da vernahmen auch sie das Horn von draußen. Der Templer verabschiedete sich höflich und begab sich in die Halle.

 

 

 

13. Der priesterliche Narr

Als Bois-Guilbert die Halle betrat, war de Bracy bereits dort. Sie tauschten sich kurz über ihre vergeblichen Versuche, um die Damen zu werben, aus.

Front de Boeuf und ein Diener betraten aus zwei Richtungen die Halle. Der Diener übergab seinem Herrn einen Brief, der in sächsischer Sprache verfasst war. Er drehte und wendete das Blatt und gab es weiter an de Bracy. Der konnte, ähnlich wie die meisten Ritter nicht lesen und reichte den Brief an den Tempelritter weiter.

Der überflog den Inhalt. "Es muss sich um einen Scherz handeln!"

"Scherz?", fragte Front de Boeuf. "Wer wagt es, mit uns zu scherzen?"

Sir Brian las Folgendes: "Ich, Wamba, der Sohn des Witless, Hausnarr von Cedric von Rotherwood dem Sachsen und ich, Gurth, der Sohn des Beowulph, der Schweinehirt…"

"Ihr seid wohl verrückt", unterbracht Front de Boeuf den Lesenden.

"Ich schwöre, das steht hier", versicherte der Ritter.

Der Brief war unterzeichnet von Wamba, Gurth, Locksley und dem schwarzen Ritter, aufgesetzt in der Kapelle von Copmanhurst vom dortigen Geistlichen. Den Normannen wurde ein Ultimatum von einer Stunde gesetzt, in der sie die Gefangenen frei lassen mussten. Sollte das nicht geschehen, würden sie angegriffen.

Als das ungewöhnliche Schriftstück vorgelesen war, brachen der Templer und de Bracy in schallendes Gelächter aus. Front de Boeuf hingegen reagierte äußerst verstimmt. Immerhin war es sein Schloss, das angegriffen werden sollte. Von Spähern erfuhren sie, dass sich mindestens zweihundert Mann im Wald versammelt hatten.

Die drei beratschlagten den Geächteten ebenfalls eine schriftliche Botschaft zukommen zu lassen. Ein Diener ging, um die Schreibsachen zu holen. Der Templer setzte sich und schrieb: Sir Reginald Front de Boeuf und seine ritterlichen Verbündenten nehmen keine Herausforderung von Sklaven, Knechten und Flüchtlingen an. Wir erlauben euch noch einen Geistlichen zu senden, der den Gefangenen die Beichte abnimmt, bevor ihre Köpfe auf den Mauern des Schlosses baumeln.

Das Schriftstück wurde von einem Diener dem Boten überreicht, der auf eine Antwort gewartet hatte. Dieser Bote eilte schnell zu Wamba, Gurth, den schwarzen Ritter und Locksley. Die waren umringt von einer immer größer werdenden Menge sächsischer Einwohner, die alle gekommen waren, um ihren Herrn, Cedric und sein Gefolge zu befreien.

Man bat den Mönch von Copmanhurst den Brief vorzulesen. Als er geendet hatte, rief er: "Bei allen Heiligen, mich bringen keine zehn Pferde in das Schloss. Ich habe meine Kutte abgelegt und meine grüne Jacke übergestreift."

"Aber das Pack droht unseren Herrn Cedric hinzurichten", sagte Wamba. "Einer von uns muss da hineingehen und die Lage ausspionieren."

Ratloses Schweigen trat ein.

"Ich sehe", sagte Wamba, "es ist immer der Narr, der seinen Hals hinhalten muss. Ihr müsst wissen, dass ich die dunkelbraune Kutte trug, bevor mir ein Nervenfieber den Verstand nahm und ich nunmehr zum Narren reiche. So werde ich gehen und hoffe, ich kann unserem Herrn helfen."

Wamba zog die Kutte an, die der Mönch bei sich trug und machte sich mit den Worten "Pax vobiscum", was "Friede sei mit euch!" bedeutet, auf den Weg seine Mission zu erfüllen.

Am Tor des Schlosses angekommen, fragte ihn der Wachmann, was er wolle.

"Pax vobiscum!", antwortete Wamba, "Ich bin ein Ordensbruder des heiligen Franziskus und bin von den Geächteten geschickt worden, um den Gefangenen den Trost der Kirche zu spenden."

Wie er schließlich Front de Boeuf gegenüberstand, schwand sein Mut doch beträchtlich. Aber er sagte sein Sprüchlein auf und vergaß nicht, darauf hinzuweisen, dass er den Räubern in die Hände gefallen sei und sie ihn gezwungen hatten zum Schloss zu gehen.

"Gut, dass du kommt, heiliger Mann", sagte Front de Boeuf. "Kannst du uns die Zahl der Banditen nennen?"

"Ach Herr, ich starb beinahe vor Angst. Ich schätze mit Landsassen, Bauern und all den anderen sind es wohl fünfhundert Mann."

Der Templer zog den Schlossherrn zur Seite und raunte: "Wir werden dem Mönch ein Schriftstück mit dem Befehl auf Verstärkung mitgeben, dass er nach York bringen soll. In der Zwischenzeit, lassen wir ihn sich hier frei bewegen, damit er keinen Verdacht schöpft."

Front der Boeuf nickte und gab einem Diener Anweisungen, den Geistlichen zu Cedric und Athelstane zu bringen.

"Pax vobiscum", sagte der Narr, während er den Raum betrat.

"Tritt nur ein", antwortete Cedric, "in welcher Absicht kommst du hierher?"

"Um Euch auf den Tod vorzubereiten."

"Unmöglich", erwiderte Cedric. "Eine so nutzlose Gewalttat werden sie nicht wagen. Aber tu du nur deine Arbeit, heiliger Mönch."

"Nicht so eilig, guter Herr", entgegnete Wamba mit seiner natürlichen Stimme. "Hättet Ihr früher auf den Rat Eures Narren gehört, wärt Ihr nicht in dieser Situation. Aber ich hoffe, Ihr nehmt jetzt meinen Rat an."

"Wamba, was meinst du damit?"

"Hüllt Euch in diese Kutte und verlasst in aller Ruhe das Schloss. Ich werde für Euch hierbleiben."

"An meiner Stelle? Sie würden dich hängen, guter Kerl."

Da ergriff Athelstane das Wort: "Cedric, Ihr müsst gehen. Wenn Ihr frei seid, könnt Ihr auch uns retten. Bleibt Ihr hier, sind wir alle verloren."

Cedric stimmte ein und die Kleidung wurde getauscht. Doch dann kamen ihm plötzlich Zweifel: "Höre, Wamba, ich spreche nur sächsisch und ein wenig normannisch. Wie soll ich mich ohne Latein als Ordensbruder ausgeben?"

"Der Zauber liegt in zwei Worten. Pax vobiscum hilft Euch überall hindurch."

Der Sachse verabschiedete sich herzlich von seinen Gefährten und verließ den Raum mit dem Ziel so schnell wie möglich die Halle zu erreichen. Auf dem dunklen, niedrigen Gang traf er plötzlich auf eine alte Frau.

"Pax vobiscum", murmelte Cedric.

"Kommt mit mir, Vater. Ihr seid fremd in diesem Schloss und werdet Euch verlaufen. Ich werde Euch den Weg zeigen, aber zuvor muss ich mit Euch sprechen!"

 

 

 

14. Der entflohene Mönch

Die Alte hatte Cedric in ein Zimmer gezerrt. Sie nahm einen Weinkrug und zwei Becher und schenkte ein.

"Was wollt ihr?", fragte Cedric.

"Ihr seid Sachse!", gab die Alte zur Antwort. "Ach, den Klang meiner Muttersprache höre ich leider viel zu selten. Ich spüre, dass meine Zeit hier zu Ende geht. Aber ich möchte die Welt nicht so sündig verlassen, wie ich auf ihr gelebt habe. Der Wein soll mir Kraft geben, Euch meine schauerliche Geschichte zu erzählen."

Gierig trank sie den Becher aus und drängte Cedric, es ihr gleich zu tun. Der wollte eigentlich einen klaren Kopf bewahren, aber die Alte schien ihn als ihren Beichtvater auserkoren zu haben und so leerte er seinen Becher.

Zufrieden fuhr sie fort: "Ich bin nicht als das elende Geschöpf geboren, das du jetzt siehst. Ich war frei, glücklich, geehrt. Ich liebte und wurde geliebt. Jetzt bin ich eine Sklavin, unglücklich und verachtet. Als ich noch schön war, war ich das Spielzeug der Leidenschaft meines Herrn. Heute bin ich nur hasserfüllt und kann niemals vergessen, dass ich die Tochter des Adligen von Torquilstone war."

"Du die Tochter von Torquil Wolfganger? Des edlen Sachsen und Freundes meines Vaters?", entfuhr es Cedric.

"Der Freund deines Vaters?", entgegnete die Alte. "Dann bis du Cedric der Sachse? Was soll dann diese Kutte?"

"Das ist jetzt nicht wichtig. Fahre mit deiner Geschichte fort. Wie kann es sein, dass du noch lebst. Als euer Schloss damals überfallen wurde hieß es, dass alle tot wären. Die Freunde deines Vaters haben um deine ganze Familie getrauert - auch um dich Ulrica. Währenddessen verbrachtest du dein Leben neben diesem Tyrannen in gesetzloser, schändlicher Liebe?"

"Gesetzlos und schändlich, ja; aber es war ein Leben ohne Liebe. Meine Seele war voller Hass gegen die Front de Boeufs."

"Du hast sie gehasst und trotzdem weitergelebt. Konntest du keinen Dolch finden, mit dem du deinem Leben ein Ende setzt? Wie konntest du mit dem Mörder deines Vaters zusammenleben!"

"Ich hatte meine Stunden der Rache. Mir gelang es den alten Front de Boeuf und seinen Sohn Reginald in einen Streit zu verwickeln. Der Hass wurde so groß, dass der Tyrann an seinem eigenen Tisch durch die Hand seines Sohnes zu Tode kam. Solche Geheimnisse birgt dieses Schloss."

"Und was geschah mit dir nach dem Tod des alten Front de Boeuf?", fragte Cedric.

"Man verbannte mich in ein einsames Turmzimmer, wo niemand mein Klagen hören konnte."

"Das ist die gerechte Strafe für dich", sagte Cedric "büße und bete. Aber ich kann nicht länger hier bleiben."

"Höre, vor den Toren liegt eine Streitmacht, die das Schloss belagert. Gehe zu ihnen und führe sie an. Wenn du eine rote Fahne am Westturm wehen siehst, dann bedrängt die Normannen hart. Sie werden im Inneren des Schlosses genug zu tun haben. Beeil dich und folge deinem Schicksal."

Cedric hätte sie gern nach ihren Plänen gefragt, aber da hörte er Front de Boeufs Stimme donnern: "Wo steckt diese elende Priester."

Ulrica verschwand durch eine geheime Tür und schon stand der Hausherr vor dem verkleideten Sachsen.

"Haben alle ihre Beichte abgelegt?", fragte Front de Boeuf.

"Sie sind alle auf das Schlimmste gefasst", antwortete Cedric in seinem besten französisch.

