Siebenschön

Es waren einmal ein paar arme Leute in einem Dorfe. Die hatten ein kleines Häuschen und nur eine einzige Tochter. Diese war wunderschön und gut über alle Maßen. Sie arbeitete, fegte, wusch und nähte für sieben und war so schön wie sieben zusammen. Darum ward sie Siebenschön genannt. Aber sie schämte sich gar sehr, weil die Leute sie immerzu wegen ihrer Schönheit anstaunten. Und sonntags tat sie einen Schleier vor ihr Gesicht, wenn sie in die Kirche ging. Denn Siebenschön war auch fromm wie sieben andre.

So sah sie einst der Königssohn und hatte seine Freude an der edlen Gestalt. Aber es tat ihm Leid, dass sie ihr Gesicht hinter dem Schleier verbarg. Da fragte der Prinz einen seiner Diener: "Wie kommt es, dass wir ihr Gesicht nicht sehen dürfen?" "Das kommt daher", antwortete der Diener, "weil Siebenschön so bescheiden ist." Darauf sagte der Königssohn: "Ist Siebenschön so bescheiden mit ihrer Schönheit, so will ich sie lieben mein Leben lang und sie heiraten. Gehe hin und bringe ihr diesen goldnen Ring von mir. Sage ihr, ich muss mit ihr reden. Sie möge am Abend zur großen Eiche kommen."

Der Diener tat, wie ihm befohlen war. Siebenschön aber glaubte, der Königssohn wolle ein Stück Arbeit bei ihr bestellen. Also ging sie des Abends zur großen Eiche. Da sagte ihr der Prinz, dass er sie liebe wegen ihrer großen Bescheidenheit und Tugend. Und darum wolle er sie zur Frau nehmen. Siebenschön aber sagte: "Ich bin ein armes Mädchen, und du bist ein reicher Prinz. Dein Vater würde sehr böse werden, wenn du mich zur Frau nehmen wolltest." Der Prinz ließ aber nicht ab in seinem Begehren. Da sagte Siebenschön endlich, sie wolle es sich ein paar Tage bedenken.

Der Königssohn konnte aber unmöglich solange warten. Schon am folgenden Tage schickte er Siebenschön silberne Schuhe und ließ sie bitten, noch einmal unter die große Eiche zu kommen. Da sie nun kam, fragte er, ob sie sich besonnen habe. Sie aber sagte, sie habe noch keine Zeit gefunden, es gut zu bedenken. Sie hätte im Haushalt gar viel zu tun, und sie sei ja doch nur ein armes Mädchen. Aber der Prinz bat erneut und immer mehr, bis Siebenschön versprach, es den Eltern zu sagen, was der Prinz ihr angetragen habe.

Kaum war der nächste Tag angebrochen, da schickte der Königssohn Siebenschön ein prächtiges Kleid. Es war ganz aus Goldstoff gemacht, und der Prinz ließ sie zur Eiche bitten. Als Siebenschön nun zu der Eiche kam und der Prinz sie hoffnungsvoll fragte, da sagte sie wieder nur, sie müsse es noch gut bedenken. Auch habe sie mit ihren Eltern nicht reden können. Und sie sprach noch einmal davon, dass sie arm sei, er aber reich, und dass er seinen Vater nur erzürnen werde. Der Prinz aber entgegnete voll Zuversicht, sie solle nur seine Frau werden, so werde sie später auch Königin. Da erkannte Siebenschön, wie aufrichtig es der Prinz mit ihr meinte. Endlich sagte sie ja und kam nun jeden Abend zu der Eiche, den Königssohn zu treffen. Auch sollte der König noch nichts davon erfahren.

Am Hofe gab es aber eine alte hässliche Hofmeisterin. Die lauerte dem Königssohn auf, kam hinter sein Geheimnis und verriet es heimlich an den König. Der König ergrimmte, sandte Diener aus und ließ das Elternhaus von Siebenschön in Flammen legen, auf dass sie mit verbrenne. Als Siebenschön das Feuer bemerkte, sprang sie aus dem Fenster heraus und alsbald in einen leeren Brunnen. Ihre Eltern aber, die armen Leute, verbrannten im Häuschen gar jämmerlich.

