Michael Green besucht die Flugkünstler der Urzeit

Eigentlich habe ich nie Langeweile. Wenn ich mit Hanna-Zebra herumstrolchen kann, dann ist immer etwas los. In den letzten Wochen hat es allerdings fürchterlich geregnet, deshalb sind wir meistens drinnen geblieben, haben zusammen Schulaufgaben gemacht (ich mache Mathe für uns beide, und Hanna-Zebra schreibt alle Aufsätze) oder irgendwas gebastelt. Manchmal spielen wir auch Domino oder Mikado.

Als uns nach drei Regenwochen dann aber doch die Lust ausging, meinte Hanna-Zebra, wir sollten mal wieder beim Professor 'reinschauen. Schließlich hatte er gesagt, dass wir ihm immer willkommen sind. Der Professor ist schon alt, aber das merkt man ihm nicht an. Er ist ein Naturwissenschaftler und weiß alles. "Ruft aber auf jeden Fall vorher bei ihm an", sagte Mama, "ob ihm so ein Überfall überhaupt recht ist!"

Der Professor war sofort am Telefon. "Natürlich freue ich mich, wenn ihr kommt", lachte er, "vielleicht können wir uns auf dem halben Weg treffen? Ich habe noch etwas im Museum zu erledigen. Sagen wir mal ... um halb vier vor dem Haupteingang?" Klar, abgemacht!

Mit dem Professor ins Museum zu gehen - das stellte ich mir vor wie mit dem Löffel durchs Schlaraffenland zu reisen. "Oh ja, viel geistige Nahrung für unseren kleinen Einstein", kicherte Hanna-Zebra. Mama lachte: "Ja, und ein wenig Entwicklungshilfe für unsere kleine Spottdrossel!" Sie weiß aber, dass Hanna-Zebra es nicht böse meint. Wir albern beide ganz gerne herum. "So, lasst den Schirm nicht im Museum stehen! Und grüßt den Professor von mir! Und lauft nicht durch die Pfützen! Michael Green, hast du ein Taschentuch eingesteckt?" Ja, ja, ja ...

Wir waren schon unten auf der Straße, als das Küchenfenster aufging und sie uns nachrief: "Um sieben seid ihr spätestens wieder zu Hause, verstanden?" Ja, ja!

Als wir am Museum ankamen, war der Professor nirgends zu sehen. Darum fragten wir beim Pförtner nach. "Einen Moment, Kinder", er griff nach dem Telefon und wählte eine kurze Nummer, "Herr Professor, der Junge mit dem Vogel ist jetzt da!" Hanna-Zebra guckte verblüfft: "Oh bitte, sagen sie ihm, das Mädchen mit der Meise sei ebenfalls eingetroffen!" Wir mussten beide laut loslachen. Aber der Pförtner rümpfte nur beleidigt die Nase. "Die Jacken und den Schirm hängt ihr da vorne ordentlich an die Garderobe. Dann rechts den Gang hinunter, in die große Halle. Der Herr Professor erwartet euch!"

Als wir auf die große Halle zuliefen, kam uns der Professor schon mit ausgebreiteten Armen entgegen. "Wie schön, euch wieder zu sehen!" Er schüttelte herzlich unsere Hände und strich Merlo über die schwarzen Federn. "Willkommen in der Urzeit!"

Ich sah mich um. In der Halle standen große Glaskästen mit vielen Steinen und Schildchen darin. An der Wand hingen Zeichnungen in bunten Farben, auf denen Saurier aufgemalt waren. "Ja, schaut euch ruhig alles an", meinte der Professor, "in dieser Halle findet ihr unser gesammeltes Wissen über Flugsaurier." Er schob uns an eine der Vitrinen: "Versteinerungen von Flugsauriern findet man an vielen Orten auf der Welt. Allerdings nur die Abdrücke von Knochen oder Zähnen, weil die harten Körperteile nicht so schnell verrotten wie die weichen."

Er deutete auf drei kleine gebogene Steinstückchen. "Kaum zu glauben, nicht wahr, dass diese Krallen über 150 Millionen Jahre alt sind? Sein Besitzer lebte im Erdmittelalter - zusammen mit den Dinosauriern und dem Urvogel Archaeopteryx."