"Mir scheint, Bruder, deine Sprache verrät die sächsische Zunge."

"Ich wurde im Kloster des heiligen Withold erzogen."

"Es wäre mir lieber, du wärst ein Normanne. Da ich keinen anderen Boten habe, muss ich auf dich vertrauen. Geh zum Schloss von Philip de Malvoisin und gebt ihm diesen Brief. Aber zuvor wendest du deine ganze Überredungskunst an, um dieses Gesindel noch eine Weile zurückzuhalten. Erzähle Ihnen irgendetwas."

"Ich werde Euren Befehl ausführen. Pax vobiscum."

Damit ließ sich Cedric vom Schlossherrn zu einem geheimen Ausgang bringen und er eilte über den Graben aufs freie Feld. Als er außer Rufweite war, schrie er: "Verflucht seiest du, falscher Baron!"

Front de Boeuf ging in den Saal, in dem die beiden Gefangenen mit vier Wachen saßen. Wamba hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, sodass ihn keiner erkennen konnte.

"Nun, ihr tapferen Engländer. Wie gefällt Euch Euer Aufenthalt in Torquilstone. Ich frage Euch, wie viel Lösegeld, ist Euch Euer Leben wert? Was meint Ihr, Cedric von Rotherwood?"

"Mein Leben ist keinen Deut wert", antwortete Wamba.

"Was soll das?", rief Font de Boeuf und riss Wamba die Kappe vom Kopf. Dabei entdeckte er den Ring des Leibeigenen an seinem Hals. "Wer bist du?"

"Ich bin Cedrics Narr und wenn ihr mich schon hängt, dann bitte mit den Füßen nach oben, damit mein Gehirn wieder in die richtige Lage rückt."

"Bezahlt dein Herr nicht einen stolzen Preis für dich, wird genau das dein Schicksal sein. Und jetzt", fuhr er die Wachleute an, "holt mir den richtigen Cedric!"

"Wenn ich mich nochmals einmischen dürfte, Hoheit. Ihr werdet auf diesem Schloss mehr Narren als Cedrics finden."

"Was meinst du damit, Bursche?" Der Schlossherr blickte seine Leute an und die stotterten, dass sie nicht wüssten, wo der echte Cedric sei.

Als Front de Boeuf erkannte, dass er selbst den Sachsen in der Mönchskutte hatte entkommen lassen, packte ihn der Zorn.

"Narr, dir habe ich das zu verdanken. Dafür werde ich dich heilig sprechen und dir eine Tonsur verpassen. - Zieht ihm den Skalp ab und werft ihn in den Schlossgraben. - Nun, Spaßmacher, fällt dir immer noch ein Scherz ein?"

"Ich bin Euch zu großem Dank verpflichtet. Denn gebt ihr mir eine blutrote Tonsur, so wird aus einem schlichten Mönch ein Kardinal."

De Bracy, der das Schauspiel mit angesehen hatte, konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. "Lasst Ihn leben, Front de Boeuf. Es wäre schade um ihn. Schenkt ihn mir zur Unterhaltung meiner Soldaten. - Was meinst du, willst du mit mir in den Krieg ziehen?", wandte er sich an Wamba.

"Wenn es mein Herr erlaubt", erwiderte Wamba, "denn ohne seine Erlaubnis kann ich den Halsreif nicht ablegen."

"Eine normannische Säge wird das sächsische Band schnell durchschneiden", antwortete de Bracy.

"Nun, das gefällt mir", grollte Front de Boeuf. "Ihr amüsiert Euch über diesen Narren, während uns das Verderben droht. Seht Ihr nicht, dass unser Bote niemals zu Malvoisin gehen wird, um Verstärkung anzufordern?"

"Dann kämpfen wir eben ohne Verstärkung", sagte de Bracy. "Habt Ihr mich je vor einem Kampf zittern sehen? Ich übernehme die Ostseite, Bois-Guilbert, Ihr schützt die Westseite und Reginald Ihr bezieht Stellung auf der Geschützzinne."

Als die Herren ihre Posten eingeteilt hatten, klopfte es und ein Diener meldete den Mönch Ambrosius, ein Bruder des Prior Aymer von Jorvaulx. Die Nachricht, die er überbrachte, machte die Lage nicht besser. Prior Aymer befand sich in Gefangenschaft von Geächteten und die forderten ein hohes Lösegeld.

"Zum Teufel!", rief Front de Boeuf. "Ein normannischer Baron soll einen Mann der Kirche auslösen, dessen Geldbeutel zehnmal schwerer ist als sein eigener! Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Die Belagerer rücken immer näher und wir müssen Posten beziehen. Geht und betet in der Kapelle, die hat schon lange keinen Besuch mehr empfangen."

Jeder der Ritter begab sich nun eilig an seinen Platz, um notdürftig die Mauern zu besetzen. De Bracy erkannte unter den Belagerern den schwarzen Ritter: "Ist das nicht der Ritter, Front de Boeuf, der Euch beim Turnier aus dem Sattel warf?"

"Umso besser, dass er hierher kommt, um mir Revanche zu bieten."

 

 

 

15. Die Heilerin

Als Ivanhoe nach seinem Sieg in Ashby ohnmächtig zu Boden gesunken war und von allen verlassen schien, war es Rebekka, die ihren Vater überredete, den jungen Ritter vom Turnierplatz zum Haus bei Ashby bringen zu lassen.

Isaak versuchte seine Tochter davon abzubringen, aber Rebekka ließ sich nicht von ihrem Vorhaben abhalten. Sie gab Anweisungen, den Verletzten in ihre Sänfte zu legen. Und schließlich konnte auch der Jude nicht anders, als seine Tochter gewähren zu lassen. Schließlich hatte der junge Ritter auch sein Leben gerettet.

In ihrer Unterkunft angekommen, untersuchte Rebekka ihn. Sie war, nach jüdischer Tradition in der Heilkunst sorgfältig ausgebildet worden. Danach erklärte sie ihrem Vater, dass Ivanhoe kräftig genug sei, die Reise nach York am nächsten Tag anzutreten.

Isaak schaute seine Tochter ungläubig an. Er wäre gerne einige Tage länger in Ashby geblieben oder hätte für viel Geld einen Pfleger besorgt, aber ihn mit nach York nehmen? Rebekka hatte aber die passenden Einwände. Zum einen wollte sie nicht, dass jemand das Geheimnis ihres kostbaren Heilbalsams herausfand. Zum anderen war Ivanhoe ein Günstling von König Richard.

Sollte der aus der Gefangenschaft zurückkehren, dann bräuchte ihr Vater, der mit Prinz John lukrative Geschäfte getätigt hatte, einen einflussreichen Beschützer. Dieses Argument überzeuge Isaak vollkommen.

Mit Einbruch der Nacht kehrte Ivanhoes Bewusstsein wieder. Er wunderte sich über die orientalische Umgebung, in der er sich befand. Rebekka beantwortete all seine Fragen bereitwillig und versprach ihm, dass er in acht Tagen wieder seine Rüstung tragen könne, wenn er sich von ihr pflegen ließe.

"Wenn dir das gelingt, bezahlte ich dich mit einem Helm voller Gold", sagte Ivanhoe.

"Ich werde mein Versprechen halten. Allerdings müsst Ihr mir statt des Goldes eine Bitte erfüllen."

"Stelle deine Bitte, wenn ich kann, werde ich sie erfüllen."

"Ich bitte Euch, von nun an zu glauben, dass ein Jude einem Christen einen guten Dienst erweist, ohne einen Lohn zu erwarten."

"Daran habe ich nie gezweifelt, Mädchen. Ich werde mich dir anvertrauen."

Am anderen Morgen fand ihn seine sanfte Ärztin ohne Fieber und imstande die Reise anzutreten. Er wurde in die Sänfte gebracht, in der er auch vom Turnierplatz gebracht worden war. Auf ihrem Weg nach York waren sie von den Dienern im Stich gelassen worden und auf den Trupp von Cedric dem Sachsen gestoßen um wenig später de Bracy und seinen Leuten in die Hände zu fallen.

De Bracy hatte in der Sänfte Lady Rowena vermutet und als erstes hineingeschaut. Ivanhoe, der sich in der Gewalt von Geächteten vermutete, gab sich gleich zu erkennen. Der Normanne entschied blitzschnell, dass er Ivanhoe heimlich mit aufs Schloss nehmen würde. Sollte Front de Boeuf davon erfahren, wäre der junge Ritter des Todes, aber die Freiheit wollte er ihm auch nicht schenken, schließlich buhlten sie um dieselbe Frau.

So kam es, dass im Schloss die Aufgabe der Pflege wieder Rebekka zufiel, da die alte Ulrica, deren Amt es gewesen wäre, die Arbeit an die Jüdin abtrat. Sie selbst war zu beschäftigt ihren düsteren Racheplan auszuführen.

Rebekka fühlte den Puls von Ivanhoe und berührte seine Stirn. In ihren Handlungen lag mehr Zärtlichkeit, als sie sich selbst hätte eingestehen wollen.

"Wie fühlt Ihr Euch, edler Ritter?"

"Ich fühle mich besser, dank deiner Hilfe, liebe Rebekka. Außerdem ist mein körperlicher Schmerz nichts gegen meine inneren Qualen. Aus den Worten meiner Bewacher habe ich entnommen, dass wir gefangen sind und wenn ich mir alles richtig zusammengereimt habe, sind wir im Schloss von Front de Boeuf. Ich liege hier und kann meinen Vater und Rowena nicht zu Hilfe eilen."

Der Lärm der Kampfvorbereitungen war ohrenbetäubend und Ivanhoe lag zur Untätigkeit verdammt auf seinem Bett. "Wenn ich mich nur zum Fenster schleppen könnte, um den Verlauf des Kampfes zu sehen."

"Quält Euch nicht, Ivanhoe. Ihr werdet Euch nur selbst schaden. Ich will mich selbst ans Gitter stellen und Euch beschreiben, was draußen vor sich geht."

Ivanhoe warnte die Jüdin, dass es zu gefährlich sei. Ein Pfeil könne sie treffen. Deswegen nahm sie ein altes Schild und schützte sich damit, so gut es ging. Von ihrem Posten konnte sie sehen, wie der Waldrand mit Bogenschützen besetzt war. Dann beschrieb sie Ivanhoe den Anführer, ein Ritter mit schwarzer Rüstung und einem Wappen auf dem eine Art Eisenstange und ein blaues Vorhängeschloss auf schwarzen Grund zu sehen war.

"Ich kenne niemanden, der ein solches Schildzeichen trägt." Ivanhoe grübelte.

Rebekka beobachtete, wie die Angreifer begannen vorzurücken: "Gott Zions, beschütze uns! Welch ein furchtbarer Anblick! Jetzt heben die ersten ihre Bogen."

Da ertönte das Signal zum Sturm, durch ein Jagdhorn. Von normannischer Seite wurde mit Trompetenfanfaren und Paukenschlägen der Gegenangriff angezeigt. Die Bogenschützen schickten sofort einen solchen Hagel von Pfeilen ab, dass keine Stelle ihren Pfeilen entging. Die Verteidiger wurden mit der ersten Angriffswelle ernsthaft getroffen.