Da saß nun Siebenschön drunten im Brunnen und weinte sehr, konnte sie es doch nicht ewig hier aushalten. Als sich der Tag dann zum Abend neigte, kletterte sie hinauf und fand im Schutt des Häuschens noch etwas Brauchbares. Das machte sie zu Geld und kaufte sich Burschenkleider. So ging sie als frischer Bub an des Königs Hof und bot sich zu Diensten an. Der König fragte am nächsten Tag den jungen Diener nach seinem Namen. Da erhielt er die Antwort: "Unglück!" Doch der junge Diener stand in der Gunst des Königs, sodass er ihm bald der Liebste unter allen Dienern war.

Als der Königssohn erfuhr, dass das Elternhaus von Siebenschön verbrannt war, wurde er sehr traurig. Er glaubte, Siebenschön sei mit verbrannt. Das glaubte auch der König und verlangte nun von seinem Sohn, dass er endlich eine Prinzessin heirate. Der Prinz musste alsbald um die Hand einer benachbarten Königstochter anhalten. Da zog der ganze Hof und die ganze Dienerschaft mit zur Hochzeit aus. Das war für Unglück eine schwerer Tag, der wie ein Stein auf ihrem Herzen lag. Als Letzte ritt sie dem Zuge nach und sang traurig mit heller Stimme:

"Siebenschön war ich genannt,
Unglück ist mir jetzt bekannt."

Das hörte der Prinz von weitem. Schnell hielt er an und fragte: "Ei, wer singt denn da so fein?" "Es wird wohl mein Bedienter, der Unglück, sein", antwortete der König. Da hörten sie noch einmal den Gesang:

"Siebenschön war ich genannt,
Unglück ist mir jetzt bekannt."

Und wieder fragte der Prinz, ob es denn wirklich niemand anderes sei als des Königs Diener. Der König aber sagte, er wisse es nicht anders. Als nun der Zug ganz nahe an das Schloss der neuen Braut kam, erklang noch einmal die schöne klare Stimme:

"Siebenschön war ich genannt,
Unglück ist mir jetzt bekannt."

Jetzt wartete der Prinz keinen Augenblick länger. Er spornte sein Pferd an und ritt im gestreckten Galopp am Zuge entlang. Hinten am Ende sah er dann den traurigen Diener Unglück und erkannte sogleich, dass es Siebenschön war. Der Prinz nickte ihr freundlich zu und jagte wieder an die Spitze des Zuges zurück. So zogen sie auch zum Schloss hinein.

Da nun alle Gäste und alles Gefolge im großen Saal versammelt waren, sagte der Prinz zu seinem künftigen Schwiegervater: "Herr König, ehe ich mich mit eurer Prinzessin Tochter feierlich verlobe, müsst ihr mir erst noch eine Frage beantworten. Ich besitze einen schönen Schrank. Vor einiger Zeit verlor ich aber den Schlüssel und kaufte mir einen neuen Schrank. Bald darauf fand ich den alten Schlüssel wieder. Jetzt sagt mir Herr König, welchen Schlüssel soll ich bedienen?" "Ei, natürlich den alten wieder!", antwortete der König. "Das Alte soll man in Ehren halten und es über Neuem nicht vergessen."

"Ganz wohl, Herr König", antwortete der Prinz, "so zürnt mir nicht, wenn ich eure Tochter nicht zur Gemahlin nehmen kann. Sie ist der neue Schlüssel und dort steht der alte." Der Prinz nahm Siebenschön an die Hand, führte sie zu seinem Vater und sagte: "Siehe Vater, das ist meine Braut."

Da schnaubte der alte König ganz entsetzt: "Ach lieber Sohn, das ist doch Unglück, und mein Diener!" Und viele Hofleute riefen: "Herr Gott, was für ein Unglück!" "Nein", sagte der Königssohn, "hier ist gar kein Unglück, hier ist Siebenschön, meine liebe Braut." So verließ der Prinz die Versammlung und führte Siebenschön als Herrin und Frau auf sein schönstes Schloss.