Aus dem Schlesischen Gebirge
                                                                    
                                [Ferdinand Freiligrath]
  Nun werden grün die Brombeerhecken;
  
  Hier schon ein Veilchen  welch ein Fest!
  
  Die Amsel sucht sich dürre Stecken,
  
  Und auch der Buchfink baut sein Nest.
  
  Der Schnee ist überall gewichen,
  
  Die Koppe nur sieht weiß ins Tal;
  
  Ich habe mich von Haus geschlichen,
  
  Hier ist der Ort  ich wag's ein einmal:
  
  Rübezahl!
  
  
  Hört' er's? ich seh' ihm dreist entgegen!
  
  Er ist nicht bös! Auf diesen Block
  
  Will ich mein Leinwandpäckchen legen 
  
  Es ist ein richt'ges volles Schock!
  
  Und fein! Ja, dafür kann ich stehen!
  
  Kein beßres wird geweht im Tal 
  
  Er läßt sich immer noch nicht sehen!
  
  Drum frischen Mutes noch einmal:
  
  Rübezahl!
  
  
  Kein Laut!  Ich bin ins Holz gegangen,
  
  Daß er uns hilft in unsrer Not!
  
  O, meiner Mutter blasse Wangen 
  
  Im ganzen Haus kein Stückchen Brot!
  
  Der Vater schritt zu Markt mit Fluchen 
  
  Fänd' er auch Käufer nur einmal!
  
  Ich will's mit Rübezahl versuchen 
  
  Wo bleibt er nur? Zum drittenmal:
  
  Rübezahl!
  
  
  Er half so vielen schon vorzeiten 
  
  Großmutter hat mir's oft erzählt!
  
  Ja, er ist gut den armen Leuten,
  
  Die unverschuldet Elend quält!
  
  So bin ich froh denn hergelaufen
  
  Mit meiner richt'gen Ellenzahl!
  
  Ich will nicht betteln, will verkaufen!
  
  O, daß er käme! Rübezahl!
  
  Rübezahl!
  
  
  Wenn dieses Päckchen ihm gefiele,
  
  Vielleicht gar bät' er mehr sich aus!
  
  Das wär' mir recht! Ach, gar zu viele,
  
  Gleich schöne liegen noch zu Haus!
  
  Die nähm' er alle bis zum letzten!
  
  Ach, fiel auf dies doch seine Wahl!
  
  Da löst' ich ein selbst die versetzten 
  
  Das wär' ein Jubel! Rübezahl!
  
  Rübezahl!
  
  
  Dann trät' ich froh ins kleine Zimmer,
  
  Und riefe: Vater, Geld genug!
  
  Dann flucht' er nicht, dann sagt' er nimmer:
  
  Ich web' euch nur ein Hungertuch!
  
  Dann lächelte die Mutter wieder,
  
  Und tischt' uns auf ein reichlich Mahl;
  
  Dann jauchzten meine kleinen Brüder 
  
  O käm', o käm' er! Rübezahl!
  
  Rübezahl!
  
  
  So rief der dreizehnjähr'ge Knabe;
  
  So stand und rief er, matt und bleich.
  
  Umsonst! Nur dann und wann ein Rabe
  
  Flog durch des Gnomen altes Reich.
  
  So stand und paßt' er Stund' auf Stunde,
  
  Bis daß es dunkel ward im Tal,
  
  Und er halblaut mit zuckendem Munde
  
  Ausrief durch Tränen noch einmal:
  
  Rübezahl!
  
  
  Dann ließ er still das buschige Fleckchen,
  
  Und zitterte und sagte: Hu!
  
  Und schritt mit seinem Leinwandpäckchen
  
  Dem Jammer seiner Heimat zu.
  
  Oft ruht' er aus auf moos'gen Steinen,
  
  Matt von der Bürde, die er trug.
  
  Ich glaub', sein Vater webt dem Kleinen
  
  Zum Hunger- bald das Leichentuch!
  
   Rübezahl?!