Gevatter Tod

Es lebte einmal ein sehr armer Mann, der hieß Klaus. Gott hatte ihm einen besonderen Reichtum beschert, der ihm große Sorge bereitete. Der arme Mann hatte nämlich zwölf Kinder, und es war noch ein Kleines hinzugekommen, das dreizehnte Kind. Da wusste der Arme keinen Rat, woher er noch einen Paten nehmen sollte. Denn seine ganze Verwandtschaft hatte ihm schon Kinder aus der Taufe gehoben. Er durfte also nicht hoffen, eine treue Seele zu finden, die ihm sein jüngst gebornes Kindlein hebe. Da blieb ihm also nichts anderes, als sich an den erstbesten Menschen zu wenden, hatte ihm doch schon so mancher Bekannte mit viel Hartherzigkeit eine Patenschaft ausgeschlagen.

Der arme Kindesvater ging also auf die Landstraße hinaus und hielt Ausschau, wem er die Patenstelle seines Kindleins antragen könne. Und siehe, bald kam ein gar freundlicher Mann, von stattlichem Aussehen, wohlgestaltet, nicht alt und nicht jung, doch mild und gütig im Angesicht. Und es kam dem armen Vater so vor, als neigten sich die Bäume und Blümlein und alle Gras- und Getreidehalme vor diesem Manne.

Da dämmerte es Klaus, das müsse der liebe Gott sein. Er nahm seine schlechte Mütze ab, faltete die Hände und betete ein Vaterunser. Und es war auch der liebe Gott, der wusste, was Klaus wollte. Und Gott sprach: "Du suchst einen Paten für dein Kindlein! Wohlan, ich will es dir heben, ich, der liebe Gott!" "Du bist allzu gütig!", antwortete Klaus verzagt. "Aber ich danke dir. Du gibst denen, welche Güter haben, noch mehr. Den anderen gibst du aber die Kinder. So fehlt es oft beiden am Besten, und der Reiche schwelgt, der Arme hungert!" Nach dieser Rede wandte sich Gott ab und ward nicht mehr gesehen.

Klaus ging weiter. Und wie er eine Strecke gegangen war, kam ein Kerl auf ihn zu. Der sah nicht nur aus wie der Teufel, sondern er war es auch. Der Teufel blieb stehen und fragte Klaus, was er denn suche. Er suche einen Paten für sein Kindlein, antwortete Klaus. "Ei, dann nimm mich, ich mach das Kind reich!" "Wer bist du?", fragte Klaus verwundert. "Ich bin der Teufel!" "Das ist also der Teufel!", rief Klaus, und musterte den Mann vom Horn bis zum Pferdefuß. Dann sagte er: "Mit Verlaub, geh heim zu deiner Großmutter. Dich mag ich nicht zum Gevatter, du bist der Allerböseste! Gott sei mit uns!" Da drehte sich der Teufel herum, zeigte dem Klaus eine abscheuliche Fratze, füllte die Luft mit Schwefelgestank und fuhr mit lautem Gebrüll von dannen.

Hierauf begegnete dem Vater abermals ein Mann. Der war spindeldürr, wie eine Hopfenstange, so dürr, dass er klapperte. Dieser seltsame Mann fragte wieder Klaus, wen er denn suche, und bot sich zum Paten des Kindleins an. "Wer bist du?", fragte Klaus auch dieses Mal. "Ich bin der Tod!", sprach jener mit heiserer Stimme, worauf Klaus sich fast zu Tode erschrak. Doch kurz darauf fasste er wieder guten Mut und dachte: "Bei dem wäre mein dreizehntes Söhnlein am besten aufgehoben." Und er sprach: "Ja, du bist der Rechte! Arm oder reich, du machst es gleich. Topp! Du sollst mein Gevatter sein! Stell dich nur ein zu rechter Zeit, am Sonntag soll die Taufe sein." Und am Sonntag kam der Tod, wie versprochen, und ward auch ein ordentlicher Taufpate für den Kleinen.

Der Junge wuchs fröhlich heran und gedieh ganz prächtig. Schon kam er in die Jahre, wo der Mensch etwas lernen muss, um künftig sein Brot zu erwerben. Da stellte sich unverhofft sein Pate ein und ließ ihn mit sich gehen. So wanderten sie Stund um Stund, bis sie in einen wilden und finstern Wald gelangten. Dort standen allerlei Kräuter, und der Tod sprach: "Jetzt, mein Patenkind, sollst du dein Patengeschenk von mir empfangen. Du sollst ein Doktor über alle Doktoren werden, und zwar durch das rechte und wahre Heilkraut, das ich dir jetzt in deine Hand gebe. Doch merke, was ich dir sage. Wenn man dich zu einem Kranken ruft, so wirst du meine Gestalt jedes Mal erblicken. Stehe ich am Kopf des Kranken, so darfst du versichern, dass der Kranke wieder gesunden wird. Dann gib ihm von dem Kraute hier. Wenn du aber meine Gestalt an den Füßen des Kranken siehst, dann sage nur: ‚Hier kann kein Arzt der Welt helfen und ich auch nicht.' Und gebrauche ja nicht das Heilkraut gegen meinen mächtigen Willen, sonst wird es dir übel ergehen!"

