Maria Montessori – ein Leben für die Kinder

Maria Montessori wurde am 31. August 1870 in der Nähe der Stadt Ancona in Italien geboren. Sie war das einzige Kind des Finanzbeamten Alessandro Montessori und seiner Frau Renilde. Wegen der Arbeit des Vaters zog die Familie in den ersten Jahren von Marias Kindheit viel um. Doch als Maria fünf Jahre alt war, wurde der Vater nach Rom versetzt, wo die Montessoris fortan wohnten.

Ein selbstbewusstes Kind
Marias Eltern, besonders der Vater, waren eher konservativ. Obwohl die Eltern ein traditionelles Rollenbild vertraten – der Mann arbeitete und die Frau kümmerte sich um Haushalt und Familie –, ermunterte Mutter Renilde ihre Tochter Maria von klein auf an, ihren eigenen Weg zu gehen und ihre Ziele zu verfolgen.

Die Montessoris legten viel Wert auf eine gute Ausbildung. Als Maria mit sechs Jahren in die Schule kam, merkte sie schnell, dass es ihr Spaß machte zu lernen und dass sie gut zurechtkam. So lernte sie fleißig und wurde eine gute Schülerin. Maria interessierte sich besonders für das Fach Mathe. Selbstbewusst entschied sie sich mit 13 Jahren, dass sie auf eine technische Schule gehen wollte, denn ihr Wunsch war es, Ingenieurin zu werden. Und so kam Maria Montessori als einziges Mädchen auf eine reine Jungenschule.

Ihre Eltern tolerierten diese Entscheidung zwar, sie waren aber nicht besonders glücklich darüber. Denn sie hätten Maria gerne als zukünftige Lehrerin gesehen. Doch das konnte sich das Mädchen überhaupt nicht vorstellen.

Italiens erste Ärztin
Nach ihrem Schulabschluss begann Maria Montessori ein naturwissenschaftliches Studium an der Universität Rom. Doch schon bald merkte sie, dass dies nicht der richtige Weg für sie war. Denn viel lieber wollte sie Medizin studieren. Das Problem an der Sache war jedoch, dass Frauen zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht Medizin studierten. Es gab bis dahin keine einzige Ärztin in Italien. Aber Maria war von ihrer Berufswahl überzeugt und beharrte darauf, ihren Plan umzusetzen.

Für Maria Montessoris Familie war diese Entscheidung ein Schock. Ihr Vater verbot ihr sogar das Studium. Doch das war Maria egal, und nach einigen Anstrengungen und vielen Diskussionen mit der Universitätsleitung wurde sie schließlich die erste Medizinstudentin der Universität Rom und später sogar die erste Ärztin ganz Italiens. Marias Vater wollte dies jedoch nicht akzeptieren, und für viele Jahre kam es zu einem Bruch zwischen Vater und Tochter. Trotz der unnachgiebigen Haltung des Vaters unterstützte Marias Mutter sie aber weiterhin, wo sie nur konnte. Sie glaubte fest an die Fähigkeiten ihrer Tochter und stand ihr ein Leben lang zur Seite.

Allein unter Männern
Das Leben an der Uni war für die inzwischen 22-jährige Maria Montessori nicht leicht. Als einzige Frau sahen die Männer in ihr eine Gefahr – jemanden, der in ihren Machtbereich eindrang. Doch Maria ließ sich nicht einschüchtern und versteckte sich auch nicht. Sie kleidete sich weiterhin weiblich und richtete sich hübsch zurecht. Schon bald war sie eine richtige Berühmtheit. Wenn sie morgens zur Universität gebracht wurde – als Frau durfte sie nicht einmal alleine durch die Stadt gehen –, sahen ihr die Leute hinterher und bestaunten die Frau, die sich traute, allein unter Männern zu studieren.

Maria durfte den Hörsaal erst nach den Männern betreten. Und auch im Anatomiesaal musste sie den damals geltenden Anstand wahren. Sie durfte sich nicht mit den Männern zusammen dort aufhalten. Erst abends, wenn die anderen Studenten nach Hause gegangen waren, durfte sie den Saal betreten. Nachts allein mit den Leichen, die dort seziert werden sollten – das war sicherlich ganz schön unheimlich. Außerdem fand Maria den Geruch dort widerlich. So heuerte sie kurzerhand einen Mann an, der abends mit ihr dort saß und Zigarre rauchte.

So behauptete sich Maria Montessori an der Universität. Und auch ihre Mitstudenten begannen sie allmählich zu akzeptierten. Wenn Maria doch mal ein junger Mann hinterher pfiff, so sagte sie selbstbewusst: "Blast ihr nur. Je mehr ihr blast, desto höher fliege ich."