Während Ivanhoe mit seinem Schicksal haderte, beschrieb Rebekka weiterhin, was draußen vor sich ging. Die Angreifer, unter der Führung des schwarzen Ritters, schlugen mit Äxten einen Durchgang in die Palisaden und drangen in das Schloss ein.

Front de Boeuf kämpfte mit aller Kraft dagegen, aber der schwarze Ritter setzte ihm so gewaltig zu, dass er zu Boden ging. Seine Leute eilten herbei und brachten ihn in Sicherheit. Bois-Guilbert übernahm seine Position.

Es gelang ihm, die Angreifer zurückzudrängen, nur wenige schafften es, sich ins Schloss in Sicherheit zu bringen, und der Templer zerstörte die Planken hinter sich. Damit war der Kampf fürs erste beendet. Ivanhoe war tief beeindruckt von Rebekkas Beschreibung über den schwarzen Ritter.

"Du schildert einen Helden. Gerne würde ich zehn Jahre Gefangenschaft ertragen, um nur einen Tag an der Seite dieses edlen Ritters kämpfen zu können!"

 

 

 

16. Die Rache der Ulrica

Während der Ruhe, die nach dem ersten Erfolg der Belagerer eintrat, bereiteten sich die einen darauf vor, ihr Vorhaben zu Ende zu bringen, und die anderen mussten ihre Verteidungsmaßnahmen überdenken. Front de Boeufs Ausfall war ein schlimmer Verlust und Bois-Guilbert und de Bracy mussten sich neu aufteilen.

"Auf die Mauern", rief der Templer, und beide stiegen auf die Befestigungsmauern, um alles, was möglich war zur Gegenwehr, zu tun.

Währenddessen lag der Herr des Schlosses auf seinem Bett und litt sowohl körperliche als auch seelische Qualen. Das Herz den wilden Barons schauderte und sein Fieber steigerte den Schrecken vor dem Jenseits.

Da hörte er plötzlich eine schrille Stimme dicht neben sich.

"Wer ist da? Tritt an mein Bett, damit ich dich sehe!"

"Ich bin dein böser Geist, Reginald Front de Boeuf", antwortete die Stimme. "Gedenke deiner Sünden - denke an Raub und Mord! Wer stachelte John zum Krieg gegen seinen alten Vater und seinen edlen Bruder an?"

"Das war nicht ich allein. Die Besten des Adels standen an meiner Seite. Warum soll ich allein dafür büßen? Geh, und lass mich in Ruhe sterben, du böser Dämon!"

"In Ruhe wirst du nicht sterben. Denk an deinen Vater, wie du ihn im Bankettsaal erschlagen hast!"

"Davon kannst du nur wissen, wenn du der Teufel leibhaftig bist. Geh zu Ulrica, der sächsischen Hexe, sie hat mich zu dieser Tat verleitet. Lass sie in die Hölle fahren!"

"Dort bin ich schon!", rief Ulrica und trat nun an das Bett. "Aber du kannst dich nicht mehr gegen mich wehren."

"Du elende Hexe!", schrie Front de Boeuf.

"Ja, ich bin es, die Tochter des ermordeten Torquil Wolfganger. Ich bin dein böser Geist, bis zu deinem letzten Atemzug. Bemerkst du nicht die dunklen Schwaden, die durch dein Zimmer ziehen? Dachtest du das wären deine matten Augen? Erinnerst du dich an das Holzlager, das sich unter diesem Zimmer befindet?"

"Weib!", brüllte er. "Du hast es in Brand gesteckt? Beim Himmel, das ganze Schloss wird in Flammen aufgehen."

"Es wird sich rasch ausbreiten und auf ein Zeichen werden die Belagerer euch noch härter angreifen, während deine Leute mit dem Löschen des Feuers beschäftigt sind. Lebe Wohl, Vatermörder!"

Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer und drehte den Schlüssel zweimal im Schloss. Front de Boeuf schrie verzweifelt um Hilfe und als nichts half drang nur noch ein wahnsinniges Lachen aus den Flammen.

Obwohl Cedric kein großes Vertrauen in Ulricas Worte hatte, berichtete er doch dem schwarzen Ritter und Locksley von ihrem Versprechen. Die waren froh darüber, jemandem im Schloss zu haben, der auf ihrer Seite war.

Die drei besprachen die Lage und beschlossen, das Außentor zu stürmen und die Brücke über den Graben zu legen. Der schwarze Ritter und Cedric sprangen sofort darüber und bearbeiteten das nächste Tor mit der Axt. Locksley und seine Männer schossen unaufhörlich Pfeile ab, um von den beiden abzulenken.

De Bracy bearbeitete gerade die Zinnen mit Hacke und Brechstange, um die Steinbrocken auf die Belagerer zu werfen, als Locksley die rote Fahne am Turm entdeckte, von der Ulrica gesprochen hatte.

"Vorwärts! Noch ein Vorstoß und Torquilstone gehört uns!", rief er.

Die Männer auf den Mauern waren entsetzt über die Verstärkung des Angriffs und wollten fliehen, da vernahmen sie den Ruf des Templers: "Alles ist verloren, das Schloss brennt! De Bracy, geht mit Euren Männern zur geheimen Pforte. Dort stehen nur zwei Männer, mit denen werdet Ihr fertig. Ich werde von der anderen Seite angreifen. Diese Stellung müssten wir so lange halten, bis Verstärkung naht."

De Bracy zog sofort mit seinen Männern zur Hinterpforte, die er öffnen ließ. Aber kaum war das geschehen, bahnten sich der schwarze Ritter und Cedric mit aller Macht den Weg ins Innere. Zwei von de Bracys Leuten fielen und die anderen versuchten sich in Sicherheit zu bringen.

"Ergib dich, Maurice de Bracy, auf Gnade oder Ungnade, sonst seid Ihr des Todes!", rief der schwarze Ritter.

"Ich ergebe mich keinem Unbekannten!", entgegnete de Bracy. "Sagt mir Euren Namen, oder tötet mich!"

Der Ritter flüsterte ihm etwas in Ohr.

"Ich bin Euer Gefangener", erwiderte de Bracy mit einem Ton der von Trotz in tiefe Demut umschlug.

"Geht ins Außenwerk und erwartet dort meine Befehle!"

"Erst lasst mich etwas sagen. Wilfred von Ivanhoe liegt verwundet und gefangen im Schloss. Ohne schnelle Hilfe wird er in den Flammen umkommen!"

"Wilfred von Ivanhoe? Wo ist sein Zimmer?"

"Steigt die Wendeltreppe hinauf, sie führt zu seinem Zimmer."

De Bracy nahm als Zeichen der Unterwerfung den Helm ab und übergab ihn Locksley.

Mittlerweile hatten auch Ivanhoe und die schöne Jüdin das Feuer bemerkt. "Flieh, Rebekka, rette dein leben. Mir kannst du nicht helfen."

"Ich fliehe nicht. Entweder wir retten uns oder wir sterben beide. Aber mein armer Vater. Was wird aus ihm?"

Da flog die Tür auf und der Templer trat herein. "Ich habe dich", sagte er zu Rebekka. "Du sollst nun sehen, dass ich gut für dich sorgen werde. Los, folge mir!"

"Allein komme ich nicht mir. Wenn noch menschliches Gefühl in Euch ist, dann rettet meinen Vater und diesen Ritter."

"Ein Ritter muss seinem Schicksal ins Auge sehen. Und wen kümmert es, was mit einem Juden geschieht?"

Rebekka begann zu schreien und zu drohen, doch Bois-Guilbert zog sie mit sich fort. Ivanhoe schickte ihm die wildesten Flüche hinterher. In diesem Moment betrat der schwarze Ritter sein Zimmer.

"Lasst mich hier liegen. Ihr müsst den Räuber verfolgen und Lady Rowena und Cedric retten!"

"Immer der Reihe nach. Zuerst bist du dran", sagte der schwarze Ritter und hob ohne Mühe den Verwundeten hoch. An der Hinterpforte übergab er ihn zwei Bogenschützen und kehrte ins Schloss zurück, um die übrigen Gefangnen zu befreien.

Der Turm brannte lichterloh. In den Mauern fand ein erbitterter Kampf statt, denn die Belagerer stillten ihren Rachedurst, der sich über viele Jahre gegen Front de Boeuf und seine Gefolgsleute angestaut hatte.

Durch dieses schreckliche Schauspiel eilte Cedric, begleitet von Gurth, um nach seinem Mündel zu suchen. Der Sachse war überglücklich, als er sie mit einem Kruzifix ans Herz gedrückt, fand. Er übergab sie Gurths Obhut und machte sich eilig daran seinen Freund Athelstane zu befreien.

Die Wachen hatten inzwischen die Flucht ergriffen und so war es ein leichtes den letzten Spross des sächsischen Königsgeschlechts zu retten. Sie flohen in den Schlosshof, der jetzt Schauplatz des letzten Gefechts war.

Bois-Guilbert saß auf seinem Schlachtross und ein Sarazene neben ihm, hielt Rebekka vor sich auf dem Pferd. Athelstane hielt die Dame für Lady Rowena und vermutete, der Templer wolle sie doch noch entführen. Ohne weiter nachzudenken stürzte er sich auf Bois-Guilbert.

"Falscher Templer! Lass sie los, du bist nicht würdig, sie anzufassen!"

"Hund!", schrie der Templer. "Ich werde dich lehren, einen Ordensritter zu beleidigen!" Damit hob er sein Schwert und führte einen entsetzlichen Schlag gegen Athelstane aus, der sofort zu Boden fiel. Dann nutzte er die Schrecksekunde und stürzte mit seinen Gefolgsleuten durch die offene Zugbrücke davon.

Er ritt um das Außenwerk, um de Bracy zu suchen. Der antwortete: "Ich bin hier. Aber ich bin gefangen. Ich habe mich ergeben. Ihr müsst hier weg. Die Falken sind los, mehr darf ich nicht sagen. Reitet, so weit Ihr könnt."

"Das Ordenshaus von Templestowe wird mir genug Schutz bieten. Dorthin werde ich reiten."

Währenddessen breitete sich das Feuer mit rasender Geschwindigkeit aus. Plötzlich erschien Ulrica auf dem Turm wie eine Furie. Ihr langes, graues Haar flatterte im Wind. In ihrem Blick stand der Wahnsinn. Die Flammen schlugen hoch zum Himmel und die Mauern stürzten krachend zusammen und begruben Ulrica von Torquilstone unter sich.

Noch lange starrte jeder auf diese Stelle und bekreuzigte sich. Endlich rief Locksley: "Die Höhle des Tyrannen ist zerstört! Freut euch, meine Männer und bringt eure Beute an den Sammelplatz unter der Eiche. Dort soll sie morgen bei Tagesanbruch verteilt werden."

 

 

 

17. Unter der Eiche in Harthill Walk

Die Geächteten waren alle unter der Eiche versammelt, wo sie die Nacht damit zugebracht hatten, sich von der Anstrengung des Kampfes zu erholen.

