Flucht durch die Heide: Der Streit

  • Autor: Stevenson, Robert Louis

Alan und ich wurden im Dunkel der Nacht über den Meeresarm von Errocht gebracht. Einer der Knechte führte uns an dessen Ostufer zu einem anderen Versteck. Dabei trug dieser Bursche unser ganzes Gepäck.

Zweifellos war es eine große Erleichterung, ohne Last zu wandern, ganz besonders für mich, der ich doch eben erst vom Krankenlager aufgestanden war.

Lange Zeit sprachen wir kein Wort und hingen nur unseren finsteren Gedanken nach. Ich war wütend, und Alan war wütend und beschämt; beschämt, weil er mein Geld verspielt hatte und wütend, weil ich ihm dies so übel nahm.

Immer häufiger und drängender kam mir der Gedanke an Trennung in den Sinn, aber ich schämte mich auch für diese Überlegungen. Ich konnte mich doch nicht an ihn - den Freund, der mich liebte - wenden und sagen: Du bist in großer Gefahr, aber ich habe nur wenig zu fürchten. Deine Freundschaft ist eine Gefahr für mich; deshalb geh allein weiter! Das zu sagen war doch unmöglich!

Und doch hatte sich Alan wie ein hinterlistiges Kind betragen und mir mein Geld abgeschmeichelt, während ich halb bewusstlos dalag. Und nun wanderte er hier an meiner Seite!

Ich konnte über all diese Gedanken nicht sprechen und so schwieg ich und blickte Alan nicht einmal an.

Später, als der Weg etwas leichter wurde, hielt er es nicht mehr aus, trat dicht an mich heran und sprach:

"David, so sollen zwei Freunde nicht miteinander sein wegen eines lächerlichen Vorfalls. Ich möchte dir sagen, dass es mir aufrichtig leid tut. Hast du noch mehr gegen mich vorzubringen? Dann tu es jetzt!.

"Nein", sagte ich, "ich habe nichts gegen dich.

Das schien ihn etwas aus der Fassung zu bringen.

"Nein?", fragte er mit leicht bebender Stimme. "Habe ich keinen Tadel verdient?.

"Ja, natürlich hast du Tadel verdient", entgegnete ich kühl, "aber bisher habe ich dir niemals Vorwürfe gemacht.

"Nie, das ist wahr! David, sollen wir uns trennen? Das Land ist groß genug, und ich gestehe dir, dass ich nicht allzu scharf darauf bin, an jemandem zu kleben, der mich nicht haben will.

Diese Worte drangen in mein Inneres wie ein Schwert.

"Alan Breck!", rief ich aus. "Glaubst du, ich bin der Mensch, dir jetzt in deiner schlimmsten Not den Rücken zu kehren? Das wagst du mir nicht ins Gesicht zu sagen! Ja, ich bin auf dem Moor eingeschlafen, ich war völlig erschöpft.

"Ich habe dir das kein einziges Mal vorgeworfen!", erwiderte Alan.

"Aber was habe ich abgesehen davon getan, dass du einen solchen Verdacht äußerst?", fuhr ich fort. "Niemals habe ich einen Freund verlassen, und nun soll ich damit beginnen? Es gibt Dinge, die wir zusammen erlebt haben, die ich niemals vergessen kann, magst du es auch können!.

"Ich möchte dir nur eins sagen, David", entgegnete Alan völlig ruhig. "Seit langem schulde ich dir mein Leben, und jetzt schulde ich dir Geld.

In gewisser Art rührten mich seine Worte, aber sie machten mich auch wieder zornig, zornig auf Alan und mich selbst.

"Du hast mich gebeten, zu reden", sagte ich, "gut, ich will sprechen. Du tadelst mich, weil ich nicht lache und singe, als wenn ich glücklich über das alles wäre! Soll ich auf die Knie fallen und dir dafür danken? Du solltest mehr an andere denken, Alan Breck! Du warst es, der Tadel verdient hat!.

"Schon gut", erwiderte Alan, "du brauchst nichts mehr zu sagen.

Und wieder verfielen wir in unser vorheriges Schweigen. So kamen wir ans Ende der Tageswanderung, aßen und legten uns schlafen, ohne noch ein Wort zu wechseln.

Clunys Knecht setzte uns in der Morgendämmerung des nächsten Tages über den Meeresarm bei Rannoch und gab uns Ratschläge für die weitere Marschroute. Alan war wenig begeistert davon, da dieser Weg mitten durch das feindliche Gebiet der Campbells führte. Allerdings erklärte uns der Knecht, der auch oberster Kundschafter war, dass wir in diesem Gebiet am sichersten wären, da dort die wenigsten Truppen sind.

Alan gab schließlich nach, und wir wanderten nach diesem Marschplan weiter. Den größten Teil der nächsten drei Nächte ging es über unheimliche Berge und an den Quellen wilder Flüsse vorbei. Fast pausenlos stürmte und regnete es, und kein Sonnenstrahl war zu sehen. Tagsüber lagen wir schlafend in der nassen Heide. Durch Nebel kamen wir oft vom Weg ab, an Feuer war nicht zu denken. Unsere einzige Nahrung war Mehlbrei und etwas kaltes Fleisch, das wir aus dem Käfig mitgenommen hatten.

Keine Minute war ich warm, mein Hals tat schlimm weh, und Seitenstiche plagten mich, die keinen Augenblick nachließen. In meinen Träumen erlebte ich noch einmal meine schlimmsten Abenteuer.

