Mary Montague

Lady Mary Montague (1689-1762)
Autorin und Erfinderin der Pocken-Inokulation, einer frühen Möglichkeit der Schutzimpfung

Lady Mary wurde 1689 als ältestes Kind des fünften Earl von Kingston geboren. Ihre Mutter war Mary Fielding, die Cousine des berühmten Romanautors Henry Fielding. Mary Fielding starb nach der Geburt ihres vierten Kindes, als ihre Tochter Mary noch klein war. Lady Mary galt als eine große Schönheit, bis sie an Pocken erkrankte und diese Krankheit entstellende Narben in ihrem Gesicht hinterließ.

Von Jugend an war Mary von der Literatur fasziniert und fest dazu entschlossen, den römischen Autor Ovid im Original zu lesen. So besorgte sie sich heimlich eine lateinische Grammatik und ein Wörterbuch und lernte zwei Jahre lang Latein. Als ihr Vater dahinterkam, war er davon so angetan, dass er ihr Unterricht in Italienisch, Französisch und Jahre später auch in Türkisch geben ließ.

Die Tatsache, dass sie Horaz, einen weiteren römischen Autor, im Original zitieren konnte, war es, was Edward Wortley Montague an der jungen Lady faszinierte. Beide korrespondierten sieben Jahre, bis er sich entschließen konnte, Mary im Jahr 1712 zu heiraten. Im Jahr 1717 reiste sie mit Edward Wortley Montague nach Konstantinopel, die damalige Hauptstadt der Türkei, wo ihr Gatte als Botschafter tätig war. Lady Mary war eine bedeutende und eifrige Korrespondentin. Bereits im April 1717 berichtete sie in einem Brief an einen Freundin in England über die Methode, mit der man Menschen in der Türkei vor den Pocken schützte, eine Methode, die man „einpflanzen“ nannte.

Und das ging so: Alte Frauen sammeln jeden Herbst gezielt Pocken-Keime von den Pocken Infizierter. Anschließend gehen sie im Stadtviertel herum und öffnen bei den Menschen, die sich vor den Pocken schützen wollen, eine Vene, die mit einer geringen Dosis an Pocken-Keimen infiziert wird. Als Folge davon erkranken die Menschen zwei bis drei, selten jedoch acht Tage und sind von da an gegen die Pocken immun. Dieses Verfahren nennt man Inokulation.

Schon im Jahr darauf ließ sie ihren dreijährigen Sohn und später auch ihre fünfjährige Tochter in England inokulieren. Dieses Verfahren erregte viel Aufsehen und wurde von der Kirche und den meisten Medizinern in England nicht gutgeheißen. Dennoch erhielt Lady Mary von Caroline, der Prinzessin von Wales, die Zustimmung, Experimente mit sechs Gefangenen und sechs Waisenkindern durchzuführen, um die Wirksamkeit des Verfahrens nachzuweisen. Schließlich ließ auch Caroline ihre Töchter okulieren und es wurde entschieden, dass die Kinder des englischen Königshauses okuliert werden sollten. So kam es, dass die Pocken-Inokulation Schritt für Schritt in England Fuß fasste. Um ihre Methode weiter zu verbreiten, verfasste Mary Montague anonym eine Schrift mit dem Titel „Einfache Schilderung der Pocken-Inokulation durch einen türkischen Kaufmann“.

Trotz des medizinischen Erfolgs muss man heute einräumen, dass die Pocken-Inokulation, die ja mit lebenden Viren durchgeführt wurde, ein gefährlicher Eingriff war und nicht in allen Fällen vor dem Ausbruch der Krankheit schützte. Lady Mary Montague war eine exzentrische Frau, voll Phantasie und Esprit, sie stand mit der kulturellen und politischen Elite ihres Landes in engem Kontakt und machte sich selbst vor allem als Literatin einen Namen. Sie war eine Berühmtheit in der Londoner Gesellschaft, die sich mit ihren Schriften in die Politik einmischte und damit jedoch auch immer mehr die politische Karriere ihres Mannes gefährdete. Aus diesem Grund beschloss der Familienrat, dass sie England verlassen und erst nach dem Tod ihres Mannes zurückkommen sollte.

Die letzten 20 Jahre ihres Lebens verbrachte sie, großzügig von Edward unterstützt, in Italien und Frankreich, und blieb bis zu seinem Tod in engem Briefkontakt mit ihm. Nach dem Tod ihres Mannes kehrte Mary Montague 1761 nach England zurück und starb dort ein Jahr später an Krebs. Sicher hat auch nicht zuletzt ihre turbulente Lebensgeschichte dazu beigetragen, dass man in der Vergangenheit nicht ihr, sondern Dr. Edward Jenner das Verdienst der Pocken-Inokulation zuschrieb.