Das Hochzeitsfest des kleinen Volkes

  • Autor: Autor Unbekannt

Lange ist es her, dass man sie zuletzt sah. Heute erinnern sich wohl nur noch die wirklichen alten Leute an die Menschen vom kleinen Volk, die einst auf der Eilenburg in Sachsen lebten. Sie waren so klein, dass sie durch jedes Schlüsselloch und durch jedes Nadelöhr passten.

Eines Tages beschloss das kleine Volk auf der Eilenburg ein großes Hochzeitsfest zu feiern. In der Nacht zogen also alle Männer, Frauen und Kinder durch das Schlüsselloch und die Fensterritzen in den großen Saal des Schlosses ein. Sie hüpften und sprangen wie kleine Erbsen auf dem Boden herum und bemühten sich erst gar nicht darum, leise zu sein.

Natürlich blieb genau deshalb das Treiben der kleinen Gesellen auch nicht unentdeckt. Von dem Hüpfen und Springen war der alte Graf, der sein Bett in jenem großen Saal stehen hatte, geweckt. Er wunderte sich sehr über das kleine Volk, dem er bislang auf seiner Burg noch nie begegnet war.

Doch für große Verwunderung blieb dem Grafen keine Zeit. Einer der kleinen Männer, der sich festlich herausgeputzt hatte, trat auf den Grafen zu und lud ihn sogleich ein, an dem Hochzeitsfest teilzunehmen. Allerdings knüpfte der kleine Kerl eine Bedingung an seine Einladung. „Verehrter Graf“, sagte er, „nur Ihr alleine dürft an diesem Fest teilnehmen, niemand sonst aus Eurem Haus. Kein Gesinde, kein Verwandter. Niemand außer Euch darf einen Blick auf uns werfen.“

Der Graf antwortete freundlich: „Gerne nehme ich eure Einladung zu diesem Fest an. Immerhin habt ihr mich ja aus dem Schlaf gerissen, was sollte ich sonst wohl zu dieser vorgerückten Stunde tun?!“ Gleich darauf wurde dem alten Grafen eine kleine Frau vorgestellt, die er gerne auf die Tanzfläche geleitete. Natürlich hatte der große Graf Probleme, die kleine Frau beim Tanzen nicht zu verlieren, da sie leicht wie eine Feder war und sich wie ein kleiner Wirbelwind im Kreise drehte. Er selbst war bald schon außer Atem.

Mitten im Tanze aber erstarrte plötzlich die kleine Gesellschaft in der Bewegung. Die Musik hört abrupt zu spielen auf und alle Männer, Frauen und Kinder des kleinen Volkes eilten in Mauslöcher, zu Türspalten und Schlüssellöchern hin. Nur das Brautpaar, einige Herolde und Tänzer blieben an ihrem Platz und richteten schließlich ihren Blick zur Decke des großen Saales.

Und dort sahen sie das Gesicht der alten Gräfin, die belustig das Treiben im Saal von einer Balustrade aus verfolgte und sich schließlich höhnisch vor dem alten Grafen verneigte. Kaum war das geschehen, trat der kleine Mann zum Grafen, der die Einladung zum Hochzeitsfest überbracht hatte, und sprach: „Wir danken dir herzlich für die Gastfreundschaft, die du uns hier im Schloss gewährt hast. Nur leider ist es so, dass uns ein weiteres menschliches Auge erblickt hat. So wurde unsere Hochzeit gestört, was sehr schade ist. Und weil alles so gekommen ist wegen eurer Frau, so soll es in eurer Familie fortan nie mehr als sieben Männer mit dem Namen Eilenburg zur gleichen Zeit geben!“ Sagte es und verschwand für immer von der Burg.

Bis heute aber ist es tatsächlich so, dass es nie mehr als sieben männliche Nachkommen gleichzeitig in der Familie Eilenburg gibt. Die Verwünschung hält an, denn kaum ist der siebte Eilenburger Sohn geboren, stirbt einer seiner noch lebenden sechs männlichen Anverwandten. Und niemand weiß, ob und wann sich dieser Fluch aufheben wird