Die Beute, die es aufzuteilen galt, war in der Tat beträchtlich. Denn obwohl vieles verbrannt war, hatten die Geächteten doch eine große Menge Silber, Rüstungen und prächtige Gewänder retten können.

Locksley hatte seinen Sitz auf einer Rasenbank eingenommen. Zu seiner Rechten saß der schwarze Ritter und links vom ihm befand sich Cedric der Sachse.

"Verzeiht, edle Herren, aber in diesen Wäldern bin ich der König. - Wer hat den Mönch gesehen, wir sollten diesen Tag mit einer Messe beginnen."

Niemand hatte den Einsiedler von Copmanhurst gesehen und so mutmaßte Robin, dass er sich noch im Weinkeller von Schloss Torquilstone befand. Er schickte den Müller mit ein paar Leuten, um den tapferen Mönch zu suchen.

Dann wandte er sich an Cedric und bot ihm an, sich einen Teil der Beute für sich und seine Leute zu nehmen.

"Guter Freund", entgegnete Cedric. "Mein Herz ist schwer. Mit Athelstane ist nicht nur mein guter Freund, sondern auch der letzte Nachkomme unseres einstigen Königs ums Leben gekommen. Meine Aufgabe ist es, seinen Leichnam zu beerdigen und Lady Rowena sicher nach Rotherwood zu bringen. Ich bin nur noch geblieben, um Euch zu danken, für die Menschenleben, die Ihr gerettet habt."

"So nehmt wenigstens etwas für Eure Nachbarn und Begleiter", erwiderte Locksley.

"Ich bin reich genug, um sie mit meinem eigenen Vermögen zu belohnen. Aber du, Wamba, wie sollte ich dich entlohnen? Du hast ohne nachzudenken dein Leben für mich riskiert. Keiner war mir treuer als du."

"Guter Onkel, ich habe nur eine Bitte. Verzeihe meinem Freund Gurth, dass er sich für eine Woche aus deinem Dienst stahl, um sich deinem Sohn zu widmen."

"Ihm verzeihen? Ich werde ihm nicht verzeihen, ich werde ihn belohnen. Knie nieder Gurth!" Der Schweinehirt kniete zu den Füßen seines Herrn. "Du bist fortan ein freier Mann. Ich übergebe dir ein Stück Land, dass für immer dir gehören soll."

Gurth richtete sich zu seiner vollen Größe auf und fragte Wamba, ob er nicht auch die Freiheit wolle, doch der Narr antwortete weise: "Besser ein Narr bei einem Fest, als ein Weiser bei einer Schlacht."

Ehe Cedric mit Rowena den Platz verließ, dankte er dem schwarzen Ritter und bat ihn eindringlich, ihn nach Rotherwood zu begleiten.

"Ich werde nach Rotherwood kommen, edler Sachse, und das bald. Aber vorerst halten mich wichtige Angelegenheiten ab. Wenn ich zu Euch komme, dann mit einer Bitte, die Eure Großzügigkeit auf die Probe stellen wird."

"Eure Bitte ist bereits erfüllt", sagte Cedric und schlug seine Hand in die des schwarzen Ritters.

"Ihr solltet Euer Wort nicht vorschnell geben!"

Cedric lud alle noch zum Leichenmahl auf Schloss Coningsburgh ein und ritt dann mit seinem Gefolge davon.

Nun wandte sich Locksley an den schwarzen Ritter und bot ihm an, sich etwas von der Beute auszusuchen.

"Ich nehme Euer Angebot an und bitte um die Erlaubnis, dass Ihr mir Maurice de Bracy übergebt."

"Er gehört Euch. Welch ein Glück für ihn, sonst hätte er nur den höchsten Zweig unserer Eiche geschmückt."

"De Bracy", sagte der schwarze Ritter, "du bist frei. Geh, wohin du willst. Ich werde das Vergangene nicht rächen, aber hüte dich vor der Zukunft!"

De Bracy verbeugte sich tief und schwang sich unter wilden Verwünschungen der Geächteten auf eines der Pferde vom Schloss Front de Boeufs und sprengte davon.

Robin nahm das schöne Horn von seiner Schulter, das er beim Bogenschießen von Ashby gewonnen hatte und gab es dem schwarzen Ritter, mit dem Versprechen, dass es ihn jederzeit in den Wäldern beschützen werde, sobald er ein bestimmtes Signal blase.

Die Männer riefen: "Lang lebe Robin von Locksley und lang lebe der Ritter mit dem Fesselschloss!"

Danach ging es ans Verteilen der Beute. Der Ritter war erstaunt mit welch strengen Regeln alles gerecht verteilt wurde. Am Ende blieb nur der Teil, der für die Kirche bestimmt war, zurück.

"Ich hoffe doch, dass unser munterer Pfaffe heil davongekommen ist", sagte Locksley.

"Das hoffe ich ebenfalls, denn ich bin noch in seiner Schuld für eine fröhliche Nacht in seiner Hütte. Am besten wir reiten zu den Ruinen des Schlosses und sehen nach."

Kaum hatte der Ritter das gesagt, vernahmen sie die kräftige Stimme des eben noch Vermissten: "Platz da, für einen Geistlichen und seinen Gefangenen!"

Er bahnte sich den Weg und im Schlepptau hatte er den unglücklichen Juden Isaak. Auf der Suche nach dem Weinkeller von Reginald Front de Boeuf war er auf den Juden getroffen. Die ganze Nacht hatte der Mönch versucht, Isaak mit Wein und Ave Marias zu bekehren.

"Um Gottes Willen", rief der Jude, "will mich denn niemand aus den Händen dieses Wahnsinnigen befreien?"

"Wie", fragte der Mönch, "du willst wieder ein Ungläubiger sein. Ich dachte ich hätte dich allmählich so weit. Am besten du sprichst mir nochmals ein Vaterunser nach."

"Genug, du verrückter Priester", fiel Locksley ein. "Also Jude, denke über dein Lösegeld nach. Ich muss mich in der Zwischenzeit um einen anderen Gefangenen kümmern."

"Habt Ihr viele von Front de Boeufs Leuten gefangen genommen?", fragte der schwarze Ritter.

"Keine, von denen ein Lösegeld zu erwarten wäre. Wir haben eine bessere Beute. Ein Geistlicher, der ausgeritten war, sein Liebchen zu besuchen. Hier kommt der würdige Prälat, herausgeputzt, wie ein Pfau."

Zwischen zwei Männern wurde der Prior Aymer von Jorvaulx vor den Sitz des Hauptmannes geführt.

 

 

 

18. Lösegeldforderungen

Die Gesichtszüge des Abtes verrieten beleidigten Stolz.

"Nun, ihr Herren", sagte er, "seid ihr Türken oder Christen, dass ihr einen Mann der Kirche so behandelt? Ihr habt meine Koffer geplündert und meine Kleider zerrissen."

"Heiliger Vater", begann Locksley, "es tut mir Leid, dass Ihr so schlecht behandelt worden seid. Dennoch ist es mein Ernst, wenn ich Euch sage, dass ihr entweder ein hübsches Lösegeld herausrückt, oder Euer Kloster demnächst einen neuen Prior wählen muss."

"Wäre es nicht gut", flüsterte einer der Geächtete Locksley ins Ohr, "wenn der Jude das Lösegeld des Priors und der Prior das Lösegeld des Juden bestimmen würde?"

"Du bist ein verrückter Hund, aber deine Idee gefällt mir. - Komm, Jude, sieh dir den Prior der reichen Abtei Jorvaulx an und sage uns, welche Summe wir ansetzen sollen. Du kennst bestimmt die Einkünfte des Klosters besser, als wir."

Isaak trat vor und meinte, dass es eine sehr reiche Abtei sei. Wenn er im Jahr das verdienen würde, was dort im Monat eingenommen würde, könne er eine Menge Gold und Silber für seine Freilassung bezahlen.

Der Abt tobte und nannte Isaak einen ungläubigen Hund.

"Das bringt und nicht weiter", sagte Locksley. "Jude, bestimme, was er zahlen kann, ohne ihn völlig auszuziehen."

"Sechshundert Kronen kann der Prior wohl zahlen, ohne es deswegen weniger gemütlich zu haben."

Aymer war entsetzt und erklärte, dass sein Orden damit völlig mittellos sei, außerdem müsse er nach Jorvaulx fahren, um Geld aufzutreiben. Isaak bot an das Geld in York holen zu lassen, wenn der Prior ihm einen Schuldschein ausstelle.

"Eine gute Idee", antwortete Locksley, "und vergiss nicht auch gleich dein Lösegeld mitbringen zu lassen. Was meint Ihr, Prior Aymer, was kann der Jude zahlen?"

Während Isaak lamentiert, dass er nicht einmal mehr fünfzig Kronen besäße, erklärte der Prior, dass der Jude so reich sei, um damit zehn Stämme Israels aus der Gefangenschaft auszulösen. Deswegen könne man ihn gut und gerne tausend Kronen zahlen lassen.

"Der Gott meiner Väter stehe mir bei. Nicht nur dass ich mein Kind verloren habe, nun wollt ihr mir auch noch alles nehmen, was ich zum Leben brauche."

Einer der Geächteten trat hervor und fragte, ob seine Tochter schwarzes Haar hat und einen mit Silber bestickten Schleier trug. Als Isaak diese Frage aufgeregt bejahte, erfuhr er, dass der Templer Rebekka mit sich genommen hatte.

"Männer", sagte der Anführer, "auch wenn der Alte ein Jude ist, rührt mich sein Kummer. Sei aufrichtig, Isaak! Bist du völlig mittellos, wenn du ein Lösegeld von tausend Kronen zahlen musst?"

Der Jude wurde blass, stammelte und konnte nicht leugnen, dass ihm vielleicht noch etwas bliebe.

"Nun, wir wollen nicht kleinlich sein. Ohne Geld bekommst du dein Kind niemals zurück. Du wirst dasselbe Lösegeld, wie der Prior bezahlen und die restlichen fünfhundert Kronen Bois-Guilbert anbieten. Du findest ihn im Ordenshaus von Templestowe."

Dass seine Tochter lebte, machte Isaak schon zur Hälfte zu einem glücklichen Mann. Die ersparten fünfhundert Kronen hätten den Rest getan, wäre da nicht der Prior gewesen, der sich maßlos aufregte.

Robin nahm Isaak zur Seite und sagte: "Überlege es dir gut. Mein Rat ist, mach dir den Abt zum Freund. Um seinen Lebenswandel zu finanzieren, braucht er viel Geld. Geld das du hast. Ich erinnere mich an deine eiserne Truhe, in der sich dein Geld befindet. Ich kenne auch den Stein unter dem Apfelbaum, der den Zugang zu dem Gewölbe unter deinem Garten in York verdeckt."

Der Jude wurde leichenblass.

"Von mir hast du nichts zu befürchten", fuhr Locksley fort, "Erinnerst du dich an den kranken Landsassen, den deine Tochter aus dem Gefängnis befreit und gesund gepflegt hat? Diese Tat hat dir soeben fünfhundert Kronen eingebracht."