Doch Maria stach nicht nur dadurch hervor, dass sie eine Frau war, sondern auch durch ihre besonders guten Leistungen als Medizinstudentin. Sie war so gut, dass sie verschiedene Stipendien bekam, mit denen sie ihr Studium ganz alleine finanzierte.

Versöhnung mit dem Vater
Kurz vor Ende ihres Studiums fanden Tochter und Vater schließlich doch wieder zusammen. Maria war gebeten worden, einen Vortrag an der Universität zu halten. Diese Aufgabe vollbrachte sie mit großer Fachkenntnis und Souveränität. Alle Anwesenden waren von ihrem Wissen und ihrer Art zu reden beeindruckt – selbst ihre Klassenkameraden, von denen sie eigentlich erwartet hatte, sie würden sie nicht ernst nehmen und den Vortrag stören. Doch nicht nur die anderen Studenten waren von ihrer Leistung eingenommen – auch Marias Vater, der gekommen war, um seine Tochter anzuhören. Als sie fertig war, bekam Maria einen donnernden Applaus. Und ihr Vater versöhnte sich stolz mit seiner herausragenden Tochter. Einige Jahre später, zu Marias 30. Geburtstag, schenkte er ihr sogar ein Buch, in das er alle Zeitungsartikel über seine Tochter und ihre Arbeit eingeklebt hatte – insgesamt waren es mehr als 200!

Arbeit mit Kindern
Im Alter von 26 Jahren beendete Maria Montessori ihr Medizinstudium mit Aus-Zeichnung. Nun war sie Italiens erste Ärztin! Direkt nach ihrem Studium wurde ihr eine Stelle im Universitätskrankenhaus angeboten, und zwar in der psychiatrischen Klinik. Gleichzeitig eröffnete sie auch eine Arztpraxis, in der sie eigene Patienten behandelte. Bei ihrer Arbeit in der psychiatrischen Klinik arbeitete Maria Montessori vor allem mit Kindern. Unter anderem betreute sie geistig behinderte Kinder, die zusammen mit psychisch kranken Menschen in einer geschlossenen Anstalt lebten. Sie musste feststellen, dass diese Kinder keinerlei Förderung bekamen.

Um herauszufinden, wie man diesen Kindern helfen könnte, begann sie, alles zu diesem Thema zu lesen. Dabei stieß sie auch auf die Arbeiten des französischen Arztes und Taubstummenlehrers Jean Itard sowie auf die des Psychiaters und Pädagogen Edouard Séguin. Die Ideen dieser beiden Wissenschaftler begeisterten Maria Montessori, denn hier fand sie Erklärungen für viele Fragen, die sie beschäftigten. Sie kam zu dem Schluss, dass eine geistige Zurückgebliebenheit eher ein pädagogisches als ein medizinisches Problem war. Und schon bald wurde ihr klar, was man tun musste, um diese Kinder zu fördern: Sie brauchten einen speziellen Unterricht, der genau auf sie zugeschnitten war. Und sie brauchten eigene Schulen.

Entwicklung eigener Methoden
Fortan widmete sich Maria Montessori ganz ihrer Arbeit und der Forschung. Da sie außerdem eine sehr begabte Rednerin war, wurde sie vom Bildungsminister gebeten, in Rom einen Ausbildungskurs für Lehrer zu organisieren. Dieser Kurs war ein großer Erfolg. Er wurde weitergeführt, und schließlich ging aus ihm die Gründung einer heilpädagogischen Schule hervor. Im Jahre 1898 – mit gerade mal 28 Jahren – wurde Maria Montessori zur Direktorin ernannt. Hier konnte sie nun ihre Methoden zum Training der Sinne und der Bewegungen anwenden, die sie aus Itards und Séguins Ideen entwickelt hatte. Maria forschte und unterrichtete an der Schule. Tagsüber war sie im Schulalltag eingespannt, und erst abends kam sie dazu, ihre Beobachtungen vom Tage niederzuschreiben.

Maria bekommt einen Sohn
1898, noch im selben Jahr, als Maria Montessori zur Direktorin ernannt wurde, brachte sie ihren Sohn Mario zur Welt, der aus ihrer Liebesbeziehung mit dem angesehenen Kollegen Dr. Giuseppe Montesano stammte. Da eine berufliche Karriere mit Kind – zumal einem unehelichen – damals undenkbar gewesen wäre, hielt Maria Montessori die Geburt ihres Sohnes geheim und gab ihn außerhalb Roms in Pflege. Erst mit 15 Jahren erfuhr Mario, wer seine leibliche Mutter war. Maria nahm den Jungen zu sich, und er trug fortan ihren Nachnamen. Von da an wich Mario nicht mehr von ihrer Seite und wurde später ihr Assistent und ihre rechte Hand.

