Entdeckungen

  • Autor: Beecher Stowe, Harriet

Das Ehepaar Shelby hatte am nächsten Morgen länger als üblich geschlafen. Frau Shelby wunderte sich, dass Elisa auf ihr Klingeln nicht erschien und beauftragte den Sklavenjungen Andy, der ihrem Mann das Rasierwasser gebracht hatte, nach Lizzy zu sehen. Andy kam sofort wieder und sagte: "Herrin. In Lizzys Zimmer stehen alle Schubladen offen. Ihre Sachen liegen auf dem Boden verstreut herum. Ich glaube fast, sie fast fort." Das Ehepaar Shelby fuhr wie elektrisiert auf. "Sie ist entkommen! Dem Himmel sei Dank!", rief Frau Shelby. "Bist du wahnsinnig?", fauchte Herr Shelby. "Haley wird denken, es ist ein Komplott. Er wusste, dass ich den Jungen nicht gerne hergebe!" Eilig lief er aus dem Zimmer und sofort begann ein Laufen und Rufen auf dem Hof. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von Elisas Flucht. Tante Chloe, die als einzige wusste, was geschehen war, schwieg. Mit düsterer Miene buk sie ihre Frühstücksbrötchen und tat so, als ginge die ganze Aufregung sie nicht an.

Als der Händler erschien, wurde ihm die schlechte Nachricht von allen Seiten zugetragen. Haley war darüber so aufgebracht, dass er unangemeldet in das Wohnzimmer der Shelbys trat. "Was muss ich da hören? Das Mädchen hat sich mit seiner Brut aus dem Staube gemacht? Das ist ja eine unerhörte Geschichte.", knurrte Haley. Mr. Shelby sprang auf. "Ich bitte Sie! Meine Frau ist zugegen." Haley nickte in Frau Shelbys Richtung, zeigte sich aber weiterhin empört. Herr Shelby rief nach Andy, der Haleys Stock und Hut nahm. "Bitte nehmen Sie Platz.", forderte Herr Shelby Haley auf. "Ich muss Sie davon in Kenntnis setzen, dass die Mutter von Harry offensichtlich von dem Geschäft erfahren und in der Nacht mit dem Jungen das Weite gesucht hat." Haley sah Herrn Shelby an. "Ich hatte mich auf ein sauberes Geschäft verlassen." Herr Shelby fuhr auf. "Unterlassen Sie diese Anschuldigungen. Wenn jemand meine Ehre antastet, dann gibt es für mich nur eine Antwort!" Haley, merkte, dass er zu weit gegangen war und mäßigte seinen Ton. Herr Shelby erklärte, dass er mit der bedauerlichen Geschichte nichts zu tun habe, dass er Haley aber mit Pferden und Männern dabei unterstützen wolle, sein Eigentum wieder zu erlangen. "Und nun machen Sie gute Miene zum bösen Spiel und frühstücken erst einmal herzhaft mit uns." Als Herr Shelby diese Einladung aussprach, erhob sich Frau Shelby. "Ich kann leider nicht an dem Frühstück teilnehmen. Ich habe dringende Geschäfte zu erledigen. Bitte, entschuldigen Sie mich." Frau Shelby zog sich hastig zurück und beauftragte eine ältere Sklavin, die Männer mit allem Nötigen zu versorgen. "Ihre alte Dame kann mich wohl nicht leiden.", sagte Haley mit einem Anflug plumper Vertrautheit. "Ich bin es nicht gewohnt, derart über meine Frau zu sprechen.", versetzte Herr Shelby. "Sie sind wohl wieder obenauf, seit ich gestern den Vertrag unterzeichnet habe.", brummte Haley, ließ die Sache aber dann auf sich beruhen.