"Du bist der, den wir Diccon Bogenspanner genannt haben?", fragte Isaak, "Eure Stimme kam mir gleich so bekannt vor."

"Ich habe viele Namen."

"Aber, was das Gewölbe betrifft, irrt Ihr Euch. Dort liegen nur einige Waren. Die werde ich Euch gerne zukommen lassen, wenn Ihr niemandem davon erzählt."

Die beiden kamen überein, dass Locksley den Abt darum bitten würde, bei Brian de Bois-Guilbert die Freilassung von Rebekka zu erwirken und der Jude ihm dafür Geld gab, um seinen Freuden an Frauen und der Jagd nachgehen zu können.

Nach längerem hin und her sagte der Prior: "Nun gut Jude, gebt mir etwas zu schreiben und ich werde einen Brief an den Templer und einen Schuldschein an Euch für das Lösegeld ausstellen."

Dann ritt Prior Aymer mit seinen Begleitern davon, und das, verglichen mit seiner Ankunft, in klösterlicher Schlichtheit. Isaak machte sich ebenfalls auf den Weg, um seine Tochter aus den Händen des Tempelritters zu befreien.

Der schwarze Ritter, der all den Vorgängen mit großem Interesse zugesehen hatte, nahm jetzt auch Abschied von dem Anführer der Geächteten.

"Vielleicht, tapferer Freund, stehen wir uns eines Tages ohne Geheimnisse gegenüber. Für heute trennen wir uns als Freunde, nicht wahr?", sagte der Ritter.

Darauf gaben sie sich die Hand.

 

 

 

19. Misstrauen

Im Schloss von York herrschte reges Treiben. Prinz John hatte sich dort mit seinen Anhängern versammelt, um den Thron seines Bruders Richard zu besteigen. Waldemar Fitzurse war unauffällig damit beschäftigt, die Fäden im Hintergrund für seinen Herrn zu ziehen.

Leider verzögerte sich das Unternehmen, weil einige der wichtigsten Mitglieder der Verschwörung fehlten. Front de Boeuf, de Bracy und Bois-Guilbert sie alle waren unentbehrlich für den Erfolg. Der Prinz verfluchte daher ihre unerklärliche Abwesenheit. Auch der Jude Isaak fehlte, der versprochen hatte das nötige Geld zu leihen.

Am Morgen nach dem Fall von Torquilstone begann in der Stadt York das dunkle Gerücht die Runde zu machen, die drei Männer seinen gefangen oder gar getötet worden. Fitzurse überbrachte dem Prinzen die Neuigkeit und wies darauf hin, dass das Gerücht wahr sein könne, weil die Männer mit wenig Gefolgsleuten einen Überall auf Cedric den Sachsen geplant hatten.

Bei anderer Gelegenheit hätte der Prinz diesen Überfall gut geheißen, aber nun, da sein Vorhaben damit vielleicht sogar verhindert wurde, begann er heftig zu fluchen.

"Diese Schurken, diese Verräter, mich in dieser Situation im Stich zu lassen."

"Es sind unbesonnene Querköpfe, Hoheit. Aber ich habe bereits Luis Winkelbrand, den Unterbefehlshaber von de Bracy zum Schloss von Front de Boeuf geschickt, um unsere Freunde zu retten, wenn das noch möglich ist", erklärte Fitzurse.

Der Prinz wollte sich gerade darüber aufregen, dass sein Berater ohne seine Erlaubnis solche Alleingänge unternahm, da erschien de Bracy in der Tür. Er war dreckig und seiner Rüstung war der schwere Kampf anzusehen.

"De Bracy", rief der Prinz, "was hat das zu bedeuten? So redet doch! Gibt es einen Sachsenaufstand? Wo sind der Templer und Front de Boeuf?"

"Der Templer ist geflohen", antwortete de Bracy, "und Front de Boeuf hat sein Ende in einem heißen Grab unter den brennenden Balken seines Schlosses gefunden."

"Ihr bringt grausame Nachrichten", sprach Fitzurse.

"Das Schlimmste ist noch nicht gesagt." Er trat zum Prinzen und sagte leise aber mit Nachdruck: "Richard ist in England; ich habe ihn gesehen und gesprochen. Ich war sein Gefangener in den Wäldern, umgeben von Geächteten."

Prinz John wurde blass, er schwankte und musste sich an einer Stuhllehne festhalten - er schwieg und wirkte völlig weggetreten. Fitzurse übernahm das Gespräch und erfuhr, was sich auf dem Schloss und in den Wäldern zugetragen hatte.

"Ja, das ist Richards Art", sagte Fitzurse. "Was werdet Ihr jetzt tun, de Bracy?"

"Ich bot Richard meinen Dienst an, aber er lehnte ab. Ich werde mit meinen Leuten nach Hull ziehen und von dort weiter nach Flandern reisen - Arbeit gibt es überall. Und Ihr Waldemar? Wollt Ihr mit mir kommen?"

"Nein, Maurice, ich bin zu alt. Ich werde mit meiner Tochter nach St. Peter gehen. Der Erzbischof ist ein Verwandter, er wird mir Zuflucht gewähren."

Prinz John, der aus seiner Betäubung langsam wieder zu sich kam, hörte, wie seine Anhänger ihm den Rücken kehrten. Er zermarterte sich sein Gehirn, um einen Ausweg zu finden. Schließlich stieß er mit teuflischem Lachen hervor:

"Meine edlen Herrn, Ihr wollt doch nicht alles hinwerfen, wo wir mit nur einer mutigen Tat alles gewinnen könnten!"

"Was meint Ihr?", fragte de Bracy. "Richard ist zurück und wird sich an die Spitze seiner Armee stellen. Ich rate Euch, Hoheit, flieht nach Frankreich oder sucht bei der Königinmutter Zuflucht."

"Ich mache mir keine Sorgen um mich. Mein Bruder wird mir nichts antun. Vielmehr sorge ich mich um Eure Köpfe. Richard wird Euch finden, wenn er das nur möchte. Ihr habt nur einen Ausweg. Richard reist allein, man muss ihm auflauern."

"Nicht mit mir", fiel de Bracy ein, "ich war sein Gefangener, er hat mich freigelassen. Ich werde ihm nicht einmal eine Feder auf seinem Helm krümmen."

"Aber, aber, wer spricht davon, ihm etwas anzutun. Es reicht doch schon ein Gefängnis - ob in Österreich oder England - was macht das für einen Unterschied?", sagte der Prinz mit einem rauem Lachen.

"Da habt Ihr Recht, Hoheit", antwortete Waldemar, "aber das beste Gefängnis ist immer noch das, das der Totengräber macht."

"Ich will mit der Sache nichts zu tun haben", sagte de Bracy eindringlich.

"So werde ich dieses gefährliche Unternehmen leiten. - Diener, lass den Spion Hugh Bardon schnellstens in meine Wohnung kommen. " Fitzurse verabschiedete sich von Prinz John und verließ das Zimmer.

"Ich hoffe, er wird meinen Bruder mit dem nötigen Respekt behandeln", sagte John mit linkischer Miene zu de Bracy. Der lächelte nur kalt, weil er ahnte, dass der Prinz es nicht ernst meinte und verließ nach kurzem Gruß ebenfalls den Raum.

Der Prinz befahl seinem Diener den Spion Hugh Bardon zu rufen, sobald dieser mit Fitzurse gesprochen habe. Kurz darauf trat dieser ein und der Prinz wollte wissen, was Fitzurse vorhatte. Der Spion antwortete, dass Waldemar Fitzurse zwei entschlossene Männer wollte, die sich in den Wäldern auskannten und die Spuren eines Mannes und Pferdes zu deuten wüssten. Diese habe er ihm besorgt.

"Das ist gut", erwiderte der Prinz. "Zieht Fitzurse mit ihnen los?"

"In diesem Moment."

"Bardon es ist mir wichtig, dass du de Bracy beobachtest, ohne dass er es merkt. Berichte mir, was er tut, mit wem er verkehrt, was er vorhat."

Hugh verbeugte sich und ging.

 

 

 

20. Der Großmeister des Templerordens

Etwa eine Tagesreise von Torquilstone entfernt, suchte Isaak von York ein Nachtquartier bei seinem Freund, dem Rabbiner Nathan Ben Israel.


Lucas de Beaumanoir

Als er am nächsten Morgen die restlichen vier Stunden bis Templestowe zurücklegen wollte, warnte ihn sein Freund.

"Weißt du denn, Isaak, dass Lucas de Beaumanoir, der Großmeister des Templerordens, in Templestowe ist? Er ist ein grausamer Tyrann gegen unser Volk. Du solltest dort nicht hinreisen."

Nun erzählte Isaak, was der Grund für seine Reise war und der Rabbi hörte aufmerksam zu. "Dann geh", sagte der Rabbi, "und sei klug. Klugheit rettete auch Daniel aus der Höhle der Löwen. Gehe dem Großmeister aus dem Weg, denn Juden zu misshandeln, bereitet ihm großes Vergnügen."

Isaak verabschiedete sich und setzte seine Reise fort.

Das Ordenshaus der Templer war umgeben von Wiesen und Weideland. Die Anlage war gut befestigt und zwei schwarz gekleidete Wachen befanden sich an der Zugbrücke, während andere die Wälle auf und ab schritten.

Isaak hielt am Tor und überlegte, wie er am besten auftreten solle. Von Nathan wusste er, dass unter dem Großmeister strenge Ordensdisziplin anstelle von ausschweifender Zügellosigkeit getreten war. Wurde er zuvor wegen seines Reichtums gehasst, so war es jetzt sein jüdischer Glaube, wegen dem er unterdrückt wurde.

Lucas de Beaumanoir ging in einem kleinen Garten umher und unterhielt sich mit einem Ordensbruder. Der Großmeister war ein Mann in vorgerücktem Alter. Seine finsteren Gesichtszüge ließen den gefürchteten Krieger erkennen, seine magere, große Statur den strengen Asketen. Auf seinem weißen Mantel befand sich an der linken Schulter das Ordenskreuz aus rotem Tuch.

Der Mann neben ihm, war der Vorsteher des Ordnenshauses und Beaumanoir klagte ihm sein Leid. Seit er aus Palästina zurück war, musste er miterleben wie ausschweifend und zügellos die Templer in England hausten. Sie schmückten sich mit prunkvollen Kleidern, deckten sich die Tafel mit exotischen Speisen und vertrieben sich die Zeit mit Frauen.

"Conrad, mein Bruder - ich werde den Orden reinigen! Es ist meine Aufgabe."

In diesem Augenblick trat ein Novize des Ordens in den Garten, verbeugte sich demütig vor dem Großmeister und meldete einen Juden, der Bruder Brian de Bois-Guilbert zu sprechen wünschte.

"Gut, mein Sohn, dass du mich informierst. Solange ich hier bin, ist der Vorsteher nur ein gewöhnlicher Bruder. Es liegt mir viel daran, besonders über Bois-Guilbert Bescheid zu wissen."

"Er ist als tapfer und mutig bekannt", erwiderte Conrad Mont Fitchet.

Der Großmeister zweifelte nicht an der Tapferkeit des Templers. Jedoch war er überzeugt, dass er sich nicht an die Regeln des Ordens hielt. Er befahl dem Novizen den Juden hereinzuführen.