Eine Schautafel an der Wand zeigte Tiere und Pflanzen, die im Erdmittelalter gelebt hatten, Saurier, Urvögel, Riesenfarne. "Warum ist das alles ausgestorben?" "Nun, Michael Green, zuerst mal muss man sagen, dass ja auch einiges überlebt hat, Krokodile, Schildkröten, die Säugetiere und viele Pflanzen! Bis heute kann man nur rätseln, warum Saurier und Urvögel ausgestorben sind. Aber schließlich sind nicht alle Geschöpfe gleichzeitig verschwunden, sondern über Tausende von Jahren hinweg immer wieder andere Arten. Vermutlich gibt es ganz verschiedene Gründe für das Aussterben der Urtiere."

Hanna-Zebra las ein Schild: "Anurognathus - ein Langschwanzsaurier mit 30 cm Flügelspannweite." Sie sah den Professor fragend an: "Langschwanz - bei 30 cm? Der war ja kaum größer als Merlo!" "Ja, da hast du recht", schmunzelte der Professor, "er war wirklich nicht viel größer, aber er wog mehr, immerhin ein Pfund.

Man teilt die Flugsaurier nach ihrem Aussehen in Langschwänze und Kurzschwänze ein - unabhängig von ihrer tatsächlichen Größe. Der Quetzalcoatlus zum Beispiel war ein Kurzschwanz mit einer Flügelspannweite von 12 Metern! Übrigens waren die Langschwänze früher da, und sie starben auch früher aus. Hingegen gab es die Kurzschwänze noch bis zum Ende des Erdmittelalters."

Ich versuchte mir vorzustellen, wie ein Quetzalcoatlus über unserer Stadt kreisen würde - wie ein kleines Segelflugzeug! Aber dann kamen mir Zweifel: "Wieso sind sich die Wissenschaftler eigentlich so sicher, dass es fliegende Saurier gab, wenn sie immer nur Knochenstückchen und Zähne finden?"

Der Professor antwortete nicht gleich. Stattdessen hob er seinen Kopf und starrte an die Kuppeldecke der großen Halle. "Wo, zum Kuckuck", sagte er langsam, "ist der Pteranodon geblieben?" Doch dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht: "Ach ja - kommt Kinder, wir sehen mal bei Frau Dellmann in der Werkstatt nach, was der Pteranodon macht!"

Mit fliegenden Schritten rauschte der Professor den Gang hinunter und wir hinterher, erst links, dann eine endlose Treppe hinauf. - "Ich wette, er nimmt heimlich Flugstunden", japste Hanna-Zebra leise, "was für ein Tempo!" - Einen anderen Gang entlang, noch mal rechts, noch eine Treppe hinauf, durch eine Glastür, und dann waren wir da.

In der Mitte der Werkstatt hing ein riesiger Flugsaurier an einem Haken von der Decke. Ein junge Frau malte gerade seinen Kopf grau an. "Oh, guten Tag, Herr Professor." Die Restauratorin kletterte von ihrer Trittleiter herunter. "Schön, dass sie mal 'reinschauen. Und Besuch haben sie auch mitgebracht." Sie sah uns freundlich an. "Darf ich die Herrschaften zu einem Kakao einladen?" Wir sagten nicht nein und machten es uns alle in der Werkstatt gemütlich. Sogar Merlo bekam einen Keks.

"So, das tat gut", sagte der Professor und stellte seine Tasse ab. "Um deine Frage von vorhin zu beantworten, Michael Green, betrachte mal die Flügel dieses Flugsauriers. Er hat drei kleine Krallenfinger an jedem Flügel. Den fünften Finger erkennt man kaum. Der vierte Finger ist dagegen unheimlich lang. Dieser hatte nämlich die Aufgabe, die Flughaut aufzuspannen. Solche Flugfinger kennen wir auch von den Fledermäusen. Und weil man die Knochen als Versteinerung gefunden hat, wissen wir, dass diese Saurier fliegen konnten. Übrigens hatte der Flugsaurier auch keine Federn, sondern wie die Fledermaus ein kurzes Fell, das ihn vor Nässe und Kälte schützte."