Während der abscheulichen nächtlichen Wanderungen war unsere Kameradschaft schlecht, kaum ein paar Worte wechselten wir miteinander. Ich war weiterhin wütend auf Alan und mich selbst. An den ersten beiden Tagen war Alan stets freundlich. Zwar sprach er nicht, aber er war ständig bereit mir zu helfen. Er hoffte noch immer, dass meine schlechte Stimmung vorüber gehen würde. Meine Wut verhärtete sich aber immer mehr. Ich wies mit rauem Wort seine Hilfe zurück, wobei ich ihn nicht ansah.

Schließlich kam der Moment, in dem er sagte: "Ich werde dir meine Hilfe nicht mehr anbieten!.

Ab diesem Augenblick hatte ich das Gefühl, dass er den Vorfall im Käfig abgehakt hatte. Er lief munter dahin, pfiff fröhliche Weisen und blickte mich mit herausforderndem Lächeln von der Seite an.

In der nächsten Nacht fühlte ich mich tödlich müde und tödlich elend. Der kalte Wind durchfuhr mich eisig, sein lautes Sausen verwirrte meine Sinne, und ich wurde von Schmerzen und fiebrigen Schaudern geschüttelt. Zu all dem musste ich nun den Spott von Alan ertragen.

Ich wusste, dass es meine eigene Schuld war, aber ich fühlte mich zu elend, um meine Worte zu bereuen. Ich fühlte, dass ich mich nicht mehr lange weiterschleppen konnte. Mir wurde immer übler. Einmal war ich schon niedergesunken, da meine Beine unter mir zusammenknickten. Das machte Alan einen Augenblick betroffen, aber ich war schnell wieder auf den Füßen und bemühte mich, frisch weiterzulaufen. Allerdings überfluteten mich in Wirklichkeit Hitzewellen, Krämpfe und Schauer.

Endlich konnte ich nicht mehr weiter und blieb stehen Zu allem Ärger der letzten Tage gerieten wir nun auch noch in einen Streit über unsere politischen Ansichten. Dieser ging so weit, dass ich meinen Degen zog und in die Auslage ging, sowie Alan es mich gelehrt hatte.

"David!", rief Alan. "Bist du von Sinnen? Ich kann nicht den Degen gegen dich ziehen! Das wäre reiner Mord!.

"Daran hättet Ihr früher denken sollen!", sagte ich.

"Das ist wahr!", rief er und presste in tiefster Bestürzung die Hand vor den Mund. Trotzdem zog er seinen Degen. Doch bevor die Klingen einander berührten, schleuderte er seinen weit weg. Er warf sich auf den Boden und sagte wieder und wieder: "Nein, nein!.

Da fiel der letzte Zorn von mir ab. Ich fühlte mich nur noch krank, betrübt und leer. Ich bereute meine Worte und erkannte, dass ich diesen tapferen Freund verloren hatte. Gleichzeitig wurde mein Seitenstechen so stark, dass ich glaubte, ich müsse auf der Stelle in Ohnmacht fallen.

Ein Gedanke aber beschäftigte mich trotzdem: Eine Entschuldigung würde nicht reichen, aber wo entschuldigen vergeblich war, würde vielleicht eine schlichte Bitte um Hilfe Alan wieder an meine Seite bringen. Ich warf meinen Stolz weg.

"Alan", sagte ich, "wenn du mir nicht hilfst, muss ich hier sterben.

Er setzte sich auf und sah mich an.

"Es ist, wie ich sage", fuhr ich fort, "ich bin fertig. O Alan, bring mich in den Schutz eines Hauses! Dort werde ich leichter sterben." Durch meine Stimme klang mein Weinen.

"Kannst du gehen?", fragte Alan.

"Nein", erwiderte ich, "ohne Hilfe nicht. Meine Beine sind ganz schwach. In der Seite habe ich Stiche wie von glühendem Eisen, ich kann nicht richtig atmen. Wenn ich sterbe, Alan, wirst du mir dann verzeihen können? In meinem Innersten habe ich dich wirklich lieb gehabt, auch wenn ich äußerlich wütend war.

"Still, still!", rief Alan. "Sprich nicht so! David, Junge!" Ein Schluchzen schloss ihm den Mund. "Lass mich den Arm um dich legen", fuhr er fort. "So, nun stütze dich tüchtig auf mich. Gott weiß, wo hier ein Haus ist. Geht's so, Davie?.

"Ja", sagte ich, "so kann ich es schaffen", und ich drückte seinen Arm in meiner Hand.

Wieder war er dicht am Schluchzen. "David", sagte er, "ich bin kein guter Mann. Ich habe keinen Verstand. Ich habe nicht daran gedacht, dass du noch ein Kind bist; ich habe nicht gesehen, dass du am Sterben warst. Davie, du musst versuchen, mir zu vergeben!.

"Ach, lass uns nicht mehr darüber sprechen", bat ich. "Von uns beiden ist keiner besser als der andere, das ist die Wahrheit! Alan, die Stiche sind furchtbar! Ist denn hier gar kein Haus?.

"Ich werde ein Haus für dich finden, Davie", erwiderte er entschlossen. "Wir wollen dem Bach nachgehen, da kommen wir sicher an Häuser! Mein armer Junge, wäre es nicht besser, ich würde dich tragen?.

"Alan!", rief ich. "Warum bist du so gut zu mir? Wie kommt es, dass du einen undankbaren Kerl so gern hast?.

"Das weiß ich wahrhaftig nicht, David", gab er zurück, "aber nach dem Streit habe ich dich noch viel lieber!.