Isaak näherte sich unterwürfig und demütig dem Großmeister. Drei Schritte vor dem Templer warf er sich auf den Boden und küsste die Erde, dann erhob er sich und blickte nach unten.

"Höre, Jude! Unser Gelübde verbietet, Zeit und Wort zu verschwenden, und mit einem Juden zu reden, ist unserem Stand nicht angemessen. Darum fass dich kurz in deinen Antworten, und sprich die Wahrheit; sonst lasse ich dir die Zunge aus dem Hals reißen."

Isaak wollte etwas sagen, aber Beaumanoir fuhr fort: "Schweig! Du hast nur zu antworten, wenn ich dich frage. Was willst du von Brian de Bois-Guilbert?"

Vor Schreck und Angst konnte Isaak kaum atmen. Der Großmeister bemerkte seine Todesangst und beruhigte ihn, dass er nichts zu befürchten hätte, so lange er bei der Wahrheit blieb.

"Ich überbringe einen Brief an diesen edlen Ritter, von Prior Aymer aus der Abtei Jorvaulx", stammelte er.

"Was sind das für Zeiten, Conrad. Ein Zisterziensermönch schickt eine Botschaft an einen Templer und findet keinen besseren Boten als einen Juden! - Gib mir den Brief!"

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Zitternd übergab Isaak das Schreiben. Prior Aymer erklärte darin, dass er von Geächteten gefangen gehalten wurde. Dort habe er erfahren, dass Brian mit der schönen Jüdin entkommen sei. Er wolle ihn warnen, weil er gehört hatte, dass der Großmeister auf dem Weg zum Ordenhaus sei und dieser dem Treiben ein jähres Ende setzen würde. Brian solle das Lösegeld nehmen, das der Jude für seine Tochter zahlen wolle. Damit könne er sich fünfzig Mädchen kaufen.

Der Großmeister war sprachlos. Nach einer kurzen Stille fragte er den Juden: "Deine Tochter übt die Heilkunst aus?"

"Ja, ehrwürdiger Vater", stammelte Isaak, "und welches Lösegeld Ihr auch immer…."

"Schweig! Deiner Tochter soll es so ergehen, wie allen Hexen. Sie wird auf dem Scheiterhaufen verbrennen und ihre Asche in alle vier Winde verstreut werden."

Der arme Isaak wurde davongejagt und alle seine Bitten blieben ungehört. Er konnte nichts tun, als zum Haus des Rabbiners zurückzukehren und versuchen, durch ihn zu erfahren, was mit seiner Tochter geschehen sollte. Bis dahin hatte er sich um ihre Ehre gesorgt, jetzt zitterte er um ihr Leben.

 

 

 

21. Die Anklage

Kaum war Isaak fortgegangen, ließ der Großmeister nach dem Präceptor rufen. Albert de Malvoisin war der Bruder jenes Philip de Malvoisin, der in der Nachbarschaft von Rotherwood wohnte. Er war ein enger Verbündeter von Brian de Bois-Guilbert.

Nach Außen gab er den asketischen Ordensbruder, aber in Wirklichkeit war das nur Heuchelei. Wie er nun vor dem Großmeister stand, tat er sich überrascht über die Anklage, dass er einem Ordenbruder erlaubt habe seine jüdische Geliebte, eine Zauberin, an diesen heiligen Ort zu bringen.

Albert spielte Verwunderung vor und erklärte, dass der gute Bois-Guilbert unter ihrem Zauber stehen müsse. Nur so könne er sich seine Neigung erklären. Der Präceptor habe die Aufnahme des Mädchens nur erlaubt, um den Bruder wieder auf den rechten Weg zu bringen.

"Diese schändliche Zauberin, die ihren Zauber an einem Bruder unseres Ordens angewandt hat, muss zum Tode verurteilt werden", sagte Beaumanoir, "Lasst die Halle für den Prozess vorbereiten."

Albert de Malvoisin verbeugte sich und ging, aber nicht, um den Befehl auszuführen, sondern um Brian de Bois-Guilbert vorzuwarnen. Er fand ihn schäumend vor Wut, weil Rebekka ihn ein weiteres Mal abgewiesen hatte.

Als Brian erfahren hatte, was der Großmeister vorhatte, bat er seinen Freund, ihm bei der Flucht mit der schönen Jüdin zu helfen. Aber der Präceptor erkläre, dass dieses Unterfangen aussichtslos sei. Das Haus wimmelte von den Leuten des Großmeisters.

Der tapfere Tempelritter schien sich dem Willen seiner Vorgesetzten zu beugen, aber in Wirklichkeit wollte er nichts unversucht lassen, Rebekka zu retten.

Mittlerweile war die Halle zum Gerichtssaal umgebaut worden. Die Glocken hatte gerade die Mittagsstunde geschlagen, als der Vorsteher und der Präceptor höchstpersönlich Rebekka zu ihrem Platz brachten. Im Menschengedränge wurde ihr ein Stück Papier in die Hand gedrückt, das sie ungelesen in der Hand behielt.

Lucas de Beaumanoir erhob sich und begann seine Anklage vorzutragen. Dabei ließ er keinen Zweifel darüber, dass die Jüdin einen bösen Zauber über den Ordensbruder verhängt habee und sie deshalb sterben müsse.

Leises Murmeln ging durch die Versammlung, und einige, die den wahren Hergang kannten lächelten über die Vermutung des "bösen Zaubers".

Nach und nach wurden Zeugen vernommen. Zuerst Albert de Malvoisin, der bereute gegen die Ordensregeln verstoßen zu haben. Dafür bekam er dreizehn Vaterunser zur Morgen- und Mittagsandacht und Fleischverzicht für sechs Wochen als Buße.

Als nächstes wurde Brian de Bois-Guilbert befragt, aber der schwieg sich eisern aus, sodass der Großmeister entnervt weitere Zeugen rief. Dies waren zwei Männer, die abenteuerliche Geschichten über Rebekka zu berichten hatten. Jeder gesunde Menschenverstand hätte bemerken müssen, dass an den Aussagen etwas nicht stimmte, denn die Männer waren vom Großmeister bezahlt worden, solche Falschaussagen zu machen. Beaumanoir wollte ganz sicher gehen, dass der Verurteilung nichts im Weg stehen würde.

Nachdem der Großmeister alle Stimmen eingesammelt hatte, forderte er Rebekka auf, ihren Schleier abzunehmen und gab ihr die Gelegenheit selbst das Wort zu ergreifen. Die Jüdin folgte dem Willen -überraschtes Gemurmel breitete sich aus, aufgrund ihrer Schönheit. Manch einer im Saal kam zu dem Schluss, dass es nicht ihre Hexerei sondern ihre Anmut war, der Brian de Bois-Guilbert erlegen war.

"Gott sei der Richter zwischen mir und ihm", sagte sie. "Ich bin eine wehrlose Gefangene, er aber gehört eurem Glauben an, und das geringste Wort aus seinem Mund wiegt schwerer als die heiligsten Schwüre einer Jüdin. - Höre, Brian de Bois-Guilbert, ich frage dich, kannst du diesen Anklagen so zustimmen?"

Es entstand eine Pause, alle Augen richteten sich auf Bois-Guilbert. Er blieb stumm und schien einen heftigen Kampf mit sich auszufechten. Schließlich stieß er mit erstickter Stimme hervor: "Das Papier!" und sah Rebekka an.

Die Jüdin erinnerte sich an den Zettel, den sie immer noch in der Hand hielt. Sie faltete ihn unbemerkt auseinander und las die arabischen Worte: "Fordere einen Kämpfer!" Sofort ließ sie das Blatt verschwinden und erhob sich.

"Ich habe nur noch ein Mittel, mein Leben zu retten. Ich bestreite die Anklage und behaupte meine Unschuld! Ich appelliere an das Gottesurteil und nehme das Recht in Anspruch, die Wahrheit durch einen Zweikampf zu finden. Ein Kämpfer wird sie für mich ans Licht bringen."

"Wer aber", entgegnete der Großmeister, "wird für eine jüdische Zauberin die Lanze brechen?"

"Gott selbst wird mir einen Kämpfer schicken. Hier ist mein Pfand." Damit zog sie sich einen Handschuh aus und warf ihn voller Stolz vor den Großmeister.

Lucas de Beaumanoir war von Natur aus weder grausam noch hart, aber durch seinen asketischen Lebenswandel hatte sein Gemüt eine gewisse Härte angenommen. Doch Rebekka hatte ihn gerührt. Waren es nun ihre Schönheit oder ihr mutiges Auftreten. Daher entschied er, ihre Bitte zu gewähren.

"Wer, liebe Brüder, soll dieses Pfand bekommen, und damit für unsere Seite kämpfen? Ich denke niemand könnte das besser, als Brian de Bois-Guilbert, nicht wahr? Albert, gib diesen Fehdehandschuh dem Sir Brian."

Malvoisin trat mit dem Handschuh vor Bois-Guilbert und sprach leise, aber eindringlich auf ihn ein. Als der Großmeister bereits ungeduldig wurde, sagte der Präceptor:

"Er hat angenommen, ehrwürdiger Vater. Als Kampfplatz schlage ich die Schranken von St. Georg vor. Sie gehören zu unserem Präceptorium."

"Gut", sagte Beaumanoir, "in diesen Schranken soll dein Ritter erscheinen, Rebekka. Du darfst einen Boten aussenden, der eine Nachricht von dir zu deinen Freunden bringt."

Dieser Bote musste jedoch nicht bis nach York reiten, denn bereits eine Viertelstunde vor dem Tor von Templestowe traf er auf zwei Juden, die sich als Isaak und seinen Freund Nathan herausstellten. Er übergab ihnen den Brief und machte sich auf den Rückweg.

Kaum hielt Isaak das Blatt in den Händen, sank er von seinem Maultier und lag leblos am Boden. Nathan kam ihm zur Hilfe und Isaak fand langsam das Bewusstsein wieder.

"Lies du, mein Bruder", sagte Isaak, "meine Augen sind voller Tränen. Ich fürchte es ist die Nachricht über den Tod meiner geliebten Tochter."

Nathan nahm das Blatt und las: "Mein Vater, ich bin zum Tode verurteilt. Man hat mich der Hexerei angeklagt. Es gibt nur einen Ausweg, ich muss einen starken Kämpfer finden, der für mich vor Gott kämpft. Wilfred, der Sohn des Cedrics, ist der Einzige, der das für mich tun würde. Geh zu ihm und bitte für mich."

Isaak war außer sich vor Kummer. Doch Nathan bestärkte ihn, nach Rotherwood zu gehen. Er selbst würde nach York reiten, und dort Ausschau nach einem tapferen jungen Mann zu halten, der bereit war für Rebekka zu kämpfen.

Die beiden Männer umarmten sich herzlich und ritten in verschiedenen Richtungen davon.

In der Abenddämmerung wurde leise an Rebekkas Tür geklopft.

"Tritt ein, wenn du ein Freund bist, und wenn du ein Feind bist, kann ich nichts dagegen tun."

