Der Mäuseturm von Bingen

  • Autor: Autor Unbekannt

Vor langer Zeit lebte in Mainz ein böser, habgieriger Erzbischof, der den Namen Hatto trug. Sein Herz war durch und durch schlecht, niemals zeigte es eine menschliche Regung und Mitleid war ihm vollkommen fremd.

In einem Jahr legte sich im Sommer eine fürchterliche Dürre über die Region. Die Tiere verdursteten, das Getreide auf den Felder vertrocknete und irgendwann brach unter den Bewohnern des Landstreichs eine fürchterliche Hungersnot aus.

Doch den Bischof interessierte das Leid seiner Untertanen nicht. Er hatte seine Getreidekammern voll und konnte mit seiner Gefolgschaft weiterhin in Saus und Braus leben. Eines Tages aber kamen Männer, Frauen und Kinder zu ihm und baten um Korn und Brot. Doch der Bischof lachte nur und ließ sie schließlich in einer großen Scheune einsperren.

Sein Herz war so böse, dass er sogar Feuer legen ließ - und die armen Menschen verbrannten unter fürchterlichen Qualen. Ihre Todesschreie waren bis zum Palast des Erzbischofs zu hören, doch wieder hatte er nur ein höhnisches Lachen für ihn über.

„Hört einmal“, sagte er zu seinen Männer, die mit ihm um den Tisch saßen und speisten, „hört ihr dort unten die Kornmäuslein pfeifen.“ Dann aß man gemütlich weiter.

Irgendwann wurde es still. Kein Weinen, kein Rufen war mehr zu hören. Alles stumm. Und sogar die Sonne verdunkelte ihr Gesicht und die Dämmerung zog auf. Und da geschah es: Aus allen Ecken und Winkeln des Palastes krochen Mäuse. Sie fraßen alles, was ihnen in den Weg kam. Kletterten sogar an den Gästen des Erzbischofs empor, um ihnen die Speisen aus dem Mund zu klauen.

Plötzlich hatten alle Anwesenden große Angst. Mägde, Stallburschen und Geistliche verließen fluchtartig das Gebäude. Und der Erzbischof? Der flüchtete sich auf ein Schiff, dass er auf dem Rhein liegen hatte, um zu einem weißen Turm zu flüchten, der mitten im Fluss lag - einige Kilometer von Mainz entfernt.

Dort hoffte er sich in Sicherheit bringen zu können. Doch kaum hatte er die Gemäuer des Turms betreten, da kamen die Mäuse wieder aus allen Ecken und Winkeln gekrochen. Es wurde mehr und mehr. Hunderte. Tausende. Als alle Vorräte von ihnen aufgefressen worden waren, da machten sie sich über den Erzbischof her - und sollen ihn bis zum Knochen abgenagt haben. So erzählt die Sage.

Den Mäuseturm von Bingen könnt ihr noch heute sehen. In Bingen, in der Nähe der Burgruine Ehrenfels, ragt aus den Fluten des Rheins ein altes, zerfallenes Gemäuer hervor. Hier soll der schreckliche Erzbischof sein bitteres Ende gefunden haben.