Hanna-Zebra war aufgestanden und sah sich den Pteranodon von allen Seiten an. "Ich glaube nicht, dass er fliegen konnte", sagte sie kritisch, "denkt nur mal an die Knochen - der war doch viel zu schwer!" "Irrtum", lachte Frau Dellmann und goss frischen Kakao nach, "bei den Flugsauriern waren viele Knochen hohl. Das spart eine Menge Gewicht und erleichtert das Fliegen. Trotzdem waren die Knochen sehr stabil." Sie griff in den großen Papierkorb und fischte eine Pappröhre heraus. "Hier, Michael Green", sagte sie zu mir, "hier hast du einen Röhrenknochen. Versuch mal, ihn durchzubrechen!" Meinetwegen könnt ihr Wetten abschließen, ob ich's geschafft habe oder nicht. Oder probiert es selbst aus, dann werdet ihr schon sehen, ob's geht!

"Flugsaurier konnten sogar ziemlich gut fliegen", der Professor meldete sich zu Wort. "Kollegen von mir haben nach allem, was sie von Flugsauriern wussten, ein ferngesteuertes Modell gebaut. Die Flugversuche ergaben immerhin bis zu fünfzig Kilometer in der Stunde!" Er trank einen Schluck und fuhr dann fort: "Außerdem entdeckte man beim Flugsaurier verschiedene Eigentümlichkeiten, die ihn stabiler machten. Zum Beispiel fand man in versteinerten Flughäuten viele kleine, eingewachsene Stäbchen. Sie stärkten die Flughäute, damit sie beim Fliegen nicht wild flatterten und einrissen."

Frau Dellmann nickte: "Das kann man übrigens ganz gut in einem einfachen Experiment zeigen." Sie holte Papier aus der Schublade. "Hier, Kinder, faltet mal eine Ziehharmonika! Die Rippen sind sozusagen die Stäbchen in der Flughaut." Hanna-Zebra und ich falteten, was das Zeug hielt. "Schön", sagte Frau Dellmann, "und jetzt haltet mal das gefaltete Papier und einen glatten Bogen nebeneinander in den Luftstrom." Sie nahm einen Föhn vom Arbeitstisch und stellte ihn an. "Seht ihr den Unterschied?"

"Haben die Flugsaurier denn auch wie Vögel gelebt?", fragte Hanna-Zebra. "Nun", antwortete der Professor, "darüber wissen wir leider nicht so viel. Die meisten Flugsaurier lebten wohl an den Küsten, wo sie im Tiefflug Fische jagten. Andere suchten am Strand Muscheln und Schnecken. Und wieder andere filterten mit ihren Schnäbeln allerkleinste Lebewesen aus dem Wasser. Es gab sogar Insektenfresser unter den Flugsauriern. All diese unterschiedlichen Jagdtechniken kann man schon an der bloßen Kopfform erkennen!

Was das Familienleben der Flugsaurier angeht, können wir allerdings nur vermuten, dass sie ihre Brut an Land aufzogen. Man weiß durch die Untersuchung des Skeletts, dass sie ganz bestimmt Eier legten. Leider hat man bis heute keine versteinerten Eier gefunden und weiß deshalb auch nicht, ob es richtige Nester gab."

Fliegen konnten die Flugsaurier also, aber wie steht es mit dem Laufen? "Na ja, es geht so", lachte der Professor. "Lange Zeit haben Wissenschaftler darüber gestritten. Aber in jüngster Zeit sind in Südfrankreich versteinerte Fußspuren gefunden worden. Die beweisen, dass Flugsaurier auf allen vieren laufen konnten. Vermutlich sahen sie dabei nicht besonders graziös aus, schließlich waren sie in der Luft zu Hause."

Zu Hause? Oh je, wir hatten vergessen, auf die Uhr zu sehen! Zehn vor sieben - höchste Zeit, dass wir uns auf den Heimweg machten! "Ihr kommt hier gar nicht mehr 'raus!" drohte der Professor und lachte. "Das Museum ist schon seit sechs Uhr geschlossen!"

Aber dann sind wir zusammen hinunter gegangen. Frau Dellmann hat das Museum abgeschlossen, weil der Pförtner schon Feierabend hatte. Hanna-Zebra und ich haben uns beim Professor und der Restauratorin bedankt und sind anschließend im Dauerlauf nach Hause gerast. Und nächste Woche werden wir noch mal Frau Dellmann besuchen und holen dann auch den Schirm ab.