"Ich bin ein Freund oder Feind, das kommt darauf an, wie unser Gespräch ausgeht", antwortete Bois-Guilbert, der ins Zimmer trat.

Rebekka zog sich in die äußerste Ecke des Raumes zurück.

"Du hast keinen Grund, mich zu fürchten. Draußen stehen die Wachen, die dich beschützen, bis sie dich in den Tod führen."

"Gott sei gelobt. Vor dem Tod fürchte ich mich am wenigsten", stieß die Jüdin hervor.

"Du sollst wissen, dass mein Plan ein anderer war. Die Wahl des verteidigenden Kämpfers sollte auf ein einfaches Ordensmitglied fallen. Dann wäre ich - als dein Kämpfer in die Schranken gezogen, verkleidet als umherziehender Ritter. Ich hätte jeden Gegner besiegt und so deine Unschuld bewiesen."

"Eine leere Prahlerei, Ritter", erwiderte Rebekka.

"Nein. Rebekka, wenn ich nicht in den Schranken erscheine, verliere ich Ehre und Rang und die Achtung meiner Brüder. Außerdem verliere ich die Aussicht einmal an die Stelle zu gelangen, die jetzt der fanatische Beaumanoir einnimmt. Das ist mein Los, wenn ich nicht erscheine. Aber all das würde ich auf mich nehmen, sobald du sagst: Bois-Guilbert, ich nehme dich als meinen Geliebten an!" Mit diesen Worten sank er ihr zu Füßen.

"Gebt diesen Wahnsinn auf, Ritter. Wir werden beide in die Schranken treten - Ihr um zu kämpfen, ich um zu leiden. Lebt wohl, ich verschwende keine Worte mehr an Euch!"

"Hätten wir uns nur niemals gesehen", sagte der Templer und verließ das Zimmer.

 

 

 

22. Richard Löwenherz

Als der schwarze Ritter den Versammlungsplatz der Geächteten verlassen hatte, schlug er den Weg zum nahe gelegenen Kloster St. Botolph ein. Dorthin hatten Gurth und Wamba den verletzten Ivanhoe gebracht.

Der Ritter nahm Ivanhoe das Versprechen ab, sich noch einen Tag zu erholen, seine Wunden ganz verheilen zu lassen und ihm erst dann nach Coningsburgh, wo die Trauerfeier für Athelstane stattfand, zu folgen. Dann bat er darum Wamba als Begleitung mitzunehmen.

"Werter Ritter vom Fesselschloss", sagte Ivanhoe, "Ihr habt Euch einen schwatzhaften und unbequemen Narren als Geleit ausgesucht; allerdings kennt er sich hier in den Wäldern sehr gut aus und ist treu wie Gold."

Ivanhoe sah den beiden nach, bis sie im Wald verschwunden waren, und kehrte dann mit dem Abt ins Kloster zurück. Natürlich dachte er nicht daran, dem Wunsch des schwarzen Ritters nachzukommen. Er bat den Abt um ein Pferd und beeilte sich, zusammen mit Gurth der Spur des Ritters zu folgen.

Der zog unterdessen mit dem Narr des Weges und ließ sich von Wamba unterhalten.

"Ich wünschte, ich dürfte einmal in das schöne Horn an Eurem Gürtel blasen", sagte Wamba.

"Es ein Pfand für Locksleys Hilfe. Nur drei Töne auf diesem Horn und seine Gefährten eilen uns zur Hilfe. Aber da wir es sicherlich nicht brauchen werden, kannst du dir es umhängen, wenn es dir Freude bereitet."

Wamba zog das silberne Horn über seine Schultern, dabei sah er etwas aus dem Unterholz blitzen. Schnell warnte er den Ritter, der gerade noch sein Visier herunterklappen konnte, als bereits mehrere Pfeile heran flogen.

In diesem Augenblick stieß Wamba ins Horn. Die Angreifer sprangen zurück, doch ihr Anführer schrie sie an: "Feiglinge! Flieht ihr vor dem Klang eines Hornes, das ein Narr bläst?"

Zerknirscht wandten sie sich wieder gegen den schwarzen Ritter und drängten ihn immer mehr in die Enge. Er kämpfte wie ein Löwe dennoch ließen seine Kräfte langsam nach. Da streckte ein Pfeil den Stärksten seiner Gegner nieder und aus dem Dickicht brach ein Trupp Geächteter hervor, mit Locksley und dem Mönch an der Spitze, die die Angreifer in Nu überwältigten.

"Noch bevor ich Euch danke", sagte der schwarze Ritter, "muss ich wissen, wer mich angegriffen hat. Wamba öffne das Visier dieses blauen Ritters, er scheint der Anführer zu sein."

Der Narr näherte sich dem verletzten Mann und zog ihm den Helm vom Kopf. Der Ritter vom Fesselschloss sah in ein Gesicht, das er nicht erwartet hatte.

"Waldemar Fitzurse! Was hat Euch zu diesem Unterfangen getrieben?"

"Richard", sagte der Ritter, "Ihr kennt die Menschen schlecht, wenn Ihr nicht wisst, wozu Ehrgeiz und Rache jeden treiben können. Euer Bruder war dabei den Thron zu besteigen und mich hätte er zu einem der höchsten Männer im Staat gemacht."

"Waldemar, ich schenke Euch Euer Leben. Aber unter der Bedingung, dass ihr innerhalb von drei Tagen England verlassen habt. - Locksley, gebt ihm ein Pferd."

"Lieber würde ich dem Verräter einen Boten aus Eisen hinterherschicken, der ihm die Reise erspart!", gab Robin zur Antwort.

"Ihr seid ein treues englisches Herz und damit Ihr wisst, wessen Befehl Ihr gehorcht, sage ich Euch: Ich bin Richard, König von England!"

Mit einemmal knieten die Geächteten vor ihm nieder. Sie beteuerten ihre Treue und baten um Vergebung für ihre Taten.

"Steht auf, meine Freunde", sagte Richard. "Euer Unrecht ist gesühnt, durch euren tapferen Beistand. Und Ihr Locksley…"

"Nennt mich nicht länger so, mein König. Ich bin Robin Hood vom Sherwood Forest."

"Der König der Geächteten", sagte Richard. "Euer Name drang selbst bis nach Palästina. Ich werde Eurer Taten nicht zu Eurem Nachteil gedenken."

In diesem Augenblick hörte man den Hufschlag von Pferden, die rasch näher kamen. Es waren Wilfred von Ivanhoe und Gurth, die auf dem Kampfplatz erschienen. Ivanhoe war erschrocken als er seinen Herrn voller Blut und von Toten und Geächteten umgeben fand.

"Sei ohne Sorgen, Ivanhoe", begann Richard, der die Gedanken seines Freundes erriet, "diese Leute sind Männer, die ihrem König treu ergeben sind. Man wollte mich verraten, aber dank dieser tapferen Männer haben sie ihren Lohn erhalten."

"So soll es Verrätern ergehen!", erwiderte Ivanhoe.

"Hattest du mir nicht versprochen so lange im Kloster zu bleiben, bis deine Wunden verheilt sind?"

"Sie sind es schon! Aber Richard, Ihr riskiert zu viel. Das Land braucht Euch und zwar lebend. Warum zieht Ihr durch die Wälder und setzt Euer Leben aufs Spiel?"

"Treuer Wilfred, meine Tarnung als umherziehender Ritter war nötig, um Zeit zu gewinnen. Wenn die Rückkehr von König Richard öffentlich verkündet wird, muss ein ganzes Heer bereit stehen, damit kein Feind es wagt, sich mir entgegenzustellen. Aber nun zu dir, König der Geächteten, kannst du deinem Amtskollegen ein gutes Mahl zubereiten lassen? Der Kampf hat mich hungrig gemacht!"

Als sie das Essen beendet hatten, erklärte Robin Hood, dass er einen Teil seiner Männer losgeschickt habe, um jeden Hinterhalt aufzustöbern, den man noch gelegt haben könnte. Dankbar reichte Richard dem Geächteten zum Abschied die Hand.

Ohne Zwischenfall erreichten König Richard, Ivanhoe, Gurth und Wamba das Schloss Coningsburgh. Der Majordomus führte die beiden unbekannten Ritter zum Eingang des Hauses und über eine schmale Treppe erreichten sie das Portal der Südseite.

Beim Betreten der Halle verhüllte Ivanhoe sein Gesicht mit dem Mantel, weil er sich seinem Vater erst zu erkennen geben wollte, wenn der König ihm ein Zeichen gab. Um einen großen Eichentisch saßen etwa ein Dutzend der angesehensten Vertreter der sächsischen Familien der Region. Cedric schien den Vorsitz zu führen, und als Richard eintrat, den er nur als den schwarzen Ritter mit dem Fesselschloss kannte, erhob er sich und sprach einen Gruß mit dem Becher in der Hand.

Dann begleitete er die Gäste in eine kleine Kapelle in der der Leichnam Athelstanes aufgebahrt lag. Sie sprachen ein kurzes Gebet für die Seele des Verstorbenen. In der Bank kniete Lady Rowena. Sie wirkte ernst, aber ihr Kummer rührte mehr vom ungewissen Schicksals Ivanhoes als vom Tod Athelstanes.

Sie begrüßte ihren Befreier mit anmutiger Höflichkeit. Cedric erklärte: "Sie war die Verlobte des edlen Athelstane."

Man darf annehmen, dass diese Aussagte nicht dazu beitrug, Wilfreds Mitgefühl mit dem Toten zu vergrößern. Cedric brachte seine Gäste zu ihrem Zimmer und wollte sich gerade entfernen, als der schwarze Ritter seine Hand ergriff und sagte:

"Edler Freund, erinnert Ihr Euch, dass Ihr bei unserem Abschied versprochen habt, mir eine Bitte zu erfüllen als Dank für meine Hilfe?"

"Eure Bitte ist schon erfüllt, aber in dieser traurigen Stunde…?"

"Darüber bin ich mir bewusst, aber meine Zeit ist knapp. Es scheint mir passend, dass man mit dem edlen Athelstane auch alte Vorurteile und Meinungen begräbt."

"Werter Ritter vom Fesselschloss, ich kann Euch nicht recht folgen."

"Bislang kennt Ihr mich als den Ritter vom Fesselschloss, erlaubt mir nun, mich Euch vorzustellen. Ich bin Richard von England und mein größter Wunsch ist es die Söhne des Landes vereint zu sehen. - Nun, edler Sachse, wollt Ihr Euch nicht vor Eurem König verbeugen?"

"Ich habe mich noch nie vor normannischem Blut verbeugt!", entgegnete Cedric.

"Nun dann wartet damit, bis ich mein Versprechen einlöse und Normannen wie Engländern den gleichen Schutz gewähre."

"Seid Ihr hierher gekommen, um mir das am Grab des letzten Nachkommen unserer englischen Könige zu sagen?", fragte Cedric düster.

"Nein, beim heiligen Kreuz, nein. Ich fordere von Euch nur Euer Versprechen einzulösen und dem guten Ritter Wilfred von Ivanhoe zu vergeben und ihn wieder in väterlicher Liebe aufzunehmen. An dieser Versöhnung liegt mir sehr viel."