Das Kinderhaus – Casa dei Bambini
Im Jahre 1901 kündigte Maria Montessori überraschend ihren Posten an der Schule. Sie erklärte, sich in den Fächern Anthropologie und Psychologie weiterbilden zu wollen, um mit ihrer Forschungsarbeit voranzukommen.

Mit den Jahren zeigte Marias Arbeit erste Erfolge. So gelang es ihr, einigen geistig behinderten Kindern lesen und schreiben beizubringen, so dass sie an den Aufnahmeprüfungen für normale Schulen teilnehmen konnten.

1907 beauftragte die italienische Regierung Maria Montessori damit, ein Tagesheim für Kinder in einem Elendsviertel in Rom einzurichten. Das Casa dei Bambini – das Kinderhaus – nahm Kinder zwischen drei und sechs Jahren auf, die von ihrem Elternhaus her wenig Fürsorge und Aufmerksamkeit erhielten. Die Kinder bekamen dasselbe Spielmaterial, das Maria Montessori für geistig behinderte Kinder entwickelt hatte. Sie lernten, mit den Händen zu arbeiten, sich um ihre Umwelt und ihre Mitmenschen zu kümmern. Sie durften sich ihre Beschäftigung selbst aussuchen, sog-lange sie die anderen nicht störten. Die Kinder lernten schnell. Und ihr Selbstwertgefühl verbesserte sich, denn zum ersten Mal hatten sie das Gefühl, etwas wert zu sein.

Innerhalb kurzer Zeit machte sich das Casa dei Bambini einen Namen, und weitere Kinderhäuser wurden in Italien eröffnet. Aber auch über die Grenzen Italiens hinaus wurden die Häuser und die Montessori-Idee immer bekannter. Viele interessierten sich für Maria Montessoris Methoden, und sie wurde gebeten, in der Lehrerausbildung mitzuarbeiten.

Montessori in der ganzen Welt
Mit 40 Jahren gab Maria Montessori ihre Arbeit im Universitätskrankenhaus auf, um sich vollkommen der Verbreitung der Montessori-Methoden widmen zu können. Sie reiste um die ganze Welt, hielt Vorträge, bildete Lehrer aus, gründete Schulen und schrieb über ihre Arbeit. Ihr Sohn Mario wurde zu ihrer rechten Hand und begleitete sie, wohin sie auch fuhr. Offiziell war Mario jedoch nur ein Mitarbeiter – dass er auch ihr Sohn war, wussten nur nächste Bekannte.

Die Arbeit bedeutete Maria Montessori alles. Und wo es sie auch hinverschlug – sie fühlte sich überall zu Hause. Als man sie einmal fragte, in welchem Land sie denn eigentlich lebe, antwortete sie: "Mein Land ist ein Stern, der um die Sonne kreist und sich Erde nennt."

Im Jahre 1939 – inzwischen 69 Jahre alt – reiste Maria nach Indien. Geplant war ein halbjähriger Unterrichtskurs. Doch aus sechs Monaten wurden sieben Jahre, denn der Zweite Weltkrieg brach aus, und Maria und ihr Sohn durften nicht mehr ausreisen. Doch sie nutzte die Zeit, und auch Indien wurde zu einem aktiven Montessori-Zentrum.

Aktiv bis zur letzten Stunde
Auch im hohen Alter wurde Maria Montessori von ihren Anhängern verehrt. Man sagt, sie habe wie eine Königin gewirkt – mit ihrer würdevollen Ausstrahlung, ihrem weißen Haar und den stets schwarzen Kleidern, die sie trug. Außerdem hatte sie eine Vorliebe für Schmuck und große Hüte.
Sie arbeitete buchstäblich bis zu ihrer letzten Stunde. Am 6. Mai 1952 starb sie im holländischen Nordwijk aan Zee. Dort liegt sie auf dem katholischen Friedhof begraben. In ihrem Testament vermachte sie alles ihrem Sohn Mario – und erkannte ihn damit zum ersten Mal auch offiziell an.

Maria Montessori hat ihr Leben den Kindern gewidmet. Sie wollte ihnen helfen, zu selbstständigen Individuen zu werden. Mit dem Motto: "Hilf mir, mir selbst zu helfen", ist ihre Arbeit auch heute noch lebendig.