Damit ging der Tod von dannen und der junge Bursche auf Wanderschaft. Und es dauerte gar nicht lange, da eilte ihm schon der Ruf und der Ruhm voraus, er sei der größte Arzt auf Erden. Denn er könne es den Kranken gleich ansehen, ob sie leben oder sterben würden. So war es auch. Wenn er den Tod zu des Kranken Füßen erblickte, seufzte er nur, und sprach ein Gebet für die todgeweihte Seele. Erblickte er aber des Todes Gestalt am Kopf des Kranken, so gab er ihm einige Tropfen, die er aus dem Heilkraut presste, und die Krankheit verschwand im Nu. Da mehrte sich sein Ruhm von Tag zu Tag.

Nun geschah es, dass der Wunderarzt in ein Land kam, dessen König schwer erkrankt zu Bette lag. Die Hofärzte hatten keine Hoffnung mehr. Weil aber die Könige am wenigsten gern sterben, so hoffte der alte König noch ein Wunder zu erleben. Also ließ er den Wunderdoktor rufen, auf dass er ihn gesund mache. Dafür versprach er ihm höchsten Lohn.

Der König hatte aber eine Tochter, die war so schön und so gut, wie ein Engel. Als der Arzt nun in das Gemach des Königs kam, sah er zwei Gestalten an dessen Lager stehen: am Kopf des Königs die weinende Königstochter, und zu Füßen den kalten Tod. Die Königstochter flehte den Wunderdoktor so rührend an, den geliebten Vater zu retten, doch die Gestalt des finstern Paten wollte nicht weichen.

Da sann der Doktor auf eine List. Schnell ließ er das Bett des Königs von vier flinken Dienern umdrehen, und gab dem König geschwind einige Tropfen vom dem Heilkraut. Als der Tod das sah und merkte, dass er betrogen war, machte er sich zornig von dannen. Dabei erhob er aber drohend den langen knöchernen Zeigefinger gegen seinen Paten.

Dieser war in Liebe zur reizenden Königstochter entbrannt, und sie schenkte ihm ihr Herz aus tiefer Dankbarkeit. Aber bald darauf erkrankte sie schwer und heftig. Der König, der sie über alles liebte, ließ daraufhin bekannt machen: Wenn es einem Arzt gelingen sollte, die Prinzessin gesund zu machen, so solle er ihr Gemahl und später auch König werden. Da flammte eine hohe Hoffnung im Herz des Jünglings auf, und er eilte zu der geliebten Kranken. Aber zu ihren Füßen stand der Tod.

Vergebens warf der Arzt seinem Paten flehende Blicke zu, dass er sich von der Stelle bewegen möge, womöglich bis zum Kopf der Kranken hinauf. Doch der Tod wich nicht von der Stelle. Es schien so, als ob die Kranke bereits ihren letzten Atemzug tat, da sah sie noch einmal den Jüngling um ihr Leben flehend an. Da griff der Doktor erneut zur List, und ließ das Bett schnell drehen. Kaum war das geschehen, gab er der Prinzessin geschwind einige Tropfen vom Heilkraut, sodass sie wieder auflebte und lächelte.

Der Tod aber warf seinen tödlichen Hass auf den Jüngling. Mit eiserner eiskalter Hand packte er ihn und führte ihn in eine weite unterirdische Höhle. In der Höhle brannten viele tausend Kerzen: große, halbgroße, kleine und ganz kleine. Viele waren verloschen, und andere entzündeten sich. Da sprach der Tod zu seinem Paten: "Siehe, hier brennt das Lebenslicht eines jeden Menschen. Die großen sind die Kinder, die halbgroßen sind Leute in ihren besten Jahren, die kleinen Alte und Greise. Doch auch Kinder und junge Menschen haben oft nur ein kleines bald verlöschendes Lebenslicht."

"Zeige mir das meine!", bat der Arzt den Tod. Da zeigte dieser auf ein ganz kleines Kerzlein, das bald zu erlöschen drohte. "Ach liebster Pate", bat da der Jüngling, "mach es mir doch neu, damit ich der Prinzessin Gemahl und König werden kann!" "Das geht nicht", sprach kalt der Tod. "Erst muss eins ausbrennen, bevor ein neues auf- und angesteckt werden kann." "So setze doch gleich das alte auf ein neues!", sprach der Arzt, und der Tod erwiderte: "Nun gut, ich will es so tun!"

Er nahm ein langes Licht und tat, als wollte er es aufstecken. Dabei stieß er mit Absicht das kleine Kerzlein um, sodass es gleich erlosch. Noch im gleichen Augenblick sank auch der Arzt zu Boden und hauchte sein Leben aus. So bewahrheitete sich einmal mehr, dass gegen den Tod kein Kraut gewachsen ist, und auch keine List.