"Und das hier ist Wilfred?", fragte Cedric und deutete auf den Mann neben Richard.

"Mein Vater!", rief Ivanhoe und warf sich Cedric zu Füßen, "vergebt mir!"

"Ich vergebe dir. Mein Wort halte ich, auch wenn ich es einem Normannen gab. Aber wenn du hoffst dein Weg zu Lady Rowena wäre jetzt frei, so irrst du dich. Als Athelstanes Verlobte ist es ihre Pflicht eine angemessene Trauerzeit einzuhalten."

Ein Diener betrat den Raum und bat Ivanhoe mit ihm zu kommen. Als dieser nicht wieder kehrte, erfuhr Richard, dass ein Jude nach Wilfred gefragt habe und nachdem die beiden kurz miteinander gesprochen hatten, sei Ivanhoe in voller Rüstung auf seinem Pferd zum Tor hinausgejagt.

Richard ließ den Juden sofort zu sich rufen, wechselte ebenfalls ein paar Worte mit ihm und ritt mitsamt dem Juden in vollem Galopp von Coningsburgh fort.

 

 

 

23. Das Gottesurteil

Vor den Toren des Präceptoriums versammelten sich die Menschen an den Schranken, in denen der Kampf um das Leben der Jüdin Rebekka stattfinden sollte. Am gegenüberliegenden Ende war ein Haufen Reisig um einen großen Pfahl geschüttet, der für Rebekka bestimmt war, sollte ihr Ritter nicht siegen.

Die Wachen führten sie zu einem schwarzen Stuhl, der neben dem Scheiterhaufen stand. Beim Anblick schauderte sie und schloss die Augen für einen Moment. Doch dann blickte sie mit erhobenem Kopf nach vorn.

Der Großmeister hatte seinen Sitz eingenommen und als die Trompeten erklangen ritt Brian de Bois-Guilbert begleitet von Albert de Malvoisin und Conrad Mont Fitchet in die Schranken.

Beaumanoir ergriff das Wort: "Hört! Hier steht der Ritter Brian de Bois-Guilbert, bereit mit jedem frei geborenen Ritter zu kämpfen, der für diese Sache sterben möchte."

Die Trompeten klangen erneut, dann folgte Totenstille. Minuten vergingen und kein Kämpfer erschien für die Angeklagte. Der Großmeister entschied noch zu warten. Der Herold ging zu Rebekka und teilte ihr die Entscheidung mit und im selben Moment war auch Bois-Guilbert an ihrer Seite.

"Rebekka", raunte er ihr ins Ohr, "hörst du mich? Warum stehen wir uns hier gegenüber. Ich habe das beste Pferd, das je einen Reiter trug. Springe auf und in weniger als einer Stunde sind wir allen Verfolgern entkommen."

"Geht weg von mir", sagte Rebekka. "Lieber sterbe ich in den Flammen, als mit Euch zu reiten."

Malvoisin trat hinzu, beunruhigt, dass das Gespräch einen unliebsamen Ausgang nehmen würde. "Hat das Mädchen ihre Schuld eingestanden, oder ist sie entschlossen weiter zu lügen?"

"Entschlossen ist sie", stieß der Ritter hervor, dann ritt er an das Ende der Schranken zurück. Man hatte bereits zwei Stunden vergeblich gewartet und es wurde schon geflüstert, dass der Kampf verloren sei, als in der Ebene ein Ritter erschien.

"Ein Kämpfer", schrie die Menge.

Doch ein zweiter Blick genügte, um zu erkennen, dass Pferd und Reiter von dem schnellen Ritt vollkommen erschöpft waren.

Der Herold forderte den Ritter auf seinen Namen und Rang zu nennen.

"Ich bin Wilfred von Ivanhoe und gekommen um den Gerichtsstreit dieses Mädchens, Rebekka, Tochter des Isaak von York, auszufechten."

"Gegen dich kämpfe ich nicht", sagte der Templer mit matter Stimme. "Lass erst deine Wunden heilen und suche dir ein besseres Schlachtross."

"Stolzer Templer, ich habe Euch bereits zweimal besiegt. Wenn Ihr Euch dem Kampf nicht stellt, werde ich Euch an jedem Hof Europas als Feigling bezeichnen."

Nun mischte sich Beaumanoir ein: "Ich kann deinen Wunsch nicht verweigern, Ritter, vorausgesetzt das Mädchen nimmt dich als Kämpfer an."

"Rebekka", rief er und wandte sein Pferd zu ihrem Stuhl, "nimmst du mich als deinen Kämpfer an?"

"Ja", antwortete sie mit bewegter Stimme, "ja, ich nehme dich als meinen Kämpfer, den mir der Himmel geschickt hat, an. -Aber nein! Eure Wunden sind noch nicht verheilt! Ihr dürft nicht kämpfen und mit mir untergehen!"

Ivanhoe war jedoch schon ans Ende der Schranken geritten, hatte sein Visier geschlossen und seine Lanze ergriffen. Dasselbe tat auch der Templer an seinem Platz am anderen Ende.

Der Herold gab das Zeichen und der Großmeister warf Rebekkas Handschuh in die Schranken. Trompeten erklangen und die Reiter sprengten in vollem Galopp gegeneinander los. Ivanhoes erschöpftes Pferd mitsamt seinem geschwächten Reiter sank, wie es niemand anders erwartete hatte, von der Lanze des Templers zu Boden.

Jedoch obwohl Ivanhoes Lanze das Schild des Gegners kaum berührt hatte, wankte auch Bois-Guilbert, verlor den Steigbügel und stürzte vom Pferd. Es herrschte Totenstille.

Ivanhoe kämpfte sich unter seinem Pferd hervor und stand bereit um den Kampf mit dem Schwert fortzuführen. Aber sein Gegner blieb am Boden liegen. Wilfred stellte ihm den Fuß auf die Brust, setzte ihm die Spitze seines Schwertes an die Kehle und forderte ihn auf, sich zu ergeben oder zu sterben. Der Templer antwortete nicht!

Der Großmeister griff ein und rief: "Tötet ihn nicht! Nicht ohne Beichte und Absolution. Wir erklären ihn für besiegt!"

Beaumanoir stieg in die Schranken hinab und befahl dem besiegten Kämpfer den Helm abzunehmen. Die Augen des Templers waren geschlossen. Plötzlich öffneten sie sich starr und ausdruckslos und eine Todesblässe überzog sein Gesicht. Ein Herzschlag hatte dem Leben des Templers ein Ende gemacht.

"Das ist ein wahres Gottesurteil", sagte der Großmeister mit Blick zum Himmel.

Nachdem sich die erste Aufregung gelegt hatte, gab Beaumanoir bekannt: "Der Kampf ist vorschriftsmäßig geführt worden, und ich erkläre das Mädchen für frei und unschuldig."

In diesem Augenblick hörte man den Hufschlag von Pferden. Der schwarze Ritter sprengte in die Schranken, gefolgt von einer großen Anzahl bewaffneter Reiter.

"Ich komme zu spät", sagte Richard, "ich hatte Bois-Guilbert für mich ausgesucht."

"Der Himmel hat sich diesen hochmütigen Mann als Opfer ausgesucht", erwiderte Ivanhoe.

"Friede sei mit ihm! Wie dem auch sei, er war ein tapferer Ritter."

 

 

 

24. Nachwort

Die Untersuchung der Verschwörung gegen Richard ergab, dass Maurice de Bracy nach Frankreich entkommen war und dort im Dienste des Königs stand. Philip und Albert de Malvoisin wurden hingerichtet und Waldemar Fitzurse, obwohl der Kopf der Verschwörung, kam mit der Verbannung davon.

König Richard war mit seinen Gefolgsleuten zu seinem Bruder geritten und hatte ihm nahe gelegt, bei der Königinmutter Unterschlupf zu suchen. Viele Anhänger waren der Meinung, dass John damit nicht seine gerechte Strafe erhalten habe.

Cedric wurde an den Hof Richards in York berufen. Er folgte der Aufforderung, obwohl es ihn nicht dorthin drängte. Die Rückkehr Richards hatte ihm jede Hoffnung genommen die englische Dynastie wieder aufleben zu lassen. Aber Richard war beim Volk beliebt. Kaum war Cedric ein paar Tage bei Hofe, hatte er seine Einwilligung in die Hochzeit seines Sohnes mit Lady Rowena gegeben.

Die Trauung fand mit großem Aufwand im Münster zu York statt. Gurth stand seinem jungen Herrn als treuer Knappe zur Seite und selbst Wamba hatte an diesem Tag eine neue Kappe aufgesetzt. Viele normannische und sächsische Gäste waren geladen und so setzte diese Vermählung ein Zeichen des Friedens.

Cedric lebte noch lange genug, um die Anfänge der Verschmelzung dieser beider Völker zu beobachten.

Zwei Tage nach ihrer Hochzeit wurde Lady Rowena von ihrer Dienerin Elgitha ein junges Mädchen gemeldet, das sie unter vier Augen sprechen wollte.

Das Mädchen war durch einen langen Schleier verhüllt und strahlte Anmut aus. Sie ließ sich auf die Knie nieder und küsste Rowena den Saum ihres Kleides.

"Warum zeigt Ihr mir eine solche Verehrung?", fragte Rowena überrascht.

"Verzeiht mir, aber ich bin gekommen, Lady von Ivanhoe, um den Dank zu bringen, den ich Ritter Ivanhoe schulde. Ich bin die Jüdin, für die Euer Gemahl in den Schranken von Templestowe sein Leben riskiert hat."

Unter der allgemeinen Aufregnung nach dem Kampf waren Rebekka und ihr Vater einfach davon geritten. Isaak hatte darauf bestanden, sich bei Ivanhoe zu bedanken, aber Rebekka hielt den Zeitpunkt für ungünstig. Die Anwesenheit von Richard von England ließ dann auch den Juden eilig auf sein Pferd steigen.

Nun sah Rebekka die Zeit für gekommen, sich angemessen zu bedanken. Ihr Herz hing immer noch mehr als sie zugeben mochte an Ritter Ivanhoe und so wählte sie den Weg über dessen Gemahlin.

"Mädchen, Ivanhoe hat an diesem Tag nur gut gemacht, was du mit der Pflege seiner Wunden verdient hattest."

"Ich bitte Euch nur, ihm meinen Dank und meinen Abschiedsgruß zu überbringen. Ich werde England zusammen mit meinem Vater verlassen und nach Granada gehen. Dort werde ich weiter Kranke pflegen und Unglückliche trösten, so wie es die Frauen meines Volkes seit jeher tun. Das sagt Eurem Gemahl, wenn er einmal nach dem Schicksal derjenigen fragen sollte, deren Leben er rettete."

Es war ein Beben in ihrer Stimme und eine Sanftheit, die vielleicht mehr verriet, als ihr Recht war, und sie beeilte sich, von Rowena Abschied zu nehmen.

Ivanhoe gelangte in König Richards Diensten zu außergewöhnlich hohem Ruhm, der leider mit dem viel zu frühen Tod des Helden Löwenherz ein Ende fand.