Elisas und Toms Schicksal war unterdessen in aller Munde. Alle sprachen von ihnen, alle hatten Mitleid. Auch der schwarze Sam, der so hieß, weil er noch dunkler war als alle anderen auf der Farm, machte sich seine Gedanken. "Wenn Tom weg ist, muss ein anderer an seine Stelle kommen. Tom hatte einen Ausweis und ritt durch die Gegend wie ein Baron. Das könnte ich doch auch." In Sams Überlegungen platze Andy. "Sam, du sollst Jerry und Bill holen und satteln. Wir sollen den Händler auf seiner Suche nach Elisa begleiten." Sam nickte. Und ob er die beiden fangen würde. Der Herr sollte nur sehen, was er alles konnte. Großzügig teilte Sam sein Vorhaben Andy mit, der sofort erwiderte: "Bist du noch ganz gescheit? Die Herrin will nicht, dass Elisa gefunden wird. Das habe ich selber gehört. Und sie wird den gnädigen Herren bestimmt herumkriegen. Das habe selbst ich schon gelernt. Stell dich lieber auf die Seite der Frauen, sonst kommen sie dir in die Quere." Sam dachte lange über Andys Worte nach. Er wollte jemand sein. Er wollte vielleicht Toms Platz einnehmen. Während er noch nachdachte, sagte Andy: "Nun mach schon. Die Herrin hat schon vor einer Viertelstunde nach dir geschickt." Das ließ Sam sich nicht zweimal sagen. Rasch holte er die Pferde, sattelte sie und kam dann in wildem Galopp zum Pferdepfosten geritten. Er sprang ab, noch bevor die Pferde zum Stehen gekommen waren. Haleys Stute, ein junger, scheuer und nervöser Schimmel, bäumte sich auf. Sam trat an das Pferd heran. "Ho, ganz ruhig. Scheu bist du? Na, warte. Dich krieg ich schon." Damit bückte er sich und hob eine der Bucheckern auf, die auf dem Boden lagen. Mit einer geschickten Bewegung ließ er die scharfkantige Frucht unter den Sattel des Schimmels gleiten, wohl wissend, dass jede Belastung das Pferd rasend machen würde. "Hab ich dich.", grinste er.

In diesem Augenblick erschien Frau Shelby auf der Veranda und erteilte Sam den Auftrag mit Haley und Andy gemeinsam nach Elisa zu suchen. "Aber denke daran, dass Jerry in der letzten Woche lahm war. Also reite nicht so schnell und schone das Tier." Frau Shelby sah Sam eindringlich an. Der verstand sofort. Die Herrin wollte Zeit gewinnen. Nun, er hatte ja schon vorgesorgt. "Andy, wenn die Herrin Zeit gewinnen will, dann helfen wir ihr. Mach du nur rechtzeitig die Pferde los." Andy grinste und nickte. Er war gespannt, was Sam im Schilde führte.

Da trat auch schon Haley auf die Veranda hinaus und verlangte nach seinem Pferd. Sam und Andy kamen eifrig herbei, nicht ohne zuvor pflichtbewusst ihre Palmblatthüte auf die Köpfe zu stülpen. Haley trat an seine tänzelnde Stute heran und schob den Fuß in den Steigbügel. Kaum, dass er sein Gewicht in den Bügel verlagerte, stieg die Stute wie wild, schlug aus und warf Haley der Länge nach in den Staub. Sam tat, als wolle er helfen, stieß dem tobenden Tier aber nur die aus seinem Hut hervorstehenden Palmblätter ins Gesicht, was nicht zu dessen Beruhigung beitrug. Die Stute rannte Sam über den Haufen und Andy, der weisungsgemäß Jerry und Bill losgebunden hatte, rannte mit lautem Geschrei und wildem Pfeifen hinter den davon stürmenden Tieren her. Sam tat es ihm nach und so rannten beide wild schreiend über die Wiese. Alle anderen auf der Farm taten es ihnen nach, so dass in kürzester Zeit ein heilloses Durcheinander herrschte. Es war schier unmöglich, bei diesem Lärm die Pferde einzufangen. Frau Shelby stand hinter dem Fenster und musste sich das Lachen verkneifen. Sie wusste ganz genau, was dort draußen vor sich ging. Haley schrie und tobte. Als Sam endlich mit der Stute wieder am Pferdepfosten erschien, war Haley auf das Äußerste gereizt. "Schluss jetzt mit dem Unfug! Ich habe drei Stunden verloren. Wir müssen endlich aufbrechen." Sam tat erschrocken und bat: "Herr, wollt ihr uns alle umbringen? Die Pferde und auch wir dampfen vor Schweiß. Wenn ihr uns jetzt losjagt, werden wir alle sterben. Die Pferde müssen abgerieben werden und wir müssen etwas essen. Lizzy ist doch zu Fuß unterwegs. Die holen wir schon ein." Bevor Haley etwas erwidern konnte, trat Frau Shelby dazu. "Sam hat Recht. Bleibt zum Essen. Die Köchin wird es sofort auf den Tisch bringen. Danach sind die Pferde ausgeruht und ihr habt euch gestärkt. Dann könnt ihr sofort aufbrechen." Mürrisch willigt Haley in den Vorschlag ein und ging mit Frau Shelby ins Haus. Andy und Sam aber, die die Pferde versorgten, lachten noch lange aus vollem Hals.